OGH 1Ob23/93

OGH1Ob23/9325.8.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker und Dr. Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ernst F*****, vertreten durch Dr. Christoph Schwab, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagten Parteien Rudolf und Maria Sch*****, beide vertreten durch Dr. Klaus Dieter Strobach und Dr. Wolfgang Schmidauer, Rechtsanwälte in Grieskirchen, wegen Unterlassung (Streitwert S 100.000) infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgerichtes vom 10. Mai 1993, GZ 2 R 91/93-13, womit der Beschluß des Kreisgerichtes Wels vom 17. Feber 1993, GZ 6 Cg 230/92-9, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 10.272,24 bestimmten Kosten des Zwischenstreits über die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges (darin S 1.712,04 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Begründung

Der Kläger betreibt eine Mühle mit elektrischem Strom, den seine aufgrund einer wasserrechtlichen Bewilligung an einem öffentlichen Gewässer installierte Wasserturbine (ein Kleinkraftwerk) liefert. Die Beklagten betreiben flußaufwärts dieser Wasserkraftanlage eine Landwirtschaft; zu Bewässerungszwecken pumpen sie Wasser aus dem Bach. Diese Wasserentnahme war mit Bescheid des Landeshauptmanns vom 8.8.1986 (unter bestimmten Bedingungen und Auflagen), befristet bis 31.10.1989, bewilligt. Mit Eingabe vom 25.7.1991 hat der Erstbeklagte erneut um Bewilligung der Wasserentnahme angesucht; dieses Verfahren ist noch anhängig.

Der Kläger begehrte die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Unterlassung jedweder Wasserentnahme aus dem Bach zu Bewässerungszwecken mittels Pumpen, sofern das Gewässer bloß 2.500 Liter Wasser je Sekunde oder eine geringere Wassermenge führt. Er brachte vor, bei Trockenperioden gehe die Wassermenge oftmals auf 800 Liter je Sekunde zurück. In solchen Zeiten sei für den Betrieb der Turbine, die auf eine maximale „Schluckfähigkeit“ von 2.500 Liter je Sekunde ausgerichtet sei, „jeder Liter“ entscheidend, weil sonst fremderzeugter Strom zugekauft werden müßte und bei Überschreiten einer gewissen Fremdbezugsmenge eine den Klagsstreitwert bei weitem übersteigende Anschlußgebühr an das Elektrizitätsversorgungsunternehmen zu bezahlen wäre. Gerade aber in Trockenzeiten nutzten die Beklagten das Bachwasser mit Hilfe von Rohrleitungen und einer etwa zehn Liter je Sekunde fördernden Traktorpumpe zu Bewässerungszwecken ohne behördliche Bewilligung. Außerdem bedienten sich auch zahlreiche andere Landwirte des Bachs zur Gemüsebewässerung, wodurch die Wassermenge häufig bis auf die halbe tatsächliche Wasserführung vermindert werde.

Die Beklagten erhoben unter anderem die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges.

Auf diese Einrede erwiderte der Kläger, für den Fall, daß er den klageweise geltend gemachten Anspruch nicht auf dem Rechtsweg verfolgen könne, wären seine Rechte nach der Menschenrechtskonvention, insbesondere nach deren Art 6, nicht gewahrt, weil ihm im Verwaltungsverfahren das zur Durchsetzung seines Anspruchs erforderliche Antragsrecht verwehrt sei. Im übrigen sei das Wasserbenutzungsrecht des Klägers von seinen Rechtsvorgängern schon vor dem Jahre 1870 ersessen worden, sodaß er auch über einen entsprechenden Privatrechtstitel verfüge.

Das Erstgericht wies die Klage zurück. Benützungsrechte an öffentlichen Gewässern gemäß § 9 Abs 1 WRG seien öffentlich-rechtlicher Natur; zur Entscheidung von Streitigkeiten wegen Ausübung solcher Rechte sei ausschließlich die Wasserrechtsbehörde berufen, deren Zuständigkeit stets dann zu bejahen sei, wenn der Streit nach dem Wasserrechtsgesetz entstandene und zu beurteilende Wasserrechte zum Gegenstand habe und daher öffentliche Interessen berührt würden. An der Zuständigkeit der Wasserrechtsbehörde und damit an der Unzulässigkeit des Rechtswegs änderte der Umstand nichts, daß der Unterlassungsanspruch zusätzlich auch auf die Ersitzung von Rechten gestützt werde.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es führte aus, Streitigkeiten über wasserrechtliche Fragen könnten Gegenstand sowohl des gerichtlichen als auch eines verwaltungsbehördlichen Verfahrens sein. Entscheidend für die Beurteilung, ob ein privatrechtlicher Anspruch erhoben wurde, seien der Wortlaut des Klagebegehrens und die Klagsbehauptungen. Der Bach sei unbestrittenermaßen ein öffentliches Gewässer. Benutzungsrechte an öffentlichen Gewässern im Sinne des § 9 Abs 1 WRG seien öffentlich-rechtlicher Natur, sodaß zur Entscheidung von Streitigkeiten wegen Ausübung solcher Rechte die Wasserrechtsbehörde berufen sei. Die Auseinandersetzung der Parteien, ob und wieviel Wasser sie jeweils dem Bach entnehmen dürften, berühre öffentliche Interessen und sei daher nicht vor dem Gericht, sondern bei der Verwaltungsbehörde auszutragen, die nach dem Wasserrechtsgesetz - in Frage kämen hier ua wohl dessen §§ 13 und 25 - zu entscheiden habe. Die auf Art 6 MRK gestützten Ausführungen gingen deshalb ins Leere, weil diese Bestimmung neben strafrechtlichen Anklagen nur zivilrechtliche und nicht auch öffentlich-rechtliche Ansprüche und Verpflichtungen zum Gegenstand habe. Die vor Inkrafttreten des Wasserrechtsgesetzes (am 1.11.1934) möglich gewesene Ersitzung des Wasserbenutzungsrechts durch die Rechtsvorgänger des Klägers ändere an der öffentlich-rechtlichen Natur des Anspruchs nichts.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist im Ergebnis berechtigt.

Der Prüfung der Zulässigkeit des Rechtswegs sind ausschließlich die Behauptungen des Klägers und nicht etwa auch die Einwendungen des Beklagten zugrundezulegen. Entscheidend ist dabei die aufgrund des Klagebegehrens und des vom Kläger vorgetragenen Sachverhalts zu beurteilende Rechtsnatur des geltend gemachten Anspruchs (JBl 1990, 450; EvBl 1987/168; SZ 51/41 und 183 uva); unerheblich ist hingegen, ob der behauptete Anspruch auch berechtigt ist, weil hierüber erst mit der Sachentscheidung abzusprechen ist (SZ 51/41 ua).

Wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt (SZ 51/41; SZ 50/109; SZ 49/7; SZ 46/82 uva; vgl auch Krzizek, WRG, 388) ausgesprochen hat, kann derselbe Streitfall Anlaß sowohl eines gerichtlichen wie auch eines verwaltungsbehördlichen Verfahrens sein, und zwar gerade in Fällen, in welchen sich ein Grundeigentümer oder ein Wassernutzungsberechtigter durch eine eigenmächtige Neuerung als beschwert erachtet: Er kann einerseits mit einer Anzeige gegen den eigenmächtig Handelnden vorgehen (§ 137 WRG) oder durch entsprechende Antragstellung gemäß § 138 Abs 1 WRG bei der Verwaltungsbehörde Abhilfe suchen, er kann aber andererseits auch eine auf das Privatrecht gestützte Klage gegen den des Eingriffs Bezichtigten erheben (SZ 51/41; SZ 50/109 ua), sofern er nur sein Begehren auf einen Privatrechtstitel stützt. Für die auf die Abwehr von Eingriffen in das Eigentum oder eine Dienstbarkeit (vgl für das Fischereirecht SZ 46/92) gerichtete Klage steht dem Beschwerten daher der Rechtsweg offen.

Der Kläger leitet nun seinem Vorbringen zufolge den von ihm behaupteten Anspruch aus zwei verschiedenen Rechtsgründen ab, begehrt er doch die Verurteilung der Beklagten zur Unterlassung der den Betrieb seiner wasserrechtlich bewilligten Turbine beeinträchtigenden Entnahme von Wasser aus einem öffentlichen Gewässer, stützt sein Begehren nach seinen Behauptungen bei der Tagsatzung vom 17.2.1993 aber auch auf ein ersessenes Wasserbenutzungsrecht gleichen Inhalts, demnach wohl auf eine Dienstbarkeit.

Zunächst ist auf den begehrten Rechtsschutz für das ihm behördlich bewilligte Wasserbenutzungsrecht einzugehen. Es ist im Verfahren nicht weiter bestritten, daß das von den Streitteilen benützte Gewässer öffentliches Gewässer ist (§ 2 Abs 1 WRG). Nach den Klagsbehauptungen wird der Kläger durch die beanstandete Wasserentnahme nicht etwa als Eigentümer in seinen Rechten beeinträchtigt, sondern in seiner Eigenschaft als Wasserberechtigter (§ 22 WRG). Jede über den Gemeingebrauch (§ 8 WRG) hinausgehende Benützung des öffentlichen Gewässers sowie die Errichtung oder Änderung der Wasserbenutzungsanlagen bedarf einer Bewilligung durch die Wasserrechtsbehörde (§ 9 Abs 1 WRG); der Kläger beruft sich in der Klageschrift auch auf eine solche wasserrechtliche Bewilligung, leitet demnach seinen Anspruch insoweit nicht aus einem Privatrechtstitel, sondern aus dieser öffentlich-rechtlichen Bewilligung ab. Der erkennende Senat hat schon in SZ 46/82 unter Berufung auf Vorjudikatur (SZ 37/79; SZ 19/155; SZ 13/216) und Haager-Vanderhag, WRG, 168 ausgesprochen, daß Benutzungsrechte an öffentlichen Gewässern im Sinne des § 9 Abs 1 WRG öffentlich-rechtlicher Natur sind, sodaß zur Entscheidung über Streitigkeiten wegen der Ausübung solcher Rechte an öffentlichen Gewässern ausschließlich die Wasserrechtsbehörde berufen ist, deren Zuständigkeit übrigens immer dann anzunehmen ist, wenn es um aufgrund des Wasserrechtsgesetzes entstandene und danach zu beurteilende Wasserrechte geht und daher (auch) öffentliche Interessen berührt werden. Abhilfe gegen Eingriffe in ein gemäß § 9 Abs 1 WRG bewilligtes Wasserbenutzungsrecht muß daher nach den Bestimmungen der §§ 137 und 138 WRG bei der Verwaltungsbehörde gesucht werden; soweit sich der Kläger über mangelhaften Rechtsschutz durch die Wasserrechtsbehörden beklagt, weil er auf die Anzeige nach § 137 WRG beschränkt sei, aber die Einleitung des Strafverfahrens bzw die Bestrafung des Beklagten mangels Parteistellung nicht erzwingen könne, übersieht er seine ihm durch § 138 Abs 1 WRG an die Hand gegebenen rechtlichen Möglichkeiten: Diese Bestimmung räumt dem in seinen Rechten Gefährdeten oder Verletzten einen Anspruch auf Wahrung seiner wasserrechtlich geschützten Rechte ein, sodaß er in einem solchen Verfahren auch die Unterlassung weiterer Eingriffe des Beklagten in sein Wasserbenutzungsrecht erzwingen könnte (vgl Grabmayr/Rossmann, Wasserrecht2 § 138 Anm 2).

Soweit sich der Kläger in diesem Zusammenhang unter Berufung auf die in Art 6 Abs 1 MRK verankerte Rechtsweggarantie (vgl Pernthaler in FS-Klecatsky, Rechtsweg als Menschenrecht, 232) beruft, ist ihm zwar zuzugeben, daß der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Grenzen der „civil rights“ sehr weit zieht und in diesen Begriff auch Rechtsbereiche, die nach kontinentaleuropäischer Rechtstradition typischerweise dem öffentlichen Recht zugeordnet sind (etwa das Gewerberecht), einbezieht (vgl nur die Nachweise bei Miehsler in IntKomm MRK Art 6 Rz 156 ff, und Maier, Zivilrechtsbegriff und Gerichtszuständigkeit, ZfV 1988, 473, insbesondere 474 ff), doch verweigert der Verfassungsgerichtshof dem Europäischen Gerichtshof in dieser Frage die Gefolgschaft (VfSlg 11.500/1987) und setzt die Bedeutung der „civil rights“ mit dem klassischen Zivilrechtsbegriff gleich, wobei er im wesentlichen ausführt, die verfassungsrechtlich gebotene Entscheidung einer Angelegenheit durch eine Verwaltungsbehörde sei als solche weder die Verletzung eines Grundrechts noch eine Rechtsverletzung wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm. Folgt man dieser von der Lehre (Walter-Mayer, Bundesverfassungsrecht7 Rz 1475; vgl auch Mayer aaO 482) gebilligten Auffassung des zur Prüfung der Verfassungswidrigkeit von Gesetzen berufenen innerstaatlichen Gerichtshofs, so sind auch keine Bedenken gegen die Anwendung der wasserrechtsgesetzlichen Zuständigkeitsbestimmungen aus dem Grunde der Verfassungswidrigkeit zu finden (Art 89 Abs 2 B-VG).

Anders liegen die Dinge hingegen, soweit sich der Kläger auf die Ersitzung eines Wasserbenutzungsrechtes noch vor dem Jahre 1870 (vgl § 2 Abs 2 WRG) berufen hat. Mit diesem Vorbringen stützt der Kläger sein Unterlassungsbegehren (auch) auf einen Privatrechtstitel; zur Abwehr von Eingriffen in ein solches Recht kann der Kläger gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen (SZ 46/82; SZ 36/79 mwN). Ob dieses Vorbringen des Klägers einer Schlüssigkeitsprüfung standhielte, ist im Verfahren zur Prüfung der Rechtswegzulässigkeit noch nicht zu untersuchen.

Das Erstgericht wird daher das Verfahren in dem hier aufgezeigten Umfang fortzusetzen haben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 und 52 ZPO. Die über Einrede des Beklagten vorgenommene Prüfung der Rechtswegzulässigkeit ist ein Zwischenstreit, der mit dieser Entscheidung für die Instanz abschließend erledigt wurde (EvBl 1947/511; 1 Ob 577/92 uva; M.Bydlinski, Kostenersatz im Zivilprozeß 364 f; Fasching, Komm II 362).

Stichworte