OGH 10ObS261/91

OGH10ObS261/918.10.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Josef Fellner (Arbeitgeber) und Anton Korntheurer (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gert H*****, Arbeiter, ***** vertreten durch Dr. Franz Müller-Strobl, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Kärntner Gebietskrankenkasse für Arbeiter und Angestellte,

9020 Klagenfurt, Kempfstraße 8, vertreten durch Dr. Franz Großmann, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Krankengeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 8. Mai 1991, GZ 7 Rs 24/91-25, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 26. Juli 1988, GZ 31 Cgs 147/88-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird als nichtig aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die beklagte Partei hat ihre Revisionskosten selbst zu tragen.

Text

Begründung

Das Erstgericht erkannte die beklagte Gebietskrankenkasse schuldig, dem Kläger ab 1.9.1987 "Barleistungen aus der Krankenversicherung in gesetzlicher Höhe" zu zahlen. Es stellte fest, daß sich der Kläger am 1.9.1987 bei Holzschlägerungsarbeiten im Betrieb des Otto D. eine Verletzung zuzog, die noch am selben Tag zu seiner Krankenhauseinweisung führte. Der Kläger habe daher Anspruch auf Leistungen iSd § 122 ASVG, weil der Versicherungsfall während der Versicherungszeit eingetreten sei. Daß ihn der Dienstgeber rückwirkend mit 31.8.1987 bei der Krankenkasse abgemeldet habe, könne ihm nicht zum Nachteil gereichen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil erhob die beklagte Partei Berufung, in der sie unter anderem geltend machte, daß der Kläger keinen Arbeitsunfall erlitten habe und der Versicherungsfall der Krankheit nach dem Ende des Versicherungsverhältnisses eingetreten sei.

Das Berufungsgericht faßte den Beschluß, das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage über das Versicherungsende (§ 355 Z 1 ASVG) im Verfahren in Verwaltungssachen gemäß § 74 Abs 1 ASGG zu unterbrechen; gleichzeitig regte es die Einleitung des Verfahrens über diese Vorfrage beim Versicherungsträger an. In seiner Begründung verwies das Berufungsgericht auf die zwingende Anordnung des § 74 Abs 1 ASGG.

Die beklagte Partei stellte in der Folge mit Bescheid vom 15.6.1989 fest, daß für den Kläger am 1.9.1987 eine Pflichtversicherung in der Vollversicherung und Arbeitslosenversicherung aus dem Beschäftigungsverhältnis zu Otto D. nicht bestanden habe. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 19.1.1990 wurde dem Einspruch des Klägers Folge gegeben und in Abänderung des angefochtenen Bescheides festgestellt, daß der Kläger am 1.9.1987 (infolge eines offenbaren Schreibfehlers 1967) der Pflichtversicherung in der Vollversicherung und Arbeitslosenversicherung unterlag. Dieser Bescheid wurde mit Bescheid des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 7.1.1991 (den Parteien zugestellt am 24.1.1991) bestätigt.

Am 31.1.1991 beantragte der Kläger die Fortsetzung des Verfahrens.

Das Berufungsgericht gab, ohne einen formellen Fortsetzungsbeschluß zu fassen, mit dem in nichtöffentlicher Sitzung gefällten angefochtenen Urteil der Berufung nicht Folge. Nach Unterbrechung des Berufungsverfahrens sei mit rechtskräftigem Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten festgestellt worden, daß der Kläger am 1.9.1987 pflichtversichert war. Der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit sei aber spätestens mit 1.9.1987 und damit während der aufrechten Pflichtversicherung eingetretenen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei, der Berechtigung zukommt.

Zutreffend macht die Revisionswerberin geltend, daß das angefochtene Urteil nicht hätte gefällt werden dürfen, weil über die Vorfrage noch ein Verwaltungsgerichtshofsverfahren anhängig sei.

Gemäß § 74 Abs 1 ASGG ist das Verfahren in den dort genannten Fällen zu unterbrechen, bis über die Vorfrage als Hauptfrage im Verfahren in Verwaltungssachen rechtskräftig entschieden worden ist, dies einschließlich eines allenfalls anhängig gewordenen Verwaltungsgerichtshofsverfahrens. Der Unterbrechungsbeschluß des Berufungsgerichtes vom 15.12.1988, 7 Rs 195/88-18, ist ein solcher im Sinne des § 74 Abs 1 ASGG gefaßter Beschluß, was durch die Bezugnahme auf die zwingende Anordnung dieser Gesetzesstelle erhellt, sodaß es nicht schadet, daß in seinem Spruch nur von einer Unterbrechung bis zur "rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage" die Rede ist und die Wendung "einschließlich eines ..... Verwaltungsgerichtshofsverfahrens" fehlt. Das gemäß § 74 Abs 1 ASGG unterbrochene Verfahren ist nach rechtskräftiger Entscheidung der Verwaltungsbehörde und nach ergebnislosem Verstreichen der Frist für die Einbringung einer Verwaltungsgerichtshofsbeschwerde bzw nach der (verfahrensbeendenden) Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes von Amts wegen wieder aufzunehmen (Kuderna ASGG 397 Erl 4 zu § 74; 10 Ob S 92/91, 10 Ob S 150/91). Die Aufnahme eines unterbrochenen Verfahrens geschieht grundsätzlich durch Gerichtsbeschluß (RZ 1986, 136/40 mwN; im Ergebnis auch 10 Ob S 92/91, 10 Ob S 150/91).

Das Berufungsgericht, das zwar keinen Aufnahmebeschluß faßte, aber über die Berufung entschied, ließ unbeachtet, daß beim Verwaltungsgerichtshof am 4.3.1991 eine zur Zahl 91/08/0033 protokollierte Beschwerde der beklagten Partei gegen den oben genannten Bescheid des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 7.1.1991 betreffend die Pflichtversicherung des Klägers eingelangt und das Verfahren darüber noch anhängig ist. Damit fehlt aber die Möglichkeit, das gemäß § 74 Abs 1 ASGG unterbrochene Verfahren - sei es von Amts wegen oder auf Antrag - fortzusetzen (aufzunehmen); die Unterbrechung dauert vielmehr wegen des noch anhängigen Verwaltungsgerichtshofsverfahrens an. Ob die Unterbrechung schon allein deshalb fortbesteht, weil das Berufungsgericht keinen Aufnahmebeschluß faßte, kann bei dieser Sach- und Rechtslage dahingestellt bleiben.

Das während der Unterbrechung gefällte Urteil ist nach überwiegender Ansicht (Nachweise bei Rechberger, Das Urteil im unterbrochenen Zivilprozeß, FS Winfried Kralik 274 bei FN 8) nichtig im Sinne des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO (vgl auch SSV-NF 3/12 mwN). Die Ausnahmebestimmung des § 163 Abs 3 ZPO ist nicht anzuwenden, wo die Unterbrechung auf Grund richterlicher Verfügung - insbesondere wegen Präjudizialität - eintritt (Fasching Komm II 795 in Anm 6 zu § 163 ZPO). Die Verletzung des rechtlichen Gehörs ist im vorliegenden Fall darin zu erblicken, daß die beklagte Partei keine Möglichkeit hatte, vor der Entscheidung des Berufungsgerichtes den Fortbestand der Unterbrechung nach § 74 Abs 1 ASGG wegen des anhängigen Verwaltungsgerichtshofsverfahrens geltend zu machen. Die Ausführung des Revisionsgrundes der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens (statt der Nichtigkeit) ist nach § 84 Abs 2 Satz 2 ZPO belanglos, weil das Begehren deutlich erkennbar ist. Auch der Grundsatz, daß das Gericht über ein während der Unterbrechung eingebrachtes Rechtsmittel nicht zu entscheiden habe, kommt hier nicht zum Tragen, weil die Revision die Erlassung der trotz Verfahrensunterbrechung gefällten Entscheidung mit dem Hinweis darauf bekämpft, die Unterbrechung habe anzudauern (SZ 51/150 mwN). Die Revision ist daher zulässig und auch berechtigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 1 ASGG. Von dem hier nicht gegebenen Fall des § 77 Abs 3 ASGG abgesehen (vgl dazu SSV-NF 4/141), steht einem Versicherungsträger kein Kostenersatzanspruch gegen den Versicherten zu.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte