OGH 13Os157/85

OGH13Os157/8528.11.1985

Der Oberste Gerichtshof hat am 28.November 1985 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schneider, Dr. Felzmann, Dr. Brustbauer und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Huber als Schriftführers in der Strafsache gegen Harald Günther A wegen des Verbrechens des Raubs nach § 142 Abs. 1 StGB. und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengerichts vom 1. August 1985, GZ. 17 Vr 1183/85-28, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Punkt I 1 des Schuldspruchs wegen des Verbrechens des Raubs nach § 142 Abs. 1 StGB. und demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Der am 14.März 1964 geborene Hilfsarbeiter Harald Günther A wurde des in zwei Angriffen begangenen Verbrechens des Raubs nach § 142 Abs. 1 StGB. (I 1 und 2), des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB. (II), des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB. (III) und des Verbrechens des versuchten militärischen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 15, 127 Abs. 1, 129 Z. 2 StGB. und § 31 Abs. 2 MilStG. (IV) schuldig erkannt. Der Angeklagte bekämpft mit seiner auf § 281 Abs. 1 Z. 2 und 10 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde nur den Schuldspruch im Raubfaktum I 1; er strebt eine Tatbeurteilung als sogenannter minder schwerer Raub (durch Annahme der privilegierenden Bedingungen des § 142 Abs. 2 StGB.) an.

Rechtliche Beurteilung

Während der Verfahrensrüge das Substrat fehlt, weil das Augenscheinsprotokoll (ON. 13), welches nach Auffassung des Beschwerdeführers ein Schriftstück über einen nichtigen Voruntersuchungsakt darstellt, in der Hauptverhandlung einem Verlangen des Verteidigers entsprechend ohnedies nicht verlesen wurde (S. 318, 319, 351, 352, 327), erweist sich die Rechtsrüge als begründet:

Zum bekämpften Raubfaktum (I 1) stellte das Erstgericht im wesentlichen fest, daß der Angeklagte am 20.April 1985 in Hallein mit dem Vorsatz, sich Bargeld zu verschaffen, der 62-jährigen Pensionistin Elisabeth B eine Damenhandtasche ("mit Effekten und Bargeld im Betrage von 50 S") entriß, wobei er zur Überwindung des Widerstands der Angegriffenen so heftig zerren mußte, daß die Metallhalterung des massiven Taschenhenkels verbogen und aus ihrer Befestigung gelöst wurde. Der Angeklagte lief mit der Tasche davon und entnahm ihr danach den Fünfzigschillingschein. Die Tasche mit dem restlichen Inhalt (Schlüsselbund, Brille und diverser Ausweise) warf er in eine Mülltonne, wo sie am nächsten oder übernächsten Tag sichergestellt wurde (S. 325, 326 in Verbindung mit S. 11, 13, 27 und 29).

Die Überwindung des Widerstands gegen die Sachwegnahme ohne unmittelbaren Körperkontakt zwischen Täter und Opfer kann der Meinung des Erstgerichts zuwider nicht als Anwendung erheblicher Gewalt beurteilt werden. Diese setzt vielmehr in der Regel voraus, daß beachtliche physische Kraft in vehementer Weise eingesetzt wird (SSt. 51/50) und demgemäß die Belastung des Opfers durch die räuberische Gewaltanwendung im Vergleich zu Durchschnittsfällen nicht mehr geringfügig bleibt. Der auf eine indirekte körperliche Attacke beschränkte Handtaschenraub lag hingegen noch außerhalb dieses Bereichs einer solchen erheblichen Gewaltanwendung, weil die in der Beschädigung des Taschenhenkels manifestierte beträchtliche Kraftentfaltung des Täters allein dem Entreißen des festgehaltenen Gegenstands, nicht aber einer darüber hinausgehenden Beeinträchtigung des Opfers diente (Kienapfel, BT. II, RN. 111 zu § 142).

Da der Raub sohin ohne Anwendung erheblicher Gewalt begangen wurde, ist für seine Beurteilung nach der Privilegierungsnorm des § 142 Abs. 2 StGB. von entscheidener Bedeutung, ob auch die weiteren darnach kumulativ geforderten Voraussetzungen, nämlich ein geringer Wert der Beute und unbedeutende Tatfolgen, vorliegen. Insoweit sind jedoch die Tatsachen nicht festgestellt, die bei richtiger Anwendung des Gesetzes dem Erkenntnis zugrunde zu legen wären. Schon die der Bewertung der geraubten Sache vorgelagerte Frage nach dem Raubobjekt läßt sich an Hand der getroffenen Urteilskonstatierungen nicht entscheiden, weil ihnen - im Gegensatz zum Urteilsspruch - ein den Bereicherungsvorsatz einschließender Raubvorsatz des Angeklagten nur in Ansehung der weggenommenen Barschaft entnommen werden kann, sodaß ungeklärt ist, ob auch die Handtasche und ihr sonstiger einen wirtschaftlichen Wert darstellender Inhalt - die Preisgabe des darin enthaltenen Seniorenausweises der ÖBB wird gesondert im Schuldspruch wegen Urkundenunterdrückung (III) erfaßt - Gegenstand räuberischer Aneignung war oder ob hier eine Aufspaltung der Tathandlungen in Raub und dauernde Sachentziehung in Betracht kommt (siehe hiezu SSt. 50/5 und RZ. 1982/37). Wäre bei einem auf das Bargeld beschränkten Bereicherungsvorsatz des Angeklagten der Raub jedenfalls an einer Sache geringen Werts begangen worden, so müßten andererseits im Fall eines globalen Raubvorsatzes für diese Beurteilung weitere Feststellungen über den Wert der Handtasche und der darin enthaltenen Gegenstände getroffen werden. Der Oberste Gerichtshof konnte sich zwar durch Beischaffung der Handtasche, die beschlagnahmt (S. 61 und 63 in ON. 12) und in der Hauptverhandlung besichtigt wurde (S. 315), überzeugen, daß sie stark abgenützt und nicht besonders wertvoll ist. Allerdings kann nach der Aktenlage der Wert der Brille und des Schlüsselbunds nicht beurteilt werden (SSt. 38/20), zumal es sich hiebei um Gegenstände des persönlichen Gebrauchs handelt, die nach der Rechtsprechung mit dem Neupreis abzüglich eines ihrer Abnützung entsprechenden Anteils zu bewerten sind, somit für den Geschädigten einen den Verkehrswert übersteigenden (höheren) Zeitwert repräsentieren (SSt. 36/15, 12 Os 35/75), der zu erheben sein wird.

Schließlich hätten auch noch allfällige Folgen des Angriffs Berücksichtigung zu finden, wobei die derzeitige Aktenlage allerdings bloß auf den voraussichtlich noch als unbedeutende Auswirkung einzustufenden Umstand hinweist, daß der durch die Wegnahme der allenfalls nicht vom Raubvorsatz umfaßt gewesenen Handtasche an dieser entstandene Schaden leicht behebbar ist. War die Tasche aber Raubbeute, so kommt eine Zurechnung ihrer Beschädigung als Tatfolge im Sinn des § 142 Abs. 2 StGB. nicht in Betracht, weil dann ihr Gesamtwert ohnehin im Rahmen der das Tatobjekt betreffenden gesonderten und abschließenden Geringfügigkeitsprüfung Berücksichtigung finden muß. Da das Schöffengericht die für eine verläßliche Beurteilung des dem Schuldspruch I 1 zugrunde liegenden Anklagevorwurfs des Raubs nach § 142 Abs. 1 StGB. notwendigen Feststellungen in objektiver und subjektiver Hinsicht nicht getroffen hat, war im Umfang der Anfechtung mit Kassation vorzugehen und die erforderliche Verfahrenserneuerung in erster Instanz anzuordnen (§ 285 e StPO.). Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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