OGH 4Ob544/91

OGH4Ob544/9110.9.1991

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Gamerith, Dr.Kodek, Dr.Niederreiter und Dr.Redl als weitere Richter in der Vormundschaftssache des mj. Patrick S*****, geboren ***** 1986, infolge Revisionsrekurses des Minderjährigen, vertreten durch das Amt für Jugend und Familie für den 19. Bezirk,

Wien 19., Gatterburggasse 14, als Unterhaltssachwalter, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 18. April 1991, GZ 47 R 162/91-75, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Döbling vom 16.Jänner 1991, GZ 1 P 121/88-71, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:

"Bernhard *****, geb. P*****, ist als Vater des Minderjährigen schuldig, zu dessen Unterhalt zusätzlich zu der ihm auf Grund des Beschlusses des Bezirksgerichtes Döbling vom 16.12.1988, 1 P 121/88-34, auferlegten Unterhaltsverpflichtung von monatlich S 1.800, ab 1.5.1990, längstens bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes, einen weiteren Unterhaltsbeitrag von S 500, insgesamt somit monatlich S 2.300, zahlbar am Ersten eines jeden Monats im voraus, zu Handen des Jugendamtes für den 19. Bezirk bei sonstiger Exekution zu zahlen.

Die bis zum Eintritt der Rechtskraft dieses Beschlusses aufgelaufenen Unterhaltsbeiträge sind binnen 14 Tagen, die künftig fällig werdenden Unterhaltsbeiträge am Ersten eines jeden folgenden Monats im voraus zu leisten."

Text

Begründung

Mit Beschluß vom 16.12.1988, ON 34, verpflichtete das Erstgericht den Vater des Minderjährigen, zum Unterhalt seines Sohnes ab 1.6.1988 monatlich S 1.800 zu zahlen. Es ging dabei von einem monatlichen Durchschnittsnettoeinkommen des Vaters in der Höhe von rund S 11.400 aus. So viel habe der Vater bis zu seiner fristlosen Entlassung als Versicherungsvertreter verdient; ihn treffe keine weitere Sorgepflicht.

Mit der Behauptung, daß der Betrag von S 1.800 nicht mehr ausreiche, um die Bedürfnisse des Kindes zu decken, und daß der Vater bei Anspannung seiner Kräfte in der Lage wäre, als Versicherungsangestellter oder in einer anderen kaufmännischen Tätigkeit ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von zumindest S 14.500 zu erzielen, begehrt das Bezirksjugendamt für den 19. Bezirk als Unterhaltssachwalter des Minderjährigen eine Erhöhung der monatlichen Unterhaltsleistung des Vaters ab 1.5.1990 auf S 2.300.

Diesen Antrag stellte das Erstgericht gemäß § 185 Abs 3 AußStrG dem Vater - unter seiner neuen, vom Zentralmeldeamt mitgeteilten Anschrift (ON 60) - mit der Aufforderung zu, sich binnen 14 Tagen schriftlich oder an einem Dienstag oder Freitag jeweils in der Zeit von 8.00 bis 11.30 Uhr mündlich bei Gericht zu dem Antrag zu äußern, widrigenfalls nach fruchtlosem Verstreichen der Frist angenommen werde, daß er dem Antrag keine Einwendungen entgegensetze. Dieser Antrag wurde dem Vater am 18.10.1990 (durch Hinterlegung) zugestellt. Der Vater leistete der Aufforderung jedoch keine Folge.

Das Erstgericht wies den Antrag ab und stellte fest:

Der Minderjährige lebt im Haushalt seiner berufstätigen Mutter, welche durch die Betreuung des Kindes ihren Beitrag zum Unterhalt erbringt.

Der Vater bezieht seit 23.8.1989 Arbeitslosengeld und - seit 16.3.1990 in der Höhe von monatlich S 6.570 - Notstandshilfe.

Rechtlich meinte das Erstgericht, daß die Voraussetzungen für eine Anspannung des Vaters nicht vorlägen. Daß der Vater seinen Arbeitsplatzverlust selbst verschuldet habe, reiche dafür nicht aus, zumal nicht erwiesen sei, daß er die Absicht gehabt habe, sich dadurch seiner Unterhaltsverpflichtung zu entziehen.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Der Bezug von Notstandshilfe indiziere im allgemeinen, daß der Betreffende nicht in der Lage ist, einen Arbeitsplatz zu finden und dadurch ein Einkommen zu erzielen. Daß aber ein atypischer Sachverhalt in dem Sinn vorläge, daß der Unterhaltspflichtige ungeachtet der Notstandshilfe in der Lage wäre, ein entsprechendes Einkommen zu beziehen, und somit die Notstandshilfe mißbräuchlich in Anspruch nehme, sei weder dem Akteninhalt zu entnehmen, noch habe der Unterhaltsberechtigte dazu konkrete Behauptungen aufgestellt oder Beweismittel angeboten. Daß der Vater ihm angebotene Arbeitsplätze ausgeschlagen hätte, lasse sich dem Akt nicht entnehmen und werde auch vom Rekurswerber nicht behauptet. Der Ansicht, ein Arbeitsloser müsse innerhalb von zwei Jahren der Arbeitssuche zwangsläufig einen Arbeitsplatz finden, so daß nach Ablauf dieser Zeit schon allein aus diesem Grund die Voraussetzungen für seine Anspannung auf ein fiktives Einkommen anzunehmen seien, könne nicht gefolgt werden. Die Arbeitsmarktverwaltung stelle Arbeitssuchenden - zumindest soweit sie sich auf höchstens durchschnittliche Qualifikationen für gängige Berufssparten stützen können - Möglichkeiten zur Verfügung, denen eine Eigeninitiative jedenfalls nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen habe. So könne etwa einem arbeitslosen Hilfsarbeiter nicht zugemutet werden, Arbeitgeber, von deren Existenz er kaum Kenntnis haben werde, schriftlich zu kontaktieren oder mehr oder weniger planlos aufzusuchen, um nach freien Arbeitsstellen anzufragen. Nur dort werde Eigeninitiative verlangt werden müssen, wo besonders qualifizierte und dotierte Tätigkeiten angestrebt werden; solche Stellen würden üblicherweise nicht (allein) über die Arbeitsämter vermittelt. Für die Tätigkeit als Versicherungsangestellter sei aber die Meldung beim Arbeitsamt zur Vermittlung eine ausreichende Bemühung zur Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes. Der Unterhaltsberechtigte habe auch nicht behauptet und unter Beweis gestellt, daß der Vater keine Eigeninitiative entfalte und arbeitsunwillig sei; für weitere Erhebungen bestehe daher keine Veranlassung. Der schuldhafte Verlust eines Arbeitsplatzes allein rechtfertige eine Anspannung nicht; entscheidend sei nur, ob und allenfalls welche Erwerbsmögichkeit ihm ungeachtet dessen noch zur Verfügung steht. Ausgenommen sei nur der Fall, daß der Arbeitsplatz in der Absicht aufgegeben wurde, den Unterhaltsanspruch zu vereiteln oder zu schmälern. Ein solches Vorbringen sei aber nicht erstattet worden. Da demnach weiterhin davon auszugehen sei, daß es dem Vater nicht möglich ist, eine Anstellung zu finden, und er somit nicht in der Lage sei, daraus ein adäquates Einkommen zu beziehen, sei der Erhöhungsantrag zu Recht abgewiesen worden.

Gegen diesen Beschluß wendet sich der Revisionsrekurs des Unterhaltssachwalters mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß dem Erhöhungsantrag stattgegeben werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Zutreffend rügt der Rechtsmittelwerber, daß sich die Vorinstanzen mit der Sanktion des § 185 Abs 3 AußStrG nicht auseinandergesetzt haben:

Erfordert das Wohl eines Minderjährigen oder Pflegebefohlenen die dringende Erledigung eines Antrags, so kann das Gericht gemäß § 185 Abs 3 AußStrG einen Beteiligten unter Setzung einer angemessenen Frist zur Äußerung auffordern und im Fall der Nichtäußerung annehmen, daß der Beteiligte dem Antrag keine Einwendungen entgegensetzt. Die Aufforderung hat - wie es hier geschehen ist - den Hinweis auf diese Rechtsfolge zu enthalten und ist nach den Bestimmungen für die Zustellung von Klagen zuzustellen. Nach ständiger Rechtsprechung hat dann, wenn sich der Beteiligte trotz Aufforderung nicht äußert, das tatsächliche Vorbringen des Antragstellers so weit als zugestanden zu gelten, als es nicht durch vorliegende Beweise widerlegt wird oder sonst Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der zur Äußerung Aufgeforderte ungeachtet seines Schweigens dem Antrag entgegentritt. Die rechtlichen Voraussetzungen für eine Stattgebung des Begehrens des Antragstellers hat das Gericht auf der Grundlage des nach der Aktenlage für wahr zu haltenden Vorbringens zu prüfen (SZ 52/155; AnwBl 1990, 158 ua). In einem solchen Fall kann nicht nur das Unterbleiben der persönlichen Anhörung des Säumigen bei Gericht nicht mehr gerügt werden; auch das Unterlassen der amtswegigen Erforschung der im Tatsachenbereich zu suchenden Entscheidungsgrundlagen bildet hier keinen Verfahrensmangel (EFSlg 35.130/2; 6 Ob 731/87; 6 Ob 705/89).

Der Entscheidung ist somit das Tatsachenvorbringen des Unterhaltssachwalters zugrunde zu legen, wonach der Vater sehr wohl in der Lage wäre, eine Anstellung bei einer Versicherungsgesellschaft oder sonst im kaufmännischen Bereich zu erlangen und dort monatlich zumindest netto S 14.500 zu verdienen. Daß diese Behauptung durch die vorliegenden Beweisergebnisse - wonach der Vater seit August 1989 arbeitslos ist und nun Notstandshilfe bezieht - widerlegt wäre, kann nicht gesagt werden. Die Bejahung der Arbeitsfähigkeit und der Arbeitswilligkeit eines Arbeitslosen durch die nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz zuständigen Behörden als Voraussetzung für eine Leistungsgewährung (§ 7 Abs 1 Z 1 und § 33 Abs 2 lit b AlVG 1977 in der derzeit gültigen Fassung), kann nicht mehr als ein Indiz für das Zutreffen dieser Annahme sein, keinesfalls aber das Gericht bei seiner Entscheidung binden (6 Ob 578/91). Das im Unterlassen einer Äußerung gemäß § 185 Abs 3 AußStrG gelegene Tatsachengeständnis (EFSlg 47.373, 52.893, 55.833; 1 Ob 656/90 ua) kann damit nicht entkräftet werden.

Bei der Festsetzung des gesetzlichen Unterhaltes kommt es zwar grundsätzlich auf die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten an; dabei muß aber auch stets die konkrete Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen berücksichtigt werden (4 Ob 532/90; 2 Ob 577/90; 7 Ob 661/90; 8 Ob 509/91 ua). Da die Eltern zur Deckung des Unterhaltsbedarfes des Kindes gemäß § 140 Abs 1 ABGB nach ihren Kräften beizutragen haben, ist für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit nicht nur das tatsächlich erzielte, sondern das bei zumutbarer Anspannung der Leistungskraft des Unterhaltspflichtigen erzielbare Erwerbseinkommen maßgebend (EvBl 1990/128; 7 Ob 628/90; 8 Ob 509/91 ua). Die auf die ältere Rechtsprechung des Landesgerichtes für ZRS Wien gestützte Kommentarmeinung Pichlers (Rummel, ABGB2, Rz 6 zu § 140), daß die Anspannungstheorie dann nicht anwendbar sei, wenn der Verpflichtete arbeitslos und als arbeitssuchend gemeldet ist, ist - in dieser Allgemeinheit - abzulehnen (so schon 6 Ob 578/91); vielmehr kommt es in jedem Einzelfall darauf an, ob der Unterhaltsverpflichtete bei Einsatz all seiner persönlichen Fähigkeiten, also seiner Leistungskraft unter Berücksichtigung seiner Ausbildung und seines Könnens (Pichler aaO; EvBl 1990/128 uva), in der Lage wäre, einen Arbeitsplatz zu erlangen. Diese Möglichkeit hat der Vater des Minderjährigen gemäß § 185 Abs 3 AußStrG zugestanden. Daß ein rund 34-jähriger ehemaliger Versicherungsangestellter bei entsprechendem Bemühen tatsächlich eine Anstellung finden kann, widerspricht auch keinesfalls der allgemeinen Lebenserfahrung. Irgendwelche besonderen Hinderungsgründe - wie etwa Krankheit - hat der Unterhaltsverpflichtete nie geltend gemacht.

Geht man von dem Antragsvorbringen aus, daß der Vater, welcher ausschließlich für den Minderjährigen zu sorgen hat, monatlich mindestens S 14.500 verdienen könnte, dann erscheint der begehrte Unterhaltsbeitrag von monatlich S 2.300 durchaus angemessen.

Aus diesen Erwägungen war dem Antrag des Unterhaltssachwalters in Abänderung der Beschlüsse der Vorinstanzen stattzugeben.

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