OGH 5Ob512/89

OGH5Ob512/8921.2.1989

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik, Dr. Zehetner, Dr. Klinger und Dr. Schwarz als Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kinder Beatrix J***, geboren am 5. April 1978, und Iris J***, geboren am 30. September 1979, infolge der Revisionsrekurse der Mutter Irene S***-W***, geschiedene J***, Wien 5.,

Starkgasse 10/5, und des Vaters Ferdinand J***, Wien 11., Sedlitzkygasse 45/15, vertreten durch DDr. Elisabeth Steiner, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien als Rekursgerichtes vom 23. Dezember 1988, GZ 22 R 45/88-17, womit der Beschluß des Jugendgerichtshofes Wien vom 8. August 1988, GZ 13 P 68/88-9, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Beide Revisionsrekurse werden zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern der mj. Kinder Beatrix J***, geboren am 5. April 1978, und Iris J***, geboren am 30. September 1979, wurde am 13. April 1984 gemäß § 55 a EheG geschieden. Die im Scheidungsvergleich vom selben Tag enthaltene Vereinbarung der Eltern, daß alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und minderjährigen Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten bezüglich ihrer Kinder allein dem Vater zustehen sollen, wurde am 4. April 1984 pflegschaftsgerichtlich genehmigt. Die Kinder lebten beim Vater und dessen Mutter Josefa J***, geboren am 7. Jänner 1907, die im Dezember 1987 einen Oberschenkelhalsbruch erlitten hat und auch jetzt nur schlecht gehen kann.

Am 19. April 1988 stellte das Bezirksjugendamt für den

11. Wiener Gemeindebezirk beim Erstgericht den Antrag, hinsichtlich der beiden Kinder gemäß § 26 Abs. 3 JWG die gerichtliche Erziehungshilfe und die Unterbringung in einem Heim anzuordnen (ON 1). Der Vater sprach sich gegen den Antrag aus (ON 2). Die Mutter äußerte sich schließlich dahin, daß sie derzeit keinen Anlaß für eine Heimunterbringung der Kinder sehe, ansonsten aber mit der gerichtlichen Erziehungshilfe einverstanden wäre (ON 3).

Das Erstgericht gab dem Antrag statt. Es führte aus:

Das Bezirksjugendamt begründete seinen Antrag im wesentlichen wie folgt: Die beiden Kinder lebten seit 1982 bei ihrem Vater und der Großmutter väterlicherseits. Im Dezember 1985 habe der Vater eine Gehirnblutung erlitten, wodurch seine erzieherische Belastbarkeit abgenommen habe und eine Persönlichkeitsveränderung erfolgt sei. Die Großmutter sei infolge eigener Gebrechlichkeit auch nicht in der Lage, ihn bei der Erziehungstätigkeit zu entlasten. Zudem werde sie von den beiden Mädchen nicht als Erziehungsperson anerkannt. Die Mutter der beiden Kinder halte selten Kontakt mit ihren Töchtern und kümmere sich kaum noch um sie. Nach den Angaben des Kindestagesheims der Stadt Wien, Wien 11., Sedlitzkygasse 28, machten beide Mädchen einen leicht verwahrlosten und überdies unterernährten Eindruck. Im psychologischen Gutachten des Jugendamtes würden beide Kinder als defizitär belastete, psychisch unausgeglichene, in eine Phantasiewelt flüchtende Mädchen beschrieben, die durch den fehlenden emotionalen Rückhalt in ihrer Weiterentwicklung gefährdet erschienen. Zudem dürften die beiden Kinder mit der Sexualität des Vaters konfrontiert werden. Die Schulleistungen der beiden Kinder seien überdies in diesem Schuljahr auffallend gesunken, sodaß ein positiver Abschluß zweifelhaft erscheine. Aufgrund der krankheitsbedingten Erziehungsunfähigkeit des Vaters und dessen eigener Problematik sei eine Fremdunterbringung der beiden Kinder zu befürworten. Die Erhebungen der Wiener Jugendgerichtshilfe ergaben im wesentlichen die Richtigkeit der Angaben des Bezirksjugendamtes. Demnach hat sich die familiäre Situation zusehends verschlechtert. Die Mutter ist nicht bereit, die beiden Kinder in Pflege zu übernehmen, und stimmt lediglich einer Internatsunterbringung zu. Diese wird aber als nicht günstig erachtet, weil eine Beobachtung der weiteren Entwicklung der Kinder notwendig ist. Es bestehen zwar gute emotionelle Bindungen zum Vater, zur Großmutter und auch zur Mutter; trotz bestmöglichen Bemühens des Vaters und der Großmutter sind jedoch sowohl die pflegerischen Belange als auch die Beaufsichtigung, Führung und Förderung der beiden Kinder zu Hause zunehmend nicht mehr gewährleistet. Zudem entgleiten die Mädchen mehr und mehr der Beaufsichtigung durch die Familie, verbringen viel Zeit unbeaufsichtig außer Haus, vorzugsweise im nahegelegenen Park. Durch ihr Verhalten Zuwendung auch bei Fremden zu suchen, scheinen die beiden Kinder massiv gefährdet. Aus diesen Gründen befürwortete die Wiener Jugendgerichtshilfe die Heimunterbringung der Kinder im Rahmen der gerichtlichen Erziehungshilfe, um ihnen den Rückhalt von stabilen, klaren Erziehungsrichtlinien zu bieten, die sie zum erfolgreichen Bewältigen der vor ihnen liegenden Entwicklungsphasen der Vorpubertät und Pubertät dringend brauchen.

Es sei daher im Interesse des Kindeswohls dem Antrag des Bezirksjugendamtes stattzugeben gewesen.

Gegen den erstgerichtlichen Beschluß erhob der Vater Rekurs mit der Begründung, er sei bei bester Gesundheit, seine Mutter (also die Großmutter der Kinder) sei für ihr Alter äußerst rüstig und es bestehe kein wie immer gearteter Anlaß, die Kinder in einem Heim unterzubringen. Wenn im erstgerichtlichen Beschluß ausgeführt worden sei, daß die Schulleistungen der beiden Kinder nachgelassen hätten, so sei dies keinesfalls richtig; Beatrix habe nach dem vorgewiesenen Zeugnis aus dem Schuljahr 1987/88 einen Einser, drei Zweier, zwei Dreier und zwei Vierer, Iris vier Einser, zwei Zweier, zwei Dreier und überhaupt keinen Vierer gehabt.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters aus nachstehenden Erwägungen nicht Folge:

Gerichtliche Erziehungshilfe sei anzuordnen, wenn es einem Kind an der nötigen Erziehung fehle. Sie umfasse alle Maßnahmen, die dem Ziel einer sachgemäßen und verantwortungsbewußten Erziehung dienen (§ 9 JWG). Im vorliegenden Fall komme es vor allem darauf an, ob die vom Erstgericht bereits festgestellte Persönlichkeitsveränderung des Vaters eine Abnahme der Kinder rechtfertige. Daß der Vater im Jahre 1984 einen Schlaganfall und eine Gehirnblutung erlitten habe, habe er selbst zugegeben; stets habe er jedoch darauf verwiesen, daß er nunmehr wieder völlig gesund sei, weshalb er keine ärztliche Hilfe benötige. Schon die Gutachten der Psychologin Dr. S*** vom Jugendamt, verfaßt am 7. März 1988 und am 20. Juli 1988, enthielten hinreichende Unterlagen dafür, daß der Vater durch die Erziehung seiner beiden Töchter aufgrund seiner abartigen Persönlichkeit völlig überfordert sei. So gehe der Vater auch an der Tatsache vorbei, daß wegen seiner Krankheit die beiden Töchter im Mai 1987 und auch im November 1987 kurzfristig in einem Heim untergebracht hätten werden müssen. Der Vater sei nämlich - obwohl er es nie eingesehen habe und auch jetzt nicht einsehen wolle, was durchaus zum Krankheitsbild gehöre - ein konfuser, in einer Traumwelt lebender Mann, der nach dem Scheitern seiner zahlreichen Ehen sich massiv an seine beiden Töchter klammere, da die übrigen Kinder längst außer Haus seien. Auch die Jugendgerichtshilfe erwähne deutlich Krankheitszeichen beim Vater, darunter auch eine Störung des Gleichgewichtssinnes und Sehstörungen. Es liege auf der Hand, daß eine 81jährige Großmutter und ein persönlichkeitsveränderter Vater durch die Erziehung zweier Mädchen, die 9 und 10 Jahre alt seien, völlig überfordert seien. Die Kinder manipulierten ihren Vater und umgingen dessen Anordnungen auf die unterschiedlichste Weise. Sie gerieten deshalb in eine zunehmende Entwicklungsgefährdung, die sich unter anderem auch in einer unerlaubten Abwesenheit von der Wohnung des Vaters äußere. In das Bild des erziehungsuntüchtigen Vaters passe auch der Bericht des Jugendamtes vom 6. Dezember 1988, welcher die nunmehr eingetretene Zahlungsunfähigkeit des Vaters und dessen fortgeschrittene Krankheit behandle. Da die vom Vater stets in Aussicht gestellte Gesundung nicht eingetreten sei und es somit beiden Kindern an einem unbedingt nötigen Rückhalt sowie am Einhalten von Regeln und von vorgegebenen Normen fehle, erscheine zum Wohl der Kinder die vom Erstgericht angeordnete Maßnahme zweckentsprechend und zielführend. Es sei nämlich stets nur auf das Kindeswohl Bedacht zu nehmen und das Pflegschaftsgericht habe alle zur Sicherung dieses Kindeswohls nötigen Verfügungen zu treffen, wenn die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des mj. Kindes gefährden. Der Begriff des Kindeswohls sei zwar im Gesetz nicht genau definiert, doch werde in allen Gesetzesstellen auf eine Rücksichtnahme auf die Persönlichkeit des Kindes und dessen Bedürfnisse unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Lebensverhältnisse der Eltern hingewiesen (vgl. § 137 Abs. 1, § 145 Abs. 1, §§ 147, 148, 176 Abs. 1, §§ 177, 178 Abs. 2 ABGB). Der aus allen Berichten sich ergebenden zunehmenden Entwicklungsgefährdung beider Kinder, die durch ambulante Stützung und Kontrolle nun sicher nicht mehr beseitigt werden könne, könne nur durch die vom Erstgericht angeordnete Maßnahme begegnet werden. Gegen die bestätigende Entscheidung des Rekursgerichtes richten sich die Revisionsrekurse der Mutter und des Vaters der Kinder.

Rechtliche Beurteilung

Beide Revisionsrekurse sind unzulässig.

1.) Zum Revisionsrekurs der Mutter:

Die Mutter ist zur Erhebung des Revisionsrekurses schon deshalb nicht legitimiert, weil ihr in Ansehung der Kinder ein Erziehungsrecht nach bürgerlichem Recht nicht zusteht (§ 177 Abs. 1 ABGB; § 34 Abs. 3 und 4 in Verbindung mit § 39 JWG; vgl. MGA AußStrG 1956, 484, Anm. 1 lit. b zu § 39 JWG sowie 2 Ob 177/67, teilweise veröffentlicht in EFSlg. 7989). Die Rechtsmittellegitimation der Mutter kann auch nicht etwa aus § 178 Abs. 1 ABGB abgeleitet werden (vgl. Pichler in Rummel, ABGB, Rz 5 zu § 178; 7 Ob 680/88 ua).

2.) Zum Revisionsrekurs des Vaters:

Der Vater stützt seinen gemäß § 16 AußStrG erhobenen Revisionsrekurs auf die Beschwerdegründe der Nullität (Nichtigkeit) und der offenbaren Gesetzwidrigkeit. Er macht zusammengefaßt geltend: Es sei ihm keine Gelegenheit gegeben worden, sich als Partei zum Verfahrensthema zu äußern. Die Feststellungen seien ohne unmittelbare Beweisaufnahme lediglich aufgrund eines mittelbaren Verfahrens getroffen worden. Die Vorinstanzen hätten es insbesondere unterlassen, eingehendere Feststellungen über seinen körperlichen und geistigen Zustand zu treffen und zu diesem Zweck vorher ein medizinisches und psychologisches Gutachten einzuholen. Mit diesen Ausführungen wird das Vorliegen der genannten Beschwerdegründe nicht dargetan. Der sinngemäß auch im Verfahren außer Streitsachen geltende Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs. 1 Z 4 ZPO ist nur dann verwirklicht, wenn die Partei vom Verfahren völlig ausgeschlossen war. Hier wurde der Vater aber, wenn auch bloß kurz, zum Antrag des Bezirksjugendamtes gehört; er hatte auch noch im Rekurs gegen den erstgerichtlichen Beschluß Gelegenheit, zu den Verfahrensergebnissen Stellung zu nehmen (vgl. EFSlg. 34.821, 49.984, 52.797 ua). Der Grundsatz der Unmittelbarkeit gilt im außerstreitigen Verfahren nicht (SZ 47/35 uva, zuletzt etwa 1 Ob 660/88). Die Unterlassung der Einholung eines medizinischen und psychologischen Gutachtens über den körperlichen und geistigen Gesundheitszustand des Vaters könnte angesichts der vorhandenen Beweisergebnisse nur einen Verfahrensmangel bilden, dem das Gewicht einer Nullität nicht zukommt und der daher im Rahmen des § 16 AußStrG nicht geltend gemacht werden kann. Fragen der Beweiswürdigung können an den Obersten Gerichtshof nicht herangetragen werden. Die Beantwortung der Rechtsfrage, ob der festgestellte Sachverhalt die Anordnung der gerichtlichen Erziehungshilfe rechtfertigt, ist eine Ermessensentscheidung, die vom Obersten Gerichtshof aufgrund eines außerordentlichen Revisionsrekurses - sofern kein Ermessensmißbrauch vorliegt - unter dem Gesichtspunkt der offenbaren Gesetzwidrigkeit nicht überprüft werden kann (EFSlg. 49.971, 52.791 uva, zuletzt etwa 5 Ob 614/88). Von einem solchen Ermessensmißbrauch kann hier aber angesichts der Verfahrensergebnisse und vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen keine Rede sein.

Es waren daher beide Revisionsrekurse zurückzuweisen.

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