Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:
Robert A wird von der Anklage, er habe am 23.September 1984 in Dienersdorf Karl Heinz B durch Versetzen eines Faustschlags in das Gesicht am Kärper schwer verletzt (Frakturen des linken Jochbeinbogens und Unterkieferfraktur mit Verschiebung der Bruchstücke) und hiedurch das Vergehen nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB begangen, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Die Privatbeteiligten, nämlich die Steiermärkische Gebietskrankenkasse und Karl Heinz B, werden gemäß § 366 Abs 1 StPO mit ihren Entschädigungsansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen.
Text
Gründe:
Der am 9.November 1967 geborene Betriebselektrikerlehrling Robert A wurde des Vergehens der schweren Kärperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 23.September 1984 in Dienersdorf, Bezirk Hartberg, Karl Heinz B durch Versetzen eines Faustschlags in das Gesicht vorsätzlich verletzt hat, wobei die Tat eine schwere Verletzung, nämlich neben einer Rißquetschwunde am Kinn auch Frakturen des linken Jochbogens sowie des rechten Unterkiefers mit Verschiebung der Bruchstücke und nachfolgend (nätig werdender) Zahnbehandlung, zur Folge hatte.
Rechtliche Beurteilung
Gegen dieses Erkenntnis wendet sich der Angeklagte mit einer auf § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, mit welcher er den Rechtfertigungsgrund der Notwehr reklamiert.
Hiezu ist folgendes zu überlegen:
Die vom Erstgericht ausdrücklich als solche bezeichneten Feststellungen enthalten nur die Konstatierung des vom Angeklagten geführten Schlags gegen Karl Heinz B nach einer während einer Tanzveranstaltung im Gasthaus C zwischen den beiden entstandenen 'wärtlichen und in der Folge tätlichen Auseinandersetzung' sowie die Darlegung der medizinischen Folgen dieses Schlags (S. 45). Die weiteren Urteilsgründe, welche insoweit nur die Schilderung der Verantwortung des Beschwerdeführers im Vorverfahren und in der Hauptverhandlung enthalten, läßt aber - zumal festgehalten wird, daß der Wirt und der Verletzte (letzterer wegen seiner starken Alkoholisierung) keine verwertbaren Angaben machen konnten, hingegen die Zeugen Reinhard D und Josef E mit ihren Aussagen im wesentlichen die Verantwortung des Angeklagten bestätigen (S. 48) - ebenso wie die nachfolgenden Rechtsausführungen des Jugendschäffengerichts unzweifelhaft erkennen, daß dieses in seinen Tatsachenannahmen von der Verantwortung des Angeklagten ausgegangen ist.
Demnach traf der Beschwerdeführer auf der Tanzfläche mit B zusammen und wurde dort von diesem zum Ausweichen aufgefordert und als 'fetter Hund' beschimpft. Als er entgegnete, B mäge sich 'schleichen', kündigte ihm B an, ihm einmal eine 'hineinzuhauen' und ihm eine 'aufzulegen', wobei er dem Angeklagten mit der Hand ins Gesicht griff und ihn auch an einem Oberarm erfaßte. Auf die Frage des letzteren, wozu dies alles gut sei, versetzte ihm B sogleich einen Schlag gegen das Kinn. Darauf mengten sich die Zeugen D und F ein und versuchten B von weiteren Tätlichkeiten abzuhalten. Während diese Zeugen aber gerade miteinander sprachen, griff B - zwischen ihnen stehend - von hinten auf den Angeklagten, erfaßte ihn am Hals und würgte ihn.
Daraufhin führte der Beschwerdeführer den Faustschlag gegen das Gesicht des Zeugen B. Dieser Faustschlag zog die im Spruch näher bezeichneten (schweren) Verletzungen nach sich (S. 45, 46, 47). Das Erstgericht verneinte das Vorliegen einer Notwehrsituation für den Angeklagten mit der Begründung, daß die neuerliche Attacke BS (Erfassen am Hals) keinen stichhältigen Grund für die Annahme dargestellt habe, B kännte - wie schon unmittelbar vorher - neuerlich einen Faustschlag gegen A führen, zumal B 'nunmehr nicht nur ihm, sondern auch D und F gegenübergestanden' sei, die 'schon versucht hatten, ihn von weiteren Tätlichkeiten abzuhalten'. Falls B wieder gegen den Angeklagten einen Faustschlag hätte führen wollen, dann hätte er dies gleich getan und ihn nicht zunächst am Hals erfaßt. Der Beschwerdeführer habe sich darum in keiner Notwehrlage befunden und den vorsätzlich geführten Schlag gegen B als Vergehen der schweren Kärperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB zu verantworten.
Dieser Rechtsmeinung kann nicht beigepflichtet werden. Der einleitend schon vom Zeugen B belästigte und mit Schlägen bedrohte Angeklagte hat nicht nur diese Wortattacken, sondern unmittelbar danach auch einen Faustschlag gegen sein Kinn ohne jede Gegenwehr über sich ergehen lassen und erst mit einem abwehrenden Faustschlag reagiert, als ihn B neuerlich, und zwar von hinten, am Hals packte und zu würgen begann. Die Meinung des Gerichts, daß der Angeklagte in dieser Situation nicht auch noch weitere kärperliche Angriffe des Zeugen B von Gewicht - wie etwa einen neuerlichen Faustschlag der schon vorher erhaltenen Art - befürchten mußte, widerspricht der Lebenserfahrung. Hiezu ist zu vermerken, daß sich die Verantwortung des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung, er habe nicht mehr damit gerechnet, daß B ihn nochmals angreifen werde, auf die Situation nach dem Faustschlag des B, aber vor dem Erfassen seines Halses durch B und dessen Würgehandlung bezieht. Die Anwesenheit der Zeugen F und D erwies sich für den Angeklagten keineswegs als Schutz vor B, zumal diese beiden Personen ja auch nicht verhindert haben, daß B, zwischen ihnen stehend (siehe oben), den Beschwerdeführer am Hals erfaßte und würgte. Dazu kommt, daß das Urteil jeglicher Feststellungen entbehrt, denen zufolge diese Zeugen - über ein schlichtes Zureden hinaus - B in handfester Weise von seinen weiteren Attacken auf den Angeklagten abzuhalten versucht hätten.
Davon, daß B nun außer dem Angeklagten auch den Zeugen F und D (ferner auch noch dem Josef E) in dem Sinne 'gegenübergestanden' sei, daß er mit ihrer vereinten Abwehr rechnen mußte, kann daher gar keine Rede sein. So gesehen muß aber - zumal die Angriffslust enthemmter Personen, mit welcher sie andere bedenkenlos und ohne triftigen Grund sogleich mit der Faust ins Gesicht schlagen und würgen, eine den Gegebenheiten des täglichen Lebens gerecht werdende Auslegung des Notwehrbegriffs nahelegt (hiezu treffend Kienapfel AT S. 31 Z 11 Rz. 17) - dem Angeklagten zugebilligt werden, daß er, nachdem er bereits massiv bedroht worden war, einen Faustschlag in das Gesicht erhalten hatte und nunmehr von hinten am Hals gepackt und gewürgt wurde, durchaus nicht verpflichtet war, wehr- und reaktionslos darauf zu warten, bis es seinem Widersacher allenfalls gefiele, ihn weiter zu attackieren. Zu einer derartigen Passivität war A nicht nur nicht verpflichtet;
sie wäre auch unangepaßt, ja geradezu unvernünftig gewesen, weil sich aus der Situation ergab, daß er mit wirksamer Hilfe anderer Personen offenbar nicht rechnen konnte.
Bei rechtsrichtiger Beurteilung des Vorfalls hätte das Gericht - wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführt - zum Ergebnis gelangen müssen, daß der Angeklagte sich nur der Verteidigung bedient hat, die notwendig war, um sowohl einen gegenwärtigen wie auch einen darüber hinaus unmittelbar drohenden (weiteren) rechtswidrigen Angriff auf seine Gesundheit und kärperliche Unversehrtheit von sich abzuwehren (§ 3 Abs 1 StGB ).
Der Rechtsmittelwerber hat damit, daß er es ohne Verwendung irgendeiner Waffe bei einem einzigen Faustschlag in das Gesicht des Angreifers bewenden ließ, auch weder das Maß der notwendigen Verteidigung (wobei für die Beurteilung der Notwendigkeit einer Verteidigungshandlung eine ex ante-Betrachtung aus der Situation des Angegriffenen unter Beachtung objektiver Kriterien geboten ist:
LSK. 1981/65 zu § 3 StGB , LSK. 1984/87 zu § 3 Abs 1 StGB ) überschritten noch sich einer offensichtlich unangemessenen Verteidigung bedient (§ 3 Abs 1, zweiter Satz, Abs 2 StGB ), zumal der in Sekundenschnelle zum Handeln genätigte Angegriffene nicht dazu verpflichtet ist, ein an sich zulässiges Abwehrmittel unter detaillierter Berücksichtigung aller denkbaren Folgen graduell abgestuft einzusetzen (JBl. 1981, 444 = LSK. 1981/66 zu § 3 StGB ; EvBl 1983 Nr. 134).
Daß das Hochheben des durch den Abwehrschlag des Angeklagten zu Boden gestürzten Zeugen B und sein anschließendes neuerliches Fallenlassen durch den Beschwerdeführer (S. 47 oben und Zeuge D S. 39) für die Verletzungen nicht kausal war, ergibt sich klar aus der Feststellung, daß durch den tätlichen Angriff des Angeklagten (zuvor ist AS Faustschlag ins Gesicht des B konstatiert) B seine Beschädigungen erlitten hat (Urteil S. 45). Sonach resultieren die mehrfachen Verletzungen des B aus dem vom Beschwerdeführer erhaltenen Faustschlag und dem hiedurch ausgelästen Sturz des B auf den Fußboden.
An den oben angestellten Erwägungen vermag schließlich auch der Umstand nichts zu ändern, daß der Zeuge B stark alkoholisiert war, zumal gegenüber Angriffen Betrunkener das Interesse der Rechtsbewährung in vollem Umfang besteht und Betrunkene (anders als Kinder, Unreife oder Geisteskranke) grundsätzlich nicht den besonderen Schutz des Gesetzes genießen (LSK. 1982/20 zu § 3 StGB ; Steininger in §JZ 1980 S. 231). Ein Ausweichen gegenüber dem Angreifer - wozu § 3 StGB den Angegriffenen gar nicht generell verpflichtet (siehe abermals Kienapfel a.a.O. Z 11 Rz. 18) - war dem Angeklagten deshalb nicht mäglich, weil dieser ihn ja schon am Hals gefaßt hielt. Was schließlich die Mäglichkeit, sich loszureißen, anlangt, so dürfte sie im Würgegriff des B kaum vorhanden gewesen sein. Davon aber ganz abgesehen, sind unzureichende Abwehrhandlungen erfahrungsgemäß nur geeignet, die Aggressivität von durch Alkohol enthemmten Angreifern, die in der Regel besonders gefährlich sind (12 Os 106/81), noch zu steigern und die Gefahr für den Angegriffenen zu verschärfen (so bereits SSt XLIII/50, EvBl 1983 Nr. 134 und 12 Os 106/81).
Dem Angeklagten kommt sohin der Rechtfertigungsgrund der Notwehr nach § 3 StGB zugute, weshalb das angefochtene Urteil mit dem materiellen Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO. behaftet ist.
Es war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Schuldspruch aufzuheben und ein Freispruch zu fällen. Auf diese Entscheidung war der Angeklagte mit seiner (gegenstandslos gewordenen) Berufung zu verweisen. Auch die Verweisung der Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg ist die notwendige Konsequenz der freisprechenden Entscheidung (§ 366 Abs 1 StPO.).
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