OGH 10ObS4/92

OGH10ObS4/9228.1.1992

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Elmar Peterlunger (Arbeitgeber) und Walter Darmstädter (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ludwik M*****, Pensionist, ***** vertreten durch Dr. Karl Zach, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Alterspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. September 1991, GZ 33 Rs 115/91-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 19.Dezember 1990, GZ 3 Cgs 120/90-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid der beklagten Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 25.7.1990 wurde der Antrag des am 10.12.1919 geborenen Klägers vom 28.12.1989 auf Zuerkennung einer Alterspension mangels Erfüllung der Wartezeit abgelehnt.

Das Erstgericht wies das dagegen auf Gewährung der Alterspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.1.1990 gerichtete Klagebegehren ab. Es stellte fest, daß der Kläger in Österreich vom 15.3.1940 bis 19.11.1946 arbeitete, vom 15.3.1940 bis 31.12.1942 in der Krankenversicherung und vom 1.1.1943 bis 19.11.1946 in der damaligen Invalidenversicherung sozialversichert war. Daraus folgerte das Erstgericht, der Kläger habe in Österreich nur 42 Versicherungsmonate erworben und erfülle damit weder die Wartezeit nach § 236 Abs.1 Z 2 lit.a ASVG noch nach Art.IV Abs.4 der 40.ASVG-Novelle. Da zwischen Österreich und Polen kein Abkommen über die gegenseitige Anrechnung von Sozialversicherungszeiten bestehe, könnten die in Polen erworbenen Versicherungszeiten des Klägers für eine österreichische Pension nicht berücksichtigt werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es verneinte den geltend gemachten Verfahrensmangel (Verletzung der Anleitungspflicht) und gab auch der Rechtsrüge nicht Folge. Entgegen der Anregung des Klägers sah sich das Berufungsgericht nicht veranlaßt, beim Verfassungsgerichtshof einen Gesetzesprüfungsantrag hinsichtlich der Wartezeitbestimmungen zu stellen. Die Regelung der Wartezeit bedeute zwar eine Grenzziehung, behandle aber dann alle Versicherten sachlich gleich. Wie schon das Erstgericht zutreffend dargelegt habe, werde das österreichische Sozialversicherungssystem nicht wie die Privatversicherungen nach dem Versicherungsprinzip, sondern nach dem Umlageprinzip finanziert. Dieses System gewähre den Versicherten, falls diese die notwendige Zahl von Beitragsmonaten erreichten, unabhängig von allfälligen Geldentwertungen eine stabile Höhe der Leistung. Daß Versicherte vor Erfüllung der Wartezeit keine Leistung aus der österreichischen Sozialversicherung bekämen, sei nicht gleichheits- und damit nicht verfassungswidrig.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist nicht berechtigt.

Der Kläger bezweifelt nicht, daß er auf Grund der geltenden österreichischen Rechtslage mangels Erfüllung der Wartezeit keinen Anspruch auf die Leistung einer Alterspension habe. Er hälte diese Wartezeitregelung aber, wie schon in seiner Berufung, weiterhin für verfassungsrechtlich bedenklich, weil es dem Gleichheitsgrundsatz widerspreche, Personen mit Versicherungszeiten unterhalb eines bestimmten Zeitraumes völlig leer ausgehen zu lassen, anderen Personen aber, die unter Umständen nur um einen Tag mehr an Versicherungszeiten aufweisen, eine Pension zuzuerkennen. Es wäre lediglich nachvollziehbar, wenn Personen mit geringer Versicherungsleistung nicht bloß linear weniger Pensionsleistung erhalten, sondern die Pension unterproportional niedrig sei; für die völlige Verweigerung eines Pensionsanspruches gebe es keinen vertretbaren Grund.

Diese Ausführungen vermögen den Obersten Gerichtshof nicht zu überzeugen. Der Anspruch auf jede der im § 222 Abs.1 und 2 ASVG angeführten Leistungen - mit Ausnahme der Abfindung nach § 269 Abs.1 Z 1 ASVG (und sofern die Ausnahmen des § 235 Abs 3 lit a und c ASVG nicht vorliegen) - ist nach § 235 Abs.1 und 2 ASVG unter anderem an die allgemeine Voraussetzung der Wartezeit geknüpft, d.h. daß am Stichtag eine Mindestzahl von Versicherungszeiten vorliegen muß. Diese aus der Privatversicherung kommende Einrichtung soll sicherstellen, daß Pensionsleistungen erst nach entsprechend langer Beitragszahlung (Versicherungsdauer) in Anspruch genommen werden können, daß also nur Personen in den Genuß von Leistungen kommen, die der Versicherungsgemeinschaft bereits eine bestimmte Zeit angehören und durch ihre Beitragsleistung zur Finanzierung der Leistungsverpflichtungen dieser Gemeinschaft beigetragen haben (Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts4 Rz 166; Schrammel in Tomandl SV-System 5.ErgLfg.143; Teschner in Tomandl SV-System 5.ErgLfg. 378 f; 10 Ob S 406/90 = SSV-NF 5/1 - in Druck; 10 Ob S 102/91). Die Wartezeit ist eine Erscheinungsform des Versicherungsprinzips und soll Versicherungsleistungen an Versicherte ausschließen, die der Versicherung nur kurze Zeit angehört haben (Bley, Grundbegriffe des Sozialrechts 162; Schulin, Sozialrecht3 Rz 536; Tomandl aaO). Zugleich haben die Vorschriften über die Wartezeit die Wirkung bekommen, Versicherungsleistungen mit zu geringer Höhe zu verhindern (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung IV 69. Nachtrag 672 d I). In der privaten Krankenversicherung hatten die Bestimmungen über die Wartezeit hingegen ursprünglich den Zweck, die Aufwendungen für solche Krankheiten vom Versicherungsschutz auszuschließen, die bei Abschluß des Vertrages - möglicherweise noch unentdeckt - oder wenig später nach medizinischer Beurteilung bereits akut oder auch nur latent vorhanden waren und alsbald zur Behandlungsbedürftigkeit führten. Sie sollten damit der Gefahr entgegenwirken, daß der Vertrag vielleicht nur wegen entsprechender Besorgnisse des Versicherungsnehmers abgeschlossen wurde (Wriede in: Bruck-Möller Komm.z.VersVG8 VI/2, K 299 f; Hofmann, Privatversicherungsrecht3 184 Rz 12). Wartezeiten bewirken damit einen zeitlich begrenzten Risikoausschluß (Wriede aaO K 302 unter Hinweis auf Judikatur des deutschen BGH; Schauer, Einführung in das österreichische Versicherungsrecht2 348). Vorschriften über eine Wartezeit als Instrument zur Begrenzung des versicherten Risikos gehören seit langem nicht nur zu den Anspruchsvoraussetzungen in der privaten Versicherung (Wriede aaO K 304), sondern auch in der Renten- oder Pensionsversicherung. Die Wartezeit ist auch bei allen bekannten Sozialversicherungssystemen des Auslands gebräuchlich; selbst in Staaten mit einer allgemeinen Staatsbürgerversorgung wird gefordert, daß der Berechtigte für eine bestimmte Dauer in diesem Lande gewohnt hat oder beschäftigt war (Brackmann aaO). Durch die Anerkennung von Ersatzzeiten, also beitragsloser Zeiten, die anstelle einer ausgefallenen Beitragszeit als Versicherungszeit auf die Wartezeit angerechnet wird, werden bestimmte Fälle normiert, in denen der Versicherte aus nicht von ihm zu vertretenden Gründen nicht in der Lage war, die von ihm geforderte Vorleistung zu erbringen (vgl. Bley aaO 163). Aus ähnlichen Erwägungen entfällt die Wartezeit, wenn der Versicherungsfall die Folge eines Arbeitsunfalles, einer Berufskrankheit oder die Folge einer anerkannten Dienstbeschädigung im Sinne der für Wehrpflichtige geltenden versorgungsrechtlichen Vorschriften ist, oder sie beträgt nur sechs Monate, wenn der Stichtag vor dem vollendeten 27.Lebensjahr des Versicherten liegt (§ 235 Abs.3 ASVG; vgl. Teschner aaO 379). Der Oberste Gerichtshof hat gegen die Wartezeitregelung keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Trotz des Gleichheitsgrundsatzes, dessen Verletzung hier allein für eine Verfassungswidrigkeit maßgebend sein könnte, kommt dem einfachen Gesetzgeber eine - freilich nicht unbegrenzte - rechtspolitische Gestaltungsfreiheit zu, die, außer bei einem Exzeß, nicht der verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt, und insoweit auch nicht mit den aus dem Gleichheitsgrundsatz ableitbaren Maßstäben zu messen ist. Innerhalb dieser Grenzen ist die Rechtskontrolle nicht zur Beurteilung der Rechtspolitik berufen (VfSlg 9583 mwN). Der Gleichheitsgrundsatz verbietet dem Gesetzgeber ferner nur Differenzierungen zu schaffen, die sachlich nicht begründbar sind (VfSlg 6884 mwN), so daß eine unterschiedliche Regelung, die aus entsprechenden Unterschieden im Tatsachenbereich gerechtfertigt werden kann, nicht gleichheitswidrig ist (VfSlg 7400, 7947, 8600). Der erkennende Senat hat auch bereits wiederholt ausgesprochen, daß gegen die durch die 40.ASVG-Novelle (8.BSVG-Novelle) eingeführte wachsende Wartezeit keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (10 Ob S 406/90 = SSV-NF 5/1 - in Druck; 10 Ob S 102/91). Verfassungsmäßige Bedenken dagegen, daß der Gesetzgeber überhaupt Pensionsansprüche von der Erfüllung der Wartezeit abhängig macht, wurden, wenn auch ohne nähere Begründung, vom erkennenden Senat verneint (10 Ob S 128/91).

Die vorliegenden Revisionsausführungen sind nicht geeignet, nunmehr solche verfassungsrechtlichen Bedenken zu erwecken. Der erkennende Senat sieht sich daher zu einem Gesetzesprüfungsantrag auch diesmal nicht veranlaßt.

Da der Kläger nach der geltenden Rechtslage unstreitig die Wartezeit nicht erfüllt, wurde sein auf Gewährung der Alterspension gerichtetes Klagebegehren von den Vorinstanzen zutreffend abgewiesen.

Der Revision mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs.1 Z 2 lit.b ASGG. Da der Kläger durch einen im Rahmen der Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwalt vertreten ist, wird er mit Kosten des Rechtsmittelverfahrens nicht belastet, so daß schon deshalb kein Anlaß zu einem Kostenzuspruch nach Billigkeit besteht.

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