Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 5.5.1936 geborene Klägerin zog sich am 5.12.1990 anläßlich eines Arbeitsunfalles einen offenen Speichenbruch rechts mit Abbruch des rechten Ellengriffels zu. Mit Bescheid der beklagten Sozialversicherungsanstalt der Bauern vom 4.6.1991 wurde der voraussichtliche Rentenaufwand für die Folgen dieses Arbeitsunfalles gemäß § 209 Abs. 2 ASVG durch eine Gesamtvergütung im Betrage von S 3.019 abgefunden. Dieser Gesamtvergütung wurde unter Zugrundelegung einer Bemessungsgrundlage von S 51.463 für den Zeitraum vom 5.2. bis 30.6.1991 ausgehend von einer Erwerbsminderung von 20 vH berechnet. In der Begründung wurde ausgeführt, die Versehrtenrente falle mit Beginn des 3.Monats nach Eintritt des Versicherungsfalles an; das sei der 5.2.1991. Der voraussichtliche Rentenaufwand sei durch eine Gesamtvergütung abzufinden, da zu erwarten sei, daß nur eine vorläufige Versehrtenrente bis 30.6.1991 gebühre.
Mit weiterem Bescheid vom 2.4.1992 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 25.2.1992 auf Weitergewährung der Versehrtenrente über den 30.6.1991 hinaus ab. Das Feststellungsverfahren habe ergeben, daß eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 % weiterhin nicht vorliege.
Das Erstgericht gab dem dagegen erhobenen Klagebegehren statt und erkannte die Beklagte schuldig, der Klägerin für die Folgen des genannten Arbeitsunfalles über den 30.6.1991 hinaus "bis auf weiteres" eine Versehrtenrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente zu bezahlen. Es stellte fest, daß sich an der Streckseite des rechten Unterarmes eine reizlose, gut verschiebliche Operationsnarbe mit herabgesetztem Hautgefühl finde. Der Groß- und Schlüsselgriff der rechten Hand sei mäßig gemindert. Die Radial- und Ulnarduktion sei um ein Viertel des Bewegungsumfanges eingeschränkt, die Beugung und Streckung endgradig behindert. Es bestehe eine geringfügige Behinderung der Supination, und die Kraft der rechten Hand sei mäßig herabgesetzt. Röntgenologisch bestehe ein knöchern fest verheilter Bruch der Speiche an der Grenze mittleres körperfernes Drittel. Weiters bestehe eine Pseudoarthrose des Ellengriffels. In neurologischer Hinsicht liege eine Schädigung der die Handmuskeln versorgenden Nerven nicht vor. Ein beidseitiges Karpaltunnelsyndrom sei unfallsfremder Natur. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt sei ab dem 1.7.1991 weiterhin mit 20 vH anzunehmen.
In rechtlicher Hinsicht bejahte das Erstgericht den Anspruch auf Versehrtenrente, weil die Erwerbsfähigkeit der Klägerin durch die Folgen des Arbeitsunfalls über drei Monate nach dem Eintreten des Versicherungsfalles hinaus um 20 vH vermindert sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge. Es änderte das erstinstanzliche Urteil, welches hinsichtlich der Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Versehrtenrente über den 30.6.1991 hinaus bis 4.12.1992 als unangefochten unberührt blieb, im übrigen dahin ab, daß es das Mehrbegehren der Klägerin, ihr eine Versehrtenrente auch über den 4.12.1992 hinaus zu gewähren, abwies. Nach § 209 Abs. 1 ASVG sei eine Versehrtenrente als vorläufige Rente zu gewähren, wenn die Rente während der ersten beiden Jahre nach dem Arbeitsunfall wegen der nicht absehbaren Entwicklung der Unfallsfolgen der Höhe nach nicht als Dauerrente feststellbar sei. Spätestens mit Ablauf des zweijährigen Zeitraumes sei die Versehrtenrente als Dauerrente festzustellen, wobei eine Änderung der Verhältnisse nicht vorausgesetzt werde und die Feststellung auch nicht an die Grundlagen gebunden sei, die zur Gewährung der vorläufigen Rente geführt hätten. Die Beklagte habe den Antrag der Klägerin auf Weitergewährung der Versehrtenrente nach Ablauf des gesamten Vergütungszeitraumes abgelehnt und damit das Bestehen der Voraussetzungen für eine Dauerrente verneint. Die Klägerin meine mit ihrem Klagebegehren auf Weitergewährung über den 30.6.1991 hinaus, ihr stünde eine Versehrtenrente in Höhe von 20 vH der Vollrente für dauernd zu, welchem Begehren das Erstgericht stattgegeben habe. Damit sei mangels ausdrücklicher Bezeichnung der Leistung als vorläufige, über eine Dauerrente abgesprochen worden. Allein dieser Umstand führe aber auf Grund der Verfahrensergebnisse zur Stattgebung der Berufung. Nach den nicht bekämpften Verfahrensergebnissen, insbesondere nach dem zusammenfassenden Gutachten ON 7, betrage die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin, bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, ab 1.7.1991 bis zur Erstfestsetzung der Dauerrente, das sei somit spätestens bis 4.12.1992, 20 vH, ab diesem Zeitpunkt sei die Beeinträchtigung der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf 10 vH gesunken. Die davon abweichende Feststellung des Erstgerichtes, die Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin betrage ab 1.7.1991 "bis auf weiteres" 20 vH, sei insoweit aktenwidrig und vom Berufungsgericht zu korrigieren. Auf Grund der Beweisergebnisse hätte das Erstgericht aber der Klägerin die Versehrtenrente noch bis zum 4.12.1992 zusprechen können, das Mehrbegehren auf Weitergewährung darüber hinaus wäre jedenfalls abzuweisen, da nach diesem Zeitpunkt die Dauerrente festzustellen gewesen wäre, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im rentenbegründenden Ausmaß aber nicht mehr vorgelegen sei.
Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin aus den Revisionsgründen der Nichtigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, hilfsweise im Sinne einer gänzlichen Klagestattgebung abzuändern.
Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die Nichtigkeit des angefochtenen Urteils nach § 477 Abs. 1 Z 4 ZPO erblickt die Revisionswerberin darin, daß ihr durch ungesetzlichen Vorgang, nämlich auf Grund einer falschen Rechtsauskunft, die Möglichkeit genommen worden sei, sich am Berufungsverfahren zu beteiligen. Dies wird dahin näher ausgeführt, daß die Klägerin die Berufung der Beklagten ordnungsgemäß zugestellt erhalten habe. Da sie in erster Instanz unvertreten gewesen sei und den Inhalt des der Berufungsschrift beigehefteten Merkblattes nicht ausreichend verstanden habe, habe sie den Amtstag beim Erstgericht aufgesucht und Information verlangt, welche Schritte sie unternehmen solle. Der den Amtstag abhaltende Richter habe der Klägerin mitgeteilt, daß sie nichts zu unternehmen brauche und daher lediglich die Entscheidung des Berufungsgerichtes abwarten müsse. Auf Grund dieser falschen Rechtsauskunft sei der Klägerin die Möglichkeit genommen worden, ihren Rechtsstandpunkt im Berufungsverfahren vorzubringen.
Die gerügte Nichtigkeit liegt nicht vor.
Nach § 477 Abs. 1 Z 4 ZPO (§ 503 Z 1 ZPO) ist das angefochtene Urteil und, soweit der Grund der Nichtigkeit das vorangegangene Verfahren ergreift, auch dieses als nichtig aufzuheben, wenn einer Partei die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, durch ungesetzlichen Vorgang, insbesondere durch Unterlassung der Zustellung entzogen wurde. Die Nichtigkeit liegt in diesem Fall in einer Verletzung des rechtlichen Gehörs und wurde, wie die Revisionswerberin zutreffend hervorhebt, etwa auch dann angenommen, wenn die Vorlage einer rechtzeitig erstatteten Berufungsbeantwortung an das Berufungsgericht unterblieb und dieses Gericht über die Berufung ohne Kenntnis der Berufungsbeantwortung entschied, weil in diesem Fall durch einen ungesetzlichen Vorgang dem Berufungsgegner die Möglichkeit entzogen war, sich am Berufungsverfahren zu beteiligen und ihm auf diese Weise das rechtliche Gehör verweigert wurde (OGH 16.6.1987, 10 ObS 28/87 unter Hinweis auf SZ 46/93, RZ 1986/48; 7 Ob 674/84 und 1 Ob 681/86).
Im vorliegenden Fall war aber der Klägerin gar nicht die Möglichkeit genommen, eine Berufungsbeantwortung zu erstatten; ungeachtet der ihr nach ihren Behauptungen erteilten Auskunft, sie brauche nach Zustellung der Berufung der Gegenseite nichts zu unternehmen und lediglich die Entscheidung des Berufungsgerichtes abzuwarten, hätte sie eine Berufungsbeantwortung erstatten können. Nach herrschender Auffassung (Fasching Kommentar III 864; ZPR2 Rz 1612 und 2278) stellt eine unterbliebene oder auch unrichtige Rechtsmittelbelehrung keinen Nichtigkeitsgrund dar, sondern eröffnet die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Nach § 146 Abs. 1 ZPO ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, daß sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - am rechtzeitigen Erscheinen bei einer Tagsatzung oder an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert wurde, und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozeßhandlung zur Folge hatte. Da nach dem bisher Gesagten selbst eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung keinen Nichtigkeitsgrund darstellt, sondern nur die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eröffnet, braucht auch nicht weiter geprüft zu werden, ob die von der Revisionswerberin behauptete Rechtsmittelbelehrung überhaupt unrichtig war: Sie konnte nämlich auch dahin aufzufassen gewesen sein, daß die Klägerin nicht verpflichtet sei, eine Berufungsbeantwortung zu erstatten und daß es ihr freistehe, einfach die Entscheidung des Berufungsgerichtes abzuwarten.
Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache führt die Klägerin im wesentlichen aus, eine vorläufige Versehrtenrente hätte nur zugesprochen werden dürfen, wenn zum Schluß der Verhandlung erster Instanz die Entwicklung der Folgen des Arbeitsunfalles noch nicht absehbar gewesen wäre. Auf Grund eines dem Gericht vorliegenden Privatgutachtens ergebe sich, daß bei der Schwere des gegenständlichen Unfalls trotz optimaler Ausheilungsergebnisse der Weichteilschaden so hoch anzusetzen sei, daß eine Kräftigung des Armes nicht mehr möglich sei. Auch der gerichtliche orthopädische Sachverständige habe ausgeführt, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ab dem 1.7.1991 weiterin mit 20 vH zu bemessen sei.
Dem ist zunächst entgegenzuhalten, daß die Rechtsfrage nicht auf der Grundlage eines Privatgutachtens, sondern auf der Grundlage der getroffenen Tatsachenfeststellungen zu beurteilen ist. Grundlage für die Ermittlung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit bildet regelmäßig ein ärztliches Gutachten über die Unfallfolgen und deren Auswirkungen. Dabei hat sich die Fragestellung an den ärztlicher Gutachter auch über seine Meinung nach dem Umfang der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu erstrecken. Dem Gericht bleibt die Aufgabe, auf Grund des Befundes, der Beurteilung und der Antworten auf die an den Sachverständigen gestellten Fragen nachzuprüfen, ob diese Schätzung und dieses Ergebnis zutreffen kann oder ob dabei wichtige Gesichtspunkte nicht berücksichtigt wurden und ein Abweichen von dieser ärztlichen Schätzung daher richtig und begründet ist (SSV-NF 1/64 = SZ 60/262 mwN uva).
Das Berufungsgericht hat nach diesen Grundsätzen festgestellt, daß die Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin, bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, ab 1.7.1991 bis zur Erstfestsetzung der Dauerrente, das ist somit spätestens bis 4.12.1992, mit 20 vH, ab diesem Zeitpunkt hingegen nur mehr mit 10 vH anzusetzen ist. Ob das Berufungsgericht berechtigt war, insoweit von den erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen ohne Beweiswiederholung abzuweichen (vgl SSV-NF 5/47), ist im Revisionsverfahren nicht zu prüfen, weil eine diesbezügliche Mängelrüge nicht erhoben wurde. Legt man aber der rechtlichen Beurteilung zugrunde, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin ab dem 5.12.1992 das rentenfähige Ausmaß von 20 vH nicht mehr erreicht, dann ist die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes zutreffend:
Bei der Gesamtvergütung handelt es sich nicht um einen besonderen Leistungsanspruch, sondern um einen Auszahlungsmodus für eine vorläufige, befristet zuerkannte Versehrtenrente. Der Bescheid über die Gewährung der Gesamtvergütung enthält eine negative Entscheidung hinsichtlich des über die Bemessung der Gesamtvergütung hinausgehenden Zeitraumes; diese Negativentscheidung bildet eine taugliche Grundlage für eine Klage gemäß § 67 Abs. 1 ASGG (SSV-NF 4/71 = JBl 1991, 201). Bei der erstmaligen Feststellung der Dauerrente besteht keine Bindung an die Grundlagen der Berechnung der vorläufigen Rente. Der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit kann völlig neu und unter Umständen sogar mit Null bestimmt werden, was auf eine Entziehung der vorläufigen Rente hinausläuft (SSV-NF 6/15 mwN).
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes betrug die sogenannte medizinische Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin nach Ablauf des zweijährigen Zeitraumes ab Unfallstag nur mehr 10 vH; diese Feststellung bildet auch die Grundlage für die rechtliche Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit, weil eine Abweichung hievon unter besonderen Umständen nicht geboten ist. Daraus folgt aber, daß die Klägerin keinen Anspruch auf Dauerrente besitzt, und zwar unabhängig von der Frage, ob eine Änderung der Verhältnisse eingetreten ist.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit b ASGG. Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin hing die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage erheblicher Bedeutung im Sinne des § 46 Abs. 1 Z 1 ASGG ab, sodaß daraus der Kostenersatzanspruch aus Billigkeit nicht abgeleitet werden kann (vgl SSV-NF 6/61). Ein solcher Kostenzuspruch kann aber auch nicht mit besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens oder mit den von der Revisionswerberin dargelegten Einkommens- und Vermögensverhältnissen begründet werden.
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