Spruch:
Die Strafverfügung des Bezirksgerichtes Wolkersdorf vom 22. Oktober 1986, GZ U 246/86-3, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 83 Abs. 1 StGB.
Diese Strafverfügung wird aufgehoben und es wird dem Bezirksgericht Wolkersdorf die Durchführung des ordentlichen Verfahrens aufgetragen.
Text
Gründe:
I. Aus dem Akt U 246/86 des Bezirksgerichtes
Wolkersdorf - derzeit dem Akt U 270/85 des Bezirksgerichtes Klosterneuburg beigeschlossen - ergibt sich nachstehender Sachverhalt:
Nach dem Inhalt der am 3.Oktober 1986 beim Bezirksgericht Wolkersdorf eingelangten, den Gegenstand des dg. Strafverfahrens
U 246/86 gegen Alfred B*** wegen § 83 Abs. 1 StGB bildenden Anzeige des Gendarmeriepostens Wolkersdorf vom 30.September 1986, GZ P 1899/86, erfaßte der am 6.Dezember 1961 geborene beschäftigungslose Alfred B*** am 16.August 1986 gegen 2 Uhr 30 in der Diskothek "J***" in Wolkersdorf den Johann B***, welchen er schon vorher zu provozieren versucht hatte, am Hals und würgte ihn. In weiterer Folge versetzte er B*** mit der rechten Faust einen Schlag ins Gesicht und mehrere Schläge mit der flachen Hand auf die Oberschenkel. Bei seiner Vernehmung durch die Gendarmerie, welche eine knappe halbe Stunde nach der Tat erfolgte, gab Johann B*** an, als Folge der Tätlichkeiten Alfred B***'S Schmerzen im Kopf und am Hals zu verspüren, sowie Rötungen am Hals und Schwellungen am Kinn als sichtbare Verletzungen davongetragen zu haben. Nach den Wahrnehmungen des erhebenden Gendarmeriebeamten wies Johann B*** als einzige sichtbare Verletzung eine Rötung im Halsbereich auf. Die am 16.August 1986, 3 Uhr 30 - eine Stunde nach der Tat - durch die Gemeindeärztin Dr. Johanna S*** vorgenommene Untersuchung des Johann B*** ergab eine etwa 2 cm große Rötung an der linken Halsseite und "angebliche Schmerzen im Kiefergelenk" jedoch ohne sichtbare Verletzung (Verletzungsanzeige S 19 des Gerichtsaktes). Das Bezirksgericht Wolkersdorf verhängte daraufhin über Alfred B*** mit Strafverfügung vom 22.Oktober 1986 (ON 3 des Gerichtsaktes) wegen des Vergehens nach § 83 Abs. 1 StGB eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 100 S (für den Fall der Uneinbringlichkeit 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe), weil der Genannte am 16.August 1986 in Wolkersdorf durch Versetzen eines Schlages und Würgen mit den Händen den Johann B*** leicht verletzt hat, wodurch dieser eine 2 cm große Rötung an der linken Halsseite und Schmerzen im rechten Kiefergelenk erlitt. Diese Strafverfügung ist in Rechtskraft erwachsen; die Geldstrafe von insgesamt 6.000 S wurde vom Verurteilten in drei Raten zu je 2.000 S bezahlt.
II. Die Strafverfügung des Bezirksgerichtes Wolkersdorf vom 22. Oktober 1986, GZ U 246/86-3, verletzt nach Ansicht der Generalprokuratur das Gesetz in der Bestimmung des § 83 Abs. 1 StGB.
Sie führt hiezu folgendes aus: "Die vom Gericht als erwiesen angenommenen Tatfolgen sind nicht als Körperverletzung im Sinne des § 83 Abs. 1 StGB zu qualifizieren; denn darunter wird entweder die Verletzung am Körper (§ 83 Abs. 1, 1. Fall, StGB) dh die Beschädigung des Organismus iS einer nicht ganz unerheblichen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit des Tatopfers (Leukauf-Steininger Rz 4; Mayerhofer-Rieder2, ENr. 2, Burgstaller, WK Rz 9, sämtliche zu § 83 StGB; 13 Os 65/86) oder aber eine Schädigung an der Gesundheit desselben (§ 83 Abs. 1 2. Fall StGB), nämlich eine nicht bloß ganz vorübergehende oder unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens verstanden (Leukauf-Steininger Rz 6; Mayerhofer-Rieder2, ENr. 5; Foregger-Serini3, Anm. II, sämtliche zu § 83 StGB). Eine, wie im vorliegenden Fall, bloß 2 cm große Rötung am Hals, deren Dauer über eine größere Zeitspanne als eine Stunde nach der Tat nicht erwiesen ist, erfüllt aber nicht die zitierten gesetzlichen Voraussetzungen einer Verletzung iS des § 83 Abs. 1 StGB. Die nur kurzfristige Hautrötung geringen Ausmaßes führte zu keiner Beschädigung des Organismus des Johann B***; sie ist nach Lage des Falles bloß als unerhebliche Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit des Tatopfers anzusehen. Was die von Johann B*** behaupteten und vom Gericht - wie die Anführung in der Strafverfügung zeigt - offenbar als erwiesen angenommenen Schmerzen im rechten Kiefergelenk anlangt, so standen diese ersichtlich weder mit der Rötung an der linken Halsseite noch mit einer anderen pathologischen Veränderung des Körpers (Organismus) des Tatopfers im Zusammenhang. Derartige Schmerzen sind aber nur dann als Schädigung an der Gesundheit im oben dargelegten Sinne zu beurteilen, wenn eine vom Betroffenen als Leiden empfundener Schmerzzustand von einiger (wenn auch nicht besonders langer) Dauer vorliegt, dh ein zeitlich über die unmittelbare Einwirkung auf den Körper hinausreichendes Schmerzgefühl bewirkt wurde (ÖJZ-LSK 1982/154; EvBl. 1983/23). Vorausgesetzt wird dabei, daß es sich um Zustände handelt, die Krankheitswert im medizinischen Sinn besitzen (vgl. Burgstaller aaO, Rz 10 und 11; Kienapfel, BT I Rz 15, 17 und 18 zu § 83 StGB). Danach kann aber eine bloß für die Dauer etwa einer Stunde anzunehmende Schmerzempfindung im rechten Kiefergelenk, von der auch nicht festgestellt werden konnte, daß sie etwa von besonderer Intensität gewesen wäre, noch nicht als "Schädigung an der Gesundheit" iS des § 83 Abs. 1 StGB angesehen werden.
Der Verurteilte Alfred B*** wäre daher vom Vorwurf des Vergehens nach § 83 Abs. 1 StGB gemäß § 259 Z 3 StPO freizusprechen gewesen. Die gegenständliche Strafverfügung gereicht dem Verurteilten über die verhängte Geldstrafe hinaus auch insoweit zum Nachteil, als er mit Urteil des Bezirksgerichtes Klosterneuburg vom 12.Juni 1985, GZ U 270/85-8, der Vergehen der Sachbeschädigung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs. 1 (§ 125) StGB und der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu einer gemäß § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Wochen verurteilt worden war, und die neuerliche Verurteilung wegen einer während der Probezeit begangenen einschlägigen Straftat einen Widerrufsgrund für die erwähnte bedingte Strafnachsicht bilden kann."
Rechtliche Beurteilung
III. Der Oberste Gerichtshof hat hiezu erwogen:
Der Generalprokuratur ist darin beizupflichten, daß nach hM unter Verletzung am Körper jede nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit des Opfers zu verstehen ist (vgl. Burgstaller im Wr. Komm. Rz 9; Foregger-Serini StGB3 212; Kienapfel BT I2 Rz 6; Leukauf-Steininger Komm.2 RN 4, jeweils zu § 83; weiters die bei Mayerhofer-Rieder StGB2 unter ENr. 2 zu § 83 zit. Judikatur sowie 12 Os 136/81, 11 Os 145/84, 11 Os 13/86, 10 Os 50/86, 13 Os 65/86 = ZVR 1987/59 uam). Darunter fallen idR alle nicht bloß minimalen, weil sogleich wieder abklingenden pathologischen Veränderungen am Körper (an einem inneren oder äußeren Körperorgan, wozu auch die Haut zählt; vgl. ÖJZ-LSK 1979/67) zufolge gewaltsamer äußerer Einwirkung, wie etwa Wunden aller Art (13 Os 135/82; 12 Os 136/81), Blutergüsse (11 Os 128/83), Blutunterlaufungen, auch wenn sie bloß geringfügiger Natur sind (12 Os 136/81; 13 Os 65/86 = ZVR 1987/59), Schwellungen (10 Os 50/86; 11 Os 128/83) udgl. In bezug auf die hier aktuelle Rötung der Haut (als einer Gewebeveränderung infolge einer gewaltsamen Einwirkung auf die Haut) hat die Judikatur lediglich ganz kurzfristige Hautrötungen nicht als Körperverletzung gewertet (10 Os 75/86), wobei ausgesprochen wurde, daß eine ein bis zwei Stunden nach der Tat nicht mehr wahrnehmbare, somit so kurzfristig sichtbare, rasch vorübergehende Rötung der Haut (noch) keine relevante Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit des Betroffenen und sohin keine Verletzung an Körper darstellt (so EvBl. 1974/227).
Vorliegend war die 2 cm große - ersichtlich durch das Würgen des Opfers verursachte - Rötung der Haut an der linken Halsseite des Johann B*** bei der ärztlichen Untersuchung eine Stunde nach der Tat offenkundig noch deutlich sichtbar (S 19); wie lange sie darnach noch sichtbar blieb, ist nicht erhoben worden, wobei nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen werden kann, daß sie noch mehrere Stunden später wahrnehmbar gewesen ist, woraus auf eine nicht unerhebliche Veränderung der Haut, die als Verletzung am Körper zu beurteilen wäre, geschlossen werden müßte. Auf Grund der bisherigen Verfahrensergebnisse ist somit eine abschließende rechtliche Beurteilung in Richtung § 83 Abs. 1 StGB nicht möglich. Die vom Bezirksgericht festgestellten Schmerzen im rechten Kiefergelenk werden von der Generalprokuratur lediglich unter dem Aspekt einer Gesundheitsschädigung behandelt. Dieser Gesichtspunkt trifft aber nur für solche Schmerzen zu, die nicht auf eine pathologische Veränderung eines Körperorganes zurückzuführen sind (vgl. EvBl. 1983/23). Im gegebenen Fall liegt es aber nahe, daß diese Schmerzen, berücksichtigt man den Tathergang (Versetzen eines Faustschlages ins Gesicht des Opfers), eine sie verursachende traumatische Beschädigung des Kiefers indizierten, was gleichfalls nicht erhoben wurde. Wie lange diese Schmerzen gedauert haben und welche Intensität sie hatten, blieb ungeklärt, sodaß nicht beurteilt werden kann, ob die sie bedingende Beeinträchtigung des Kiefers eine Körperverletzung darstellt.
Im übrigen wäre, sollte, sowohl in Ansehung des Würgens als auch in Ansehung des Faustschlages ins Gesicht der Eintritt einer Verletzung am Körper zu verneinen sein, der inkriminierte Sachverhalt auch unter dem Gesichtspunkt eines Deliktsversuches (§§ 15, 83 Abs. 1 StGB; vgl. hiezu Kienapfel aaO Rz. 49, Leukauf-Steininger aaO RN 17, jeweils zu § 83) zu prüfen. Es war daher wie im Spruche zu erkennen.
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