OGH 7Ob674/90

OGH7Ob674/906.12.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Leslie Z***, Kaufmann, Wien 9., Schlickgasse 4, vertreten durch Dr. Anton Bauer, Rechtsanwalt in Klosterneuburg, wider die beklagte Partei Petra L***, Angestellte, Gloggnitz, Wiener Straße 6, vertreten durch Dr. Helmut Schmidt und Dr. Ingo Schreiber, Rechtsanwälte in Wiener Neustadt, wegen S 254.698,78 sA und Feststellung (Gesamtstreitwert S 304.698,78 sA), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 6. Juni 1990, GZ 18 R 80/90-20, womit das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 21. Dezember 1989, GZ 1 Cg 1234/89-15, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache dahin zu Recht erkannt, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 45.777,40 (darin enthalten S 5.562,90 Umsatzsteuer und S 10.000 Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile nahmen am 25.3.1989 mit ihren Pferden an einem Springturnier der Klasse A O in Gloggnitz teil. Zur Vorbereitung auf das Turnier benützten sie gemeinsam mit etwa 30 weiteren Teilnehmern den unmittelbar neben dem Turnierplatz liegenden, etwa 50 m langen und 35 bis 40 m breiten Abreitplatz, auf dem sich - ca. in der Mitte der beiden Längsseiten des Platzes - zwei Hindernisse befanden. Rund um den Platz verliefen zwei "Hufschläge" (eine äußere und eine innere Spur zum Umrunden des Abreitplatzes). Der Kläger beabsichtigte nach dem Aufwärmen seines Pferdes, zwei oder drei Probesprünge zu absolvieren. Er ging in der vorgeschriebenen Laufrichtung über das in der Mitte der östlichen Längsseite des Platzes aufgestellte Hindernis (Steilsprung) und brachte danach sein Pferd nach 3 bis 4 Galoppsprüngen in Trab und dann in Schritt, wobei er im Auslaufen in eine parallel zur südlichen Begrenzung des Abreitplatzes verlaufende Reitlinie einschwenkte. Im Zuge dieses Manövers reihte sich der Kläger rechts neben dem ebenfalls am südlichen Rand des Platzes im Schritt gehenden Pferd der Barbara B*** in einen Seitenabstand von ca 1 1/2 bis 2 m ein. Die Beklagte bewegte während des Sprungmanövers des Klägers ihr Pferd - ebenfalls in der vorgesehenen Reitrichtung - am inneren Hufschlag an der östlichen Längsseite des Platzes. Auf der Höhe des "Steilsprunges" wurde ihr Pferd heftig und verfiel in Galopp. Die Beklagte versuchte auf der ihr bis zur späteren Unfallstelle zur Verfügung stehenden Strecke von ca. 10 bis 15 m ihr Pferd zu parieren, was ihr aber nicht gelang. Sie galoppierte deshalb zwischen den bereits im Schritt gehenden Pferden des Klägers und der Barbara B*** durch. Dadurch geriet ihr Pferd in Unruhe, erschrak, buckelte und schlug aus. Der Kläger wurde dabei vom Huf des Pferdes der Beklagten am linken Unterschenkel getroffen und schwer verletzt.

Die für Springturniere maßgebende Österreichische Turnierordnung (ÖTO) enthält keine Regeln über das Verhalten am Abreitplatz. Die Turnierleitung hatte keine Reitweiten für den Abreitplatz festgelegt. Üblicherweise wird der äußere Hufschlag am Abreitplatz dazu benützt, um ein Pferd in Trab oder in Galopp zu bewegen, während die Pferde auf dem inneren Hufschlag im Schritt bewegt werden. Wenn - wie hier - Hindernisse auf dem Platz stehen, wird auch der innere Hufschlag zum Anreiten auf das Hindernis in schnellerer Gangart benützt. Diese Situation erfordert von allen Beteiligten besondere Aufmerksamkeit. Daher rufen Springreiter vor dem Anreiten eines Sprunges "Sprung frei", um die anderen Platzbenützer (Teilnehmer) auf das beabsichtigte Sprungmanöver aufmerksam zu machen und sie zu veranlassen, den für das Auslaufen und Abwenden nach dem Hindernis erforderlichen Raum freizugeben. Der den Sprung ausführende Teilnehmer hat jedoch vor dem Inangriffnehmen des Sprungmanövers darauf zu achten, daß ihm genügend Auslauf nach dem Sprung zur Verfügung steht.

Geübte Reiter sind im allgemeinen in der Lage, ein durchgehendes Pferd so weit unter Kontrolle zu bringen, daß gefährliche Situationen vermieden werden können. Dennoch kommt es auf den Abreitplätzen im Zuge der Vorbereitung auf Turniere immer wieder zu gefährlichen Situationen, ja sogar zu Körperkontakten zwischen einzelnen Reitern. Es ist immer wieder zu beobachten, daß Pferde ihrem Reiter nicht entsprechend gehorchen, in eine schnellere Gangart verfallen oder aus einer solchen nicht rechtzeitig zurückgenommen werden können. Auch geübte Reiter können unter vergleichbaren Umständen in derartige gefährliche Situationen geraten.

Der Kläger begehrt von der Beklagten den Ersatz des durch den Unfall erlittenen Schadens in der Höhe von insgesamt S 254.698,78 sA. Weiters erhebt er das Feststellungsbegehren, daß ihm die Beklagte für sämtliche aus dem Unfall vom 25.3.1989 künftig entstehenden Schäden hafte. Die Beklagte sei - entgegen der auf dem Platz vorgeschriebenen Laufrichtung - von links in die vom Kläger eingehaltene Bahn geraten. Wegen dieses ordnungswidrigen Verhaltens treffe die Beklagte das Alleinverschulden an dem Unfall. Überdies hätten nach der ÖTO jene Reiter, welche die auf dem Abreitplatz aufgestellten Hindernisse überspringen, Vorrang gegenüber den Reitern, welche - ohne zu springen - den Abreitplatz nur zum Aufwärmen ihrer Pferde benützen. Sollte die Beklagte aber die vorgeschriebene Reitrichtung eingehalten und ein Überholmanöver vorgenommen haben, hätte sie einen ausreichenden Sicherheitsabstand zu den überholten Pferden einhalten müssen. Durch das regelwidrige Verhalten habe die Beklagte ihr Pferd in eine Situation gebracht, in der es sich beengt gefühlt und deshalb ausgeschlagen habe. Die Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Der Kläger habe den Sprung angetreten, ohne darauf zu achten, daß der vorhandene Auslauf zu gering gewesen sei. Deshalb sei er nach dem Hindernis zu nahe an eine Gruppe von Reitern herangeraten, weshalb ein Pferd aus dieser Gruppe ausgeschlagen habe. Das Pferd der Beklagten habe sich zwar in dieser Gruppe befunden, ihr Pferd habe jedoch nicht ausgeschlagen. Der Unfall sei daher allein auf die Unachtsamkeit des Klägers zurückzuführen.

Das Erstgericht wies die Klage ab und traf neben dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt die negativen Feststellungen, es habe nicht festgestellt werden können, daß das Pferd der Beklagten wegen eines Fehlverhaltens der Beklagten durchgegangen sei und es der Beklagten möglich gewesen wäre, ihr Pferd rechtzeitig zu parieren, in Schritt zu bringen bzw. abzuwenden. In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, daß Teilnehmer bei Reit- und Springturnieren die damit verbundenen unvermeidlichen Gefahren selbst zu tragen hätten. Da der Beklagten weder ein Regelverstoß noch ein reiterliches Fehlverhalten zur Last falle und nicht einmal habe festgestellt werden können, daß sie den Unfall bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt hätte vermeiden können, hafte sie nicht für die Folgen. Wenn auch das Hineinreiten in eine zwischen zwei Reitern bestehende Lücke objektiv als reiterliches Fehlverhalten zu werten sei, könne es der Beklagten im vorliegenden Fall subjektiv nicht vorgeworfen werden.

Das Rekursgericht hob das Urteil des Erstgerichtes auf, verwies die Rechtssahe zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteigt und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig ist. Der vorliegende Sachverhalt sei nicht bloß unter dem Aspekt der Pflichten bei der Sportausübung zu beurteilen. Dem Erstgericht sei zwar beizupflichten, daß eine den Regeln entsprechende Ausübung eines Kampfsports nicht rechtswidrig sein könne. Beim Springreiten, bei dem ein körperlicher Kontakt zwischen den beteiligten Sportlern und ihren Pferden nicht zur regelmäßigen Sportausübung gehöre, hätten die Ausübenden jedoch die übrigen Teilnehmer zu beachten, um sie nicht zu gefährden oder zu verletzen. Nur dort, wo sich die Teilnehmer in typische Sportgefahren begeben, sei die Körperverletzung eines Teilnehmers nicht rechtswidrig. Das Verschulden der Beklagten müsse aber auch unter dem Aspekt der Tierhalterhaftung gesehen werden. Auch ein Pferd mit Reiter stelle eine erhebliche Gefahrenquelle dar, so daß der Reiter als Halter dieser verschärften Haftung unterliege. Die besondere Tiergefahr liege darin, daß das Pferd durch seine eigenen willkürlichen Bewegungen einen Schaden stiften könne. Es sei auch zu beachten, daß an die Beklagte der objektive Sorgfaltsmaßstab nach § 1299 ABGB anzulegen sei, und sie - ungeachtet ihrer eigenen Ausbildung - für den Mangel üblicher Kenntnisse und Fähigkeiten einzustehen habe. Die Beklagte hafte als Tierhalter für jeden Schaden, der der besonderen Tiergefahr entspringe, wenn sie nicht beweist, nicht für die nach den bekannten oder doch erkennbaren Eigenschaften des Tieres erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung gesorgt zu haben. Auf Grund der Feststellungen des Erstgerichtes könne noch nicht beurteilt werden, ob die Beklagte alle erforderlichen Abwehrmaßnahmen gesetzt habe. Es seien daher noch Feststellungen über mögliche Verhaltensweisen, die den Unfall hätten verhindern können, erforderlich.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, ihn aufzuheben, in der Sache selbst zu erkennen und das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Mit Recht wendet sich die Beklagte gegen die Ausführungen des Berufungsgerichtes, daß die mit der gemeinsamen Ausübung des Reit- und Springsportes während der Vorbereitung für ein Turnier auf einem Abreitplatz typischerweise verbundenen Gefahren nicht als erlaubtes Risiko anzusehen seien. Die Berechtigung von Schadenersatzansprüchen aus Verletzungen bei einem Sportunfall richtet sich nach den allgemeinen Normen des bürgerlichen Rechts über den Schadenersatz im allgemeinen (§§ 1293 ff ABGB) und bei Körperverletzungen nach § 1325 ABGB. Für die Schadenersatzpflicht des Schädigers ist daher auch hier ein rechtswidriges, den eingetretenen Schaden schuldhaft verursachendes Verhalten erforderlich (SZ 54/133 mwN; SZ 60/176). Die Rechtswidrigkeit wird nicht nur aus der Verletzung von Schutzgesetzen, sondern auch aus der Verletzung absoluter Rechte - wie des Rechtes auf körperliche Unversehrtheit - abgeleitet. Es ist allerdings heute allgemein anerkannt, daß aus der Beeinträchtigung eines absoluten Rechts allein noch nicht zwingend auf die Rechtswidrigkeit der Handlung geschlossen werden kann, wenn auch in der Handlung ein gewisses Indiz für das Vorliegen der Rechtswidrigkeit gelegen sein mag. Die Rechtswidrigkeit kann daher nur auf Grund einer umfassenden Interessenabwägung beurteilt werden. Die Persönlichkeitsrechte genießen zwar grundsätzlich Schutz gegen Eingriffe Dritter. Es ist aber nicht jedes Verhalten rechtswidrig, das diese Rechte gefährdet. Es bedarf vielmehr einer Wertung, bei welcher dem Interesse am gefährdeten Gut stets auch die Interessen des Handelnden und die der Allgemeinheit gegenübergestellt werden müssen. Eine Überspannung des Schutzes der Persönlichkeitsrechte würde zu einer unerträglichen Einschränkung der Interessen anderer und jener der Allgemeinheit führen (Koziol, Haftpflichtrecht2 I 93; SZ 48/109; SZ 51/146; SZ 56/124; SZ 60/176). Aus diesen Erwägungen wurde in der Rechtsprechung der Grundsatz entwickelt, daß Handlungen und Unterlassungen im Zuge der Sportausübung, durch die ein anderer Teilnehmer in seiner körperlichen Sicherheit gefährdet oder am Körper verletzt wird, insoweit nicht rechtswidrig sind, als sie nicht das der Natur der betreffenden Sportart gelegene Risiko vergrößern (SZ 51/89; EvBl 1979/169; SZ 54/133; SZ 60/176). Nimmt daher jemand an solchen Sportarten teil, mit deren Ausübung regelmäßig typische Gefahren verbunden sind, so setzt er sich damit den ihm bekannten oder zumindest erkennbaren Gefahren aus, welche die Ausübung dieses Sports mit sich bringt. Ein solches die Rechtswidrigkeit der Handlung des Gefährdenden ausschließendes echtes Handeln auf eigene Gefahr wird allerdings nur dann anzunehmen sein, wenn eine Interessenabwägung ergibt, daß dadurch die Sorgfaltspflichten des Gefährdenden aufgehoben werden. Das wird in der Regel bei üblichen leichten Verstößen des Gefährdenden - etwa unvermeidbaren Verstößen gegen Spielregeln - zutreffen (SZ 54/133; SZ 60/176). Diese Grundsätze werden aber - entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht - nicht nur auf Kampfsportarten, bei denen direkte Angriffe gegen Teilnehmer (Gegner) zur regelmäßigen Sportausübung gehört, sondern auf alle sonstigen in Gemeinschaft ausgeübten Sportarten angewendet, bei denen es wegen des notwendigen Naheverhältnisses der Teilnehmer zueinander oder zu den dabei verwendeten Sportgeräten zu Gbfährdungen oder Verletzungen von Teilnehmern kommen kann (SZ 60/176).

Im vorliegenden Fall ist - im Gegensatz zum bloßen gleichzeitigen Benützen einer der Allgemeinheit gewidmeten Sportanlage, wo das Sorgfaltsgebot uneingeschränkt gilt - eine "gemeinsame Sportausübung" im Sinne der vorstehenden Ausführungen gegeben. Der Abreitplatz diente der Vorbereitung der Teilnehmer an einem Reit- und Springturnier. Es bestanden nicht nur Regeln für die gemeinsame Benützung der darauf befindlichen Anlagen. Wegen der Eigenart dieses Sports, bei dem sich die Ausübenden eines Tieres bedienen, dessen willkürliche Bewegungen vom Reiter nicht unter allen Umständen beherrscht werden können, begibt sich jeder Teilnehmer in eine sich aus dem Wesen dieses Sports sich ergebende typische Gefahr. So dient der "innere Hufschlag" nicht nur den Reitern, die sich langsam rund um den Platz bewegen, sondern auch jenen Reitern, die sich wegen eines Sprunges in einer schnelleren Gangart befinden. Schon daraus können Gefahren entstehen. Es kommt nach den hiefür wesentlichen, vom Kläger ungerügten Feststellungen aber auch immer wieder vor, daß Pferde "durchgehen" und auch von erfahrenen Reitern nicht unverzüglich unter Kontrolle gebracht werden können, sodaß auch gefährliche Berührungen zwischen Reitern und Pferden zum Wesen dieses Turniersports gehören. Aus dieser typischen Gefahr gemeinsamer Sportausübung entstand die Verletzung des Klägers. Das Pferd der Beklagten verfiel ohne ihr Zutun in eine schnellere Gangart und konnte, ohne daß es die Beklagte beeinflussen hätte können, nicht mehr rechtzeitig abgewendet, in eine langsamere Gangart gebracht oder angehalten werden. Unter diesen Umständen kann aber die durch das - weder beabsichtigte noch

vermeidbare - Verhalten ihres Pferdes verursachte Verletzung des Klägers nicht mehr als rechtswidrig angesehen werden. Somit fehlt es an dieser für die Begründung der Schadenersatzpflicht erforderlichen Voraussetzung. Auch im Rahmen der Haftung für Tiere hat der Halter nur für rechtswidriges Handeln oder Unterlassen einzustehen (RZ 1985/28).

Daher war das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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