OGH 9ObS25/87

OGH9ObS25/874.11.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter aus dem Kreise der Arbeitgeber Dr. Carl Hennrich und Dr. Pipin Henzl als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ing. Walter Z***, Baumeister, Kufstein, Lausbichl 11, vertreten durch Dr. Herwig Grosch, Dr. Günter Harrasser und Dr. Simon Brüggl, Rechtsanwälte in Kitzbühel, wider die beklagte Partei A***

U***, Wien 20., Adalbert Stifter-Straße 65,

vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchwohb, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung und Leistung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9.Juli 1987, GZ 5 Rs 1068/87-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 23.März 1987, GZ 46 Cgs 1006/87-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Aus Anlaß der Revision werden das angefochtene Urteil sowie das diesem vorangegangene Berufungsverfahren als nichtig aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger ist als selbständiger Baumeister unfallversichert. Etwa seit dem Jahr 1970 ist er überdies als Bausachverständiger für Hochbau und Architektur tätig, wobei er seit etwa sechs bis sieben Jahren regelmäßig als Bausachverständiger für die Gemeinde Reith bei Kitzbühel tätig ist und zur Gutachtenserstattung bei Bau- und Kollaudierungsverhandlungen beigezogen wird.

Am 13. März 1986 besichtigte der Kläger in seiner Funktion als Sachverständiger für Hochbau und Architektur für die Gemeinde Reith bei Kitzbühel anläßlich einer von dieser Gemeinde anberaumten Kollaudierungsverhandlung ein Bauwerk. Hiebei sprang er vom Dachbodenraum ca. 2,5 m tief auf den Fußboden und zog sich eine Fersenbeinfraktur links zu. Dem Kläger wurde von seinem behandelnden Arzt empfohlen, sich einem Heilverfahren in Bad Ischia zu unterziehen.

Das Erstgericht wies das auf Feststellung, daß die beim Kläger als Folge der am 13.März 1986 erlittenen Fersenbeinfraktur eingetretene Gesundheitsstörung die Folge eines Arbeitsunfalles sei, sowie auf Verpflichtung der beklagten Partei zur Übernahme der Kosten für ein Heilverfahren in Bad Ischia gerichtete Begehren des Klägers ab. Es führte dazu aus, daß seine Sachverständigentätigkeit grundsätzlich dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht unterliege, sofern diese Tätigkeit nicht als Teil des gewerblichen Wirkungsbereiches genannt sei. Die Tätigkeit des Klägers als Sachverständiger bei der Kollaudierungsverhandlung sei nicht im Rahmen der Erfüllung seiner Aufgaben in seinem Gewerbebetrieb erfolgt; er sei vielmehr als Organ der Baubehörde tätig geworden. Da ein Versicherungsschutz für die Tätigkeit als Sachverständiger nicht bestehe, sei das Begehren nicht berechtigt.

Dem Senat des Erstgerichtes gehörten neben dem Vorsitzenden ein

fachkundiger Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber und ein

fachkundiger Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitnehmer an. Der Kläger war bei der mündlichen Streitverhandlung durch einen Rechtsanwalt vertreten.

Das Berufungsgericht gab der vom Kläger gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge und billigte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes; es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 30.000 S übersteige. Das Berufungsgericht entschied über die Berufung des Klägers in nichtöffentlicher Sitzung; dem Senat gehörten neben drei Berufsrichtern ein

fachkundiger Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitgeber und ein

fachkundiger Laienrichter aus dem Kreis der Arbeitnehmer an. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn des Klagebegehrens abzuändern oder aber sie aufzuheben und die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an eine der Vorinstanzen zurückzuverweisen.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Vorerst war zu prüfen, ob die Senatszusammensetzung der Vorinstanzen dem Gesetz entsprach.

Gemäß § 10 Abs 1 ASGG wird, soweit nichts anderes angeordnet ist, die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit in Senaten ausgeübt. Die Senate sind aus Richtern und fachkundigen Laienrichtern zusammenzusetzen (Abs 2 zweiter Halbsatz iVm § 11 ASGG). Die fachkundigen Laienrichter haben vorbehaltlich des § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG je zur Hälfte dem Kreis der Arbeitgeber und dem der Arbeitnehmer anzugehören (§ 12 Abs 1 zweiter Halbsatz ASGG). In Arbeitsrechtssachen sollen die fachkundigen Laienrichter den Berufsgruppen der an der Rechtsstreitigkeit beteiligten Parteien (§ 12 Abs 2), in Sozialrechtssachen hingegen den Berufsgruppen der Versicherten und ihrer Arbeitgeber angehören, wenn im Einzelfall besondere Kenntnisse bezüglich der Berufsausübung der Versicherten von Bedeutung sein können (§ 12 Abs 3 erster Halbsatz ASGG). Aus dieser letztzitierten Bestimmung ergibt sich deutlich, daß die fachkundigen Laienrichter in Sozialrechtssachen grundsätzlich dem Kreis der Versicherten und ihrer Arbeitgeber anzugehören haben. Im zweiten Halbsatz des Abs 3 werden jene Sozialrechtssachen angeführt, in denen eine solche Unterscheidung in zwei getrennte Kreise nicht möglich ist, weil die Eigenschaft eines Versicherten und jene eines Arbeitgebers zusammenfallen. Es sind dies jene selbständig Erwerbstätigen, die in den persönlichen Geltungsbereich des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes (GSVG) und des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes (BSVG), des Bundesgesetzes über die Sozialversicherung freiberuflich selbständig Erwerbstätiger, des Bundesgesetzes über die Gewährung der Leistung der Betriebshilfe (des Wochengeldes) an Mütter, die in der gewerblichen Wirtschaft oder in der Land- und Forstwirtschaft selbständig erwerbstätig sind, fallen sowie die Notare nach dem Notarversicherungsgesetz. In diesen Fällen haben alle fachkundigen Laienrichter dem Kreis der Arbeitgeber anzugehören (§ 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG). Hinsichtlich der Streitsachen, die Angelegenheiten der Unfallversicherung der in den persönlichen Geltungsbereich des GSVG fallenden Personen betreffen, erhebt sich jedoch die Frage, ob die Ausnahmsbestimmung des § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG auch auf derartige Rechtsstreitigkeiten anzuwenden ist. Das GSVG regelt nämlich nur die Kranken- und die Pensionsversicherung der in seinen Anwendungsbereich fallenden Personen (§ 1), wogegen die Bestimmungen über die Unfallversicherung dieses Personenkreises im ASVG enthalten sind. Es könnte nun die Auffassung vertreten werden, Streitsachen nach dem GSVG seien nur solche, die Angelegenheiten der Kranken- und der Pensionsversicherung dieser Personen betreffen, wogegen Angelegenheiten der Unfallversicherung Streitsachen nach dem ASVG seien, in welchen die Senatszusammensetzung paritätisch zu erfolgen habe.

Eine solche Wortauslegung ist jedoch nicht zwingend, weil sie nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führt. Der Begriff "Streitsachen nach dem GSVG" muß sich nämlich nicht bloß auf die in diesem Gesetz geregelten Angelegenheiten der Kranken- und der Pensionsversicherung beschränken; er kann ebensogut alle Angelegenheiten von Personen betreffen, die in den Geltungsbereich dieses Gesetzes fallen. Ein deutlicher Hinweis auf einen persönlichen Anknüpfungspunkt ist die Differenzierung zwischen Notaren und Notariatskandidaten; nur Notare fallen unter die Ausnahmsbestimmung des § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG, obwohl sowohl Notare als auch Notariatskandidaten in den persönlichen Geltungsbereich des Notarversicherungsgesetzes fallen (§ 1 Abs 1 NVG). Der oben erwähnte Begriff kann daher nach seinem Wortlaut sowohl einen sachlichen, auf bestimmte Angelegenheiten abgestellten Bezug, als auch einen persönlichen Bezug haben. Die Wortauslegung allein führt sohin zu keinem eindeutigen Ergebnis. Denkbar wäre auch eine Regelungslücke in der Form, daß der Gesetzgeber des ASGG den Umstand übersehen habe, daß die Bestimmungen über die Unfallversicherung gewerblich selbständig tätiger Personen im ASVG enthalten sind (zum Problem des "Redaktionsversehens" siehe Bydlinski in Rummel, ABGB I, § 6 Rz 25, S 24). In beiden Fällen ist daher nach den Grundsätzen der teleologischen Interpretation die Absicht des Gesetzgebers zu erforschen.

Hiebei ist davon auszugehen, daß in den (Ausnahms-)Fällen des § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG, wie bereits erwähnt, eine Unterscheidung in zwei getrennte Kreise der Versicherten und ihrer Arbeitgeber nicht möglich sei, weil diese Eigenschaften hier in der Person des gewerblich selbständig Tätigen zusammenfallen. Eine paritätische Zusammensetzung wäre daher nicht gerechtfertigt. Die fachkundigen Laienrichter haben nämlich ihre spezifische Berufserfahrung in die Entscheidungsfindung einzubringen, und die paritätische Zusammensetzung der Senate soll ein Ungleichgewicht im Verhältnis zwischen Arbeitnehmer (Versicherter) und Arbeitgeber verhindern. Diese die Einrichtung und Ausgestaltung der Laiengerichtsbarkeit tragenden Umstände rechtfertigen aber in den Ausnahmsfällen des § 12 Abs 3 zweiter Halbsatz ASGG infolge der auf die Arbeitgeberseite beschränkten Parteistellung des Versicherten keine paritätische Zusammensetzung der Senate. Die spezifische Berufserfahrung verlangt in diesen Fällen nicht die Beteiligung eines - eine solche Berufserfahrung eines Arbeitgebers gar nicht aufweisenden - fachkundigen Laienrichters aus dem Kreis der Arbeitnehmer und die vorerwähnte Wahrung des Ungleichgewichtes ist, weil Arbeitnehmer in derartigen Rechtsstreitigkeiten gänzlich unbeteiligt sind, nicht notwendig.

All dies trifft aber in den unter den persönlichen Geltungsbereich des GSVG fallenden Angelegenheiten nicht nur auf die Kranken- und die Pensionsversicherung, sondern im gleichen Ausmaß auch auf die Unfallversicherung zu. Die aus dieser Regelung deutlich erkennbare Absicht des Gesetzgebers erstreckt sich somit auf alle drei Versicherungszweige, so daß eine Differenzierung, wie sie die Wortauslegung an sich ermöglicht, dieser Absicht widerspräche. An diesem Auslegungsergebnis vermag auch die historische Auslegung nichts zu ändern. Nach der vor dem Inkrafttreten des ASGG (1. Jänner 1987) geltenden Rechtslage war gemäß dem (inzwischen durch § 99 Z 3 ASGG aufgehobenen) § 194 Abs 1 Z 3 und 4 GSVG bei jedem Schiedsgericht eine eigene Abteilung für die Angelegenheiten der Krankenversicherung und der Pensionsversicherung nach dem GSVG zu bilden; beide Beisitzer hatten dem Kreis der Versicherten oder dem der Funktionäre der Angestellten ihrer gesetzlichen beruflichen Vertretung oder kollektivvertragsfähigen Berufsvereinigung anzugehören (imparitätische Besetzung). Da nach § 194 GSVG grundsätzlich die Verfahrensbestimmungen des ASVG gegolten haben, also insbesondere auch die Vorschrift des (inzwischen ebenfalls aufgehobenen) § 382 Abs 2 ASVG über die paritätische Besetzung der Senate, war die imparitätische Besetzung mit zwei Arbeitgeberbeisitzern auf Angelegenheiten der Kranken- oder Pensionsversicherung nach dem GSVG beschränkt. Eine entsprechende Bestimmung enthielt der § 182 BSVG für den Bereich dieses Gesetzes; sie wurde durch § 99 Z 4 ASGG insoweit ebenfalls aufgehoben. Abgesehen davon, daß die oben erwähnten Bestimmungen aufgehoben wurden und daher über den nunmehr auszulegenden Gesetzeswortlaut wenig aussagen, und daß in den Erl.Bem. zur RV nur darauf hingewiesen wird, daß die Abs 1 bis 3 des § 12 ASGG im wesentlichen den Gedanken des § 14 ArbGG und des § 382 Abs 1 ASVG folgen (siehe Feitzinger-Tades, ASGG, § 12, Anm. 1), zeigt gerade die Regelung für die Bauern, daß die Auffassung über die paritätische Besetzung verfehlt ist. Da in § 148 BSVG auf die Bestimmungen des ASVG über die Unfallversicherung ausdrücklich verwiesen wird, kann es nicht zweifelhaft sein, daß unter den Begriff "Streitsachen nach dem BSVG" auch Angelegenheiten der Unfallversicherung fallen (ebenso 9 Ob S 23/87). Wäre die Auffassung über die paritätische Besetzung in den Fällen der Unfallversicherung gewerblich selbständig tätiger Personen richtig, dann hätte der Gesetzgeber des ASGG gewerblich selbständig tätige Personen und Bauern im vorliegenden Zusammenhang unterschiedlich behandelt. Die Vornahme einer ausdrücklichen Verweisung auf eine andere Norm (§ 148 BSVG) und die Unterlassung einer solchen Verweisung in einem anderen Gesetz (GSVG) kann aber kein sachlich gerechtfertigtes Kriterium für die Annahme einer unterschiedlichen Behandlung der Senatszusammensetzung sein. Der Gesetzgeber hat diese Regelung, obwohl sie nach ihrem persönlichen Bezug in das GSVG gehörte, offensichtlich aus Gründen legislativer Ökonomie im ASVG vorgenommen, sodaß eine unausgesprochene (stille) Verweisung anzunehmen ist. Dazu kommt, daß auch innerhalb der drei Versicherungszweige Pensions-, Kranken- und Unfallversicherung eine unterschiedliche Behandlung der Senatszusammensetzung sachlich nicht gerechtfertigt wäre. Wollte man der Auffassung über eine paritätische Besetzung zustimmen, läge aus all diesen Gründen eine sachlich völlig ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gleichartiger Sachverhalte vor. Das Gebot der im Zweifel vorzunehmenden verfassungskonformen Auslegung führt daher ebenfalls zu der vom Obersten Gerichtshof vertretenen Auffassung über die imparitätische Senatszusammensetzung in den gegenständlichen Fällen der Unfallversicherung.

Gegen diese Auffassung spricht auch nicht etwa der Umstand, daß im Bereich der Pensionsversicherungsträger in Pension-(Renten-)ausschüssen entschieden wird, die aus einem vom Obmann bestellten Bediensteten der Anstalt sowie grundsätzlich aus je einem Vertreter der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber bestehen. Der Pensionsausschuß gemäß § 203 Abs 3 GSVG entscheidet aber in Angelegenheiten der Pensionsversicherung unter Zuziehung zweier Vertreter der Versicherten und damit zweier "Arbeitgeberbeisitzer", wogegen im Bereich der Unfallversicherung der Selbständigen dem Rentenausschuß der AUVA je ein Arbeitnehmer- und ein Arbeitgebervertreter angehören. Die dieser Zusammensetzung und der Einrichtung dieser Ausschüsse zugrundeliegenden Überlegungen unterscheiden sich jedoch grundlegend von den für die Senatszusammensetzung der Arbeits- und Sozialgerichte maßgeblichen Erwägungen. Im erstgenannten Fall mag der Umstand entscheidend sein, daß im Hinblick auf die Riskengemeinschaft der Selbständigen und Unselbständigen (Arbeitgeber und Arbeitnehmer) und die gemeinsame Wurzel des Beitragsaufkommens, sohin aus Gründen gemeinsamer Interessen, in allen Fällen der Unfallversicherung eine die beiderseitige Interessenwahrung ermöglichende paritätische Besetzung gerechtfertigt ist. Für die Zusammensetzung der gerichtlichen Senate sind jedoch ausschließlich die bereits erwähnten Gründe der spezifischen Berufserfahrung und die Vermeidung eines Ungleichgewichtes zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer maßgeblich. Die fachkundigen Laienrichter sind in Ausübung ihres Amtes Richter und ungeachtet ihrer Herkunft keine Interessenvertreter (siehe dazu Kuderna, ASGG, § 10, Anm. 2; § 29 Anm. 5). Unter diesen für die fachkundigen Laienrichter allein maßgeblichen Gesichtspunkten, die aber für die Rentenausschüsse überhaupt keine Bedeutung haben, ist jedoch, wie bereits dargelegt, in den gegenständlichen Fällen der Unfallversicherung eine imparitätische Senatszusammensetzung geboten. All diese Erwägungen führen daher zu dem Ergebnis, daß unter den Begriff "Streitsachen nach dem GSVG" auch die Angelegenheiten der Unfallversicherung der gewerblich selbständig tätigen Personen fallen, sodaß in diesen Rechtsstreitigkeiten die Senate mit zwei fachkundigen Laienrichtern aus dem Kreis der Arbeitgeber zusammenzusetzen sind. Zu dem selben Ergebnis führt die (oben erwähnte) Annahme einer planwidrigen Regelungslücke, weil aus den erörterten Gründen eine Differenzierung zwischen Angelegenheiten der Unfallversicherung einerseits und Angelegenheiten der Kranken- und Pensionsversicherung andererseits nicht gerechtfertigt ist, sodaß die für die letztgenannten Angelegenheiten geltende Regelung der Senatszusammensetzung auch für die Angelegenheiten der Unfallversicherung zu gelten hat.

In den Vorinstanzen waren aber die Senate paritätisch und daher unrichtig besetzt. Eine unrichtige Senatsbesetzung ist ein Nichtigkeitsgrund gemäß § 477 Abs 1 Z 2 ZPO (Kuderna ASGG, 171; Feitzinger-Tades ASGG Anm. 4 zu § 37 ASGG). Diese Nichtigkeit ist allerdings grundsätzlich heilbar. Gemäß § 37 Abs 1 ASGG ist dann, wenn in einer Arbeits- und Sozialrechtssache gegen die §§ 11 oder 12 Abs 1 oder 3 zweiter Halbsatz verstoßen worden ist, der § 260 Abs 4 ZPO sinngemäß anzuwenden, sofern die Parteien zur Zeit des Verstoßes durch qualifizierte Personen (§ 40 Abs 1 ASGG) vertreten waren. Eine unrichtige Senatsbesetzung kann daher nicht mehr berücksichtigt werden, wenn die Parteien zur Zeit des Verstoßes qualifiziert vertreten waren und sich in die Verhandlung zur Hauptsache eingelassen haben, ohne diesen Umstand geltend zu machen. Im Verfahren erster Instanz war der Kläger (Revisionswerber) in der mündlichen Streitverhandlung durch einen Rechtsanwalt und somit durch eine qualifizierte Person (§ 40 Abs 1 Z 1 ASGG) vertreten. Die beklagte Partei war gemäß § 40 Abs 1 Z 3 ebenfalls qualifiziert vertreten. Die in der unrichtigen Senatsbesetzung gelegene Nichtigkeit ist daher geheilt.

Im Berufungsverfahren hat aber eine öffentliche Verhandlung nicht stattgefunden, weil das Berufungsgericht in nichtöffentlicher Sitzung entschieden hat. Die unrichtige Senatsbesetzung im Berufungsverfahren bewirkt eine von amtswegen wahrzunehmende Nichtigkeit. Aus Anlaß der Revision war daher das angefochtene Urteil aus diesem Grund aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung in ordnungsgemäßer Senatszusammensetzung aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.

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