OGH 6Ob630/88

OGH6Ob630/886.9.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Gerald K*** (früher S***), geboren am 21. Mai 1972, 6133 Weerberg 50, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Schwaz als Amtsvormund, diese vertreten durch Dr. Friedrich Hohenauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Johann S***, Schlosser, Pax 124, 6130 Fiecht, vertreten durch Dr. Günter Maleczek, Rechtsanwalt in Schwaz, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens zu C 302/79 des Bezirksgerichtes Schwaz, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 16. März 1988, GZ 2 a R 44/88-25, womit die Wiederaufnahme des Verfahrens C 302/79 des Bezirksgerichtes Schwaz bewilligt und die in dieser Rechtssache ergangenen Urteile aufgehoben wurden, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Entscheidung im wieder aufzunehmenden Verfahren vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Im Verfahren zu C 302/79 des Bezirksgerichtes Schwaz begehrte der Kläger, den Beklagten als seinen Vater festzustellen und ihn zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von S 900,-- zu verpflichten.

Der Beklagte bestritt, der Mutter des Klägers beigewohnt zu haben.

Das Erstgericht erkannte im Sinne dieses Klagebegehrens und stellte fest, der Beklagte habe mit der Mutter des Klägers in der Zeit vom 24. Juli 1971 bis 23. November 1971 regelmäßig geschlechtlich verkehrt. Der Beklagte sei auf Grund der Blut- und Erbmerkmale nicht als Vater ausgeschlossen, seine Vaterschaft sei vielmehr mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gegeben. Das Landesgericht Innsbruck änderte über Berufung des Beklagten das Ersturteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens ab. Es gelangte nach Beweiswiederholung zum Ergebnis, eine Feststellung, daß der Beklagte der Mutter des Klägers in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt habe, könne nicht getroffen werden. Im Rahmen der Darstellung der Erwägungen zur Beweiswürdigung führte das Berufungsgericht dazu aus, daß auch die ermittelte Wahrscheinlichkeit der Vaterschaft von 94,5 % unter einem Wahrscheinlichkeitswert von 99,9 % liege, welch letzterem Wert erst bei der Beweiswürdigung entscheidendes Gewicht beigemessen werden könnte. Eine Revision des Klägers gegen dieses Urteil blieb erfolglos (Akt C 302/79 des Bezirksgerichtes Schwaz). Der Kläger begehrte mit der am 19. Juni 1985 beim Bezirksgericht Schwaz eingebrachten Klage die Wiederaufnahme des Verfahrens zu C 302/79 des Bezirksgerichtes Schwaz, in welchem seine Klage gegen den Beklagten wegen Feststellung der Vaterschaft und Leistung von Unterhalt abgewiesen worden war, sowie die Beseitigung der im Verfahren C 302/79 des Bezirksgerichtes Schwaz ergangenen Urteile. Welche andere Entscheidung in der Hauptsache begehrt wird, wurde in der Klage nicht ausgeführt. Der Wiederaufnahmskläger brachte vor, im Verfahren zu C 302/79 des Bezirksgerichtes Schwaz sei ein serologisches Gutachten eingeholt worden, das eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit von 94,5 % mit der Bewertung "Vaterschaft wahrscheinlich" ergeben habe. Am 4. Juni 1985 sei seinem gesetzlichen Vertreter (Amtsvormund) zur Kenntnis gelangt, daß im Verfahren zu 7 Cg 310/84 des Landesgerichtes Innsbruck neuerlich ein gerichtsmedizinisches Gutachten zur Vaterschaftsfrage eingeholt worden sei, das eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit des Beklagten von 99,95 % ("Vaterschaft praktisch erwiesen") erbracht habe. Das unterschiedliche Ergebnis erkläre sich daraus, daß es zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens im Rechtsstreit zu C 302/79 des Bezirksgerichtes Schwaz, also im Jahre 1980, noch nicht möglich gewesen sei, die Untersuchungsergebnisse des HLA-Systems konkret in eine biostatistische Erweiterungsberechnung miteinzubeziehen, was jedoch auf Grund wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse nunmehr möglich sei. Wäre bereits im früheren Verfahren die Möglichkeit dieser Berechnung gegeben gewesen und hätte das nach dieser Berechnung erstellte Gutachten benützt werden können, so wäre dieses Verfahren zugunsten der klagenden Partei entschieden worden. Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Er behauptete, die Klage zu C 302/79 des Bezirksgerichtes Schwaz sei von den Rechtsmittelinstanzen deshalb abgewiesen worden, weil dem Kläger der Beweis des Geschlechtsverkehrs zwischen seiner Mutter und dem Beklagten nicht gelungen sei, weshalb vom Beklagten der Entkräftigungsbeweis gemäß § 163 Abs 2 ABGB gar nicht zu führen gewesen sei. Es liege daher in einer neuen Untersuchungsmethode kein neues Beweismittel im Sinne des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO vor. Das Bezirksgericht Schwaz wies diese Klage ab. Das Landesgericht Innsbruck als Berufungsgericht hob dieses Urteil unter Beisetzung eines Rechtskraftvorbehaltes auf und verwies die Sache an das Bezirksgericht Schwaz zurück. Aus Anlaß des vom Beklagten gegen den Beschluß des Berufungsgerichtes erhobenen Rekurses hob der Oberste Gerichtshof die Entscheidungen der Vorinstanzen als nichtig auf und wies die Klage zurück, weil die Wiederaufnahmsklage gemäß § 532 ZPO beim Berufungsgericht des Vorprozesses, das eine Beweiswiederholung vorgenommen hat und zu einer vom Ersturteil abweichenden Feststellungsgrundlage gelangt war, einzubringen gewesen wäre (6 Ob 579/86).

Auf Antrag des Klägers hob das Erstgericht gemäß § 230 a ZPO die Zurückweisung der Klage auf und überwies die Sache an das Landesgericht Innsbruck. Im Aufhebungsantrag "verbesserte bzw. ergänzte" der Kläger sein Klagebegehren dahin, daß im Hauptverfahren die Feststellung der Vaterschaft des Beklagten sowie die Zahlung eines monatlichen Unterhaltes begehrt werden.

Der Beklagte wendete ergänzend ein, daß die vom Kläger vorgenommene Änderung des Klagebegehrens eine zufolge Ablauf der Notfrist nach § 534 ZPO unzulässige Klagsänderung darstelle. Das Landesgericht Innsbruck bewilligte die Wiederaufnahme des Verfahrens C 302/79 des Bezirksgerichtes Schwaz und hob die in diesem Verfahren ergangenen Entscheidungen aller drei Instanzen auf.

Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

In dem beim Landesgericht Innsbruck zu 7 Cg 310/84 geführten Verfahren (dort begehrte der Beklagte für einen für den Kläger gemachten Aufwand von dessen Mutter Ersatz) wurde zur Vaterschaftsfrage neuerlich ein gerichtsmedizinisches Gutachten eingeholt, das eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit des Beklagten von 99,95 % (Vaterschaft praktisch erwiesen) erbrachte. Dem im Verfahren C 302/79 erstatteten Blutgutachten vom 21. April 1980 lag eine serologische Untersuchung durch die HLA-Bestimmung zugrunde. Im Jahre 1980 war es noch nicht möglich, die Untersuchungsergebnisse des HLA-Systems konkret in eine biostatistische Erweiterungsberechnung miteinzubeziehen, da die für eine derartige Statistik notwendige Anzahl gesicherter Fälle noch nicht erreicht war. Mittlerweile ist es jedoch möglich, auf wissenschaftlich gesicherter Basis die Untersuchungsergebnisse unter Einbeziehung des HLA-Systems in die biostatistische Vaterschaftswahrscheinlichkeitsberechnung miteinzubeziehen. Die klagende Partei erhielt von dem im Verfahren 7 Cg 310/84 des Landesgerichtes Innsbruck erstatteten Gutachten, das eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit des Beklagten von 99,95 % ("Vaterschaft praktisch erwiesen") erbracht hat, frühestens am 22. Mai 1985 Kenntnis.

Rechtlich beurteilte das Landesgericht Innsbruck diesen Sachverhalt dahin, die auf den Wiederaufnahmsgrund nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützte Klage entspreche dem Inhaltserfordernis des § 536 ZPO und sei auch innerhalb der im § 534 ZPO normierten Notfrist zufolge des das Berufungsgericht bindenden rechtskräftigen Überweisungsbeschlusses des Erstgerichtes als rechtzeitig eingebracht anzusehen. Die mit dem Überweisungsantrag gleichzeitig erfolgte Ergänzung des Klagebegehrens, worin zum Ausdruck gebracht werde, welche andere Entscheidung in der Hauptsache begehrt werde, sei nämlich nicht als Klagsänderung zu beurteilen, sondern es handle sich hiebei um die Beseitigung eines Formgebrechens, welches nach den zu den §§ 84 und 85 ZPO entwickelten Grundsätzen einer Verbesserung zugänglich sei. Das Berufungsgericht vertrete aber auch die Auffassung, daß die nunmehr gegebene Möglichkeit, die Ergebnisse der Untersuchung des HLA-Systems in die biostatistische Berechnung der Vaterschaftswahrscheinlichkeit miteinzubeziehen, ein neues Beweismittel im Sinne des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO und damit den angezogenen Wiederaufnahmsgrund darstelle. Zwar lasse die herrschende Judikatur neue Untersuchungsmethoden der Vaterschaftsfeststellung nicht als Wiederaufnahmsgrund gelten, weil eine andere Entscheidung im Vorprozeß dadurch nicht hätte herbeigeführt werden können. Fasching (Kommentar IV 511 ff, 516 ff und Zivilprozeßrecht, Lehr- und Handbuch Rz 2065) vertrete hingegen die Auffassung, neue wissenschaftliche Erkenntnismethoden bildeten ein neues Beweismittel zum Nachweis einer Tatsache, die bereits bei Schluß der mündlichen Verhandlung im Vorprozeß vorhanden gewesen sei, dies unter der Voraussetzung, daß der Methode nach wissenschaftlichen Grundsätzen ein so verläßlicher Aussagewert zukomme, daß von ihr (als Beweismittel) rechtlich erhebliche Ergebnisse erwartet werden könnten. Diese Ansicht sei auch schon von der Rechtsprechung vertreten worden (SZ 20/143; EFSlg 5.592). Nach Auffassung des Berufungsgerichtes sei die neue Möglichkeit, die Ergebnisse der Untersuchung des HLA-Systems in die biostatistische Berechnung der Vaterschaftswahrscheinlichkeit miteinzubeziehen, als ein neues Beweismittel dafür anzusehen, um einen weit höheren Grad der Vaterschaftswahrscheinlichkeit zu ermitteln, als dies ohne die biostatistische Berechnung möglich wäre, welches eine für den Wiederaufnahmswerber günstigere Entscheidung in der Hauptsache hätte herbeiführen können. Die Klage sei in dem vom Berufungsgericht geführten Vorprozeß nämlich deshalb abgewiesen worden, weil dem Kläger der Nachweis nicht gelungen sei, daß der Beklagte der Mutter des Klägers in der empfängniskritischen Zeit geschlechtlich beigewohnt habe. Es seien seinerzeit die gegenteiligen Beweisaussagen der Mutter, wonach eine "solche Beziehung" stattgefunden habe, und des Beklagten, der dies bestritten habe, einander gegenübergestanden. Unter anderem auf Grund des Ergebnisses der damaligen Vaterschaftswahrscheinlichkeitsberechnung, die nur eine Wahrscheinlichkeit von 94,5 % für die Vaterschaft des Beklagten ergeben habe, sei der Aussage der Mutter kein Glauben geschenkt und der Beweis der Bewohnung als nicht erbracht angesehen worden. Wäre hingegen damals schon eine Berechnung der Vaterschaftswahrscheinlichkeit nach heute gesicherten wissenschaftlichen biostatistischen Methoden möglich gewesen und hätte sich eine solche Berechnung mit einem Ergebnis von 99,95 % ergeben, so wäre eine andere, nämlich für den Kläger günstigere Beweiswürdigung zu erwarten gewesen und damit voraussichtlich auch eine günstigere, der Klage stattgebende Entscheidung herbeigeführt worden. Gemäß § 541 ZPO sei daher über die Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens mit Urteil zu entscheiden und die Wiederaufnahme zu bewilligen gewesen. Von der im § 542 ZPO eingeräumten Möglichkeit, nach Verkündung der im Wiederaufnahmebegehren stattgebenden Entscheidung durch Beschluß anzuordnen, daß vor Ausfertigung dieser Entscheidung in der Hauptsache verhandelt werde, sei aus Zweckmäßigkeitsgründen Abstand zu nehmen und die Rechtskraft dieser Entscheidung abzuwarten, da die Entscheidung des Berufungsgerichtes zur herrschenden Rechtsprechung im Widerspruch stehe.

Der Beklagte bekämpft dieses Urteil des Landesgerichtes Innsbruck mit Revision, macht die Anfechtungsgründe der Aktenwidrigkeit, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Wiederaufnahmebegehren abgewiesen werde.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit und Aktenwidrigkeit liegen

nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Auch die Rechtsrüge ist nicht berechtigt.

Gemäß § 530 Z 7 ZPO kann ein Verfahren, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist, auf Antrag einer Partei wieder aufgenommen werden, wenn die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde.

Fasching (Komm. IV, 509 ff; Zivilprozeßrecht, Rz 2065; JBl 1956, 245 ff, insbesondere 247 f) vertritt dazu die Ansicht, daß eine Einteilung der Beweismittel in solche vorzunehmen sei, "die bereits vor Schluß der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses vorhanden waren und Tatsachen beweisen, die ebenfalls schon vor Verhandlungsschluß vorhanden waren; ferner in Beweismittel, die nach Schluß der mündlichen Verhandlung entstanden sind und Tatsachen beweisen, die schon vor Schluß der mündlichen Verhandlung vorhanden waren; schließlich in Beweismittel, die nach Schluß der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses entstanden sind und Tatsachen beweisen, die ebenfalls nach Schluß der mündlichen Verhandlung entstanden sind". Dem Wortlaut des Gesetzes sei auf die Frage, wann die neuen Beweismittel entstanden sein müßten, keine Antwort zu entnehmen. Die ratio legis gebiete eine Auslegung dahin, daß zur Wiederaufnahme wohl die neuen Tatsachen, nicht aber auch die neuen Beweismittel schon vor Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz vorhanden gewesen sein müßten (JBl 1956, 247 f). Ein späteres Sachverständigengutachten auf Grund einer neuen wissenschaftlichen Methode stelle einen Wiederaufnahmsgrund dar, sofern die Methoden zur Zeit des Vorprozesses noch nicht bekannt gewesen seien (Komm. IV, 515).

Die Judikatur ist zur Frage, ob ein im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung noch nicht existentes Beweismittel für eine bereits zuvor bestandene Tatsache einen Wiederaufnahmsgrund bilden könne, nicht einheitlich. In SZ 20/257 vertrat der Oberste Gerichtshof die Ansicht, daß mit Rücksicht auf den Zweck der Wiederaufnahmsklage zunächst zwischen Beweisen einerseits und Tatsachen andererseits zu unterscheiden sei. Bei Beweisen komme es auf die Entstehungszeit des Beweismittels überhaupt nicht an. In SZ 22/180 wurde der Standpunkt vertreten, daß der Wiederaufnahmsgrund nur durch Tatsachen und Beweismittel hergestellt werden könne, die schon vor Schluß der Verhandlung vorhanden gewesen seien. Im weiteren wurde jedoch die Unzulässigkeit der Wiederaufnahmsklage in dem zu behandelnden Fall nur daraus abgeleitet, daß eine Tatsache behauptet worden sei, die erst nach dem Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung im Vorprozeß entstanden sei.

In der Entscheidung JBl 1953, 130 wurde ausgeführt, der Wortlaut des § 530 Abs 1 Z 7 und Abs 2 ZPO spräche dafür, daß nur solche neuen Tatsachen und Beweismittel den Wiederaufnahmsgrund des § 530 ZPO schaffen könnten, deren Benützung im Vorprozeß objektiv möglich gewesen sei und die von der Partei nur zufolge ihrer subjektiven Kenntnis nicht hätten verwertet werden können. Der Ansicht, daß die Ausdrücke "Beweismittel auffindet" und "Beweismittel zu benützen in den Stand gesetzt wird" zwei verschiedene Tatbestände darstellten, könne nicht beigetreten werden. An der in der Entscheidung ZBl. 1937/393 sowie in den Entscheidungen 1 Ob 449/49 und 2 Ob 293/49 aufrecht erhaltenen Ansicht, daß neue Tatsachen und Beweismittel, auf die eine Wiederaufnahmsklage gestützt werde, bereits im Hauptprozeß vorhanden gewesen sein müßten und andernfalls die Wiederaufnahmsklage a limine zurückzuweisen sei, werde festgehalten.

In der Entscheidung zu 7 Ob 225/64 wurde konkret die Frage der Eignung neuer serologischer Verfahren als Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO behandelt. Das Höchstgericht gelangte unter Hinweis auf die Entscheidungen EvBl 1958/203 und EvBl 1959/70 zum Ergebnis, daß nur Beweise als Wiederaufnahmsgrund in Frage kämen, die im Zeitpunkt des Vorprozesses bereits bekannt gewesen seien. Sollte ein Beweismittel bereits im Zeitpunkt des Vorprozesses bekannt gewesen sein, so hätte es beantragt werden müssen. Sollte es nicht bekannt gewesen sein, so hätte es auch kein günstigeres Ergebnis herbeigeführt. Dazu wurde im weiteren ausgeführt, daß die Zulassung neuer Untersuchungsmethoden als Wiederaufnahmsgrund dem in der Rechtsordnung herrschenden System der Vaterschaftsfeststellung widerspräche. Es ließe sich nicht rechtfertigen, die Frage nach dem Ausschluß der Vaterschaft innerhalb der im § 534 Abs 3 ZPO bestimmten Zehn-Jahres-Frist nach dem jeweiligen Stand der Wissenschaft immer wieder neu aufzurollen und damit die Frage, wer nun endgültig der Vater sei, während dieser ganzen Zeit in Schwebe zu lassen. Die Begründungen der Entscheidungen zu 7 Ob 386/65 und 4 Ob 598/73 decken sich im wesentlichen mit diesen Ausführungen. Auch in anderen Entscheidungen wurden diese Grundsätze zum Ausdruck gebracht.

In letzter Zeit wurde jedoch verschiedentlich ein hievon abweichender Standpunkt vertreten. Zu 8 Ob 124/82 wurde ausgeführt, es sei unzulässig, eine Wiederaufnahme darauf zu stützen, daß ein anderer Sachverständiger später ein abweichendes Gutachten erstattet habe. Daß aber die vom späteren Sachverständigen angewendeten Untersuchungsmethoden im Zeitpunkt der Begutachtung durch den ersten Sachverständigen noch nicht bekannt gewesen seien, sei nicht behauptet worden. Damit wurde dem Umstand, daß später entwickelte Untersuchungsmethoden zu einem abweichenden Gutachtensergebnis führen, für die Frage der Eignung eines Gutachtens als Wiederaufnahmsgrund erhebliche Bedeutung eingeräumt. In der Entscheidung 8 Ob 69, 70/86 wurde ausdrücklich unter Berufung auf Fasching und die mit seiner Ansicht im Einklang stehende Judikatur ausgeführt, daß einem nachträglich erstatteten Gutachten, insbesondere auch wenn es auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnismethoden beruhe, die zum Zeitpunkt der Erstattung des Vorgutachtens noch nicht bekannt gewesen seien, die grundsätzliche Eignung als Wiederaufnahmsgrund zukomme.

Der erkennende Senat tritt dieser durch die Argumentation Faschings gestützten Ansicht bei. Es muß davon ausgegangen werden, daß es im Sinne der Wiederaufnahme wegen neuer Tatsachen und Beweismittel gelegen ist, der materiellen Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. Der Urteilstatbestand soll berichtigt werden. Daraus, daß die Beweise nur die Erkenntnis vom Tatbestand zu vermitteln haben, demnach ausschließlich die Tatsachen selbst als Entscheidungsgrundlage dienen, ist die Vorrangstellung der Tatsachen gegenüber den Beweismitteln zu ersehen. Können also Tatsachen erwiesen werden, die bereits vor Schluß der Verhandlung vorhanden waren, so können als Wiederaufnahmsgrund auch Beweise herangezogen werden, die zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung noch nicht zur Verfügung standen. Legt man als Ziel der Rechtsordnung die Richtigkeit der Entscheidung zugrunde, so läßt sich mit dieser Auslegung eine Lücke schließen. Dies ergibt sich aus der Abgrenzung zur Oppositionsklage. Oppositionsgrund sind nur Tatbestandsänderungen, die der Entstehung des Exekutionstitels nachfolgen oder die nach dem Zeitpunkt auftreten, bis zu dem der Verpflichtete im vorangegangenen gerichtlichen Verfahren von ihnen wirksam Gebrauch machen konnte. Damit sind aber nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 35 EO nur Tatsachen gemeint, während Beweismittel keiner Betrachtung unterzogen werden. Liegt also eine neue Tatsache vor Schluß der Verhandlung erster Instanz, so muß die Wiederaufnahmsklage Platz greifen; liegt hingegen die neue Tatsache nach diesem Zeitpunkt, so ist mit Oppositionsklage vorzugehen. Wollte man der vorangeführten einschränkenden Auslegung bezüglich des Entstehens der Beweismittel folgen, so müßten jedenfalls Beweismittel, die nach Schluß der mündlichen Verhandlung im Vorprozeß entstanden sind, aber davor liegende Tatsachen beweisen, überhaupt unberücksichtigt bleiben, da sie keine Tatsachen im Sinne des § 35 EO sind. Im Bereich der Abgrenzung zur Oppositionsklage ist ausschließlich auf den Zeitpunkt der Entstehung der Tatsachen abgestellt, während dieser Zeitpunkt für die Beweismittel unerheblich bleibt. Die Abgrenzung zur Wiederaufnahmsklage zeigt also, daß derartige später entstandene Beweismittel als Wiederaufnahmsgrund zuzulassen sind (Fasching, JBl 1956, 247 f). Die Entscheidung 2 Ob 677/85, in der der bisher behandelte Problemkreis ausdrücklich offen gelassen wurde, setzte sich mit der Eignung der biostatistischen Methode als Wiederaufnahmsgrund auseinander und gelangte zum Ergebnis, daß dann, wenn diese Methode bereits im Vorverfahren angewendet worden sei, auch wenn damals nicht alle vorhandenen Untersuchungsergebnisse berücksichtigt worden sein sollten, ein neuerliches auf die biostatistische Methode gegründetes Gutachten keinen Wiederaufnahmsgrund darstelle, da im konkreten Fall das neue Gutachten keinen Hinweis darauf enthalte, daß eine neue Methode Anwendung gefunden habe.

Der vorliegende Fall ist jedoch anders gelagert. In dem im Hauptprozeß im Jahre 1980 eingeholten Sachverständigengutachten wurden auch die HLA-Merkmale untersucht, doch war es damals noch nicht möglich, die Ergebnisse dieser Untersuchung in eine biostatistische Berechnung miteinzubeziehen. Zur Zeit der Erstattung des Gutachtens im Verfahren 7 Cg 310/84 des Landesgerichtes Innsbruck war dies auf wissenschaftlich gesicherter Basis aber möglich geworden. Das später eingeholte Gutachten baut daher auf einer neuen wissenschaftlichen Erkenntnismethode auf, die zur Zeit des Vorprozesses noch nicht bekannt war, weshalb es sich um ein neues Beweismittel handelt, dem die Eignung als Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO zukommt.

Es ist in Lehre und Rechtsprechung anerkannt, daß sich die neuen Tatsachen und Beweismittel, auf die das Wiederaufnahmsbegehren im Sinne des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO gestützt wird, nicht unmittelbar auf die rechtliche Beurteilung auswirken müssen, sondern es genügt, wenn sie geeignet sind, eine wesentliche Änderung der Beweiswürdigung herbeizuführen (Fasching, Komm. IV, 514; EvBl 1961/26, JBl 1979, 268; 8 Ob 69, 70/86). Sie müssen nur so wichtig sein, daß ihre Berücksichtigung zu einer anderen Entscheidung des Hauptprozesses führen könnte (EvBl 1961/26; 8 Ob 69, 70/86 ua). Im vorliegenden Fall kann dem Ergebnis des später eingeholten Gutachtens die Eignung, eine andere Beweiswürdigung in der Hauptsache herbeizuführen, nicht abgesprochen werden, zumal das Berufungsgericht im Vorprozeß im Rahmen der Beweiswürdigung ausführte, erst einer Vaterschaftswahrscheinlichkeit von über 99,9 % könnte in beweismäßiger Sicht entscheidendes Gewicht beigemessen werden, und nach dem nunmehr vorliegenden Gutachten eine derartige Wahrscheinlichkeit tatsächlich besteht.

Mit Recht hat daher das Landesgericht Innsbruck die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Wiederaufnahme als erfüllt angesehen.

Da auch die vom Revisionswerber in seinem Rechtsmittel gar nicht bestrittenen Ausführungen des Landesgerichtes Innsbruck über die Wahrung der Notfrist des § 534 ZPO sowie die Zulässigkeit der Ergänzung des Klagebegehrens zu billigen sind, war der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

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