OGH 1Ob661/87

OGH1Ob661/8721.10.1987

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Kodek als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Carolin P***, geboren am 5. Dezember 1981, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung, Wien 9, Alserbachstraße 41, infolge Rekurses der Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 26. Juni 1987, GZ 47 R 480/87-20, womit der Rekurs gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Klosterneuburg vom 12. Mai 1987, GZ P 5/87-17, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Rekurs wird, soweit er sich gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes über den Antrag auf Gewährung eines Unterhaltsvorschusses richtet, zurückgewiesen.

Im übrigen wird dem Rekurs Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß dem Rekurs gegen den Beschluß des Erstgerichtes Folge gegeben, der Beschluß des Erstgerichtes aufgehoben und diesem die Fortsetzung des Verfahrens und neue Entscheidung aufgetragen wird.

Text

Begründung

Die mj. Carolin P***, geboren am 5. Dezember 1981, ist das eheliche Kind der Flora und des Leonilo P***. Am 27. Jänner 1987 stellte die Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung den Antrag, den Vater zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 1.900,-- zu verpflichten bzw. einen Unterhaltsvorschuß gemäß § 4 Z 2 UVG zu gewähren. Die Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung legte eine mit der Mutter am 20. Jänner 1987 aufgenommene Niederschrift vor, wonach sich der Vater um das Kind, das die österreichische Staatsbürgerschaft besitze, nicht kümmere und keinen Unterhalt leiste. Seit Juli 1986 befinde sich der Vater nicht mehr in Österreich, sondern auf den Philippinen, wo der trotz aufrechter Ehe eine zweite Ehe eingegangen sein soll. Nach der vom Erstgericht eingeholten Auskunft des Zentralmeldeamtes der Bundespolizeidirektion Wien hat sich der Vater am 28. Oktober 1986 von Wien 15, Beckmanngasse 68/2/40, nach "Amerika" abgemeldet. Mit Beschluß vom 16. Februar 1987 (ON 7) bestellte das Erstgericht die Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung gemäß § 22 JWG zum besonderen Kurator der Minderjährigen zum Zwecke der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs. Nach Anfragen an die Gebietskrankenkasse über Beschäftigungsverhältnisse des Vaters ersuchte das Erstgericht die Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung mit Schreiben vom 16. März 1987 (ON 13), für den abwesenden Vater beim zuständigen Gericht die Bestellung eines Abwesenheitskurators zu erwirken, weil ein solcher nach dem zweiten Fall des § 276 ABGB nicht von Amts wegen bestellt werden könne. Die Bezirkshauptmannschaft Wien-Umgebung teilte dem Erstgericht mit Schreiben vom 23. April 1987 (ON 14) mit, daß die angeregte Antragstellung entbehrlich sei, weil die Rechte der Minderjährigen durch die Abwesenheit des Verpflichteten gehemmt seien und nicht die Rechte des "Abgängigen". Zur Anwendung gelange die Bestimmung des ersten Falles des § 276 ABGB (iVm dem dritten Fall dieser Gesetzesstelle). Das Erstgericht werde daher auf Grund der amtswegigen Ermittlungspflicht einen Abwesenheitskurator zu bestellen haben, wenn es zur Ansicht gelange, daß mit den Möglichkeiten des § 185 Abs. 3 AußStrG iVm § 106 ZPO und § 21 ZustellG nicht das Auslangen gefunden werden könne. Das Erstgericht wies sowohl den Antrag auf Festsetzung eines vom Vater zu leistenden Unterhaltes als auch auf Gewährung eines Unterhaltsvorschusses ab, weil die Bestellung des Abwesenheitskurators vom gesetzlichen Vertreter des Kindes nicht beantragt worden sei.

Das Rekursgericht wies den gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs zurück. Dem Erstgericht sei darin beizupflichten, daß die Bestellung eines Abwesenheitskurators wegen Hemmung der Rechte eines anderen in ihrem Gange (§ 276 zweiter Fall ZPO) einen Antrag desjenigen, dessen Rechte gehemmt seien, voraussetze. Dem Rechtsmittel mangle aber auch die Beschwer, weil sich der gesetzliche Vertreter nicht beschwert erachten könne, wenn er aus rechtstheoretischen Erwägungen die Mitwirkung an der Wahrung der Interessen des Pflegebefohlenen unterlasse und das Gericht die Säumnis "durch amtswegige Maßnahmen ungeachtet deren Zulässigkeit ersetzt."

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Rekurs ist zum Teil unzulässig, zum Teil gerechtfertigt.

Die Bestimmung des § 15 Abs. 3 UVG schließt jede Anrufung des Obersten Gerichtshofes im Verfahren über die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen ausnahmslos aus, ohne dabei nach dem Inhalt der Anfechtung oder dem Anfechtungsgrund zu unterscheiden (NZ 1986, 62; RZ 1981/41; EFSlg. 41.515, 38.981). § 15 Abs. 3 UVG schließt den Rekurs auch für den Fall aus, daß keine Sachentscheidung, sondern eine verfahrensrechtliche Entscheidung vorliegt (NZ 1986, 62; RZ 1981/41; EvBl. 1981/23). Demzufolge ist der Rekurs, soweit er sich gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes betreffend die Festsetzung eines Unterhaltsvorschusses richtet, als unzulässig zurückzuweisen.

Das Erstgericht ging nach der Aktenlage zutreffend davon aus, daß der Aufenthalt des Vaters Leonilo P*** unbekannt ist und die Durchführung des Verfahrens zur Festsetzung des Unterhalts die Bestellung eines Abwesenheitskurators erfordert, um dem Antragsgegner das rechtliche Gehör zu sichern (EFSlg. 33.668). Da der Vater, gegen den sich der Unterhaltsfestsetzungsantrag richtet, unbekannten Aufenthaltes ist, liegt der zweite Fall des § 276 ABGB (Hemmung der Rechte eines anderen) vor (EFSlg. 33.668). Knell, Die Kuratoren im österreichischen Recht, 69, vertritt die Auffassung, daß im ersten Fall des § 276 ABGB (Gefährdung der Rechte des Abwesenden) das Gericht den Abwesenheitskurator von Amts wegen oder auf Antrag zu bestellen habe, im zweiten Fall des § 276 ABGB hingegen nur auf Antrag. Dieser Rechtsansicht kann aber, jedenfalls für das Verfahren außer Streitsachen, nicht gefolgt werden. Im Zivilprozeß ermöglicht § 116 ZPO zum Zwecke der Zustellung der Klage die Bestellung eines Abwesenheitskurators für Personen unbekannten Aufenthalts auf Antrag oder von Amts wegen (vgl. Fasching Komm. II 621 Anm. 5). Darin erblickt Knell a.a.O. 79 Pkt. 2 mit Recht einen Ausfluß der Rechtsfürsorgepflicht gemäß § 21 ABGB. Der Fall der Bestellung eines Abwesenheitskurators nach der Zivilprozeßordnung ist aber nur ein Spezialfall der allgemeinen Abwesenheitskuratel nach bürgerlichem Recht (SZ 21/155; Wentzel-Piegler in Klang, Komm.2 I/2, 524 FN 27). Es wird daher auch die Auffassung vertreten, daß bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 116 ZPO nach Wahl des Antragstellers auch ein Kurator nach § 276 ABGB bestellt werden könne (SZ 24/15; Pichler in Rummel, ABGB, Rz 6 zu § 276; Wentzel-Piegler a.a.O.). Im Hinblick auf die im Pflegschaftsverfahren besonders ausgeprägte Rechtsfürsorgepflicht des Gerichtes (Dolinar, Österreichisches Außerstreitverfahrensrecht, Allgemeiner Teil 14) bestehen keine Bedenken dagegen, daß die Bestellung eines Kurators gemäß § 276 zweiter Fall ABGB von Amts wegen erfolgt. Demgemäß ist aber die Abweisung des Antrages auf Festsetzung des vom Vater zu leistenden Unterhalts allein deshalb, weil sich der Vertreter der Minderjährigen in Hintansetzung der Interessen der Minderjährigen weigert, den vom Erstgericht angeregten Antrag zu stellen, nicht gerechtfertigt. Es kann auch nicht die Befugnis des Vertreters verneint werden, geltend zu machen, daß das Erstgericht Vorkehrungen, die von Amts wegen zu treffen waren, unterlassen habe.

Da die Zurückweisung der Sache an das Rekursgericht zur Nachholung der Sachentscheidung eine überflüssige Formalität darstellte, hat der Oberste Gerichtshof an die Stelle der Formalentscheidung des Rekursgerichtes die zutreffende Sachentscheidung zu setzen (RZ 1974/40; SZ 42/48 ua.).

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