OGH 1Ob5/90

OGH1Ob5/9011.7.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann, Dr.Schlosser, Dr.Graf und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing.Franz S***, Baumeister, Liebenfels, Klagenfurter Straße 12, vertreten durch Dr.Harald Mlinar, Rechtsanwalt in St.Veit an der Glan, wider die beklagte Partei S*** F***,

Friesach, vertreten durch Dr.Günther Moshammer, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen S 508.609,80 sA, infolge Rekurses beider Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 7.Dezember 1989, GZ 5 R 206/89-17, womit das Zwischenurteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 21.Juli 1989, GZ 23 Cg 111/89-11, und das vorangegangene Verfahren aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufgetragen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

1.) Soweit sich der Rekurs der beklagten Partei gegen Punkt 2. des berufungsgerichtlichen Beschlusses (Verwerfung der Nichtigkeitsberufung der beklagten Partei) wendet, wird er zurückgewiesen.

2.) Im übrigen wird den Rekursen beider Parteien Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und dem Berufungsgericht die Verhandlung und neuerliche Entscheidung über die Berufungen beider Parteien aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Die beklagte Stadtgemeinde ist Wegehalterin der Conventgasse in Friesach, einer öffentlichen Straße, die sich in der Natur als grasbewachsener Feldweg darstellt. Verbotstafeln, die auf die mangelnde Eignung zum Befahren mit LKW hinweisen, waren vor dem 25. April 1988 nicht aufgestellt. Die K*** beauftragte den Kläger mit der Errichtung einer Kabeltrafostation in der Conventgasse. Im Zuge der Bauarbeiten fuhr am 25.April 1988 ein beim Kläger beschäftigter Fahrer mit einem mit Baumaterial beladenen LKW des Klägers im Rückwärtsgang zur Baustelle. Etwa in der Mitte der Conventgasse, an einer Stelle, wo der Weg entlang einer Mauer des Dominikanerinnenconvents führt, brach das Erdreich ein und der LKW stürzte mit einem Teil dieser Mauer in den darunter liegenden Klostergarten.

Der Kläger begehrt von der beklagten Partei "aus allen nur erdenklich möglichen Gründen, insbesondere aber unter Hinweis auf § 1319 a ABGB" die Zahlung eines Betrages von S 508.609,80 sA (Schaden am LKW, Bergungsaufwand, Wert des beschädigten Ladegutes, Abschleppkosten und Kosten für die Wiederherstellung der Klostermauer) und brachte dazu im wesentlichen vor, die einzig mögliche Zufahrt zur Baustelle habe durch die Conventgasse geführt. Die beklagte Partei habe es als Wegehalterin vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig unterlassen, für den sicheren und mangelfreien Zustand dieser Gasse zu sorgen; insbesondere habe sie keine Maßnahmen getroffen, nach welchen ein Abbrechen des Erdreiches und das Umfallen der Stützmauer vermieden worden wäre. Sollte dies aus Kostengründen nicht möglich gewesen sein, habe es die beklagte Partei grob schuldhaft unterlassen, eine Gewichtsbeschränkung gemäß § 52 a Z 9 c StVO bzw ein Fahrverbot gemäß § 52 a Z 7 a StVO für LKW zu verordnen oder allenfalls iS des § 98 Abs 4 StVO die Behörde zu verständigen. Die Baufälligkeit und insbesondere die fehlende Verankerung im Erdreich, somit der Mangel der Standsicherheit der Mauer sei der beklagten Partei und ihren Leuten bekannt gewesen. Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren, beantragte dessen Abweisung und wendete ein, die Conventgasse sei nicht mangelhaft gewesen, die beklagte Partei und ihre Leute treffe kein Verschulden. Schon aus der Art des Weges habe sich dessen mangelnde Eignung für die Benützung mit einem LKW ergeben; dazu sei der Weg, bei durchschnittlicher Aufmerksamkeit erkennbar, ungeeignet und zu schmal gewesen, sodaß es keiner Verbotstafeln bedurft habe. Besondere Befestigungen eines Feldweges seien weder angemessen noch der beklagten Partei zumutbar. Für die im Eigentum des Convents stehende Mauer habe die beklagte Partei nicht einzustehen. Das Aufstellen von Verkehrszeichen und die Verständigung der Behörde seien hoheitliche Maßnahmen der Stadtgemeinde.

Das mit einem Einzelrichter besetzte Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil den Anspruch des Klägers auf Ersatz des Sachschadens an seinem LKW, seiner Aufwendungen für die Vorbereitungsarbeiten zur Bergung seines LKWs und des beschädigten Ladegutes, der Kosten des Abschleppens seines LKWs sowie der Kosten der Wiedererrichtung der Mauer des Dominikanerinnenconvents in Friesach aus dem Vorfall vom 25. April 1988, dem Grunde nach zur Hälfte als zu Recht bestehend und wies das Mehrbegehren des Klägers auf Ersatz der weiteren Hälfte all dieser Schäden, Aufwendungen und Kosten ab. Die beklagte Partei hafte dem Kläger nach § 1319 a ABGB, weil sie nicht für eine Beschränkung des Verkehrs in der Conventgasse gesorgt und keine Anzeige an die zuständige Bezirkshauptmannschaft St.Veit an der Glan iS des § 98 Abs 4 StVO erstattet habe und im Bauverfahren betreffend den K***-Trafo auf die Frage der Zufahrt mit LKW nicht eingegangen sei. Den Kläger treffe jedoch ein Mitverschulden, weil sich weder er noch sein Fahrer Gewißheit über die Eignung der Conventgasse zum Befahren mit schweren LKW verschafft habe. Das beiderseitige Verschulden sei 1 : 1 zu teilen.

Diese Entscheidung bekämpften beide Streitteile mit Berufung. Das Berufungsgericht verwarf die Berufung der beklagten Partei wegen Nichtigkeit (Punkt 2). Im übrigen hob es aus Anlaß der Berufungen das Zwischenurteil und das diesem vorangegangene Verfahren einschließlich der Verhandlungstagsatzung vom 6.Juli 1989 unter Beisetzung eines Rechtskraftvorbehalts als nichtig auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Verhandlung und Entscheidung in Senatsbesetzung auf (Punkt 3). Der Kläger stütze sein Begehren auf jeden erdenklichen Rechtsgrund. Das AHG enthalte keine eigenen Haftungsnormen, sondern ordne im § 1 Abs 1 an, daß die Rechtsträger, so auch die beklagte Partei, nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechtes hafteten. Begehre der Kläger von der beklagten Stadtgemeinde Schadenersatz, schließe dies die Anwendung des AHG nicht aus. Dieses sei nach § 1 Abs 1 AHG stets dann anzuwenden, wenn der Kläger einen ihm von Organen des beklagten Rechtsträgers in Vollziehung der Gesetze durch rechtswidriges Verhalten zugefügten Schaden behaupte; ob dies der Fall sei, müsse auf Grund des gesamten Klagsvorbringens beurteilt werden. Soweit das Klagebegehren darauf gestützt werde, daß es die beklagte Partei schuldhaft unterlassen habe, in Ansehung der Conventgasse eine Gewichtsbeschränkung oder ein Fahrverbot für LKW zu verordnen, würden inhaltlich Amtshaftungsansprüche geltend gemacht, die vor den Senat gehörten. Der Mangel der Besetzung des Erstgerichtes (Einzelrichter statt Senat) bilde eine in jeder Lage des Verfahrens wahrzunehmende Nichtigkeit. Ob hinsichtlich der Amtshaftungsansprüche die formalrechtliche Erklärung nach § 8 AHG als unerläßliche Bedingung für die Eröffnung des Rechtsweges vorliege, könne noch nicht beurteilt werden und werde vom Erstgericht zu prüfen sein.

Gegen den Beschluß des Berufungsgerichtes wenden sich die Rekurse beider Streitteile.

Rechtliche Beurteilung

Soweit die beklagte Partei Punkt 2. der Entscheidung des Berufungsgerichtes anficht, ist der Rekurs unzulässig, weil die Verwerfung der Berufung der beklagten Partei wegen Nichtigkeit keiner weiteren Anfechtung unterliegt (§ 519 ZPO).

Soweit beide Parteien Punkt 3. der berufungsgerichtlichen Entscheidung anfechten, sind die Rechtsmittel zufolge des Rechtskraftvorbehaltes zulässig (EvBl 1989/145) und auch berechtigt. Die Bestimmung des § 9 Abs 3 AHG, die die Entscheidung von Amtshaftungssachen ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes in Senatsbesetzung verlangt, wurde durch Art XXII Z 4 lit a WGN 1989, BGBl 1989/343, aufgehoben, doch ist die Neuregelung nur anzuwenden, wenn die Klage nach dem 31.Juli 1989 angebracht wurde (Art XLI Z 7 lit a WGN 1989), was hier nicht zutrifft. Die Entscheidung über die Gerichtsbesetzung unterliegt nicht der Parteiendisposition, eine Einzelrichtereinigung der Parteien iS des § 7 a JN war in Amtshaftungssachen ausgeschlossen (SZ 52/153; 1 Ob 33/89; Fasching I 178). Da die Zuständigkeit und die Gerichtsbesetzung aufgrund der Angaben des Klägers zu prüfen sind, haben die Bestimmungen des § 9 Abs 1 und 3 AHG stets Anwendung zu finden, wenn der Kläger einen Schaden behauptet, den ihm als Organ des Rechtsträgers handelnde Personen in Vollziehung der Gesetze zugefügt haben.

Wegehalter- und Amtshaftung können nebeneinander bestehen (SZ 41/59; Reischauer in Rummel, § 1319 a ABGB Rz 7). Soweit der Kläger seine Ansprüche auf die allgemeine Wegehalterhaftung nach § 1319 a ABGB und auf einen Verstoß der beklagten Partei gegen § 98 Abs 4 StVO (Pflicht des Straßenerhalters zur Anzeige der Umstände bei der Behörde, die in der Anlage oder Beschaffenheit der Straße begründet sind und für die Erlassung einer Verordnung nach § 43 StVO maßgebend sein können) stützt, wird kein hoheitliches Handeln bzw Unterlassen geltend gemacht; die Gebietskörperschaft erfüllt dabei keine anderen Aufgaben als der verkehrssicherungspflichtige Eigentümer einer Liegenschaft (SZ 54/12 ua; Schragel, AHG2 Rz 93), weshalb insoweit kein Amtshaftungsanspruch gegeben sein kann und die Zuständigkeit des Einzelrichters gegeben war.

Das jedem Straßenerhalter nach § 98 Abs 3 StVO eingeräumte Recht, auch ohne behördlichen Auftrag Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs (§ 31 Abs 1 StVO) anzubringen, gilt nicht für die in § 44 Abs 1 StVO genannten Straßenverkehrszeichen, zu denen auch Verbots- und Beschränkungszeichen nach § 52 lit a StVO gehören (SZ 56/134; SZ 55/142, ZVR 1979/306, ZVR 1977/163). Gemäß § 43 Abs 1 StVO hat die Behörde ua für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken durch Verordnung den Straßenbenützern ein bestimmtes Verhalten vorzuschreiben, wenn und insoweit es die Sicherheit des Verkehrs erfordert. Die Behörde bestimmt in Ausübung der Hoheitsverwaltung durch Verordnung, ob und wo Straßenverkehrszeichen aufzustellen sind (SZ 59/4, SZ 56/134, SZ 54/12 ua). Die unterlassene Aufstellung eines erforderlichen Verkehrszeichens betrifft hoheitliches Handeln (SZ 56/134 mwN; Schragel aaO, Rz 340). Zwar dürfen Organe des Straßenerhalters Straßenverkehrszeichen mit der Wirkung anbringen, als ob die Veranlassung oder Maßnahme von der Behörde getroffen worden wäre, wobei die Behörde dann nur die Aufhebung der getroffenen Maßnahme oder die Entfernung oder Änderung der Einrichtung verlangen kann, wenn die Veranlassung oder Maßnahme gesetzwidrig oder sachlich unrichtig war (§ 44 b Abs 1 und 4, 98 Abs 3 StVO). Die Ermächtigung zu Maßnahmen iS des § 44 b Abs 1 StVO erfolgt nach herrschender Auffassung (EvBl 1978/39; Schragel aaO, Rz 32) in Vollziehung der Gesetze.

Der Kläger hat zwar die Haftung der beklagten Partei inhaltlich auch darauf gestützt, sie habe fahrlässig für die Conventgasse weder eine Gewichtsbeschränkung nach § 52 lit a Z 9 c StVO noch ein Fahrverbot für LKW nach § 52 lit a Z 7 a StVO verordnet, jedoch seinen Anspruch weder ausdrücklich auf das AHG gestützt noch die Klage ausdrücklich als Amtshaftungsklage bezeichnet, obwohl er verpflichtet war, die dazu erforderlichen zuständigkeitsbegründenden Angaben zu machen, noch vorgebracht, daß das Aufforderungsverfahren durchgeführt worden sei (SZ 44/122). Der Kläger hat auch in keinem Verfahrensstadium zu erkennen gegeben, daß er den geltend gemachten Anspruch im Amtshaftungsverfahren geprüft wissen will, somit inhaltlich keinen Amtshaftungsanspruch erhoben (RZ 1981/50; Schragel aaO, Rz 254), wie er auch jetzt in seinem Rekurs ausdrücklich vorträgt, er habe weder behauptet noch bescheinigt, das Aufforderungsverfahren nach § 8 AHG eingehalten zu haben; "sollten irgendwelche Zweifel bestehen, gebe er die bindende Erklärung ab, die beklagte Partei als Straßenerhalter und nicht als Behörde iS des AHG in Anspruch genommen zu haben".

Damit bedarf es nicht der vom Berufungsgericht als erforderlich angesehenen Rückverweisung der Rechtssache an die erste Instanz zur Verhandlung und Entscheidung in Senatsbesetzung. Das Berufungsgericht wird vielmehr die Berufungen beider Teile zu erledigen haben. Einer sofortigen Sachentscheidung des Obersten Gerichtshofes steht die noch unerledigte Beweis- und Tatsachenrüge der beklagten Partei entgegen.

Demgemäß ist spruchgemäß zu entscheiden. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte