OGH 8Ob615/90

OGH8Ob615/9028.6.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Graf und Dr. Jelinek als weitere Richter in der Vormundschaftssache des mj. Thuy P***, geboren am 13. Mai 1982, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche des Minderjährigen als Sachwalter bestellten Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck, Jugendwohlfahrt-Außenstelle Frankenmarkt, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wels als Rekursgerichtes vom 4. April 1990, GZ R 321/90-16, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Frankenmarkt vom 14. März 1990, GZ P 125/89-13, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

In Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen wird der Unterhaltsherabsetzungsantrag des Vaters Xuan Minh VO vom 29. Oktober 1989 zur Gänze abgewiesen.

Text

Begründung

Xuan Minh VO hat vor dem Jugendamt die Vaterschaft zu dem am 13. Mai 1982 von Thi Nga P*** außer der Ehe geborenen mj. Thuy P*** anerkannt und sich zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von S 900 verpflichtet. Er hatte damals auch für seinen bei ihm lebenden, am 27. November 1970 geborenen ältesten Sohn Xuan Vuang VO zu sorgen, während seine weiteren vier ehelichen Kinder und seine Gattin noch in Vietnam lebten.

Die Mutter und der Minderjährige sind österreichische Staatsbürger. Sie bewohnen eine bescheiden eingerichtete Mietwohnung in Frankenmarkt. Die Mutter verdient als teilzeitbeschäftigte Raumpflegerin monatlich S 2.000 und bezieht überdies Sozialhilfeunterstützung von monatlich S 3.320 sowie die Familienbeihilfe für ihre drei im gemeinsamen Haushalt lebenden Kinder, von denen eines erwerbstätig ist und S 4.803,40 monatlich verdient. Die Miete einschließlich Betriebskosten beträgt monatlich S 3.775. Der Vater wohnt - seit August 1989 - mit seiner nicht berufstätigen Gattin und den fünf ehelichen Kindern (Geburtsjahrgänge 1970, 1973, 1975, 1978, 1979) in einer bescheiden eingerichteten Mietwohnung in Neumarkt am Wallersee zu einem monatlichen Mietzins von S 4.200. Vier der Kinder gehen noch zur Schule, das fünfte erzielt als Lehrling ein monatliches Nettoeinkommen von S 3.700 (14mal jährlich). Der Vater besitzt einen PKW VW Passat Baujahr 1981, den er für die Fahrt zum Arbeitsplatz bei der Firma S*** in Frankenmarkt benötigt. Den Kaufpreis für den PKW stattet er in Monatsraten zu S 1.295 ab. Weiters hatte er (im Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz) für einen mit S 10.000 aushaftenden Bankkredit monatlich S 2.500 zurückzuzahlen. Er bezieht die Familienbeihilfen für fünf Kinder und erzielt als Mechaniker bei der Firma S*** ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen von rund S 12.500.

Die verlautbarten monatlichen Regelbedarfssätze betragen ab 1. Juli 1989 für Kinder im Alter von 6 bis 10 Jahren S 2.550, von 10 bis 15 Jahren S 2.930 und von 15 bis 19 Jahren S 3.470. Der Richtsatz für die Ausgleichszulage für Pensisonsberechtigte mit dem Ehegatten im gemeinsamen Haushalt gemäß § 293 Abs 1 lit. a) aa) ASVG betrug für das Jahr 1989 monatlich S 7.354, für das Jahr 1990 monatlich S 7.784.

Der Vater beantragte am 19.Oktober 1989 die Herabsetzung seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem mj. Thuy P*** auf monatlich S 300, weil er auf Grund seiner zahlreichen weiteren Sorgepflichten und des erzielten Einkommens zu einer höheren Unterhaltsleistung nicht imstande sei.

Der zum Sachwalter zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche des Minderjährigen bestellte Jugendwohlfahrtsträger beantragte die Abweisung des Herabsetzungsantrages.

Das Erstgericht gab dem Antrag des Vaters teilweise statt und setzte seine Unterhaltsverpflichtung für den Minderjährigen für die Monate November und Dezember 1989 auf S 650 sowie ab 1. Jänner 1990 auf monatlich S 570 herab. Da der Regelbedarf für den Minderjährigen schon durch die bisherige Unterhaltsleistung nicht gedeckt werden könne, sei nur zu prüfen, wie weit der unterhaltspflichtige Vater unter Bedachtnahme auf seine weiteren Sorgepflichten und sein Einkommen Unterhaltsleistungen erbringen könne. Dabei habe nach "ständiger Rechtsprechung" (offenbar des dem Erstgericht übergeordneten Gerichtes zweiter Instanz) der dem Richtsatz für die Berechnung der Ausgleichszulage nach § 293 Abs. 1 lit. a) aa) ASVG entsprechende Betrag (einschließlich der Sonderzahlungen im Jahr 1989 S 8.580, im Jahr 1990 S 9.081,33) dem Vater und seiner Gattin zu verbleiben, während der jeweils verbliebene Restbetrag (auf das monatliche Durchschnittsnettoeinkommen des Vaters) der verhältnismäßigen Befriedigung der Unterhaltsbedürfnisse der fünf nicht selbsterhaltungsfähigen Kinder zu dienen habe. Davon entfalle auf den mj. Thuy nach dem Verhältnis der (nicht voll gedeckten) Regelbedarfssätze ein Anteil von 16,61 %.

Der gegen den Beschluß des Erstgerichtes erhobene Rekurs des durch den Jugendwohlfahrtsträger vertretenen Minderjährigen blieb erfolglos. Das Gericht zweiter Instanz billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes über die Belastbarkeit des Unterhaltspflichtigen nach dem Richtsatz für die Gewährung der Ausgleichszulage und verwarf die auf die "Prozentmethode" gestützte Argumentation des Rechtsmittelwerbers unter Hinweis darauf, daß es diese Unterhaltsberechnungsmethode (wie auch andere Rechtsmittelgerichte) in ständiger Rechtsprechung ablehne, weil sie bei zahlreichen weiteren Sorgepflichten des Unterhaltspflichtigen und einem niedrigen (aber auch überdurchschnittlich hohen) Einkommen nicht voll anwendbar sei und damit in Rand- und Extrembereichen unsachliche Ergebnisse erzielt würden. Dagegen bilde der Richtsatz für die Ausgleichszulage einen weithin verallgemeinerten Anhaltspunkt für die jedermann zuzubilligenden finanziellen Mindesterfordernisse. Unter Hinweis auf die nach der Lage des Einzelfalles vorgenommene Unterhaltsausmittlung ließ es den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs des Minderjährigen ist zulässig, weil die vom Rekursgericht herangezogene Bemessungsmethode (Belastbarkeitsgrenze nach § 293 Abs. 1 ASVG mit freier Ausmittlung des Unterhaltes im Einzelfall) von der der meisten anderen Gerichtshöfe erster Instanz (Ermittlung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners nach der Prozentmethode oder unter Anwendung der Grundsätze des LPfG) abweicht; der außerordentliche Revisionsrekurs ist auch berechtigt. Nach dem gemäß § 166 ABGB auch für uneheliche Kinder geltenden § 140 Abs. 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen; doch leistet der Elternteil, der den Haushalt führt, in dem er das Kind betreut, dadurch seinen Beitrag und hat zum Unterhalt des Kindes darüber hinaus nur beizutragen, soweit der andere Elternteil zur vollen Deckung der Bedürfnisse des Kindes nicht imstande ist oder mehr leisten müßte, als seinen Lebensverhältnissen angemessen wäre (Abs. 2 leg.cit.). Bei der Unterhaltsbemessung kommt es daher vor allem auf die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten an, doch darf der Unterhaltsschuldner nicht über seine konkrete Leistungsfähigkeit hinaus zu Unterhaltsleistungen verhalten werden. Wie schon der 4. Senat des Obersten Gerichtshofes in seiner Entscheidung vom 3. April 1990, 4 Ob 532/90, und der 6. Senat in seiner Entscheidung vom 31. Mai 1990, 6 Ob 563/90, ausgesprochen haben, bietet das Gesetz nur durch die Verknüpfung der Bedürfnisse des Kindes mit den Lebensverhältnissen der Eltern und deren Verpflichtung, zum Unterhalt nach ihren Kräften beizutragen, einen Anhaltspunkt dafür, nach welchen Kriterien der Beitrag der Eltern zu ermitteln ist. Ein konkretes Berechnungssystem kann aber dem Gesetz, das die Bemessungskriterien nur durch unbestimmte Rechtsbegriffe umschreibt, nicht entnommen werden. Ohne gesetzliche Grundlage bleibt es daher auch dem Obersten Gerichtshof verwehrt, Regeln der Unterhaltsbemessung derart zu einem System zu verdichten, daß als Ergebnis geradezu eine Tabelle für jeden möglichen Anspruchsfall zur Verfügung stünde. In Fragen der Unterhaltsbemessung hat sich der Oberste Gerichtshof vielmehr darauf zu beschränken, jene Umstände zu bezeichnen, auf die es im Einzelfall ankommt (vgl. Petrasch in ÖJZ 1989, 743 ff, 748). Demnach kann er auch keine Prozentsätze festlegen. Solche können lediglich bei der konkreten Berechnung eines Unterhaltsanspruches im Interesse der Gleichbehandlung gleichgelagerter Fälle herangezogen, nicht aber etwa generell als Maßstab für die Unterhaltsbemessung schlechthin festgelegt werden. Der Zuspruch des Unterhaltes in Höhe des Regelbedarfes würde freilich dann dem Gesetz widersprechen, wenn ein solcher Betrag nicht auch den Lebensverhältnissen der Eltern gerecht würde (Pichler in Rummel, ABGB2, Rz 5 a zu § 140).

Im vorliegenden Fall wird der angenommene - jeweils als Mindestbedarf anzusehende - Regelbedarf für den mj. Thuy P*** selbst durch die bisherige Unterhaltsleistung des Vaters nur knapp zu einem Drittel gedeckt, sodaß die Bedarfskomponente der Unterhaltsbemessung bei der weiteren Entscheidung des vorliegenden Falles nicht mehr näher zu behandeln ist. Für die Ermittlung der Belastbarkeit des Einkommens des Unterhaltspflichtigen ist jedoch entgegen der - als ständige Rechtsprechung bezeichneten - Auffassung der Vorinstanzen mangels konkreter gesetzlicher Regelung nicht von den Richtsätzen zur Ermittlung der Ausgleichszulage nach § 293 Abs. 1 ASVG auszugehen, weil dann bei Einkommen des Unterhaltspflichtigen im Bereich oder unterhalb dieser Richtsätze entgegen der Gesetzesanordnung des § 140 ABGB - zur anteiligen Teilnahme des Kindes an den Lebensverhältnissen der Eltern - keinerlei Unterhaltsleistungen zu erbringen wären; darauf wird im Revisionsrekurs zutreffend hingewiesen.

Wie der 6. Senat des Obersten Gerichtshofes schon in der Entscheidung vom 31. Mai 1990, 6 Ob 563/90, dargelegt hat, erscheint es gerechtfertigt, jenen Teil des durchschnittlichen Nettoeinkommens des Unterhaltsschuldners, der diesem auch im Falle der exekutiven Durchsetzung des Unterhaltstitels (§ 6 LPfG) verbleiben muß, von der Bemessung auszunehmen und damit bloß den der Pfändung unterworfenen Bezugsteil entsprechend dem festgestellten Bedarf der Unterhaltsberechtigten auf die miteinander konkurrierenden Unterhaltsberechtigungen aufzuteilen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß den Eltern die Einrede (sogenannter "beneficium competentiae"), bei der gegebenen Unterhaltsbemessung sei ihr eigener angemessener Unterhalt gefährdet (vgl. Pichler aaO § 141 Rz 5), nicht zusteht, andererseits aber auch, daß der Unterhaltsschuldner nicht über Gebühr in Anspruch genommen werden darf, weil er sonst in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet wäre oder an der Erzielung weiteren Einkommens kein Interesse mehr haben könnte. Daher erscheint es jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden, in welchem einem knapp durchschnittlichen Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen vielfache Unterhaltsansprüche gegenüberstehen, durchaus gerechtfertigt, jenen Teil der Unterhaltsbemessungsgrundlage, der voraussichtlich auch der Pfändung unterworfen sein würde (§ 6 iVm § 5 LPfG), auf die Unterhaltsberechtigten zur Deckung ihrer Ansprüche im Verhältnis ihres Bedarfes aufzuteilen, so daß die am Lohnpfändungsgesetz orientierte Belastbarkeit (vgl. Pichler in ÖA 1981, 41) jedenfalls jene Grenze bildet, die bei der Unterhaltsbemessung zu Lasten des Unterhaltsschuldners im Interesse beider Teile keineswegs überschritten und bis zu der - zumindest in Fällen mehrerer miteinander konkurrierender konkreter Unterhaltspflichten - die Bemessungsgrundlage voll ausgeschöpft werden darf (6 Ob 563/90). Die Pfändungsgrenzen des § 6 LPfG sind im Vergleich zu jenen des § 5 leg.cit. zu Lasten des Unterhaltsschuldners (Verpflichteten) wesentlich weiter gezogen, so daß der von den Vorinstanzen als belastungsfrei behandelte Betrag von über S 9.000 monatlich darin bei weitem nicht mehr gedeckt ist. Verbleibt aber nach dem richtig ermittelten Bedarfsanteil des Minderjährigen von 16,61 % (in Konkurrenz mit den ehelichen Kindern des Unterhaltsschuldners, wenn dieser den bisher geleisteten monatlichen Unterhaltsbetrag von S 900 erbringen soll), dem Vater und seiner nicht verdienenden Ehegattin monatlich ein Betrag von rund S 7.100, beiden zusammen also immerhin rund 57 % der Bemessungsgrundlage, nach Abzug aller Sorgepflichten zur freien Verfügung, so werden damit die aufgezeigten Grenzen des Lohnpfändungsgesetzes (insbesondere dessen § 6) gar nicht erreicht. Selbst wenn also der bisher vom Vater entrichtete Unterhaltsbetrag unter Anwendung der im Revisionsrekurs geforderten "Prozentmethode" nach ihrer von Pichler (aaO § 140 Rz 5 und 5 a mwH) dargestellten Berechnungsweise rein rechnerisch (ebenfalls) rund 7 % der Bemessungsgrundlage ergibt, erfolgte die vorliegende Unterhaltsbemessung - wie bereits dargestellt - nicht nach dieser Methode; es zeigt vielmehr ihre Anwendung nur ein vergleichbares Ergebnis. Da der Minderjährige mit dem bisher vom Vater geleisteten monatlichen Unterhaltsbetrag von S 900 nur knapp ein Drittel seines Regelbedarfes decken kann, so daß seine Mutter neben der Betreuung im Haushalt zu seinem Unterhalt noch weitere Geldleistungen zu erbringen haben wird, sind der unterhaltspflichtige Vater, seine Ehegattin und ihre vier ehelichen Kinder im Rahmen eines auf die Gleichbehandlung aller am Unterhaltsbemessungsverfahren beteiligten Personen abzielenden Interessenausgleiches auf eine entsprechende Einschränkung auch ihrer Lebensverhältnisse zu verweisen. In Stattgebung des gerechtfertigten außerordentlichen Revisionsrekurses ist demnach der Herabsetzungsantrag des Vaters gänzlich abzuweisen.

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