OGH 5Ob614/88

OGH5Ob614/8811.10.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Dr. Klinger, Dr. Petrag und Dr. Schwarz als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder Gabriele R***, geboren am 1. März 1976, Anita R***, geboren am 28. Mai 1977, Claudia R***,

geboren am 15. November 1978, und Sandra R***, geboren am 21. April 1981, alle Schüler und zur Zeit im SOS-Kinderdorf in Debant, 9900 Lienz, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Hartberg, Rochusplatz 2, 8230 Hartberg, als gesetzlicher Amtskurator nach § 21 JWG, infolge Revisionsrekurses der Eltern Ewald R***, Hilfsarbeiter, und Maria R***, Hausgehilfin,

beide 8224 Kaindorf bei Hartberg 106, und vertreten durch Dr. Otmar Franiek, Rechtsanwalt in Graz, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgerichtes vom 24. August 1988, GZ 1 R 349/88-54, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Hartberg vom 8. August 1988, GZ 1 P 209/82-51, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Nach wiederholten erfolglos gebliebenen Versuchen, die Eltern zur Ausübung ihrer elterlichen Pflichten zur Pflege und Erziehung der Kinder und zur Beseitigung der bereits im Jahr 1982 an das Pflegschaftsgericht herangetragenen Mißstände vor allem in der Wohnsituation anzuhalten, ordnete das Erstgericht am 17. November 1986 gegen den Willen der erziehungsberechtigten Eltern die gerichtliche Erziehungshilfe an, weil bei allen vier Kindern eine Verwahrlosung infolge der unzulänglichen Erziehung vorlag und die Eltern ihr Versprechen, für Abhilfe der desolaten Wohnungsverhältnisse zu sorgen, nicht einlösten, in der nur aus einer Küche und einem Schlafzimmer bestehenden Wohnung vor den vier Mädchen ihre ehelichen, auf Alkoholmißbrauch und Beziehungen der Frau zu einem anderen Mann zurückzuführenden Streitigkeiten austrugen und die Mutter zuletzt die Kinder im Stich gelassen hatte. Die Kinder wurden zunächst seit dem 30. September 1986 in der heilpädagogischen Abteilung des Landeskrankenhauses Klagenfurt aufgenommen und dann ab dem 21. November 1986 im SOS-Kinderdorf in Lienz/Debant untergebracht.

Der Rekurs der Eltern gegen die Anordnung der gerichtlichen Erziehungshilfe blieb erfolglos; ihr Antrag auf Aufhebung der gerichtlichen Erziehungshilfe wurde mit Beschluß des Erstgerichtes vom 21. September 1987 abgewiesen. Diesen Beschluß hat das Rekursgericht bestätigt.

Am 6. Mai 1988 überreichten die Eltern ihren neuerlichen Antrag auf Aufhebung der Erziehungshilfe und führten aus, sie hätten nun alle Voraussetzungen für eine geordnete Unterbringung und Betreuung ihrer vier Kinder geschaffen.

Das Erstgericht wies auch diesen Antrag ab. Es stellte auf Grund der umfassenden, auch die persönliche Befragung der Kinder und die Erhebung der Wohnverhältnisse einschließenden Ermittlungen im wesentlichen fest, daß die Kinder in der neuen Umgebung gut betreut werden und wesentliche Fortschritte in der Behebung der Verwahrlosung erzielt wurden. Anita besuchte im Schuljahr 1987/1988 die vierte Klasse der Sonderschule, Claudia die dritte Klasse der Sonderschule und Sandra die Vorschulklasse. Das älteste Kind Gabriele besuchte mit Erfolg die zweite Hauptschulklasse. Die Eltern haben sich kurz nach der Unterbringung der Kinder in fremder Pflege versöhnt, sie sprechen nicht mehr dem Alkohol zu und sind berufstätig. Die Mutter hat ihre Beziehungen zu dem anderen Mann beendet. Die Eltern haben in ihrem Haus im Dachgeschoß zwei Räume für die Kinder ausgebaut, die Arbeiten im Erdgeschoß sind noch nicht abgeschlossen, das Haus macht einen desolaten Eindruck, weil der Außenputz fehlt.

Die Eltern versuchen, auf die Kinder Einfluß zu nehmen und sie dazu zu bewegen, in die elterliche Pflege zurückkehren zu wollen, doch ziehen die drei älteren Kinder den Verbleib in den geordneten Verhältnissen im Kinderdorf vor; nur das jüngste Kind Sandra möchte zum Vater zurück.

Auf Grund dieser Feststellungen war das Erstgericht der Ansicht, daß der Zweck der Erziehungshilfe durch Rückführung zu den Eltern nicht erreicht werden könne, weil bei Anerkennung der Bemühungen der Eltern, ihre persönlichen Verhältnisse zu bessern und ihr Haus für die Aufnahme der Kinder vorzubereiten, doch ungewiß bleibe, ob die Eltern in der Lage seien, den Kindern die benötigte dauerhafte Obsorge zu bieten. Eine Trennung der Schwestern sei abzulehnen. Das Wohl der Kinder erfordere, daß sie in der Umgebung bleiben, in der sie mit Sicherheit eine gedeihliche Entwicklung erleben können.

Rechtliche Beurteilung

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Eltern nicht Folge. Es komme allein auf das Wohl der Kinder an. Die Eltern seien anerkennenswert bemüht, ihre Wohnung zu verbessern und die früheren Unzukömmlichkeiten zu vermeiden, könnten aber keine Gewähr für eine ordnungsgemäße Pflege und Erziehung der Kinder bieten. Eine Rückführung sei gegenwärtig nicht zu verantworten, weil die Verwahrlosungserscheinungen noch nicht voll behoben seien und im Familienverband ein neuerliches Abgleiten zu besorgen sei. Es fehle daher an der Voraussetzung zur Aufhebung der Erziehungshilfe. Gegen den bestätigenden Beschluß des Rekursgerichtes wendet sich der Revisionsrekurs der Eltern, die auf Aufhebung der Erziehungshilfe dringen. Sie erkennen richtig, daß nach § 16 Abs 1 AußStrG eine Anfechtung des rekursgerichtlichen Beschlusses nur aus den Gründen der offenbaren Gesetz- oder Aktenwidrigkeit oder einer unterlaufenen Nichtigkeit stattfindet. Diese Rechtsmittelgründe liegen aber entgegen ihren Ausführungen im Rechtsmittel nicht vor.

Eine Nichtigkeit wird weder behauptet, noch ist eine solche erkennbar. Die Revisionsrekurswerber meinen, es liege eine offenbare Gesetz- und Aktenwidrigkeit vor. Ihre umfassenden Ausführungen lassen sich dahin zusammenfassen, daß sie meinen, Eltern hätten das erste Recht auf Erziehung ihrer Kinder und es sei daher bereits offenbar gesetzwidrig, ihnen dieses Recht zu entziehen. Im übrigen wenden sie sich vor allem gegen die Würdigung der vom Erstgericht als Entscheidungsgrundlage verwendeten Beweisergebnisse und sie vermissen eine nähere Auseinandersetzung des Rekursgerichtes mit ihren im Rekurs vorgetragenen Rügen.

Offenbare Gesetzwidrigkeit ist nur gegeben, wenn die Entscheidung einer klar ausgedrückten Absicht des Gesetzgebers widerspricht, ohne gesetzliche Grundlage ergangen ist oder Grundprinzipien des Rechts verletzt, etwa das Kindeswohl gänzlich außer Acht gelassen wurde (EFSlg 52.757 ff uva). So wurde vom Obersten Gerichtshof schon wiederholt erkannt, daß die Anordnung oder Aufrechterhaltung der gerichtlichen Erziehungshilfe als eine dem Ermessensbereich zugehörige Entscheidung nur dann unter dem Gesichtspunkt der offenbaren Gesetzwidrigkeit überprüft werden kann, wenn ein Ermessensmißbrauch vorliegt. Davon kann aber keine Rede sein. Ob der festgestellte Sachverhalt die Aufrechterhaltung der gerichtlichen Erziehungshilfe rechtfertigt, ist eine Ermessensentscheidung, bei der das Wohl der Kinder im Vordergrund steht und das anzuerkennende Recht der Eltern zur Erziehung des Kindes zurückzutreten hat, wenn der Erziehungsnotstand noch nicht beseitigt ist (EFSlg 52.792; ÖA 1988, 84 ua). Es reicht nun zwar nicht aus, die Aufhebung der gerichtlichen Erziehungshilfe zu verweigern, weil die Betreuung in einer anderen Umgebung besser wäre als bei den leiblichen Eltern. Es gehört aber dem Ermessensbereich an, wenn die Vorinstanzen wegen der groben Pflichtverletzung durch die Eltern, die zur Gewährung der gerichtlichen Erziehungshilfe führte, meinten, es sei ungeachtet einer augenscheinlichen Bereitschaft der Eltern, den mit der Erziehungsgewalt verbundenen Pflichten nun nachzukommen, eine dauerhafte ausreichende Förderung der durch die Zustände im Elternhaus geschädigten Kinder, und dazu gehört auch die Unterstützung in schulischen Belangen und die verantwortungsbewußte Erziehung, nicht gesichert, so daß die Erreichung des Zweckes der Erziehungshilfe durch Überlassung in die elterliche Pflege und Betreuung noch nicht gewährleistet werde. Der nicht auf einen der allein zulässigen gesetzlichen Rechtsmittelgründe gestützte Revisionsrekurs der Eltern muß daher zurückgewiesen werden.

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