OGH 1Ob38/87

OGH1Ob38/8721.10.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P. K*** & Co. Gesellschaft m.b.H., Graz, Raiffeisenstraße 61, vertreten durch Dr. Reinhard Hohenberg, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei L*** G***, vertreten durch Dr. Hannes Stampfer, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 320.485,50 s.A. infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 11. Juni 1987, GZ 4 R 101/87-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 26. Februar 1987, GZ 13 Cg 199/86-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 11.333,85 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.030,35 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Das Gesetz vom 28. Juni 1955 über die Erhebung der Kanalabgaben durch die Gemeinden des Landes Steiermark (Kanalabgabengesetz 1955; im folgenden kurz KAG), LGBl. 1955/71 idgF, ermächtigt die Gemeinden des Landes Steiermark, die öffentliche Kanalanlagen zur Ableitung von Abwässern errichten und betreiben, durch Beschluß des Gemeinderates eine einmalige Abgabe zur Deckung der Kosten der Errichtung und der Erweiterung der öffentlichen Kanalanlagen (Kanalisationsbeitrag) nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zu erheben (§ 1). Die Beitragspflicht ist mit der Anschlußpflicht ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Anschluß oder mit dem freiwilligen Anschluß an das öffentliche Kanalnetz verknüpft (§ 2). Die Ermächtigung zur Erhebung des Kanalisationsbeitrages wird auf § 8 Abs. 5 F-VG gestützt. Das Ausmaß des Beitrages ist durch § 4 KAG geregelt, dessen ersten beiden Absätze lauten:

"1) Die Höhe des Kanalisationsbeitrages bestimmt sich aus dem mit der verbauten Grundfläche (in Quadratmetern) mal Geschoßzahl vervielfachten Einheitssatz (Abs. 2), wobei Dachgeschoße und Kellergeschoße je zur Hälfte eingerechnet werden;

Wirtschaftsgebäude, die keine Wohnung oder Betriebsstätte enthalten, werden nach der verbauten Fläche ohne Rücksicht auf die Geschoßzahl, Hofflächen, das sind ganz oder teilweise von Baulichkeiten umschlossene Grundflächen, deren Entwässerung durch die Kanalanlage erfolgt, nach dem Flächenausmaß eingerechnet.

2) Der Einheitssatz ist vom Gemeinderat in der Kanalabgabenordnung (§ 7) nach den durchschnittlichen, ortsüblichen Baukosten je Meter der Kanalanlage höchstens bis zu 3 v.H. dieser Baukosten für den Meter festzusetzen. Bei der Festsetzung des Einheitssatzes sind aus Bundes- und Landesmitteln für die Errichtung und die Erweiterung der öffentlichen Kanalanlage gewährte Beiträge und Zuschüsse in Abschlag zu bringen."

Auf dem KAG beruht die Verordnung des Gemeinderates vom 13. Mai 1971, mit der die Kanalabgabenordnung der L*** G*** erlassen wurde (kundgemacht gemäß § 101 Abs. 1 und 3 des Statutes der L*** G*** durch Anschlag an der Amtstafel im Rathaus am 25. Mai 1971 und durch Verlautbarung im Amtsblatt der L*** G*** 1971, Nr. 11, S. 137 f - im folgenden kurz KAO). Im § 3 KAO wurde der Einheitssatz auf Basis der Baukosten je Meter zum 1. Jänner 1971 mit 3 v.H. von S 1.640,--, d.s. S 49,20, festgesetzt.

§ 3 Abs. 3 KAO lautet wie folgt:

"Erfolgt eine Steigerung des Baukostenindex auf der Basis 1. Jänner 1971 von mehr als 10 v.H., so werden die dieser Verordnung zugrundegelegten durchschnittlichen ortsüblichen Kanalherstellungskosten pro Laufmeter jeweils gleitend und automatisch der neuen Kostensituation voll angepaßt und der Einheitssatzberechnung mit Wirkung des jeweils nächstfolgenden 1. Juli bzw. 1. Jänner zugrundegelegt."

Mit Kundmachung des Bürgermeisters vom 8. Oktober 1975, veröffentlicht im Amtsblatt der L*** G*** 1975, Nr. 14, S. 250, wurde die der Berechnung des Kanalisationsbeitrages am 1. Juli 1975 zugrundeliegenden Einheitssätze verlautbart. Mit der für den Bürgermeister der L*** G*** durch den Stadtrat für Finanzen erlassenen Kundmachung vom 12. Juli 1977, veröffentlicht im Amtsblatt der L*** G*** 1977, Nr. 12, S. 217, wurde der ab 1. Juli 1977 geltende Einheitssatz verlautbart. Mit Kundmachung des Bürgermeisters der L*** G*** vom 23. Juni 1981, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel im Rathaus am 1. Juli 1981 und durch Verlautbarung im Amtsblatt der L*** G*** 1981, Nr. 15, S. 238, wurde der ab 1. Juli 1981 geltende Einheitssatz verlautbart.

Die klagende Partei hat auf ihr gehörigen Liegenschaften in der Wienerstraße in Graz Bauwerke errichtet, für die ihr der Magistrat der beklagten Landeshauptstadt mit Bescheiden vom 14. November 1980, 25. Februar 1981 sowie 17. und 23. Juni 1981, gestützt auf § 2 und 3 KAO, Kanalisationsbeiträge von insgesamt S 2,674.050,-- zur Zahlung vorschrieb. Berufungen der klagenden Partei gegen diese Bescheide an den Gemeinderat der beklagten Landeshauptstadt blieben erfolglos. Gegen die Bescheide des Gemeinderates erhob die klagende Partei Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des § 3 Abs. 3 KAO und der schon genannten, von ihm als Verordnungen beurteilten Kundmachungen einleitete. Mit Erkenntnis vom 16. März 1973, V 12, 13/82-13, V 44, 45/82-13, hob der Verfassungsgerichtshof § 3 Abs. 3 KAO und die beiden Kundmachungen vom 8. Oktober 1975 und vom 12. Juli 1977 als gesetzwidrig auf. Die Ermittlung der Kostensteigerung anhand des Baukostenindex entspreche dem vom Gesetzgeber aufgestellten Kriterium der Ortsüblichkeit ebensowenig wie dem Erfordernis, daß nur die Kanalbaukosten, deren Steigerung nicht mit jener in anderen Baubereichen ident sein müsse, zugrundezulegen seien. Die Heranziehung eines über den engen Bereich von Graz hinausgehenden Baukostenindex verbiete sich auch angesichts der gesetzlichen Beschränkung auf die ortsüblichen Baukosten. Überdies bezwecke § 4 Abs. 2 KAG, daß der Rechtsunterworfene der Verordnung des Gemeinderates selbst den jeweils geltenden Einheitssatz entnehmen könne. Auch wenn die Steigerung nach dem Baukostenindex im fraglichen Zeitraum nur geringfügig höher gewesen sein möge als die durchschnittlichen Baukosten in Graz, was keineswegs immer der Fall sein müsse, rechtfertige dies keineswegs das Abweichen des Verordnungsgebers von den gesetzlich vorgegebenen Kriterien der Kanalbaukosten und deren Ortsüblichkeit. Zweckmäßigkeitserwägungen könnten an diesem Ergebnis nichts ändern. Falle § 3 Abs. 3 KAO aber weg, so sei damit der wie immer vorgenommenen Feststellung der Höhe des jeweils geltenden Einheitssatzes der Boden entzogen. Im Hinblick auf dieses Erkenntnis hob der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 29. Juni 1983, B 385 a, b/81-11, die beiden von der klagenden Partei bekämpften Bescheide des Gemeinderates vom 2. Juli 1981 auf. Mit Erkenntnis vom 15. Oktober 1985, V 5/85-9, V 39/85-9, hob der Verfassungsgerichtshof auch die Kundmachung des Bürgermeisters der beklagten Landeshauptstadt vom 23. Juni 1981 als gesetzwidrig und mit Erkenntnis vom selben Tag, B 528/83-10, B 560/84-13, den von der klagenden Partei bekämpften Bescheid des Gemeinderates vom 7. Juli 1983 auf.

Die klagende Partei wurde in diesen Verfahren vom nunmehrigen Klagevertreter vertreten, der ihr für seine Tätigkeit nach den Autonomen Honorar-Richtlinien (AHR) Kosten von insgesamt S 347.535,50 verrechnete. Hievon fällt ein Betrag von S 27.050,-- auf die Kosten der Vertretung vor dem Verfassungsgerichtshof, die der klagenden Partei von diesem gemäß § 88 VfGG zuerkannt wurden. Mit Schreiben vom 25. Juni 1986 forderte die klagende Partei die beklagte Landeshauptstadt zum Ersatz der restlichen in den Verwaltungsverfahren anerlaufenen Kosten von S 320.485,50 auf; dieses Schreiben blieb unbeantwortet.

Die klagende Partei begehrt die Verurteilung der beklagten Partei zum Ersatz der ihr erwachsenen Vertretungskosten von S 320.485,50 s.A. Die Organe der beklagten Partei hätten bei Erlassung der KAO und der schon genannten Kundmachungen dadurch gegen die Bestimmungen des KAG verstoßen, daß sie der Errechnung der Erhöhung des Einheitssatzes anstatt der ortsüblichen Gestehungskosten für Kanalbauten den Baukostenindex zugrundegelegt hätten. Die vom Verfassungsgerichtshof als gesetzwidrig aufgehobene Verordnung sei von den Organen der beklagten Landeshauptstadt rechtswidrig und schuldhaft erlassen worden, so daß die beklagte Partei als deren Rechtsträger für den Ersatz der der klagenden Partei deshalb aufgelaufenen Vertretungskosten einstehen müsse. Die beklagte Partei wendete ein, die Verordnungen und die darauf gestützten Bescheide beruhten auf vertretbarer Rechtsauffassung; die klagende Partei habe nicht dargetan, worin das schuldhafte Verhalten der Organe der beklagten Partei zu erblicken sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Jene Verordnungen, auf die sich die von der klagenden Partei beim Verfassungsgerichtshof bekämpften Bescheide stützten, seien rechtswidrig erlassen worden; das ergebe sich bereits aus den Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes. Sie beruhten jedoch auch auf keiner vertretbaren Rechtsauffassung; den Organen, die die Verordnungen erlassen hätten, falle vielmehr auch ein Verschulden zur Last, so daß der beklagte Rechtsträger der klagenden Partei den hiedurch verursachten Schaden zu ersetzen habe. Als solcher kämen auch Verfahrenskosten in Betracht.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Daß die abgabenrechtlichen Grundlagen für die Vorschreibung der Kanalisationsbeiträge durch die beklagte Partei rechtswidrig seien, gestehe letztlich auch die beklagte Partei im Rechtsmittelverfahren zu. Trotz des klaren und nicht mißzuverstehenden Auftrages des Gesetzgebers habe der Gemeinderat der beklagten Partei im § 3 Abs. 3 KAO zur Bemessung des Einheitssatzes die durchschnittlichen ortsüblichen Kanalherstellungskosten je Laufmeter den jeweiligen Steigerungen des Baukostenindex angepaßt. Damit sei der künftigen Errechnung des Einheitssatzes ein vom Landesgesetzgeber nie gewollter Wertmesser zugrundegelegt worden. Da die Kundmachungen über den so errechneten Einheitssatz nicht nur auf einer gesetzwidrigen Verordnung fußten, sondern überdies entgegen dem klaren Auftrag des Landesgesetzgebers nicht vom zuständigen Organ, dem Gemeinderat, erlassen worden seien, bedürfe es keiner weiteren Ausführungen zur Rechtswidrigkeit des Organverhaltens. Zur Begründung der Ersatzpflicht des Rechtsträgers dem Geschädigten gegenüber genüge auch leichte Fahrlässigkeit. Überdies habe die beklagte Partei trotz der im Amtshaftungsrecht geltenden Beweislastverteilung keine Behauptungen aufgestellt, aus welchen sich ableiten ließe, daß ihre Organe die Verordnung nicht schuldhaft erlassen haben. Der Geschädigte habe den ihm durch das rechtswidrige und schuldhafte Organverhalten zugefügten Schaden zu beweisen; die Person des schuldtragenden Organes müsse er hingegen nicht ausfindig machen. Der Rechtsträger habe, wenn feststehe, daß der Schaden durch rechtswidrige Vollziehung zugefügt worden sei, grundsätzlich für jedes seiner Organe, der Verordnungsgeber für schuldhaftes Verhalten bei Erlassen der Verordnung, einzustehen, auch wenn der Schaden erst durch den auf Grund der Verordnung ergangenen individuellen Verwaltungsakt eingetreten sei. Dem Rechtsträger bleibe allerdings der Beweis mangelnden Verschuldens seiner Organe offen. Damit treffe ihn die Beweislast für die Behauptung, daß die Rechtsverletzung durch seine Organe nicht schuldhaft erfolgt sei. Die klagende Partei habe sich lediglich zur Widerlegung der behaupteten Rechtswidrigkeit auf die vertretbare Rechtsauffassung berufen. Damit fehlten Prozeßbehauptungen, die ein ihren Organen angelastetes Verschulden zu entkräften imstande wären. Der Haftungsmaßstab sei für den Rechtsträger stets die Sorgfalt des Sachverständigen im Sinne des § 1299 ABGB. Dem Vorbringen der beklagten Partei könne entnommen werden, daß sich ihre Organe bei der Festsetzung des Einheitssatzes im Sinne des § 4 KAG deshalb eines vom Landesgesetzgeber nicht gewünschten Wertmessers bedient hätten, weil dies ihrer Meinung nach zweckmäßig gewesen wäre. Mit der Heranziehung dieses gesetzlich nicht gedeckten Parameters habe sich das vom Landesgesetzgeber berufene Organ, der Gemeinderat, offensichtlich die ständige Neuberechnung des Einheitssatzes erleichtern oder sogar ersparen wollen. Bei der Beschlußfassung hätte das Organ aber erkennen müssen, daß damit nicht dem Willen des Landesgesetzgebers Rechnung getragen werde. Die Bestimmung des § 4 KAG stelle unmißverständlich und eindeutig nur auf die Ortsüblichkeit der der Einheitssatzberechnung zugrundezulegenden Kanalerrichtungskosten ab. Aus dem Wortlaut lasse sich selbst bei extensiver Auslegung kein Hinweis auf einen bundesweiten Index finden, der nicht bloß aus den um die Zuschüsse verminderten ortsüblichen Kanalerrichtungskosten berechnet werde. Dem Gemeinderat habe es von vornherein klar sein müssen, daß er mit Erlassung dieser Verordnung einem klaren Gesetzauftrag zuwiderhandle. Damit habe der Gemeinderat nicht die für einen Verordnungsgeber, der sich zufolge des Legalitätsprinzips an den bestehenden Gesetzesauftrag zu halten habe, erforderliche Sorgfalt angewendet und es daher zugelassen, daß ein vom Gesetzgeber nicht gewollter Wertmesser herangezogen worden sei. Kosten, die einer Partei bei der Abwehr eines schuldhaften rechtswidrigen Eingriffs in Individualrechte mit Hilfe von Rechtsmitteln entstünden, stellten einen nach dem Amtshaftungsrecht ersatzfähigen Schaden dar. Die Höhe des Kostenaufwandes stehe mit S 320.485,50 unbekämpft fest.

Die von der beklagten Partei erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Sowohl bei der KAO als auch bei den vom Verfassungsgerichtshof als Verordnungen beurteilten Kundmachungen handelt es sich um Rechtsverordnungen, weil sie auf die vorgeschriebene Weise veröffentlichte generelle Anordnungen sind (Loebenstein-Kaniak, AHG2 69). Wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, können auch Verordnungen Amtshaftungsansprüche auslösen, wenn sie rechtswidrig (gesetzwidrig) erlassen worden sind (SZ 55/190; SZ 51/7;

EvBl. 1965/69 u.a.; Welser in JBl. 1975, 231 mwN in FN 23;

Loebenstein-Kaniak a.a.O. mwN). Das gilt auch dann, wenn die Verordnungen der Konkretisierung durch individuelle Akte der Vollziehung bedürfen; auf gesetzwidrigen Verordnungen beruhende individuelle Verwaltungsakte sind dann gleichfalls rechtswidrig (Loebenstein-Kaniak a.a.O. 70). Da die beklagte Landeshauptstadt Rechtsträger der Organe, die die gesetzwidrigen Verordnungen erließen, und die im KAG geregelten Aufgaben solche des eigenen Wirkungsbereiches sind (§ 10 idF der Kanalabgabengesetznovelle 1971, LGBl. 1971/40), ist sie zum auf die Rechtswidrigkeit der Verordnungen gegründeten Amtshaftungsanspruch der klagenden Partei passiv legitimiert.

Da der Verfassungsgerichtshof die Verordnungen, die den von der klagenden Partei bekämpften berufungsbehördlichen Bescheiden zugrundelagen, als gesetzwidrig aufgehoben hat, ist deren Rechtswidrigkeit vom Amtshaftungsgericht nicht zu prüfen, weil alle Gerichte an seinen die Verordnung aufhebenden Spruch gebunden sind (Art. 139 Abs. 6 B-VG; § 60 Abs. 1 VfGG). Die beklagte Partei bestreitet auch die Rechtswidrigkeit der aufgehobenen Verordnungen im Rechtsmittelverfahren nicht; sie behauptet aber nach wie vor, daß ihre Organe bei Erlassung der Verordnungen nicht schuldhaft gehandelt hätten, da ihnen eine vertretbare Rechtsauffassung zuzubilligen sei.

Das Gericht zweiter Instanz verweist zutreffend darauf, daß die beklagte Partei im Verfahren erster Instanz in Verkennung der im Amtshaftungsverfahren herrschenden Beweislastverteilung zur Frage des Verschuldens ihrer Organe lediglich vorgebracht hat, die klagende Partei habe es unterlassen, Umstände darzutun, von welchen auf das Verschulden der Organe der beklagten Partei geschlossen werden könne. Die beklagte Partei beachtete hiebei nicht, daß die Organe der Rechtsträger ausnahmslos verpflichtet sind, sich rechtmäßig zu verhalten, so daß die Behauptungs- und Beweislast für mangelndes Verschulden bei Nichterfüllung dieser Rechtspflicht stets den Rechtsträger trifft (Loebenstein-Kaniak a.a.O. 145). Die beklagte Partei hat lediglich eingewendet, ihre Verordnungen beruhten auf vertretbarer Rechtsauffassung (ON 2, S. 2). Wenn auch grundsätzlich das bloße Bestreiten des Verschuldens nicht genügt, sondern die Einwendung mangelnden Verschuldens zu konkretisieren ist (Loebenstein-Kaniak a.a.O. 145), gilt dies, wie die Revision richtig darlegt, nicht, wenn nur die Beurteilung vorliegender Urkunden oder auch des bloßen Textes einer Verordnung vorzunehmen ist. Es ist daher zu prüfen, ob die vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenen Verordnungen bei Wertung ihrer Textierung das Ergebnis einer vertretbaren Rechtsauffassung der Organe, die sie erließen, waren. Nicht jedes rechtswidrige Verhalten ist auch schon schuldhaft. Abweichungen von einer klaren Gesetzeslage, die nicht erkennen lassen, daß sie sich auf sorgfältige Überlegungen gründen, sind jedoch grundsätzlich als schuldhaft zu beurteilen (SZ 52/56 u.a.; Loebenstein-Kaniak a.a.O. 143). Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung (vgl. die Nachweise bei Loebenstein-Kanaik a. a.O. 143) an die Haftung des Rechtsträgers grundsätzlich der gleiche Maßstab anzulegen wie für die Haftung von Rechtsanwälten, Notaren oder sonstigen Fachleuten, die nur für Unkenntnis der Gesetze, nicht aber auch dann zu haften haben, wenn ein vertretbarer Rechtsstandpunkt in der Folge von der Rechtsprechung nicht geteilt wird. Bei Erlassung einer Verordnung ist aber doch zu berücksichtigen, daß sie nicht unter einem solchen Zeitdruck erarbeitet werden muß, wie dies bei Bescheiden und anderen Entscheidungen im Einzelfall vielfach unvermeidlich ist. Sie hat auch für viele Personen und in der Regel für einen längeren Zeitraum zu gelten, weshalb es zu erwarten und auch zumutbar ist, daß ihrer Formulierung besonderes Augenmerk gewidmet und die Übereinstimmung mit der gesetzlichen Grundlage besonders genau geprüft wird. Ist das Verschulden der Organe der beklagten Partei unter diesem Gesichtspunkt zu beurteilen, kann ihnen eine vertretbare Rechtsauffassung nicht zugebilligt werden. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 16. März 1983 dargetan, daß § 4 Abs. 2 KAG der Bemessung der für die Höhe des Kanalisationsbeitrages maßgebenden Einheitssatzes die durchschnittlichen ortsüblichen Kanalbaukosten zugrundegelegt hat; dieser unmißverständliche Gesetzesbefehl läßt allein die Deutung zu, daß sich die Belastung der Eigentümer anschlußpflichtiger Liegenschaften (§ 5 Abs. 1 KAG) an jenen Kanalbaukosten, die ihnen auch bei eigenständiger Betrauung mit den erforderlichen Kanalbauarbeiten erwachsen würden, orientieren soll. Diesen im § 4 Abs. 2 KAG vorgezeichneten nicht zu verkennenden Bemessungsgrundsätzen hatten auch die Organe der beklagten Partei bei Erlassung der im § 7 KAG aufgetragenen Durchführungsverordnung (KAO) Rechnung zu tragen. Die beklagte Partei hat nach ihrer Darstellung im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof (Beilage A, S. 11) die von den im Gesetz angeordneten klar umrissenen Bemessungskriterien abweichende Bezugnahme auf den bundesweiten, die Kosten aller Zweige der Bauwirtschaft berücksichtigenden Baukostenindex bloß mit Zweckmäßigkeitserwägungen begründet; die Heranziehung der durchschnittlichen ortsüblichen Baukosten je Laufmeter Kanal eines Jahres zeitige kein "befriedigendes Ergebnis". Sie räumte damit selbst ein, daß sie bewußt mit der KAO für die Bemessung der Kanalisationsbeiträge einen Wertmaßstab einführte, der im § 4 Abs. 2 KAG keine Deckung fand. Für die Organe der beklagten Partei, die an der Erlassung der vom Verfassungsgerichtshof als gesetzwidrig aufgehobenen Verordnungen mitwirkten, bestand damit kein Zweifel, daß der in den Verordnungen herangezogene Baukostenindex der vom Landesgesetzgeber geforderten Bedachtnahme auf die konkreten ortsüblichen Kanalbaukosten nicht Rechnung trug und zu Bemessungsergebnissen, die von den gesetzlichen Bemessungskriterien abwichen, führen konnte. Bei dieser Sachlage ist der der beklagten Partei obliegende Entlastungsbeweis für das mangelnde Verschulden ihrer Organe als mißlungen anzusehen. Die Ersatzfähigkeit der Verfahrenskosten bestreitet die beklagte Partei in der Revision nicht mehr; die Entscheidung der Vorinstanzen entspricht herrschender Rechtsprechung und Lehre (JBl. 1987, 244; Meier in JBl. 1979, 617 ff; Loebenstein-Kaniak a.a.O. 156 f). Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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