Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.
Die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte werden mit ihren Berufungen auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Robert D*** wurde schuldig erkannt, am 1.Jänner 1984 in Wien den Maximilian B*** mit einem Fischermesser in den Unterbauch gestochen und ihm hiedurch einen Bauchwandbruch samt einer zweifachen Dünndarmdurchtrennung, mit einer immerwährenden Berufsunfähigkeit als Folge, zugefügt zu haben. Der Täter wurde wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach §§ 83 Abs. 1, 85 Z. 3 StGB. verurteilt.
Dagegen wendet sich Robert D*** mit einer Nichtigkeitsbeschwerde, in der er die mangelhafte Erörterung seiner Einlassung (§ 281 Abs. 1 Z. 5 StPO.), Notwehr (§ 281 Abs. 1 Z. 9 lit. b StPO.) sowie deren bloß fahrlässige Überschreitung (§ 281 Abs. 1 Z. 10 StPO.: angestrebter Schuldspruch nach § 88 Abs. 4 StGB.) reklamiert.
Rechtliche Beurteilung
Zutreffend macht die Beschwerde Feststellungsmängel geltend, weil das Erstgericht Konstatierungen zur Frage einer etwaigen Notwehrsituation unterlassen hat, obwohl der Angeklagte sein Zustechen mit einem Angriff B***, der ihn unmittelbar vorher zweimal zu Boden geschlagen hatte, zu rechtfertigen getrachtet hat (S. 251). Das Landesgericht ignorierte diese Verantwortung völlig. Es sah eine gerechte Notwehr des Beschwerdeführers allein mangels dessen Flucht als nicht gegeben an, wobei es von der überholten Rechtsansicht ausging, der Notwehrbegriff beinhalte die Verpflichtung, dem rechtswidrigen Angriff auszuweichen und sich solcherart dem Unrecht zu beugen (LSK. 1982/20, 1985/57, 13 Os 108/85, 13 Os 114/85 u.a.). Der Sonderfall des § 3 Abs. 1, zweiter Satz, StGB. scheidet hier aus.
Das angefochtene Urteil war daher schon in Stattgebung der Rechtsrüge (§ 281 Abs. 1 Z. 9 lit. b StPO.) des Angeklagten aufzuheben und die Verfahrenserneuerung anzuordnen (§ 285 e StPO.). Im zweiten Rechtsgang werden die erforderlichen Feststellungen zu treffen sein. Gelangt das Landesgericht dabei zur Ansicht, daß der Angeklagte zur Abwehr eines unmittelbar drohenden neuerlichen Angriffs zugestochen hat, wird bei der Abwägung des notwendigen Maßes der Verteidigung zu berücksichtigen sein, daß ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Angriff und dem aus seiner Abwehr zu erwartenden Schaden nicht unbedingt erforderlich ist. Sollte der Angeklagte das Maß gerechtfertigter Abwehr aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken (§ 3 Abs. 2 StGB.) fahrlässigerweise überschritten haben, so griffe der (von ihm unter dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z. 10 StPO. ins Treffen geführte) § 88 Abs. 4 StGB. ein, wofür derzeit allerdings im Urteil jegliches Substrat fehlt. Fiele dem Angeklagten die Überschreitung gebotener Notwehr aus einem sthenischen Affekt (Zorn: "erbost") zur Last, so wäre er für die Vorsatztat haftbar.
Bei Beantwortung der Frage nach der notwendigen Verteidigung ist eine Betrachtung aus der Sicht des Täters zur Tatzeit geboten (LSK. 1981/65, 1983/18, vgl. EvBl. 1983 Nr. 134), in deren Rahmen auch der von der Mängelrüge (§ 281 Abs. 1 Z. 5 StPO.) hervorgehobenen, im Urteil unerwähnt gebliebenen körperlichen Beschaffenheit des Täters (beschränkte Bewegungsfähigkeit des rechten Arms) Bedeutung zukäme.
Zufolge Urteilskassierung entfällt eine Entscheidung über die Berufungen.
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