OGH 13Os11/90 (13Os12/90, 13Os13/90)

OGH13Os11/90 (13Os12/90, 13Os13/90)19.4.1990

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.April 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Brustbauer, Dr. Kuch, Dr. Rzeszut und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Wolf als Schriftführer in der Strafsache gegen Dragoslav P*** wegen des Verbrechens des Raubes nach dem § 142 (Abs. 1 und) 2 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 22. November 1989, GZ 2 a Vr 414/89-70, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen den gleichzeitig mit diesem Urteil gefällten Beschluß auf Widerruf der mit den Urteilen des Jugendgerichtshofes Wien vom 13.April 1988, GZ 2 b Vr 1119/87-33 und vom 14. November 1988, GZ 2 b Vr 371/88-24, gewährten bedingten Strafnachsichten nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Hauptmann, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Schichl zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch zu Punkt I des Schuldspruches "Der Raub wurde ohne Anwendung erheblicher Gewalt an einer Sache geringen Wertes begangen, wobei die Tat nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat", und in der darauf beruhenden rechtlichen Beurteilung dieser dem Angeklagten zur Last fallenden Tat als Verbrechen des Raubes nach dem § 142 Abs. 2 StGB sowie demgemäß auch im Strafausspruch (jedoch unter Aufrechterhaltung des Ausspruches über die Vorhaftanrechnung gemäß dem § 38 StGB) aufgehoben und es wird in diesem Umfang gemäß dem § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Dragoslav P*** hat durch das ihm laut dem aufrecht gebliebenen Teil des Punktes I. des Schuldspruches zur Last fallende Verhalten das Verbrechen des Raubes nach dem § 142 Abs. 1 StGB begangen und wird hiefür sowie für das Verbrechen des Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Z 1 StGB laut Punkt II des Schuldspruches unter Anwendung der §§ 28 StGB und 5 Z 4 JGG sowie unter Bedachtnahme gemäß den §§ 31, 40 StGB auf das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 13.April 1989, GZ 1 a E Vr 223/89-27, nach dem § 142 Abs. 1 StGB zu einer Zusatz-Freiheitsstrafe in der Dauer von 21 (einundzwanzig) Monaten verurteilt.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung

verwiesen.

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 18.April 1970 geborene jugoslawische Staatsangehörige Dragoslav P*** wurde mit dem angefochtenen Urteil (Punkt I des Schuldspruches) des Verbrechens des Raubes nach dem § 142 Abs. 2 StGB (richtig: Abs. 1 und 2, sh SSt 55/68) schuldig erkannt. Danach hat er - über den unangefochtenen Schuldspruch wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Z 1 StGB (begangen durch Wegnahme von ca 70 Schallplatten im Wert von zusammen ca 10.000 S nach Einsteigen in ein Gebäude, Punkt II des Schuldspruches) hinaus auch noch - am 24.Feber 1989 in Wien im einverständlichen Zusammenwirken (§ 12 StGB) mit dem strafunmündigen Goran S*** und einem Unbekannten dem Thomas W*** mit Gewalt gegen seine Person, indem sie ihn an eine schwach beleuchtete Stelle des Wiener Praters zerrten, ihm Augen und Mund zuhielten und zu Boden drückten, die Herausgabe der Geldbörse forderten und diese sowie die Hose des Opfers durchsuchten, vier Fahrscheine im Gesamtwert von 130 S und eine Geldbörse mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch die Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern; der Raub wurde ohne Anwendung erheblicher Gewalt an einer Sache geringen Wertes begangen, wobei die Tat nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die Annahme der (privilegierenden) Voraussetzungen des § 142 Abs. 2 StGB gerichteten, auf den § 281 Abs. 1 Z 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft kommt Berechtigung zu.

Die privilegierte Form des sogenannten "minderschweren" Raubes nach dem § 142 Abs. 1 und 2 StGB setzt voraus, daß die Tat ohne Anwendung erheblicher Gewalt an einer Sache geringen Wertes begangen wurde, nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat und es sich um keinen schweren Raub (§ 143 StGB) handelt, wobei alle diese Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen (ÖJZ-LSK 1975/188; EvBl 1978/215; JBl 1986, 468 ua).

Nach den Urteilsfeststellungen hatten die Täter nach Verabredung, dem Opfer nötigenfalls gewaltsam Geld abzunehmen, dieses tatplangemäß unter einem Vorwand aus einer Praterspielhalle gelockt, wonach es der unbekannt Gebliebene in weiterer Ausführung des besprochenen Raubplanes am Arm packte, ca 30 Meter weit von der Halle weg in einen schlecht beleuchteten Seitenweg zerrte und der Angeklagte mit S*** unmittelbar in kurzer Entfernung folgte. Im Seitenweg drückte der Unbekannte (den schmächtigen, sh US 11 unten) W*** zu Boden, wodurch dieser auf der Erde zum Sitzen kam, während ihm einer der beiden anderen (wer von ihnen es tat, war nicht feststellbar) Augen und Mund zuhielt. Über Aufforderung gab W*** nunmehr seine Geldtasche heraus, die von allen drei Tätern sofort nach Bargeld durchsucht wurde, wobei einer von ihnen, weil kein Geld vorgefunden wurde, daraus Fahrscheine der Wiener Verkehrsbetriebe im Wert von ca 130 S entnahm. Aus Zorn (über die geringe Beute) versetzte S*** den (immer noch) auf dem Boden sitzenden W*** mehrere Fußtritte. Schließlich durchsuchte der Unbekannte die Hose des W*** nach Bargeld, die dadurch am rechten Bein (ca 50 cm weit) einriß. Weil kein Geld gefunden wurde, entfernten sich die Täter schließlich (US 6 bis 8).

Bei der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhalts wurde vom Schöffengericht, wie die Beschwerde zu Recht geltend macht, die Frage nach dem Vorliegen einer der kumulativen Voraussetzungen einer Privilegierung nach dem § 142 Abs. 2 StGB nämlich, ob die Tat ohne Anwendung erheblicher Gewalt begangen wurde, unrichtig gelöst.

Erhebliche Gewalt ist dann anzunehmen, wenn der Täter bei einem Angriff auf die Person des Opfers beachtliche physische Kraft in vehementer Weise einsetzt (SSt 51/50), wobei die Belastung des Opfers im Vergleich zu Durchschnittsfällen nicht als geringfügig einzustufen ist (13 Os 157/85, 12 Os 171/88). Ob dies zutrifft, ist nach einem objektiv-individualisierenden (strengen) Maßstab unter Berücksichtigung aller konkreten Fallgegebenheiten, wie etwa auch des körperlichen Zustandes des Angegriffenen, zu beurteilen (Mayerhofer-Rieder, StGB3, ENr 39a zu § 142; WK, RN 47 zu § 142 StGB).

Angewendet auf den vorliegenden Fall ergeben diese Grundsätze, daß die nach den Urteilsfeststellungen von den Tätern eingesetzte Gewalt, nämlich das Zerren einer schmächtigen Person am Arm über etwa 30 Meter in einen schlecht beleuchteten Seitenweg des Wiener Praters, das Zubodendrücken des Opfers, das Zuhalten von Augen und Mund sowie die gewaltsame Durchsuchung seiner Hose, nachdem ihm vorher aus Enttäuschung Fußtritte versetzt worden waren, keinesfalls unter der Erheblichkeitsschwelle gelegen war, sondern diese im Hinblick auf die dadurch entstandene Belastung des Opfers eindeutig überschritten hat.

Das Ersturteil ist daher, soweit die gegenständliche Raubtat der (privilegierenden) Bestimmung des § 142 Abs. 2 StGB unterstellt wurde, mit einem Subsumtionsirrtum (Z 10) behaftet. In Stattgebung der von der Staatsanwaltschaft erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde war daher die insoweit verfehlte Beurteilung des inkriminierten Verhaltens wie im Spruch zu korrigieren.

Bei der somit - unter Anwendung der §§ 28 StGB und 5 Z 4 JGG bei Bedachtnahme gemäß den §§ 31, 40 StGB auf das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien vom 13.April 1989, GZ 1 a E Vr 223/89-27, mit dem der Angeklagte wegen Vergehens des teils vollendeten, teils versuchten unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach den §§ 136 Abs. 1 und 2 und 15 StGB (am 2.Dezember 1988 in zwei Fällen vollendet, in einem Fall versucht) sowie Vergehens des Diebstahls nach dem § 127 StGB (begangen in insgesamt sechs Angriffen Ende November und am 2.Dezember 1988 mit einem Autoradio, drei Stofftieren, einem Tabaksbeutel, einer Sonnenbrille, drei Feuerzeugen und Zigaretten als Beute) zu einer dreimonatigen (unbedingten) Freiheitsstrafe verurteilt worden war - nach dem Strafsatz des § 142 Abs. 1 StGB (unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG: Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren) vorzunehmenden Neubemessung der (Zusatz-) Strafe wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend, daß der Angeklagte mehrere strafbare Handlungen derselben und auch verschiedener Art begangen hat (Zusammentreffen der Verbrechen des Raubes und des Diebstahls sowie jener Vergehen, die dem Urteil, auf das im vorliegenden Fall Bedacht zu nehmen ist, zugrunde lagen) zwei Vorverurteilungen wegen auf derselben schädlichen Neigung beruhender Taten und den raschen Rückfall in strafbares Verhalten, mildernd hingegen das (das angelastete Diebstahlsverbrechen betreffende) Teilgeständnis.

Ausgehend von diesen Strafzumessungsgründen und unter Bedachtnahme auf die im § 32 StGB normierten allgemeinen Grundsätzen für die Strafbemessung (wobei die Tatbegehung bei anhängigem Strafverfahren die Schuldkomponente beeinflußt) erscheint für alle in diesen Strafbemessungsvorgang einzubeziehenden Taten (§§ 31, 40 StGB) eine Freiheitsstrafe im Gesamtausmaß von zwei Jahren der tat- und persönlichkeitsbezogenen Schuld des Angeklagten angemessen. Damit ergibt sich für die hier auszusprechende Zusatzstrafe die aus dem Spruch ersichtliche Sanktion. Da die Gewährung bedingter Strafnachsicht in der Vergangenheit einschlägigen, raschen und auch schweren Rückfall nicht verhinderte, konnte ihre neuerliche Anordnung in welcher Form auch immer nicht in Betracht gezogen werden.

Mit seiner infolge der Strafneubemessung gegenstandslos gewordenen Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Schließlich ist auch seine Beschwerde (§ 494 a Abs. 4 StPO) unbegründet.

Angesichts des Umstandes, daß der Angeklagte trotz wiederholter Anhaltung in Untersuchungshaft (zu 2 b Vr 1119/87 und 1 a E Vr 223/89 des Jugendgerichtshofes Wien) neuerlich (wiederholt) einschlägige (§ 71 StGB) Straftaten begangen hat, ist der Widerruf der bedingten Nachsicht der zu 2 b Vr 1119/87 und 2 b Vr 371/88 des Jugendgerichtshofs Wien verhängten Freiheitsstrafen aus den vom Erstgericht zutreffend angeführten Gründen jedenfalls geboten, um den Beschwerdeführer von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten (§ 53 Abs. 1 StGB).

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß die Anfechtung der Widerrufsbeschlüsse durch den Angeklagten deren meritorische Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof ermöglichte. Infolgedessen konnte dem Gesetzesauftrag einer Gesamtregelung aller in Betracht kommenden Sanktionen (vgl Foregger-Serini, StPO4, Erl I zu § 494 a) durch sachliche Erledigung der Beschwerde entsprochen werden. Eine (Mit-)Aufhebung nach wie vor sachgerechter Widerrufsbeschlüsse bei sofortiger Strafneubemessung kommt im übrigen dann nicht in Betracht, wenn ihrer Kassierung (wegen sogleich darauf folgender Wiederherstellung) bloß die Bedeutung eines überflüssigen Formalakts zukäme (vgl 15 Os 106/89, sh auch 16 Os 41/89).

Die Kostenentscheidung findet in der angeführten gesetzlichen Bestimmung ihre Begründung.

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