OGH 8Ob658/87 (8Ob659/87)

OGH8Ob658/87 (8Ob659/87)23.3.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Lutz E***, geboren am 4. Dezember 1944 in Bad Leonfelden, Kaufmann, Bahnhofstraße 18, 4600 Wels, vertreten durch Dr. Ulf Gastgeb, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte und widerklagende Partei Irmgard E***, geboren am 15. April 1947 in Wels, Hausfrau, Jochbergstraße 52, 6370 Kitzbühel, vertreten durch Dr. Gerald Haas, Rechtsanwalt in Wels, wegen Ehescheidung, infolge Rekurses der klagenden und widerbeklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 8. Juli 1987, GZ 3 R 116, 117/87-48, womit das Urteil des Kreigerichtes Wels vom 4. Februar 1986, GZ 1 Cg 447/84-23, teilweise aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind als weitere

Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Der am 4. Dezember 1944 geborene Kläger und Widerbeklagte (in der Folge als Kläger bezeichnet) und die am 15. April 1947 geborene Beklagte und Widerklägerin (in der Folge als Beklagte bezeichnet) haben am 3. April 1971 vor dem Standesamt Wels die Ehe geschlossen. Es handelte sich beiderseits um die erste Ehe. Ihr entstammen zwei Kinder, nämlich die am 3. Mai 1972 geborene Tochter Catrin und der am 14. September 1976 geborene Sohn Alexander. Beide Streitteile sind österreichische Staatsangehörige; sie hatten ihren letzten gemeinsamen Aufenthalt in Wels.

Der Kläger begehrte mit seiner am 27. Dezember 1984 eingebrachten Klage die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten im wesentlichen mit der Begründung, daß sie wiederholt Ehebruch begangen habe.

Die Beklagte begehrte mit ihrer am 4. Juli 1985 eingebrachten Widerklage die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Klägers im wesentlichen mit der Begründung, daß der Kläger seit Winter 1974 Verhältnisse mit verschiedenen anderen Frauen unterhalten und mit ihnen Ehebruch begangen habe. Er habe der Beklagten mehrmals zugemutet, Intimitäten im Beisein anderer Frauen auszutauschen oder eine dritte Person in die Sexualbeziehungen zwischen den Ehegatten miteinzubeziehen und habe auch durch Zeitungsannoncen Frauen für "Gruppensex" gesucht. Er habe Reisen nach Thailand unternommen, bei denen er die dortigen Sexualpraktiken erprobt habe. Dieses von der Beklagten abgelehnte Verhalten des Klägers habe zu einer zunehmenden Reduzierung des sexuellen Kontaktes zwischen den Ehegatten geführt. Der Kläger habe der Beklagten sein Desinteresse deutlich spüren lassen und habe es nicht einmal der Mühe wert gefunden, sie anläßlich der Geburt ihres zweiten Kindes persönlich ins Krankenhaus zu bringen. Der Schwester der Beklagten gegenüber habe er wiederholt erklärt, es würde ihm nichts ausmachen, wenn die Beklagte einen Freund hätte, da er dann ungehindert seinen eigenen sexuellen Neigungen nachgehen könnte. Im Juni 1981 habe der Kläger die Beklagte mißhandelt. Es treffe zu, daß die Beklagte mit Karl C*** und Bernd T*** Ehebruch begangen habe; diesbezüglich werde aber Verfristung der Verzeihung eingewendet. Der Kläger habe diese Ehebrüche durch sein Verhalten, seine Erklärungen und durch seine Einstellung zur Ehe ermöglicht oder zumindest entscheidend erleichtert.

Das Erstgericht erteilte in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 9. Juli 1985 beiden Parteien den Auftrag, bis 30. September 1985 sämtliche Zeugen, die sie noch zu führen gedenken, mit vollem Namen und Wohnort bekanntzugeben und bis dahin allfällige noch beizubringende Urkunden zweifach vorzulegen, widrigenfalls nach den §§ 181 Abs 2, 179 ZPO vorgegangen würde (ON 13 S 37).

In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 4. Oktober 1985 (sie dauerte von 8.45 Uhr bis 18.45 Uhr) berief sich die Beklagte unter anderem zum Nachweis der behaupteten Beziehungen des Klägers zu Ottilie C*** und zu unbekannten aus Thailand stammenden Frauen auf die Einvernahme von drei bisher nicht geführten Zeugen. Das Erstgericht erklärte mit in der Tagsatzung verkündetem Beschluß dieses Vorbringen als unstatthaft und wies die beantragten Beweise im wesentlichen mit der Begründung zurück, daß die Ladung und Einvernahme der beantragten Zeugen die Erstreckung der Tagsatzung notwendig machen und damit eine wesentliche Verzögerung der Verhandlung mit sich bringen würde (ON 21 S 99 f). Mit Urteil vom 4. Februar 1986 schied das Erstgericht die Ehe der Streitteile aus beiderseitigem gleichteiligem Verschulden; den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten lehnte es ab.

Das Erstgericht stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Die Ehe der Streitteile verlief anfangs harmonisch. Sie wurde leicht getrübt durch die unterschiedliche Auffassung der Parteien über die Freizeitgestaltung und den privaten Geldverbrauch. Die Beklagte wollte abends öfter ausgehen; dies lehnte der Kläger ab, weil er mit seiner Arbeit oft später am Abend fertig wurde und dann nicht mehr ausgehen wollte. Weiters empfand die Beklagte das Haushaltsgeld als zu niedrig und meinte, es sei ihr vor der Ehe finanziell besser gegangen. Auseinandersetzungen mit Beleidigungen oder physischer Gewalt gab es darüber aber nicht.

Zu einer ernsten Krise kam es bei der Geburt des zweiten Kindes im Jahr 1976. Die Beklagte empfand es als kränkend, daß sie der Kläger nicht selbst ins Spital brachte; sie mußte die Hilfe seiner Schwester in Anspruch nehmen. Der Kläger war damals beruflich abwesend.

In den beiden darauffolgenden Jahren reiste der Kläger nach Thailand. Die Beklagte hat dem nicht widersprochen. In den Jahren vor 1981 vermutete die Beklagte mehrfach, daß der Kläger intime Beziehungen zu anderen Frauen unterhalte. Unter anderem schlug er ihr vor, intime Beziehungen in Gegenwart und unter Mitwirkung einer anderen Frau zu pflegen. Die Beklagte war damit in keiner Weise einverstanden und empfand dieses Ansinnen als sehr kränkend. Dies führte zu einer Entfremdung der Ehegatten. Etwa 1980 lernte der Kläger Ottilie C*** kennen. Er traf sie mehrmals, zum Teil auch zufällig. Sie gingen manchmal miteinander aus, meist in Gegenwart anderer Personen. Intime Kontakte fanden nicht statt. Die Beklagte empfand jedoch die Freundschaft des Klägers zu C*** als störend.

Etwa seit 1981 ist der Kläger mit Mag. Eveline J*** befreundet. Sie verbrachten zusammen drei Urlaube und viele Wochenenden in Kitzbühel. Zwischen ihnen kam es seither auch in nicht feststellbarer Häufigkeit zu Geschlechtsverkehr. Diese Beziehung war bei Schluß der Verhandlung (4. Oktober 1985) noch aufrecht. Der Kläger äußerte im Gespräch mit Dritten des öfteren, es sei ihm zuwider, in eine Ehe eingepfercht zu sein. Er wünsche eine sexuelle Beziehung auch zu anderen Frauen und würde außereheliche Beziehungen auch der Beklagten zugestehen.

Etwa um 1980 lernte die Beklagte bei einem mehrtägigen Schitest in Hintertux Karl C*** kennen. Sie hatte mit ihm zumindest einmal Geschlechtsverkehr.

Etwa im Mai 1981 hielten sich beide Streitteile in Mallorca auf, wo der Kläger an einem Treffen von Berufskollegen teilnahm. Die Beklagte lernte dort den als Tennislehrer tätigen Bernd T*** kennen. Am letzten Tag des einwöchigen Aufenthaltes kam es zwischen ihm und der Beklagten zu einem Geschlechtsverkehr. Im Herbst 1983 lernte die Beklagte den damals 22 Jahre alten Martin M*** kennen. Er war öfter Gast bei ihr und sie verköstigte ihn. Etwa ab Herbst 1983 kam es zu Geschlechtsverkehr mit ihm. Gegen Jahresende 1983 beendete sie diese Bekanntschaft mit der Begründung, daß jetzt ihre Bekannten wieder in Kitzbühel seien. Von diesen Vorfällen erfuhr der Kläger frühestens im Juli 1984. Er äußerte der Beklagten gegenüber nie, daß er außereheliche Beziehungen der Beklagten billige. Solche Äußerungen machte er nur im Gespräch mit Dritten.

Im Oktober 1981 hatte sich die Ehe der Streitteile so verschlechtert, daß die Beklagte die häusliche Gemeinschaft aufheben wollte und der Kläger dem keine ernsthaften Einwände entgegensetzte. Die Parteien einigten sich dann über eine Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft und über den Unterhalt der Beklagten. Diese übersiedelte noch Ende 1981 nach Kitzbühel und lebt seither dort. Keine der Parteien hat ernsthafte Versuche zur Wiederherstellung einer ehelichen oder auch nur häuslichen Gemeinschaft unternommen. Der Kläger schloß eine solche Wiederaufnahme der ehelichen Beziehungen jedoch zumindest bis 1984 nicht aus. Zumindest seit Mitte 1981 ist die Ehe der Parteien so zerrüttet, daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft auszuschließen ist.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß angesichts der beiderseitigen Ehebrüche die von der Beklagten dem Kläger vorgeworfenen weiteren Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG bedeutungslos seien. Da beide Parteien in gleicher Weise bereit gewesen seien, mit anderen die Ehe zu brechen, sei auch ihr gleichteiliges Verschulden auszusprechen. Dieses Urteil blieb insoweit unangefochten, als die Ehe aus einem Verschulden beider Streitteile geschieden wurde. Es wurde nur im Umfang der Ablehnung des Ausspruches des überwiegenden Verschuldens des Klägers von der Beklagten mit Berufung bekämpft. Das Berufungsgericht gab mit dem angefochtenen Beschluß diesem Rechtsmittel Folge. Es hob im Umfang der Anfechtung die Entscheidung des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Das Berufungsgericht führte im wesentlichen aus, daß die Voraussetzungen der §§ 179 Abs 1, 181 Abs 2 ZPO für die Zurückweisung der in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 4. Oktober 1985 beantragten Beweise nicht vorgelegen seien. Nach dem Prozeßverlauf könne nicht gesagt werden, daß die Notwendigkeit, die Vernehmung dieser Zeugen zu beantragen, schon vor der Tagsatzung vom 4. Oktober 1985 klar ersichtlich gewesen wäre. Der Beklagten könne daher nicht mit hinreichender Sicherheit Verschleppungsabsicht vorgeworfen werden, die aber nach beiden Gesetzesstellen Voraussetzung für die Zurückweisung von Beweisanträgen sei. Im übrigen wäre eine zielführende Vernehmung der neu beantragten Zeugen in der Tagsatzung vom 4. Oktober 1985 wegen ihrer auch ohne diese Vernehmungen extrem langen Dauer kaum mehr zu bewerkstelligen gewesen. Soweit die Beklagte die drei Zeugen zum Nachweis ihres Vorbringens über die Beziehungen des Klägers zu Ottilie C*** und zu unbekannten aus Thailand stammenden Frauen geführt habe, sei ihr Beweisantrag hinreichend bestimmt gewesen. Die diesbezüglichen Behauptungen der Beklagten seien, sollte ihre Richtigkeit erwiesen werden, nicht von vornherein ungeeignet, einen für die Beklagte günstigeren Verschuldensausspruch herbeizuführen. Ohne vorgreifende Beweiswürdigung könne auch nicht gesagt werden, daß die beantragten Zeugen über die zu erweisenden Tatsachen keine Auskünfte geben könnten. Durch die Unterlassung der Vernehmung dieser drei Zeugen sei das Verfahren erster Instanz daher mangelhaft geblieben (§ 496 Abs 1 Z 2 ZPO).

Es seien aber auch erhebliche Tatsachen in erster Instanz nicht erörtert worden (§ 496 Abs 1 Z 3 ZPO).

Der Ausspruch des überwiegenden Verschuldens gemäß § 60 Abs 2 EheG habe zur Voraussetzung, daß das Verschulden des einen Ehegatten erheblich schwerer wiege als das des anderen. Maßgebend sei das gesamte Verhalten der Ehegatten in seinem Zusammenhang. Bedacht zu nehmen sei nicht nur darauf, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe begonnen, sondern auch, wer den entscheidenden Beitrag zur unheilbaren Zerrüttung der Ehe geleistet habe. Überwiegendes Verschulden sei nur auszusprechen, wenn die Schuld des einen Gatten erheblich schwerer sei und das Verschulden des anderen fast völlig in den Hintergrund trete. Es müsse ein sehr erheblicher gradueller Unterschied des beiderseitigen Verschuldens gegeben sein; der Unterschied müsse augenscheinlich und offenkundig hervortreten. Eheverfehlungen nach Eintritt der völligen Zerrüttung der Ehe spielten bei der Verschuldensabwägung keine entscheidende Rolle. Dies gelte auch für einen nach Zerrüttung der Ehe begangenen Ehebruch; ein solcher stehe dem Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des anderen Ehegatten nicht entgegen.

Das Erstgericht habe sich darauf beschränkt, einzelne Vorfälle und Verhaltensweisen der Streitteile mehr oder weniger zusammenhanglos festzustellen, ohne deren Einfluß auf das eheliche Verhältnis der Streitteile im einzelnen zu untersuchen. Die Zeitangaben in den Sachverhaltsfeststellungen seien, obwohl teilweise genauere Beweisergebnisse vorlägen, so vage, daß sich die festgestellten Tatsachen nicht einmal chronologisch ordnen ließen. Mit den anderen Eheverfehlungen (außer Ehebruch), die die Beklagte dem Kläger vorgeworfen habe, habe sich das Erstgericht überhaupt nicht auseinandergesetzt, weil es, ausgehend von einer vom Berufungsgericht nicht gebilligten Rechtsansicht, die Ehebrüche der Beklagten als so schwerwiegend angesehen habe, daß sie die Feststellung des überwiegenden Verschuldens des Klägers unter allen Umständen hinderten. Dies könne aber von vornherein nicht gesagt werden. Die aufgezeigten Feststellungsmängel ließen eine abschließende rechtliche Beurteilung der Sache noch nicht zu. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes habe die Beklagte die Beziehung zu Martin M***, möglicherweise aber auch den Intimkontakt mit Bernd T***, zu einem Zeitpunkt

aufgenommen, als die Ehe bereits unheilbar zerrüttet gewesen sei. Ob dies auch schon zu dem Zeitpunkt der Fall gewesen sei, als sich der Kläger mit Mag. Eveline J*** angefreundet habe, lasse sich auf Grund der vorliegenden Sachverhaltsfeststellungen nicht beurteilen. Ebensowenig lasse sich zeitlich einordnen, wann der Kläger an die Beklagte mit dem Ansinnen herangetreten sei, andere Frauen zum Geschlechtsverkehr beizuziehen. Sollte dies vor den Ehebrüchen der Beklagten gewesen sein, würde sich das Gewicht ihrer ein bis zwei Ehebrüche vor der objektiven Zerrüttung der Ehe so weit verringern, daß sie die Feststellung des überwiegenden Verschuldens des Klägers nicht unter allen Umständen hinderten. Von Bedeutung sei auch, wann und wem gegenüber der Kläger geäußert habe, er würde sexuelle Beziehungen zu Außenstehenden auch der Beklagten zugestehen. Sollte diese von diesen Äußerungen des Klägers vor ihren Ehebrüchen Kenntnis erlangt haben, so würde dies die Ehebrüche ebenfalls in milderem Licht erscheinen lassen. Schließlich sei auch von Bedeutung, wann die Beklagte vom Verhältnis des Klägers mit Mag. Eveline J*** erfahren habe und wie sich dieses auf das eheliche Verhältnis der Streitteile ausgewirkt habe. Über den Zeitpunkt der subjektiven Zerrüttung der Ehe habe das Erstgericht zumindest keine schlüssigen Feststellungen getroffen. Die aufgezeigten primären und sekundären Verfahrensmängel erforderten die Aufhebung der Entscheidung des Erstgerichtes im Umfang der Anfechtung.

Gegen diesen Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, "den angefochtenen Beschluß abzuändern und auszusprechen, daß das erstgerichtliche Urteil vollinhaltlich bestätigt wird".

Die Beklagte hat eine Rekursbeantwortung mit dem Antrag erstattet, dem Rekurs des Klägers keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist infolge des vom Berufungsgericht ausgesprochenen Rechtskraftvorbehaltes zulässig, sachlich aber nicht berechtigt. Zu Unrecht wendet sich der Kläger in seinem Rechtsmittel gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß die Voraussetzungen des § 179 Abs 1 bzw. des § 181 Abs 2 ZPO für die Zurückweisung der eingangs wiedergegebenen Beweisanträge der Beklagten in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 4. Oktober 1985 nicht gegeben waren.

Soweit das Berufungsgericht das Ersturteil wegen einer vom Berufungswerber mit Erfolg bekämpften Zurückweisung von Beweisanträgen aufhebt, faßt es in Wahrheit einen rekursgerichtlichen Beschluß, der nicht nach § 519 ZPO, sondern nach § 528 ZPO zu beurteilen ist (RZ 1976/27; SZ 51/32; 6 Ob 543/85; 7 Ob 589, 590/85 ua). Da der diesbezügliche Beschluß des Erstgerichtes durch die zweitinstanzliche Entscheidung abgeändert wurde, steht sohin der Bekämpfung des Aufhebungsbeschlusses des Berufungsgerichtes auch in diesem Umfang nichts im Wege. Die Parteien dürfen grundsätzlich bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung neue Tatsachenbehauptungen aufstellen und neue Beweise anbieten (§ 179 Abs 1 erster Satz ZPO). Neues Vorbringen und neue Bweise können jedoch gemäß § 179 Abs 1 ZPO zurückgewiesen werden, wenn sie verspätet in der Absicht, den Prozeß zu verschleppen, angebracht werden und die Bedachtnahme auf solches Vorbringen und solche Beweisanträge geeignet wäre, die Erledigung des Verfahrens erheblich zu verzögern. Die Bestimmung des § 181 Abs 2 ZPO normiert im wesentlichen die gleichen Voraussetzungen. Ob sie zutreffen, ist im Einzelfall unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände zu beurteilen. Wegen der damit verfügten endgültigen Ausschließung neuen Vorbringens oder neuer Beweismittel ist vom Zurückweisungsrecht wegen Verschleppungsabsicht mit verantwortungsbewußter Vorsicht Gebrauch zu machen (Fasching Kommentar II 851; RZ 1976/27; RZ 1976/44; 6 Ob 543/85; 7 Ob 589, 590/85 ua).

Im vorliegenden Fall fanden zur Verhandlung über Klage und Widerklage zwei Tagsatzungen zur mündlichen Streitverhandlung statt, wobei die Vernehmung der Streitteile als Parteien in der zweiten Tagsatzung am 4. Oktober 1985 erfolgte. Wenn sich die Beklagte veranlaßt sah, in dieser zweiten Tagsatzung weitere sachlich erhebliche Beweisanträge über Umstände, die die vorzunehmende Verschuldensabwägung zu ihren Gunsten zu beeinflussen geeignet sind, zu stellen, kann darin eine offenbare Verschleppungsabsicht im Sinne des § 179 Abs 1 ZPO bzw. des § 181 Abs 2 ZPO schon deshalb nicht erblickt werden, weil ihr die Überlegung zugebilligt werden muß, daß allenfalls vom Kläger in seiner Aussage als Partei zugestandene Eheverfehlungen keiner weiteren Beweisführung bedürfen. Wenn sich die Beklagte nach dem Ergebnis der Parteienvernehmung des Klägers zur Stellung weiterer das Vorliegen vom Kläger nicht zugestandener Eheverfehlungen betreffender Beweisanträge veranlaßt sah, schließt dies unter den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen die Annahme ihrer offenbaren Verschleppungsabsicht aus, ohne daß es weiterer Erörterungen darüber bedürfte, ob die Aufnahme der von der Beklagten beantragten neuen Beweise zu einer erheblichen Verzögerung der Erledigung des Prozesses geführt hätte. Mit Recht hat daher das Berufungsgericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 179 Abs 1 ZPO bzw. des § 181 Abs 2 ZPO verneint und, da die Umstände, über die die beantragten Zeugen geführt wurden, für die vorzunehmende Verschuldensabwägung zweifellos von Interesse sind, die Abweisung dieser Beweisanträge als Verfahrensmangel qualifiziert. Im übrigen hat das Berufungsgericht die rechtlichen Grundsätze für die vorzunehmende Verschuldensabwägung durchaus zutreffend dargelegt. Der Kläger stellt in seinem Rechtsmittel nicht die Richtigkeit dieser rechtlichen Grundsätze in Frage, vermeint aber, daß die bisherigen Verfahrensergebnisse für eine erschöpfende rechtliche Beurteilung ausreichten. Dabei geht er allerdings weitgehend nicht von den Feststellungen des Erstgerichtes aus. Diese ermöglichen, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, keine erschöpfende rechtliche Beurteilung im Sinne der von ihm richtig dargestellten rechtlichen Grundsätze. Wenn das Berufungsgericht, ausgehend von einer zutreffenden Rechtsansicht, den festgestellten Sachverhalt für ergänzungsbedürftig erachtet, kann dem der Oberste Gerichtshof nicht entgegentreten (SZ 38/29; SZ 38/227 uva). Dem Rekurs des Klägers muß daher ein Erfolg versagt bleiben. Da dieses Rechtsmittel aber zur Klärung der Rechtslage beigetragen hat, ist die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens im Sinne des § 52 ZPO dem weiteren Verfahren vorzubehalten (EvBl 1958/28 ua).

Stichworte