OGH 7Ob656/81

OGH7Ob656/8124.9.1981

SZ 54/133

Normen

ABGB §1294
ABGB §1295
IPRG §48 Abs1
ABGB §1294
ABGB §1295
IPRG §48 Abs1

 

Spruch:

Schadenersatzansprüche zwischen Gastarbeitern aus einer Verletzung beim Freizeitsport in Österreich unterliegen nicht dem gemeinsamen Personalstatut, sondern dem Deliktsstatut auch dann, wenn die Streitteile in Mannschaften spielten, die nur aus Gastarbeitern der selben Staatsangehörigkeit bestanden

Übliche leichte Verstöße gegen die Spielregeln eines Kampfsportes begrunden keine Schadenersatzpflicht

OGH 24. September 1981, 7 Ob 656/81 (OLG Innsbruck 2 R 90/81; LG Feldkirch 3 Cg 1016/80)

Text

Der Kläger wurde vom Beklagten am 14. Oktober 1979 während des Spieles zweier aus jugoslawischen Gastarbeitern bestehenden Fußballmannschaften beim Kampf um den Ball verletzt.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger vom Beklagten die Zahlung eines Schmerzengeldes von 40 000 S samt Anhang und beantragt die Feststellung, daß ihm der Beklagte für seine künftigen Schäden aus der am 14. Oktober 1979 erlittenen Verletzung zu haften habe. Der Kläger sei an der Strafraumgrenze der gegnerischen Spielhälfte nach einem von rechts kommenden Flankenball gesprungen. Der als Verteidiger seiner Spielgegner eingesetzte Beklagte habe bei einem Versuch, den Ball mit einer sogenannten Schere wegzuschlagen, ein Bein regelwidrig in die Höhe gehoben und dabei den Kläger mit dem Fuß ins Gesicht getroffen, der hiedurch fünf gesunde Zähne verloren habe. Der Kläger habe sich höchstens 2 m hinter dem Beklagten befunden, als er nach dem Ball geeilt sei. Der Beklagte habe daher dem Kläger für den ihm durch seine schuldhaft rechtswidrige (gegen die Spielregeln verstoßende) Spielweise zugefügten Schaden zu haften. Für die erlittenen Verletzungen des Klägers sei ein Schmerzensgeld in der Höhe des Klagsbetrages angemessen. Da der Kläger mit künftigen Kosten für Zahnbehandlung und Zahnersatz rechnen müsse, sei auch das Feststellungsbegehren berechtigt.

Der Beklagte beantragt Klagsabweisung und behauptet, daß er mit dem linken Bein versucht habe, einen hohen Ball in das Feld zurückzuschießen. Dabei sei der hinter ihm stehende Kläger herbeigelaufen und habe versucht, den Ball mit dem Kopf in Richtung Tor weiterzustoßen. Hiebei habe der Kläger nicht den Ball, sondern mit seinem Kopf den Fuß des Beklagten getroffen. Als der Beklagte den Entschluß gefaßt habe, den Ball mit gehobenem Fuß zurückzustoßen, sei der Kläger noch nicht in Spieldistanz gewesen. Dem Beklagten könne daher ein Regelverstoß nicht angelastet werden. Schließlich habe der Kläger die Verletzung während eines Kampfsportes erlitten.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Nach seinen Feststellungen erfolgte der Zusammenstoß der Streitteile während des Spieles. Der Beklagte stand zwischen dem eigenen Strafraum und dem Mittelfeld mit dem Blick in Richtung eigenes Tor, als - von seinem Standpunkt aus gesehen - von rechts ein hoher Flankenball auf ihn zukam. Er wollte den Ball direkt in Richtung der gegnerischen Spielhälfte weiterschießen und hob dazu das linke Bein bis etwa in Brusthöhe, drehte sich zugleich um das rechte Standbein und stieß nach dem Ball. Als der Beklagte das linke Bein anhob, stand der Kläger noch etwa 2 m hinter ihm und faßte den Entschluß, den Ball mit dem Kopf in Richtung des gegnerischen Tors zu stoßen. Er rannte daher in Richtung zum Beklagten und stieß mit dem etwa in Brusthöhe gesenkten Kopf seitlich neben dem Beklagten vorbei gegen den Ball. Hiebei stieß jedoch der Fuß des Beklagten in das Gesicht des Klägers, der hiedurch verletzt wurde. Der Schiedsrichter Franz M wertete die Spielweise des Beklagten als Regelverstoß (gefährliches Spiel) und gab einen indirekten Freistoß. Nach der Regelkunde des Österreichischen Fußballbundes wird unter gefährlichem Spiel jedes Verhalten eines Spielers verstanden, das dazu führt, den Gegner zu gefährden. Darunter ist beispielsweise zu verstehen: Das Hochheben eines Beines oder Fußes in Kopf- oder Brusthöhe des Gegners und das Treten nach dem Ball in Kopf- oder Brusthöhe des Gegners, der sich in Spieldistanz (1 bis 2 m) befindet. Auch die Durchführung eines Scherenstoßes oder -schlages ist als gefährliches Spiel zu ahnden, wenn sich ein Gegner in Spieldistanz befindet.

Nach Ansicht des Erstgerichtes stelle das Hochheben des Beines in Brusthöhe durch den Beklagten in objektiver Hinsicht ein gefährliches Spiel dar. Trotzdem liege aber ein Regelverstoß nicht vor. Der Beklagte habe nämlich schuldlos nicht wahrnehmen können, daß der hinter seinem Rücken befindliche Kläger bestrebt sein werde, den Ball mit dem Kopf zu erreichen. Der Beklagte habe daher den Kläger weder vorsätzlich noch fahrlässig gefährdet. Außerdem habe sich der Kläger durch seine Teilnahme an dem Fußballspiel einer ihm bekannten oder zumindest erkennbaren Gefahr ausgesetzt, sodaß Handeln auf eigene Gefahr vorliege. Es hebe daher die Selbstgefährdung des Geschädigten (Kläger) die Schutzpflicht des Schädigers (Beklagten) auf. Der Klagsanspruch sei schon dem Gründe nach nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, 60 000 S übersteigt. Es war der Ansicht, daß gefährliches Spiel einen Regelverstoß darstelle und als Übertretung einer Schutznorm durch den Fußballspieler zu betrachten sei, die zur Vermeidung einer Gefährdung oder einer Verletzung eines anderen Spielers aufgestellt worden ist. Die Übertretung einer Schutznorm müsse allerdings verschuldet erfolgen. Es müsse aber der Schädiger den Beweis seiner Schuldlosigkeit erbringen oder nachweisen, daß der Schaden auch ohne Übertretung der Schutznorm eingetreten wäre. Dem Geschädigten hingegen obliege der Beweis, daß ein objektiver Regelverstoß vorgelegen und der Schädiger auch rechtswidrig gehandelt habe. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes sei der Kläger etwa 2 m vom Beklagten entfernt gewesen, als dieser sein Bein in Brusthöhe gehoben und der Kläger den Entschluß gefaßt habe, mit dem Kopf nach dem Ball zu stoßen. Daß die Entfernung des Klägers auch mehr als 2 m betragen haben könne, sei nicht feststellbar. Diese Ungewißheit gehe zu Lasten des für das rechtswidrige Verhalten des Beklagten beweispflichtigen Klägers. Zugunsten des Beklagten sei daher anzunehmen, daß sich der Kläger von ihm auch weiter als 2 m entfernt befunden haben könne, als der Beklagte das Bein in Brusthöhe gehoben habe. Dem Beklagten könne somit ein Regelverstoß (gefährliches Spiel) und damit die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nicht nachgewiesen werden. Die Rechtswidrigkeit der Spielweise des Beklagten lasse sich aber auch nicht aus dem allgemeinen Grundsatz ableiten, daß jede durch menschliches Verhalten herbeigeführte Körperverletzung rechtswidrig sei, auch wenn die Verletzungshandlung nicht gegen besondere gesetzlich geregelte Normen verstoße, weil der Kläger seine Verletzungen bei der Ausübung eines Kampfsportes (Fußballspiel) erlitten habe. Mangels Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Beklagten sei daher die Verschuldensfrage nicht mehr zu prüfen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Im Hinblick auf die vom Revisionswerber erhobene Rechtsrüge hat der OGH die rechtliche Beurteilung durch das Berufungsgericht nach jeder Richtung zu prüfen und daher auch auf Rechtsfragen einzugehen, die im bisherigen Verfahren nicht erörtert wurden (Fasching IV, 323; SZ 49/64 u.a.m.). Sind daher - wie hier - im Hinblick auf die ausländische Staatsangehörigkeit der beiden Streitteile Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß die Rechtssache nach ausländischem Recht zu beurteilen sein könnte, so muß sich der OGH auch mit der bisher nicht erörterten Frage des anzuwendenden Rechtes befassen (SZ 25/17; SZ 48/28; SZ 49/64 u. a.). Hiebei ist davon auszugehen, daß nach § 48 Abs. 1 IPRG außervertragliche Schadenersatzansprüche nach dem Recht des Staates zu beurteilen sind, in dem das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt worden ist. Besteht jedoch für die Beteiligten eine stärkere Beziehung zum Recht ein und desselben anderen Staates, so ist dieses Recht maßgebend. Diese Bestimmung des IPRG ermöglicht die vom österreichischen Schrifttum bereits seit Jahren geforderte Auflockerung des Deliktsstatuts, wobei allerdings verschiedene Lehrmeinungen darüber bestehen, welche Voraussetzungen für die Ausschaltung des Tatortrechtes maßgebend sein sollen. Nach der Darstellung der verschiedenen Rechtsansichten kommt die Regierungsvorlage zum IPRG zum abschließenden Ergebnis, daß eine Formel, die eine sinnvolle Auflockerung des Deliktsstatuts ermöglichen soll, schmiegsam gehalten sein muß, damit unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles dem Grundsatz der stärksten Beziehung (§ 1 IPRG) voll Rechnung getragen werden kann (Duchek - Schwind, Internationales Privatrecht, 107 f.). Bei Anwendung dieses Gesichtspunktes reicht im vorliegenden Falle die Anknüpfung an das gemeinsame Personalstatut der Streitteile zur Ausschaltung des Deliktsstatuts nicht aus. Wohl sind beide Streitteile jugoslawische Staatsangehörige und spielten in verschiedenen aus jugoslawischen Gastarbeitern bestehenden und in einer Liga zusammengefaßten Fußballmannschaften. Als Gastarbeiter haben die Streitteile jedoch offenbar ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich und sind in den österreichischen Arbeitsprozeß eingegliedert. Die Streitteile traten auch nicht isoliert auf, sondern es ereignete sich der Unfall während ihrer Freizeitgestaltung. Zum gleichen Ergebnis kommt auch der deutsche Bundesgerichtshof, der in einem ähnlich gelagerten Fall die Ausschaltung des Deliktsstatuts bei gemeinsamer ausländischer Staatsangehörigkeit nur dann für berechtigt erachtet, wenn sich die Beteiligten, wie etwa bei Urlaubs- und Geschäftsreisen, nur vorübergehend im Ausland aufhalten und daher ihre Auslandsbeziehung nur zufälliger Natur ist (vgl. BGHZ 57, 265, 268). Auch im vorliegenden Fall sind daher die Klagsansprüche nach österreichischem Recht zu beurteilen.

Die Berechtigung von Schadenersatzansprüchen aus Verletzungen bei einem Sportunfall richtet sich nach den allgemeinen Normen des bürgerlichen Rechtes über den Schadenersatz im allgemeinen (§ 1293 ff. ABGB) und bei Körperverletzungen nach § 1325 ABGB. Für die Schadenersatzpflicht des schädigenden Spielers ist daher erforderlich, daß er die Körperverletzung seines Spielpartners durch ein schuldhaft rechtswidriges Verhalten verursacht hat (EvBl. 1979/10 und 169; vgl. auch Koziol, Haftpflichtrecht[2] I, 96). Zu beachten ist allerdings, daß es bei, der Ausübung verschiedener Sportarten durch mehrere Teilnehmer, insbesondere beim Kampfsport wie Fußball, aber auch bei den meisten anderen Sportarten, die in Gemeinschaft ausgeübt werden und zu einem notwendigen Naheverhältnis der Teilnehmer zueinander oder zu den dabei verwendeten Sportgeräten führen, zu Gefährdungen oder Verletzungen der Beteiligten kommt. Diese Folgen sind bei einem Kampfsport wie dem Fußball geradezu typisch. Sie werden daher wegen ihrer mit der Natur dieses Sportes verbundenen Regelmäßigkeit in Kauf genommen. Im Hinblick auf den der Sportentfaltung von der menschlichen Gemeinschaft beigemessenen hohen Wert wird nämlich das mit der Sportausübung notwendigerweise verbundene Risiko für die körperliche Unversehrtheit der daran teilnehmenden Personen gebilligt (SZ 26/255; EvBl. 1979/10). Insoweit Verletzungen der körperlichen Sicherheit und Körperverletzungen bei der Ausübung des Sportes nicht durch eine Vergrößerung des in der Natur der betreffenden Sportart gelegenen Risikos herbeigeführt werden, können die sie verursachenden Handlungen und Unterlassungen der den Sport Ausübenden wegen ihrer Sozialadäquanz auch nicht als rechtswidrig angesehen werden (EvBl. 1979/10 und 169; SSt. 30/131). Bei der Körperverletzung von Menschen müssen demnach die allgemeinen Rechtswidrigkeitsvoraussetzungen für den Sportbereich in der eben dargestellten Weise eingeschränkt werden.

Nimmt daher jemand an einem Kampfsport teil, so setzt er sich damit den ihm bekannten oder zumindest erkennbaren Gefahren, die die Ausübung dieses Sportes mit sich bringt, aus. Ein solches die Rechtswidrigkeit des Gefährdenden ausschließendes echtes Handeln auf eigene Gefahr wird allerdings nur dann anzunehmen sein, wenn eine Interessenabwägung ergeben sollte, daß dadurch die Sorgfaltspflichten des Gefährdenden aufgehoben werden. Dies wird in der Regel bei einem üblichen leichten Verstoß des Gefährdenden gegen objektive Sorgfaltspflichten zutreffen. Bei einem Kampfsport ist daher davon auszugehen, daß Verletzungen eines Mitspielers dann nicht rechtswidrig sind, wenn sie sich aus typischen, beim Sport unvermeidlichen Verstößen gegen Spielregeln ergeben (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht[2] I, 97; Bydlinski, Die strafrechtliche Beurteilung von Sportverletzungen, ÖJZ 1955, 161; Burgstaller, Fahrlässigkeitsdelikte, 53 f.; vgl. auch Deutsch, Die Mitspielerverletzung im Sport, VersR 1974, 1045). Bei dem dem Beklagten angelasteten regelwidrigen Verhalten "hohes Bein" handelt es sich um einen beim Fußballspiel immer wieder vorkommenden typischen Regelverstoß, der vom Schiedsrichter wohl mit einem indirekten Freistoß zu ahnden ist. Trotzdem wurde im Hinblick auf die vorangegangenen Ausführungen von den Untergerichten mit Recht ein rechtswidriges Verhalten des Beklagten und damit dessen Schadenersatzpflicht für die vom Kläger erlittenen Verletzungen verneint. Damit erübrigt sich auch eine Erörterung der Frage, ob sich der Kläger zum Beklagten im Zeitpunkte des behaupteten Fehlverhaltens in Spieldistanz befunden hat.

Der Revision des Klägers war somit nicht Folge zu geben.

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