Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Text
Gründe:
Der am 17. Jänner 1954 geborene Bereiter Daniel H*** wurde von der Anklage, am 6. Juli 1985 in Gerlos den damals 21-jährigen Kellner Dietmar T*** durch Fausthiebe an sich schwer verletzt und hiedurch das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB. begangen zu haben, gemäß § 259 Z. 3 StPO. freigesprochen. Den Urteilsfeststellungen zufolge hielten sich der Angeklagte und T*** in der Nacht zum 6. Juli 1985 als Gäste in einem Lokal auf, wo T*** Alkohol zu sich nahm und über Aufforderung des Angeklagten ein Glas Wasser trank, in welchem letzterer zuvor eine Tablette des Schlafmittels Rohypnol aufgelöst hatte. Darauf schlief T*** vorerst ein. Nachdem man ihn geweckt und er etwas gegessen hatte, wurde er gegen den Angeklagten tätlich. T*** befand sich zu dieser Zeit nach dem Genuß von Bier (S. 165) und infolge der Einnahme des Medikaments Rohypnol in einem seine Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand. Der 1,93 m große und körperlich überlegene Angreifer (Urteilsfeststellungen S. 165, 166, 170, 171) schlug den nur 1,74 m messenden Angeklagten zunächst mit der Faust auf den Kopf, wodurch H*** niederstürzte. Dem auf dem Boden liegenden Angeklagten versetzte T*** Fußtritte, weshalb der Zeuge Günter D*** den aggressiven T*** zurückhalten wollte (Urteil S. 165, 169). In weiterer Folge riß T*** dem Angeklagten das T-Shirt vom Leib und attackierte den kleineren H*** mit Faustschlägen vorwiegend gegen den Kopf (Urteil S. 165). Gegen diese, etwa zehn bis fünfzehn (!) Minuten dauernden Angriffe wehrte sich der Angeklagte, indem er den T*** zurückstieß, dessen Hiebe abzublocken trachtete und ihm schließlich seinerseits Faustschläge in das Gesicht versetzte (Urteil S. 166).
T*** erlitt - womit seine Tätlichkeiten offenbar ein Ende fanden - einen verschobenen Bruch des rechten Jochbeins mit Beteiligung des Augenhöhlenbodens, eine Traumatisierung des dort austretenden Hirnnervenastes, einen Eintreibungsbruch der rechten Kieferhöhlenvorderwand und der rechten äußeren Nasenwand mit Behinderung der Nasenatmung, daneben mehrfache Blutergüsse und Schwellungen an der Stirn, an den Augenhöhlenbegrenzungen und am rechten Jochbein sowie eine Lippenschwellung. Der Angeklagte trug Prellungen der linken Rippen und am Kopf sowie Schürfwunden davon. Das Schöffengericht billigte dem Angeklagten eine maßhaltende Gegenwehr als unwiderlegbar zu. Es stützte sich dabei auf die im wesentlichen übereinstimmenden Aussagen der unbeteiligten Zeugen Günter D***, Andrea D***, Roland G***, Max R*** und Klaudius S***, wonach T*** der alleinige Angreifer war. Hieraus sowie aus der Dauer der massiven Angriffe (10 bis 15 Minuten), aus der körperlichen Überlegenheit des ungleich größeren T***'S und aus dessen Aggressivität (Urteil S. 166, 170, 171, 172) schloß das Gericht, daß der Angeklagte die Grenzen der notwendigen Verteidigung nicht überschritten hat. Die Staatsanwaltschaft ficht den Freispruch mit Nichtigkeitsbeschwerde aus § 281 Abs. 1 Z. 9 lit. a und b StPO. (sachlich nur lit. b) an. Sie vertritt die Auffassung, daß der Angeklagte dem zurechnungsunfähigen Angreifer hätte ausweichen müssen und können und daß der die schwere Verletzung T***'S herbeiführende Faustschlag nicht verteidigungsangemessen gewesen sei.
Rechtliche Beurteilung
Auszugehen ist von der herrschenden Judikatur, wonach das Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht und deshalb der rechtswidrig Angegriffene dem Angriff nicht ausweichen oder gar flüchten muß (LSK. 1982/20, 1985/57, EvBl. 1986 Nr. 42, 13 Os 114/85, 13 Os 168/85); denn Verteidigung ist Gegenwehr, nicht Verzicht auf Gegenwehr (LSK. 1985/57). Eine Ausnahme macht lediglich § 3 Abs. 1, zweiter Satz, StGB. Demzufolge ist die Handlung nicht gerechtfertigt, wenn es offensichtlich ist, daß dem Angegriffenen bloß ein geringer Nachteil droht und die Verteidigung, insbesonders wegen der Schwere der zur Abwehr nötigen Beeinträchtigung des Angreifers, unangemessen ist. Angesichts der - so ausdrücklich festgestellten - massiven Angriffe des körperlich überlegenen T***'S in einer Dauer von zehn Minuten bis zu einer Viertelstunde kann nicht davon gesprochen werden, daß dem Angegriffenen bloß ein geringer Nachteil drohte, zumal dieser bereits einmal auf dem Boden gelegen und dort Fußtritten ausgesetzt war. Mithin scheidet eine Beurteilung nach dem zweiten Satz des § 3 Abs. 1 StGB. aus.
Indessen leitet die Rechtsprechung aus dem letzten Satz des § 3 Abs. 1 StGB. in Verbindung mit § 21 abGB. ab, daß gegenüber Kindern, Unreifen und Geisteskranken, wenn sie als Angreifer auftreten, eine Pflicht zu besonderer Rücksichtnahme besteht, was bei Angriffen solcher Personen nach den Umständen des Falls zum Ausweichen nötigen kann. Hingegen schlägt gegenüber Angriffen Betrunkener das vorstehend angeführte Interesse der Rechtsbewährung (Rechtsbehauptung) voll durch, weil Betrunkene (anders als Kinder, Unreife und Geisteskranke) nicht den besonderen Schutz der Gesetze genießen, vielmehr die Trunkenheit in unserer Rechtsordnung mehrfach als sozialschädliches Verhalten gekennzeichnet ist (LSK. 1982/20, EvBl. 1972 Nr. 48, 1986 Nr. 42; Steininger in ÖJZ. 1980 S. 231 m. w.N. im Text und in Anm. 60 sowie mit Berufung auf Nowakowski, Grundzüge S. 230). Festgestelltermaßen befand sich T*** zur Tatzeit in einem schuldausschließenden, durch Alkoholkonsum und Schlafmittel verursachten Rauschzustand. Eine besondere Rücksichtnahme auf ihn war nach dem Vorgesagten nicht geboten, schon gar nicht eine Flucht vor ihm aus dem Lokal.
Bei der Prüfung der von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Frage der Angemessenheit der Abwehrhandlungen kommt der körperlichen Unterlegenheit des Angegriffenen und der gewalttätigen Veranlagung des Angreifers entscheidende Bedeutung zu (LSK. 1979/306). Beide Kriterien sind urteilsmäßig konstatiert, diese Feststellungen sind für die Rechtsrüge bindend. Zutreffend hat weiters in diesem Zusammenhang das Erstgericht darauf hingewiesen, daß unzureichende Abwehrhandlungen erfahrungsgemäß nur geeignet sind, die Angriffslust von durch Alkohol enthemmten Personen, die in der Regel besonders gefährlich sind (EvBl. 1972 Nr. 48, 12 Os 106/81), noch zu steigern und die Gefahr für den Angegriffenen zu verschärfen (SSt. XLIII/50, EvBl. 1983 Nr. 134, 1986 Nr. 42, 12 Os 106/81). Die Forderung aber, ein an sich zulässiges Abwehrmittel müsse unter Berücksichtigung aller denkbaren Folgen (auf der Seite des Angreifers) vom Angegriffenen graduell abgestuft eingesetzt werden, ist lebensfremd (LSK. 1981/66, EvBl. 1983 Nr. 134). Darnach kann auf der Grundlage des einleitend wiedergegebenen Urteilssachverhalts nicht angenommen werden, daß Daniel H*** die Grenzen der notwendigen Verteidigung überschritten habe. Wann schließlich der Angeklagte dem T*** den dessen schwere Verletzung herbeiführenden Faustschlag versetzt hat, ist nicht entscheidend; im übrigen liegt es, wie oben erwähnt, auf der Hand, daß damit die Tätlichkeiten des Angreifers beendet wurden. Die weder ausdrücklich noch sinngemäß im Beschwerdevorbringen aufgeworfene Frage der sogenannten Absichtsprovokation kann nicht zugunsten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft (und damit zum Nachteil des Angeklagten) zum Tragen kommen; denn ein Freispruch kann aus einem materiellen Nichtigkeitsgrund nicht mit Erfolg angefochten werden, wenn der betreffende Rechtsgrund in der Beschwerde der Staatsanwaltschaft nicht releviert wird. Das folgt nicht zuletzt kraft Umkehrschlusses aus der Vorschrift des § 290 Abs. 1 StPO. betreffend die amtswegige Wahrnehmung von dem Angeklagten zugutekommenden materiellen Nichtigkeiten (SSt. XI/33, XXIII/47, XXVI/30, XXX/107, RiZ. 1972 S. 167, linke Spalte, zweiter Absatz, 1980 Nr. 54 S. 227, rechte Spalte). Darum sei lediglich der Vollständigkeit halber angemerkt: Von einer Absichtsprovokation spricht man, wenn der Täter einen Angriff nur um der Abwehr willen herausfordert; der Absichtsprovokateur kann sich nicht auf Notwehr berufen (13 Os 112/82 u.a.). Allein im gegenständlichen Fall bieten die Urteilsfeststellungen keinen wie immer gearteten Anhaltspunkt für eine derartige Provokation. Wohl hat der Angeklagte dem T*** ein Glas Wasser mit einer darin aufgelösten Tablette eines Schlafmittels zu trinken gegeben. Doch ist T*** daraufhin eingeschlafen und - offenbar nach einiger Zeit - geweckt worden. Daß der Vorsatz des Angeklagten bei der Verabreichung der Tablette Rohypnol über die unmittelbare Wirkung der Einschläferung T***'S hinaus auf dessen späteren Tätlichkeiten (noch dazu speziell gegen H*** selbst) gerichtet gewesen wäre, geht aus den Urteilsannahmen nicht hervor und könnte in Anbetracht des zeitlichen Ablaufs kaum verläßlich unterstellt werden. Eine allfällige Provokationsmutmaßung muß deshalb, abgesehen von ihrer Urteils- und Beschwerdefremdheit, auf sich beruhen.
Die eingangs des vorigen Absatzes angestellte prozessuale Überlegung gilt auch für die Frage, ob der Angeklagte die Zurechnungsunfähigkeit T***'S überhaupt erkannt hat. Wollte die Staatsanwaltschaft den Mangel einer derartigen Feststellung zur Geltung bringen, so hätte sie ihn ausdrücklich aufgreifen müssen. Zusammenfassend ergibt sich sonach, daß der von der Anklagebehörde geltend gemachte Nichtigkeitsgrund (der Sache nach nur Z. 9 lit. b) in keiner der ausgeführten Richtungen vorliegt. Die Beschwerde war daher zu verwerfen.
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