Spruch:
Dem Rekurs der beklagten Partei wird Folge gegeben, das Urteil des Erstgerichtes wird wiederhergestellt.
Die Klägerin wird mit ihrem Rekurs auf diese Entscheidung verwiesen.
Die Klägerin hat der beklagten Partei die mit S 2.829,75 (darin enthalten S 257,25 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 11.794,70 (darin S 5.000,- Barauslagen und S 617,70 Umsatzsteuer) besitmmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin stürzte am 2. August 1986 als Fußgängerin in Graz auf der Kreuzung der Posenergasse mit der Gleistrasse der Straßenbahnlinie 4 und 5. Sie erlitt hiebei Verletzungen und begehrt von der beklagten Partei Schadenersatz.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging hiebei von folgenden wesentlichen Feststellungen aus:
Im Jahr 1967 wurde im Zuge der Anlage eines Doppelgleises der Straßenbahnlinie 4 und 5 im Teilstück Posenergasse-Endstation Andritz der bestehende Schienenübergang beseitigt. Die Gleistrasse verläuft dort auf einem eigenen Bahnkörper im Grünbereich und auf im Eigentum der beklagten Partei stehenden Grund und Boden. Das Straßen- und Brückenbauamt des M*** G*** und die beklagte Partei verhandelten in den Jahren 1968 und 1969 über die Finanzierung des Ausbaus des Schienenübergangs Posenergasse, die eine Gemeindestraße ist. Schließlich übernahm der M*** G*** die Finanzierung des von der Beklagten vorgeschlagenen Ausbaus mittels vorgefertigter Platten. Die Beklagte erklärte sich bereit, die Gleis- und Schwellenunterstopfung einschließlich der beidseitigen Verrohrung der bestehenden Ablaufgräben sowie den nach der Verlegung der Platten erforderlichen Fugenverguß auf eigene Kosten durchzuführen. Die Vertreter der Beklagten und des Straßen- und Brückenbauamtes des M*** G*** behielten die Verpflichtung zur künftigen Erhaltung des schienengleichen Übergangs weiteren Verhandlungen vor. Eine weitere Vereinbarung wurde aber nicht getroffen, doch gingen die auf Grund der Ausschreibung durchgeführten Ausbauarbeiten in die Erhaltung der S*** G*** über. Die Beklagte hat den von ihr errichteten Gleiskörper einschließlich des Fugenvergusses in der Folge kontrolliert und ausgebessert. Die Kontrolle erfolgte durch sogenannte Streckenbegeher der Beklagten, die die Schienen im gesamten Gleiskörperbereich von Graz in regelmäßigen Abständen von drei bis sechs Tagen abgehen. Von der Beklagten wurden keine genauen Anweisungen erteilt, ab welcher Höhe oder Beschaffenheit Mängel oder sonstige Hindernisse auf oder entlang des Gleiskörpers vom Streckenbegeher zu melden sind, vielmehr obliegt deren Einschätzung dem Streckenbegeher, doch werden beispielsweise auffällige Aufquellungen, wie etwa solche in der von der Klägerin geltend gemachten Höhe, jedenfalls aufgezeichnet und hierauf von Arbeitern der Beklagten beseitigt. Am 30. Juli 1986 hat Johann K*** im Zuge der Streckenbegehung auch den schienengleichen Bahnübergang Posenergasse kontrolliert, da es zu seinen Dienstpflichten gehörte, diesen Streckenabschnitt an jedem dritten Arbeitstag zu begehen und etwaige Mängel festzuhalten. Die wegen der herrschenden großen Hitze vorhandenen Aufquellungen der Verfugungsmasse entlang des Gleiskörpers erschienen ihm nicht weiter bemerkenswert, da sie geringfügig und höchstens ein paar Zentimeter hoch waren. Da die Verfugungsmasse immer weich und plastisch bleibt, verband er mit den Aufquellungen keinerlei Gefährdung für Fußgänger und Benutzer der Gemeindestraße und meldete sie deshalb nicht weiter. Zur Unfallszeit wiesen die Aufquellungen eine von der Gleisoberkante aus gemessene Höhe von ca. 6 cm auf. Die Klägerin stolperte am 2. August 1986 über die Aufquellungen, kam zu Sturz und zog sich Verletzungen zu. Noch vor der schriftlichen Mitteilung über den Unfall der Klägerin an die Beklagte ist der Bahnübergang am 4. August 1986 neuerlich von einem Bediensteten der Beklagten kontrolliert worden. Der hiebei festgesetllte Fugenvergußwulst wurde sofort beseitigt. Arbeiter der Beklagten haben die übergequollene Verfugungsmasse angehackt und weggezogen.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, die Beklagte hafte als Wegehalter gemäß § 1319 a ABGB zwar grundsätzlich für die nicht ordnungsgemäße Wartung des Gleiskörpers, doch könne ihr grobes Verschulden nicht zur Last gelegt werden. Das Berufungsgericht hob das Ersturteil auf Grund der Berufung der Klägerin unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es übernahm die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen, gelangte jedoch zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung. Es führte aus, die Beklagte habe sich anläßlich des Ausbaus des auf ihrem Grund errichteten Schienenübergangs bereitgefunden, insbesondere die Gleis- und Schwellenunterstopfungen und den Fugenverguß auf eigene Kosten durchzuführen und habe ohne ausdrückliche Vereinbarung in faktischer Handhabung seither den Gleiskörper einschließlich des Fugenvergusses kontrolliert und ausgebessert. Zutreffend habe ihr daher das Erstgericht die Haltereigenschaft nach § 1319 a ABGB beigemessen. Sie hafte daher für Vorsatz und grobes Verschulden ihrer Leute. Im vorliegenden Fall sei grobe Fahrlässigkeit anzunehmen, weil die Beklagte trotz positiver Kenntnis (zumindest ihrer Leute) vom gefährlichen Zustand des Bahnübergangs bis zum Unfall nichts unternommen habe, um den Zustand zu beseitigen und Sicherungsmaßnahmen zu treffen. Allerdings treffe auch die Beklagte ein Mitverschulden von 50 %. Da das Erstgericht die Höhe der Ansprüche nicht geklärt habe, sei das Urteil aufzuheben gewesen. Beide Parteien bekämpfen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes mit Rekurs. Die Klägerin wendet sich dagegen, daß ihr ein Mitverschulden angelastet wird, die beklagte Partei strebt die Wiederherstellung des Urteils des Erstgerichtes an. Die Parteien beantragen jeweils, dem Rekurs der Gegenseite nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der beklagten Partei ist berechtigt.
Die beklagte Partei wendet sich gegen die Annahme, sie sei Wegehalter im Sinne des § 1319 a ABGB. Dazu ist folgendes zu erwägen:
Halter eines Weges im Sinne des § 1319 a ABGB ist derjenige, der die Kosten für die Errichtung und Erhaltung des Weges trägt und die Verfügungsmacht hat, die entsprechenden Maßnahmen zu setzen (SZ 51/129, SZ 52/135, SZ 54/21, SZ 54/92, ZVR 1986/171 uva); dem Eigentum kommt keine entscheidende Bedeutung zu (Koziol2 II 198, Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 8 zu § 1319 a). Daß die S*** G*** Halter der Posenergasse ist, kann nicht zweifelhaft sein. Bei Beurteilung der Frage, ob dies auch für die Stelle dieser Gasse zutrifft, an der diese von den Gleisen der Straßenbahn gequert wird, ist davon auszugehen, daß die S*** G*** die Finanzierung des Ausbaus des Bahnüberganges übernommen hat und die durchgeführten Arbeiten in die Erhaltung der S*** G*** übergingen. Die S*** G*** trägt daher die Kosten der Errichtung und Erhaltung und hat auch die Verfügungsmacht. Die beklagte Partei hat sich zwar anläßlich des Ausbaus bereit erklärt, die Gleis- und Schwellenunterstopfung sowie den nach der Verlegung der Platten erforderlichen Fugenverguß auf eigene Kosten durchzuführen, und hat ohne ausdrückliche Vereinbarung seither den Gleiskörper einschließlich des Fugenvergusses kontrolliert und ausgebessert. Dadurch wurde sie aber nicht Wegehalter. Der Gleiskörper einer Eisenbahn ist kein Weg im Sinne des § 1319 a ABGB, da die hiefür im Absatz 2 dieser Bestimmung geforderte Benützungsmöglichkeit durch jedermann fehlt. Bei der Stelle, an der der Gleiskörper einen Weg kreuzt, handelt es sich zwar um einen Weg, dessen Halter im vorliegenden Fall aber nicht der Betriebsunternehmer der Bahn ist, sondern die S*** G***, die auch Halter der übrigen Teile der Posenergasse ist.
Der Umstand, daß die beklagte Partei die Kosten der Gleis- und Schwellenunterstopfungen und den Fugenverguß trug und die Gleise kontrolliert, führt nicht dazu, daß für diesen eng begrenzten Raum nicht die S*** G***, sondern die beklagte Partei als Halter anzusehen wäre. Der Oberste Gerichtshof gelangte auch zu 8 Ob 35/77 und 8 Ob 287/79 zu dem Ergebnis, der Kreuzungsbereich mit einem schienengleichen Bahnübergang sei ein Teil der Straße, die Haftung treffe den Straßenhalter. Entgegen der von der Klägerin vertretene Ansicht reichen die vom Erstgericht getroffenen, vom Berufungsgericht ausdrücklich übernommenen Festellungen zur Beurteilung der Frage, wer Halter des Weges ist, aus. Da die beklagte Partei nicht im Sinne des § 1319 a Abs 1 ABGB zu den Leuten der S*** G*** gehört (Koziol2 II 203; SZ 52/33 ua), ist die Vorschrift des § 1319 a ABGB auf sie nach ständiger Rechtsprechung nicht anwendbar. Diese von Koziol2 II 203 ff geteilte Ansicht wird von einem Teil der Lehre zwar abgelehnt, doch bieten dessen Ausführungen keinen Anlaß, von der ständigen Rechtsprechung abzugehen (2 Ob 160/88). Die Nichtanwendbarkeit des § 1319 a ABGB führt einerseits dazu, daß der beklagten Partei das Haftungsprivileg dieser Bestimmung, nur für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit einstehen zu müssen, nicht zugute kommt, andererseits kann aber auch die in § 1319 a Abs 1 ABGB normierte "Leutehaftung" keine Anwendung finden. Die beklagte Partei haftet daher für Gehilfen gemäß den §§ 1313 a und 1315 ABGB, sie haftet darüber hinaus für das Verschulden ihrer Organe (vgl. Koziol2 II 375 ff, Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 10 zu § 1313). Eine Haftung nach § 1313 a ABGB kommt im vorliegenden Fall mangels eines zwischen den Parteien bestehenden Schuldverhältnisses nicht in Betracht. Dafür, daß der Dienstnehmer der beklagten Partei, dem die Kontrolle der Gleisanlagen obliegt, im Sinne des § 1315 ABGB untüchtig oder gefährlich ist, besteht kein Anhaltspunkt. Eine Haftung der Organe der beklagten Partei käme bei einem Organisationsverschulden in Betracht, doch kann ein solches hier nicht angenommen werden. Der Auftrag, die Gleisanlage jeden dritten Arbeitstag zu begehen, um etwaige Mängel festzustellen, muß wohl als ausreichend angesehen werden. Der Dienstnehmer selbst, der die Gleise zu kontrollieren hatte, ist kein Organ der beklagten Partei, für dessen Verschulden diese einzustehen hätte. Der Umstand, daß dieser Dienstnehmer den beim Kontrollgang wahrgenommenen Wulst nicht meldete und nicht für dessen Beseitigung sorgte, vermag daher eine Haftung der beklagten Partei nicht zu begründen.
Da somit die beklagte Partei für den Schaden der Klägerin nicht haftet, ist die Sache im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens spruchreif. Es war daher dem Rekurs der beklagten Partei Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen (§ 519 Abs 2 letzter Satz ZPO), ohne daß es erforderlich gewesen wäre, auf den Rekurs der Klägerin einzugehen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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