OGH 10ObS87/88

OGH10ObS87/8831.5.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Rupert Dollinger (Arbeitgeber) und Oskar Harter (Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rudolf S***, Waffenhändler, 4020 Linz, Kremplstraße 6, vertreten durch Dr. Alfred Thewanger und Dr. Helmut Lenz, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei A*** U*** (Landesstelle Linz),

1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Jänner 1988, GZ 13 Rs 1153/87-22, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 2. September 1987, GZ 13 Cgs 77/87-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Aus Anlaß der Revision wird das angefochtene Urteil als nichtig aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung in einem Senat aufgetragen, in dem alle fachkundigen Laienrichter dem Kreis der Arbeitgeber angehören.

Der Kläger hat die Kosten seiner Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Der Kläger, der als selbständig erwerbstätiger Waffenhändler und Mitglied einer Kammer der gewerblichen Wirtschaft nach § 8 Abs 1 Z 3 lit a ASVG aufgrund dieses Bundesgesetzes in der Unfallversicherung hinsichtlich dieser Tätigkeit teilversichert war, beantragte beim beklagten Unfallversicherungsträger am 16. April 1986 unter Übermittlung einer Unfallsanzeige, nach der er am 13. November 1985 während einer Jagd in Parz, bei der er einem Kunden ein Flintenpaar habe vorführen wollen, einen Unfall erlitten habe, durch den die Netzhaut des rechten Auges zerstört worden sei, eine bescheidmäßige Erledigung.

Mit dem am 20. Juni 1986 zugestellten Bescheid vom 18. Juni 1986 lehnte die beklagte Partei einen Anspruch des Klägers auf Entschädigung aus Anlaß dieses Unfalls mit der Begründung ab, daß kein unter Versicherungsschutz stehender Arbeitsunfall vorliege. Das Begehren der dagegen am 17. September 1986 erhobenen Klage ist nach einer Präzisierung in der Tagsatzung vom 15. Juli 1987 auf eine Versehrtenrente aus Anlaß des erwähnten Unfalls von 40 vH ab 14. Jänner 1986 gerichtet.

Die beklagte Partei hat die Abweisung der Klage beantragt. Das im ersten Rechtsgang ergangene klageabweisende Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Oberösterreich in Linz wurde auf Berufung des Klägers mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. April 1987 aufgehoben und die Rechtssache unter Rechtskraftvorbehalt an das Landesgericht Linz als Arbeits- und Sozialgericht zur Verhandlung und Urteilsfällung verwiesen. Das Prozeßgericht erster Instanz hat im zweiten Rechtsgang ausgesprochen, daß der Kläger aus Anlaß des Arbeitsunfalls vom 13. November 1985 Anspruch auf eine Versehrtenrente von 25 vH der Vollrente ab 14. Jänner 1986 habe und der beklagten Partei bis zur Erlassung des die Höhe dieser Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von 1.000,- S monatlich aufgetragen. Das Berufungsgericht hat der Berufung der beklagten Partei in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorhergegangene mündliche Verhandlung nicht Folge gegeben und das erstgerichtliche Urteil mit einer die ausdrückliche Abweisung des Mehrbegehrens betreffenden Maßgabe bestätigt. Der Senat des Berfungsgerichtes setzte sich aus drei Richtern und zwei fachkundigen Laienrichtern zusammen, von denen einer (Dr. Kraus) dem Kreis der Arbeitgeber und einer (Dr. Kronsteiner) dem der Arbeitnehmer angehörte.

Gegen das Berufungsurteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, es durch gänzliche Abweisung der Klage abzuändern oder es allenfalls aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Der Kläger beantragt die Bestätigung des angefochtenen Urteils. Das Berufungsurteil leidet an einer von der Revisionswerberin nicht geltend gemachten Nichtigkeit, weil das Berufungsgericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war.

Rechtliche Beurteilung

Die für die jeweilige Rechtsstreitigkeit zuzuziehenden, durch ihre Ladung vom Vorsitzenden bestimmten fachkundigen Laienrichter haben nach § 12 Abs 1 zweiter Halbsatz ASGG vorbehaltlich des Abs 3 zweiter Halbsatz dieser Gesetzesstelle je zur Hälfte dem Kreis der Arbeitgeber und dem der Arbeitnehmer anzugehören. Nach der bezogenen Ausnahmebestimmung haben in Streitsachen nach dem GSVG, dem BSVG, dem FSVG, dem Bundesgesetz über die Gewährung der Leistung der Betriebshilfe (des Wochengeldes) an Mütter, die in der gewerblichen Wirtschaft oder in der Land- und Forstwirtschaft selbständig erwerbstätig sind, und - wenn der Kläger ein Notar ist - nach dem NVG alle fachkundigen Laienrichter dem Kreis der Arbeitgeber anzugehören.

Der damals für die Unfallversicherung betreffende Sozialrechtssachen zuständige 9.Senat des Obersten Gerichtshofes hat in der E 4. November 1987 9 Ob S 25/87 eingehend begründet, daß unter den im § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG genannten Streitsachen nach dem GSVG nach der klaren Absicht des Gesetzgebers nicht nur Sozialrechtssachen zu verstehen sind, die sich auf die in diesem Bundesgesetz geregelte Kranken- und Pensionsversicherung beziehen, sondern auch solche Sozialrechtssachen, die sich auf die im ASVG geregelte Unfallversicherung ua aller selbständig Erwerbstätigen, die Mitglieder einer Kammer der gewerblichen Wirtschaft sind, beziehen.

Der nunmehr für die Unfallversicherung betreffende Sozialrechtssachen zuständige erkennende Senat teilt diese Rechtsmeinung und deren den mehrfachen Veröffentlichungen der zitierten Vorentscheidung (SSV-NF 1/51; ZAS 1988, Judikaturbeilage H 2, 7) zu entnehmende Begründung, der noch folgende Überlegung angefügt sei:

Das im § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG erwähnte Bundesgesetz über die Sozialversicherung freiberuflich selbständig Erwerbstätiger (FSVG) regelt nach seinem § 1 - anders als das Bundesgesetz über die Sozialversicherung der in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen (GSVG) - nicht nur die Kranken- und die Pensionsversicherung, sondern auch die Unfallversicherung. Nach § 2 Abs 1 FSVG sind aufgrund dieses Bundesgesetzes, soweit es sich um natürliche Personen handelt, einige Gruppen im Inland freiberuflich selbständig Erwerbstätiger in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung der in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen pflichtversichert. Nach § 3 Abs 2 leg cit sind auf die Unfallversicherung der nach § 2 in diesem Versicherungszweig pflichtversicherten Personen die gesetzlichen Bestimmungen entsprechend anzuwenden, die für die Unfallversicherung der gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit a ASVG teilversicherten Personen gelten. Da in Streitsachen nach dem FSVG, aufgrund dessen freiberuflich selbständig Erwerbstätige ua in der Unfallversicherung der in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen pflichtversichert sind, trotz der diesbezüglichen materiellen Verweisung des § 3 Abs 2 FSVG auf die für die Unfallversicherung der gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit a ASVG teilversicherten Personen geltenden Bestimmungen (des ASVG) unbestritten alle fachkundigen Laienrichter dem Kreis der Arbeitgeber zuzugehören haben, muß dies kraft Größenschlusses umso mehr in den die Unfallversicherung der in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen betreffenden Sozialrechtssachen gelten.

Ob der Senat des in erster Instanz entscheidenden Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes nach § 12 Abs 3 ASGG richtig zusammengesetzt war, kann dahingestellt bleiben, weil die Parteien zur Zeit des allfälligen Verstoßes durch qualifizierte Personen (§ 40 Abs 1 ASGG) vertreten waren, weshalb eine allfällige unrichtige Senatszusammensetzung nach dem gemäß § 37 Abs 1 ASGG sinngemäß anzuwendenden § 260 Abs 4 ZPO nicht mehr berücksichtigt werden könnte (SSV-NF 1/51; RZ 1988/25). Der bei der in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorhergegangene mündliche Verhandlung erfolgten Entscheidung des Berufungsgerichtes unterlaufene Verstoß gegen § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG kann jedoch nicht im Sinne des § 37 Abs 1 ASGG und des § 260 Abs 4 ZPO unberücksichtigt bleiben, sondern bildet den aus Anlaß der zulässigen Revision nach den §§ 513 und 471 Z 7 ZPO auch von Amts wegen wahrzunehmenden, nicht geheilten, im § 477 Abs 1 Z 2 ZPO bezeichneten Nichtigkeitsgrund (Kuderna, ASGG § 37 Erl 4; Feitzinger-Tades, ASGG § 37 Anm. 4; die oben zitierten Entscheidungen).

Das angefochtene Urteil war daher nach den §§ 509 Abs 1, 513 und 477 Abs 1 ZPO als nichtig aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung in einem Senat aufzutragen, in dem alle fachkundigen Laienrichter dem Kreis der Arbeitgeber angehören (Kuderna aaO; Feitzinger-Tades, ASGG § 37 Anm 10; die oben zitierten Entscheidungen).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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