OGH 5Ob507/89

OGH5Ob507/897.2.1989

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik, Dr. Zehetner, Dr. Maier und Dr. Schwarz als weitere Richter in der Pflegschaftssache des Christoph M***, geboren am 15. November 1968, Schüler, 1220 Wien, Guido Lammagasse 5/6, infolge Revisionsrekurses des Christoph M*** und seiner Mutter Renate M***, Angestellte, 1225 Wien, Guido Lammagasse 5/6, beide vertreten durch Dr. Hans Schönherr, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 22. Dezember 1988, GZ 43 R 770/88-69, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 24.August 1988, GZ 17 P 367/87-63, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs der Renate M*** wird zurückgewiesen. Hingegen wird dem Revisionsrekurs des Christoph M*** Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Nach Scheidung der Eltern des Christoph M*** wurden die elterlichen Rechte der Mutter Renate M*** (§ 144 ABGB) übertragen.

Mit Schriftsatz vom 12.6.1987 begehrte der damals noch minderjährige und durch seine Mutter Renate M*** vertretene Christoph M***, seinen Vater Ing. Ernst M*** ab 1.7.1987 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 6.500,- zu verpflichten. Christoph M*** habe sein Dienstverhältnis gelöst, weil sein Studium an der Wiener Kunstschule mit Öffentlichkeitsrecht in Wien 9, Abteilung freie und angewandte Malerei, zu anstregend sei, um daneben einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Talent und Fleiß ließen einen erfolgreichen Abschluß dieser Schule erwarten (ON 37). In der Folge dehnte Christoph M*** sein Unterhaltsbegehren auf S 8.000,- pro Monat aus (ON 39) und schränkte es zuletzt wieder auf S 6.500,- pro Monat (ON 57) ein, jeweils ab 1.7.1987. Der Vater des Christoph M*** beantragte die Abweisung des Unterhaltsantrages mit der Begründung, sein Sohn Christoph habe die Lehrausbildung zum Großhandelskaufmann erfolgreich abgeschlossen und sei bereits in das Angestelltenverhältnis übernommen gewesen. Nach Abschluß dieser Berufsausbildung sei daher die Selbsterhaltungsfähigkeit seines Sohnes eingetreten, so daß dieser die zur Deckung seines Unterhaltes notwendigen Mittel selbst zu erwerben habe. Durch den Besuch der Kunstschule ginge Christoph M*** lediglich seinen Hobbies nach (ON 42).

Das Erstgericht wies den Unterhaltsfestsetzungsantrag ab. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Christoph M*** erlernte den Beruf eines Großhandelskaufmannes und wurde nach Abschluß seiner Ausbildung durch die im April 1987 abgelegte Lehrabschlußprüfung in das Angestelltenverhältnis übernommen. Sein durchschnittliches Monatsnettoeinkommen betrug S 9.400,-. Wegen seiner Liebe zur Malerei besuchte Christoph M*** neben seiner Tätigkeit als Großhandelskaufmann die Kunstschule für angewandte Malerei Wien 9 durch zwei Semester. Da er sich nunmehr zur Gänze der Malerei widmen möchte, gab er per 30.6.1987 seinen Beruf als Großhandelskaufmann auf und ist nur noch mit dem Studium an dieser Kunstschule beschäftigt. Sein Vater Ernst M***, der noch für die mj. Marion M*** (geboren 1971) eine monatliche Unterhaltszahlung von S 6.000,- zu erbringen hat, verdient als Produktmanager monatlich durchschnittlich S 34.500,-. Die Mutter des Christoph M*** verdient als Angestellte monatlich ca. S 25.000,-.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß Christoph M*** durch den erfolgreichen Abschluß der Lehre als Großhandelskaufmann seine Selbsterhaltungsfähigkeit erlangt habe. Er habe auch gezeigt, daß es ihm möglich sei, neben der Ausübung dieser Berufstätigkeit einen Mal- und Zeichenkurs an der Wiener Kunstschule zu besuchen. Es sei zwar richtig, daß ein Abendstudium an der Wiener Kunstschule neben einer Berufstätigkeit anstrengend sei. Es dürfe aber nicht übersehen werden, daß es sich dabei um eine Ausbildung handle, welche selbst nach erfolgreichem Abschluß keineswegs ein regelmäßiges Einkommen als freischaffender Künstler sichere. Ein solcher müsse vor allem am Beginn seiner Karriere einer Beschäftigung nachgehen, die regelmäßige Einkünfte bringe und damit den Lebensunterhalt sichere. Da die Wiener Kunstschule auch von Berufstätigen im Rahmen von Abendkursen absolviert werde, könne von Christoph M*** ohne weiteres verlangt werden, dieses Studium auch weiterhin neben seinem Beruf als Großhandelskaufmann auszuüben.

Der Rekurs des Christoph M*** gegen diesen Beschluß blieb erfolglos. Das Rekursgericht verneinte unter eingehender Berücksichtigung der österreichischen und deutschen Rechtsprechung sowie der Lehre den geltend gemachten Unterhaltsanspruch mit der Begründung, Christoph M*** müsse wegen Abschlusses der durch die bisherige Schulbildung und Erziehung vorbereiteten Berufsausbildung als selbsterhaltungsfähig angesehen werden. Der Unterhaltsanspruch erlösche jedenfalls dann, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Kind die Ausübung eines erlernten Berufes ermöglichten. Habe nach abgeschlossener Berufsausbildung der Eintritt in das Berufsleben stattgefunden, so schlösse dies eine Zweitausbildung durch den Unterhaltspflichtigen aus. Ausnahmen kämen - entsprechend der Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland - nur dann in Betracht, wenn sich später die Notwendigkeit eines Berufswechsels herausstelle oder weil der zunächst erlernte Beruf aus Gründen, die bei Beginn der Ausbildung nicht vorhersehbar waren, keine ausreichende Lebensgrundlage biete oder sich herausstelle, daß die erste Ausbildung auf einer deutlichen Fehleinschätzung beruhe oder das Kind von den Eltern in einen unbefriedigenden, seiner Begabung nicht hinreichend Rechnung tragenden Beruf gedrängt worden wäre. Bedeutsam sei auch die in der deutschen Lehre vertretene Meinung, Eltern dürften nicht auf unabsehbare Zeit immer wieder unverhofft mit Unterhaltsansprüchen ihrer erwachsenen Kinder konfrontiert werden, um jede neue Ausbildung zu finanzieren, zu der das Kind plötzlich eine Neigung oder Eignung vorbringt. Die Eltern dürften vielmehr von der Endgültigkeit des beruflichen Weges ihrer Kinder ausgehen und ihre Dispositionen demgemäß einrichten. Hätte Christoph M***, wie er nun behauptet, schon während seiner Lehrzeit die Überzeugung gewonnen, daß er den Beruf eines Großhandelskaufmannes nicht hätte wählen sollen, so hätte er dies damals zum Ausdruck bringen müssen. Dem Vater, dem kein Einfluß auf die Pflege und Erziehung sowie auf die Berufswahl zustand, könne eine derartige Unterlassung nun nicht erfolgreich vorgehalten werden. Gegen diesen Beschluß richten sich die Revisionsrekurse des Christoph M*** und seiner Mutter Renate M*** mit dem Antrag, ihn im Sinne der Zuerkennung eines monatlichen Unterhaltes von S 6.500,- ab 1.7.1987 abzuändern.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Christoph M*** ist berechtigt, derjenige seiner Mutter unzulässig.

a) Zum Revisionsrekurs der Renate M***:

Da Christoph M*** in der Zwischenzeit volljährig geworden ist, steht ein Rechtsmittelrecht gegen Beschlüsse, die seine Unterhaltsansprüche betreffen, auch wenn sie die Zeit seiner Minderjährigkeit betreffen, nur ihm selbst zu. Seiner Mutter Renate M*** steht kein Rechtsmittelrecht zu. Eine Umdeutung ihres Einschreitens als Vertreterin des Christoph M*** ist nicht angebracht, weil dieser selbst - vertreten durch den selben Rechtsanwalt wie die Mutter - einen Revisionsrekurs erhob. Der Revisionsrekurs der Renate M*** war daher als unzulässig zurückzuweisen.

b) Zum Revisionsrekurs des Christoph M***:

§ 14 Abs 2 AußStrG steht der Zulässigkeit des Revisionsrekurses nicht entgegen, weil nach neuerer und bereits ständig gewordener Rechtsprechung eine Bemessungsfrage auch dann nicht vorliegt, wenn das Problem der Berufswahl bloß als Vorfrage des - sei es im Verfahren außer Streitsachen, sei es im Streitverfahren - gestellten Unterhaltsbegehrens zu entscheiden ist (EvBl 1966/395; SZ 42/9; 1 Ob 663/76 = RZ 1977/63; 5 Ob 663/78 = EFSlg 32.564; 2 Ob 607/86 = EFSlg 52.724; 2 Ob 503/87; 2 Ob 509/88; 1 Ob 661/88). Der Rechtsmittelwerber verweist im Revisionsrekurs zwar unzulässigerweise größtenteils nur pauschal auf den Inhalt anderer Schriftsätze. Dadurch wird der außerordentliche Revisionsrekurs nicht dem Gesetze gemäß ausgeführt. Allerdings weist Christoph M*** auch darauf hin, daß es sich das Rekursgericht bei seiner Ermessensentscheidung insofern zu leicht gemacht habe, wenn es etwa die Verantwortung für die Berufswahl, welche ab dem 11.Lebensjahr getroffen wurde, in den Bereich der Mutter "geschoben" hat. In dieser Ausführung ist erkennbar, daß Christoph M*** offenbare Gesetzwidrigkeit geltend macht. Offenbare Gesetzwidrigkeit kann bei einer Ermessensentscheidung dann vorliegen, wenn nicht alle nach dem Gesetz zwingend vorgeschriebenen Kriterien in die Ermessensübung einbezogen wurden (MGA AußStrG2 § 16/E 24).

§ 140 Abs 1 ABGB schreibt vor, daß die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen haben. Diese Kriterien sind auch maßgebend für die Beurteilung, ob ein bereits selbsterhaltungsfähiges Kind gegen den Willen seines Vaters Anspruch auf eine zusätzliche Ausbildung hat, die diesen zu weiteren Unterhaltsleistungen nötigt; so kann selbst bei Anlegung des hiefür geforderten strengeren Maßstabes (als bei Entscheidung über die erste Berufswahl) es den Anlagen des Kindes und überhaupt seinem Wohl nach den Lebensverhältnissen der Eltern und des Kindes doch sehr wohl entsprechen, auch nach einer fertigen Berufsausbildung, die aus irgendwelchen Gründen für das Kind nicht paßt, einen zweiten Beruf zu erlernen (EFSlg.49.944). Dabei wird es auch auf die besondere Eignung für diesen Beruf und die Erwartung eines besseren Fortkommens ankommen. Nur eine differenzierte Beurteilung, die auf Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes Bedacht nimmt, wird dabei dem Gesetz gerecht (vgl. EFSlg.XX/2). Werden vom Gericht zweiter Instanz - wie im vorliegenden Fall - diese Grundsätze gänzlich außer acht gelassen, so bedeutet dies eine offenbare Gesetzwidrigkeit (siehe EFSlg.49.944).

Hingegen findet das von der zweiten Instanz als ausschlaggebend angesehene Kriterium, der Vater, der seinem Sohn eine vollständige Berufsausbildung gewährte, habe, weil das Kind ja nicht in seiner Pflege und Erziehung war, nicht zu verantworten, ob diese Berufsausbildung seinen Neigungen und Fähigkeiten entsprach, im Gesetz keine Deckung. Der Unterhaltsanspruch des Kindes ist nur nach den in § 140 Abs 1 ABGB genannten Kriterien zu beurteilen, nicht aber danach, ob der Unterhaltspflichtige über andere Wünsche und Neigungen des Kindes durch den Erziehungsberechtigten nicht informiert wurde.

Abschließend beurteilt wird das noch in der Zeit seiner Minderjährigkeit gestellte und daher gemäß § 29 JN im Verfahren außer Streitsachen zu entscheidende Unterhaltsbegehren des Rechtsmittelwerbers erst werden können, wenn feststeht, welche Fähigkeiten und Begabungen im einzelnen Christoph M*** für den angestrebten zweiten Beruf aufweist, welche Berechtigungen und Zukunftchancen mit dem Abschluß der Wiener Kunstschule verbunden sind, ob der Beginn der Ausbildung an einer solchen Schule überhaupt vor Erreichung eines bestimmten Alters möglich gewesen wäre sowie welche - vor allem auch zeitliche - Belastung mit der ordnungsgemäßen Absolvierung dieser Schule verbunden ist. Schließlich ist auch zu bedenken, daß gerade bei dem Beruf eines freischaffenden Kunstmalers die vorgängige Erlernung eines sogenannten Brotberufes geradezu erforderlich ist, weil im Falle eines solchen künstlerischen Berufes nie mit Sicherheit gesagt werden kann, ob bereits nach Beendigung einer entsprechenden Ausbildung daraus auch der Lebensunterhalt bestritten werden kann. Aber auch wenn das nicht der Fall ist, schließt das nicht aus, daß Eltern, nach der Ausbildung in einem praktischen Lebensberuf nach ihren Lebensverhältnissen ihrem Kind auch die Ausbildung in dem gewünschten Beruf zu ermöglichen haben.

Da Feststellungen über die genannten maßgebenden Umstände bisher fehlen, waren die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

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