OGH 5Ob1527/93

OGH5Ob1527/9327.4.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Jensik als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger, Dr.Schwarz, Dr.Floßmann und Dr.Rohrer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj.Markus B*****, geboren am 10.August 1976, ***** vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, MA 11, Amt für Jugend und Familie für den

11. Bezirk, wegen Herabsetzung und Einbehaltung von Unterhaltsvorschüssen infolge außerordentlichen Rekurses des Minderjährigen gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 19.Jänner 1993, GZ 44 R 965/92-123, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der außerordentliche Rekurs des Minderjährigen wird mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 16 Abs 3 AußStrG iVm § 508a Abs 2 und § 510 ZPO).

Text

Begründung

Im Revisionsrekurs wird folgendes geltend gemacht:

a) Die Entscheidung des verstärkten Senates (1 Ob 560/92 = ÖJZ 1993, 61/12) über die Anrechnung von Eigeneinkommen des Unterhaltsberechtigten auf die von beiden Elternteilen zu erbringenden Leistungen führe zur ungleichen Behandlung von Lehrlingen mit verschieden hoher Lehrlingsentschädigung;

b) die Einbehaltung von zu Unrecht bezogenen Unterhaltsvorschüssen nach § 19 UVG sei unzulässig, wenn dem Unterhaltsberechtigten an Geld weniger als das Existenzminimum bleibe;

c) wenn über die Einbehaltung von Vorschüssen nach § 19 UVG zu entscheiden sei, müsse ein Kollisionskurator bestellt werden, weil das Amt für Jugend und Familie als Unterhaltssachwalter nicht einerseits dafür sorgen könne, daß dem Unterhaltsberechtigten Unterhaltsbeträge in größtmöglicher Höhe zur Verfügung stehen, andererseits aber auch die Interessen des Landes Wien als Jugendwohlfahrtsträger wahrnehmen könne. Überdies könne eine Interessenkollision auch deswegen vorliegen, weil, wenn zu Unrecht bezogene Unterhaltsvorschüsse vom Unterhaltsberechtigten einbehalten würden, es niemals zu einer Haftung des Unterhaltssachwalters nach § 22 UVG kommen könne.

Diesen Ausführungen ist folgendes zu erwidern:

Rechtliche Beurteilung

Zu a):

Der erkennende Senat sieht sich nicht veranlaßt, die oben genannte Entscheidung des verstärkten Senates abermals grundlegend zu überdenken und gegebenenfalls eine neue Entscheidung eines verstärkten Senates herbeizuführen. Die Berufung des Rechtsmittelwerbers darauf, daß nach der Entscheidung des verstärkten Senates Lehrlingen mit verschieden hoher Lehrlingsentschädigung bei sonst gleichen Verhältnissen insgesamt verschieden hohe Unterhaltsbeträge (Eigeneinkommen zuzüglich Geldunterhalt bzw. an dessen Stelle Unterhaltsvorschuß) zur Verfügung stünden, ist nicht überzeugend. Es enstpricht dem System des österreichischen Unterhaltsrechtes, das sowohl die Bedürfnisse des Kindes als auch die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen bei der Unterhaltsbemessung berücksichtigt, daß einem Kind, das selbst Einkünfte erzielt, bei sonst gleichen Verhältnissen jedenfalls bei den hier gegebenen einfachen Verhältnissen, bei deren Vorliegen die Grenze der Selbsterhaltungsfähigkeit durch den Richtsatz für die Gewährung einer Ausgleichszulage im Sinne des § 293 Abs 1 lit a sublit bb und lit b ASVG bestimmt wird, ein umso höherer Geldbetrag zur Verfügung steht, je höher sein Eigeneinkommen ist.

Zu b):

Durch den letzten Halbsatz des § 19 Abs 1 UVG soll gesichert werden, daß im Fall der Herabsetzung der Vorschüsse ein Übergenuß auf eine möglichst einfache, auf die Bedürfnisse des Kindes Bedacht nehmende

Weise von diesem hereingebracht wird (3 Ob 506/91 = ÖA 1992, 117/UV

38 = EFSlg 66.698). Die Entscheidung über die Einbehaltung zu Unrecht

ausbezahlter Unterhaltsvorschüsse ist ein Teil des Beschlusses über die Änderung der Unterhaltsvorschüsse (9 Ob 1743/91 = EFSlg 66.703) und hat als Voraussetzung nur das Bestehen eines Übergenusses, aus welchen Gründen immer, sodaß im wesentlichen für das Kind eine reine Erfolgshaftung, gemildert durch die Berücksichtigung seiner Bedürfnisse, besteht (vgl 3 Ob 506/91 = EFSlg 66.699). Die Berücksichtigung der Bedürfnisse des Kindes bei Festlegung der Höhe der Raten, mit denen die zu Unrecht empfangenen Unterhaltsvorschüsse einbehalten werden sollen, bietet dem Rechtsanwender einen gewissen Beurteilungsspielraum. Solange bei Vornahme dieser Beurteilung keine Verkennung der Rechtslage in wesentlichen Bereichen gegeben ist, liegt keine der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zugängliche erhebliche Rechtsfrage vor. Eine solche Verkennung der Rechtslage ist den Vorinstanzen im Ergebnis nicht unterlaufen, wenngleich der Oberste Gerichtshof die vom Rekursgericht angestellte Berechnung (Gegenüberstellung des sich auf Grund des genannten Richtsatzes für die Ausgleichszulage ergebenden Nettobetrages einer monatlichen Pension mit dem Bruttobetrag der Lehrlingsentschädigung) als kein überzeugendes Beurteilungskriterium ansieht. Unbedenklich ist jedenfalls die Einbehaltung von monatlich S 250,-, weil selbst dann noch dem Unterhaltsberechtigten an Geld (Eigeneinkommen plus restlicher Unterhaltsvorschuß) erheblich mehr zur Verfügung bleibt als dem Durchschnittsbedarf gleichaltriger Minderjähriger entspricht. Die Argumentation im Revisionsrekurs, daß eine Einbehaltung von zu Unrecht empfangenen Unterhaltsvorschußbeträgen solange nicht erfolgen dürfe, als nach dem entsprechenden Abzug dem Unterhaltsberechtigten nicht mindestens der als Existenzminimum angesehene Betrag (von hier S 7.600,- pro Monat) verbleibe, übersieht, daß sich der Unterhaltsanspruch des Minderjährigen gegen beide Elternteile richtet und daß die Bedürfnisse, die ein selbsterhaltungsfähiger Minderjähriger durch den letztgenannten Geldbetrag abzudecken hat, im Falle eines unterhaltsberechtigten Minderjährigen eben durch die Leistungen beider Elternteile und nicht nur des Geldunterhaltspflichtigen gedeckt werden.

Zu c):

Zur Frage, ob im Verfahren über die Einbehaltung von Unterhaltsvorschüssen nach § 19 UVG ein Kollisionskurator zu bestellen ist, fehlt eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. Dies führt aber nicht zur Zulässigkeit dieses Revisionsrekurses, weil es sich dabei um ein Problem der Vorfragenbeurteilung betreffend eine Zulässigkeitsvoraussetzung (Rekurslegitimation) handelt:

Ist die Bestellung eines Kollisionskurators nicht erforderlich, so wurde bei Erhebung dieses Rechtsmittels der Minderjährige vom Unterhaltssachwalter zutreffend vertreten. Das dem Minderjährigen zuzurechnende Rechtsmittel ist daher auf seine Zulässigkeit zu prüfen und - wie hier - zurückzuweisen, wenn darin sonst keine erhebliche Rechtsfrage geltend gemacht wird.

Ist hingegen die Bestellung eines Kollisionskurators im Verfahren betreffend die Einbehaltung von Unterhaltsvorschüssen im Wege des § 19 UVG notwendig, so läge in Wahrheit gar kein Rechtsmittel des Minderjährigen in diesem Punkt vor. In diesem Fall wären die Akten aus Anlaß des Rekurses dem Erstgericht mit dem Auftrag zurückzustellen, für den Minderjährigen einen Kollisionskurator zu bestellen und diesem aufzutragen, innerhalb einer gesetzten Frist zu erklären, ob er das bisherige Verfahren betreffend die Einbehaltung von Unterhaltsvorschüssen genehmige. Erst nach Vorliegen einer Erklärung des Kollisionskurators bzw. nach fruchtlosem Verstreichen der dafür gesetzten Frist könnte über den Rekurs entschieden werden (vgl SZ 55/24 betreffend das Verfahren über die Rückzahlung von Unterhaltsvorschüssen nach § 22 UVG).

Der Oberste Gerichtshof erachtet aus folgenden Gründen die Bestellung eines Kollisionskurators im Verfahren über die Einbehaltung von Unterhaltsvorschüssen nach § 19 UVG nicht für erforderlich:

Die Einbehaltung von zu Unrecht ausbezahlten Unterhaltsvorschüssen nach § 19 UVG ist ein Teil des Beschlusses über die Änderung der Unterhaltsvorschüsse (9 Ob 1743/91 = EFSlg 66.703). Es handelt sich also nicht um eine Entscheidung, die dem Minderjährigen die Erbringung von Leistungen aus seinem Einkommen oder Vermögen aufträgt (wie z.B. bei der - auch an andere und strengere Voraussetzungen gebundenen - Auferlegung der Rückzahlung nach § 22 UVG), sondern um die Neubestimmung der dem Minderjährigen in Zukunft gebührenden Unterhaltsvorschüsse unter Berücksichtigung der Tatsache, daß ihm bereits nicht gebührende Beträge zugekommen sind, aus denen er jedenfalls Unterhaltsbedürfnisse befriedigen konnte.

Eine Interessenkollision zwischen dem Minderjährigen einerseits und dem Jugendwohlfahrtsträger (bzw. dem AJF als der mit der Wahrnehmung der sich aus dem Unterhaltsvorschußgesetz ergebenden Aufgaben betrauten Behörde desselben) als dem nach § 9 Abs 2 UVG berufenen gesetzlichen Unterhaltssachwalter des Kindes anderseits besteht in einem solchen Fall ebensowenig wie im Falle der bloßen Gewährung, Versagung oder Einstellung von Unterhaltsvorschüssen. Der Jugendwohlfahrtsträger hat in diesem Verfahren ausschließlich die Interessen des Minderjährigen auf Erhalt von Unterhaltsbeträgen in der gesetzlich gebührenden Höhe wahrzunehmen, nicht jedoch seine eigenen Interessen, hier also die des Landes Wien. Das Argument in der Rechtsmittelschrift, daß dann, wenn es zur Einbehaltung zu Unrecht bezogener Unterhaltsvorschüsse nach § 19 UVG komme, in der Folge ein Verfahren auf Rückersatz nach § 22 UVG, von dem der Jugendwohlfahrtsträger betroffen sein könnte, ausgeschlossen sei, und daß eben darin eine Interessenkollision liege, verfängt nicht:

Gleiches würde auch für den Fall gelten, daß überhaupt kein Unterhaltsvorschuß gewährt wird oder daß bereits gewährte Unterhaltsvorschüsse herabgesetzt werden, weil sich auch in solchen Fällen eine Haftung des Jugendwohlfahrtsträgers nach § 22 UVG entweder überhaupt nicht oder doch nur in einem geringeren Ausmaß ergeben könnte, wenn Unterhaltsvorschüsse entweder gar nicht oder doch nur in einem geringeren Ausmaß gewährt würden. Sollte der Jugendwohlfahrtsträger in pflichtwidriger Weise eine solche Vorgangsweise zur Vermeidung einer Haftung nach § 22 UVG wählen, so wäre er dem Minderjährigen wegen schlechter Vertretung schadenersatzpflichtig und daher einer noch weitergehenden Haftung ausgesetzt.

Überdies hat in dem hier gegebenen konkreten Fall der Jugendwohlfahrtsträger ohnedies die Einbehaltungsanordnung bekämpft und damit ein Verhalten gesetzt, das die Annahme pflichtwidrigen Verhaltens zur Vermeidung einer späteren Haftung aus anderen Gründen ausschließt.

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