Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 7472,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 679,30, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 30. Juni 1976 geborene Kläger wurde am 24. März 1984 in Vomp bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Die Schadenersatzpflicht der Beklagten ist dem Grunde nach nicht mehr strittig.
Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall zuletzt die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung eines Betrages von S 329.780,- s.A.; überdies stellte er ein Feststellungsbegehren.
Das Leistungsbegehren des Klägers umfaßt einen Betrag von S 296.000,- aus dem Titel des Schmerzengeldes. Diesen Anspruch begründete der Kläger im wesentlichen damit, daß die ihm bei dem Unfall zugefügten Verletzungen den Zuspruch eines Schmerzengeldes von S 346.000,- rechtfertigten, womit allerdings nur die Verletzungsfolgen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Klägers abgegolten seien. Über das vollendete 18. Lebensjahr des Klägers hinaus sei derzeit eine Schmerzengeldbemessung nicht möglich, da die später zu erwartenden Schmerzen des Klägers noch nicht hinlänglich überblickt werden könnten. Da die Zweitbeklagte dem Kläger eine Teilzahlung von S 50.000,- aus dem Titel des Schmerzengeldes geleistet habe, verbleibe noch ein offener Schmerzengeldanspruch des Klägers von S 296.000,- (ON 14 S 73). Die Beklagten bestritten den Schmerzengeldanspruch des Klägers der Höhe nach.
Das Erstgericht verurteilte unter Berücksichtigung bereits geleisteter Teilzahlungen die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 329.780,- s.A. an den Kläger und wies nur ein geringfügiges Zinsenmehrbegehren ab; dem Feststellungsbegehren des Klägers gab es statt.
Bezüglich des Schmerzengeldanspruches des Klägers traf das Erstgericht im wesentlichen folgende Feststellungen:
Der Kläger erlitt bei dem Unfall vom 24. März 1984 folgende Verletzungen: Contusio cerebri, otobasale Fraktur links mit Blutung aus dem linken Ohr, Hämatotympanon links und rechts, Unterkieferköpfchenfraktur beiderseits, offene Unterkieferfraktur mit 3 cm langer klaffender Wunde am Kinn, Ober- und Unterkieferalveolarfortsatzfrakturen mit Verlagerung von Zahn 6 und Zahnkeim 7 in die linke Kieferhöhle mit Blutung aus der linken Kieferhöhle, drittgradige Luxation der Zähne 1 und 2 im Oberkiefer links, zentrale Luxation der Zähne 1 und 2 im Oberkiefer rechts, Schneidekantenfraktur bei den Zähnen 1 und 2 im Oberkiefer links ohne Eröffnung der Pulpa, Verlust des labialen Alveolarfortsatzes im Oberkieferfrontzahnbereich, Rißquetschwunde hinter dem Tuber maxillae rechts und links, Unterkieferalveolarfortsatzfraktur mit Verlagerung der Zähne 1 und 2 rechts nach lingual und 1 und 2 links nach labial, Kronen- und Wurzelfrakturen bei den Milchzähnen IV und V im Unterkiefer rechts und IV im Unterkiefer links, Freilegung der Zahnkeime der beiden Eckzähne im Unterkiefer, zahlreiche Rißquetschwunden enoral und an der Unterlippe, Schleudertrauma der Halswirbelsäule, schwere Distorsion des Sternoclaviculargelenkes links, Excoriationen am rechten Unterarm an der Beugeseite und Contusion der rechten Hüfte und des rechten Oberschenkels. Am 24. März 1984 erfolgte in nasotrachealer Intubationsnarkose die Reposition des Zahnes 6 im Oberkiefer links aus der Kieferhöhle in die Alveole. Die Zähne 1 und 2 im Oberkiefer links wurden in die Alveole reponiert, ebenso die zentral luxierten Schneidezähne 1 und 2 im Oberkiefer rechts. Die Reposition der vier Schneidezähne gestaltete sich deshalb sehr schwierig und prognostisch äußerst infaust, weil die buccale Kortikalis im Oberkieferfrontzahnbereich größtenteils vollkommen zertrümmert war. Die Fixation erfolgte mit einer Klebedrahtschiene. Die dislozierten und zerstörten Milchzähne IV im Unterkiefer links sowie IV und V im Unterkiefer rechts wurden entfernt. Daraufhin erfolgte die Reposition der Unterkieferalveolarfortsatzfraktur mit Reposition der Schneidezähne im Frontzahnbereich. Eine Stabilisation wurde mit labialer Silberdrahtklebeschiene versucht. Anschließend erfolgte eine exakte Wundreinigung und ein schichtweiser Mundverschluß der multiplen enoralen und extraoralen Rißquetschwunden. Im linken äußeren Gehörgang wurde ein Otosporinstreifen eingelegt. Auf Grund des starken Blutverlustes wurde intraoperativ eine Blutkonserve verabreicht. Am 3. April 1984 wurde der Kläger in häusliche Pflege entlassen. Die unfallchirurgische Nachbehandlung erfolgte an der Unfallabteilung des Bezirkskrankenhauses Schwaz.
Die vom Kläger erlittenen Verletzungen sind sehr schmerzhaft. Aus diesem Grunde wurde auch eine antiphlogistische und analgetische Therapie durchgeführt. Auf Grund der massiven enoralen Verletzungen war anfangs keine Nahrungsaufnahme, ab dem 26. März 1984 eine rein klarflüssige Nahrungsaufnahme sowie ab dem 30. März 1984 die Ernährung mittels weichflüssiger Diät möglich. Die weichflüssige Diät mußte streng bis 14. Mai 1984 eingehalten werden. Die Schienen im Ober- und Unterkiefer wurden am 24. März 1984 eingegliedert und am 14. Mai 1984 wiederum entfernt. Das Tragen dieser Schienen war mit leichten Schmerzen verbunden. In der Folge wurden dem Kläger ärztlicherseits Bewegungsübungen des Unterkiefers zur Mobilisation beider Kiefergelenke aufgetragen. Diese Bewegungsübungen sind ebenfalls mit Schmerzen verbunden. Die Bewegungstherapie des Unterkiefers muß zumindest bis zum Ende der Wachstumsperiode (18. Lebensjahr) fortgesetzt werden, um eine Kieferklemme und eine weitgehende Einschränkung der Seitenbeweglichkeit des Unterkiefers zu vermeiden. Bis zum 4. September 1984 erlitt der Kläger 5 Tage starke, 4 Tage mittelstarke und 53 Tage leichte Schmerzen in komprimierter Form. Auf Grund der unbedingt notwendigen Bewegungstherapie während der Wachstumsphase sowie auf Grund der zwangsläufig mit der mangelnden Beweglichkeit des Unterkiefers in den Kiefergelenken beiderseits hervorgerufenen Beschwerden beim Kauen muß zeitlebens mit Schmerzen gerechnet werden. Eine derzeit nicht faßbare Wetterfühligkeit kann in späteren Jahren die Beschwerden noch verstärken. Diese Schmerzen können in komprimierter Form bis zum Abschluß des Wachstums (vollendetes 18. Lebensjahr) mit ca. 15 % eines 24-Stunden-Tages im Durchschnitt veranschlagt werden. Danach können die Schmerzen zwischen 5 % und 25 % eines 24-Stunden-Tages schwanken. Näher kann dies derzeit noch nicht abgeschätzt werden. Zahn 1 im Oberkiefer rechts und auch Zahn 2 im Oberkiefer links sowie Zahn 6 im Oberkiefer links zeigen röntgenologisch deutliche Wurzelresorptionen. Es muß daher mit großer Wahrscheinlichkeit mit dem Verlust dieser Zähne gerechnet werden. Voraussichtlich muß auch zu einem späteren Zeitpunkt der durch den Unfall in die Kieferhöhle verlagerte Zahnkeim des Zahnes 7 im Oberkiefer links operativ aus der Kieferhöhle entfernt werden. Zahn 1 im Oberkiefer links reagiert nach wie vor nicht auf CO 2 -Schnee. Sollte die Vitalität dieses Zahnes nicht zurückkehren, bedeutet dies eine wesentlich verkürzte Lebensdauer dieses Zahnes, da devitale Zähne wurzelbehandelt werden müssen und wurzelbehandelte Zähne eine durchschnittliche Lebensdauer von 15 bis 20 Jahren aufweisen. Sobald es zu einem Verlust dieser Zähne kommen sollte, sind aufwendige prothetisch-restaurative Versorgungen des Klägers nach Abschluß des Kieferwachstums (nach dem 18. Lebensjahr) notwendig. Die Größenordnung der Kosten einer solchen restaurativen Maßnahme werden voraussichtlich erst im Alter von 17 bis 18 Jahren einigermaßen abschätzbar sein. Die beidseitige Kieferköpfchenfraktur liegt außerdem in den Wachstumszonen des Unterkiefers, sodaß neben einer stärkeren Bewegungseinschränkung, die mit Schmerzen verbunden ist, auch ein Zurückbleiben des Unterkieferwachstums eintreten kann. Ein solches Zurückbleiben führt zu Entstellungen im Gesicht, die nur durch aufwendige kieferchirurgische Operationen zum Teil gemindert werden können. Bereits vor dem Unfall war beim Kläger eine Zahnregulierung begonnen worden. Unfallbedingt erfolgte daraufhin eine Umplanung und Erweiterung des Behandlungsplanes. Rechtlich führte das Erstgericht zum Schmerzengeldanspruch des Klägers im wesentlichen aus, daß unter Bedachtnahme auf die Verletzungen des Klägers, die derzeit abschätzbaren Schmerzperioden und auf die Komplikations- und Verschlechterungsgefahr bei Würdigung aller Umstände ein Schmerzengeld in der vom Kläger verlangten Höhe von S 346.000,- als angemessen erscheine; unter Berücksichtigung der geleisteten Teilzahlung von S 50.000,- sei daher dem Kläger ein Betrag von S 296.000,- aus dem Titel des Schmerzengeldes zuzusprechen.
Mit dem angefochtenen Urteil gab das Berufungsgericht der gegen die Entscheidung des Erstgerichtes gerichteten Berufung der Beklagten keine Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, zusammen mit dem in einem Geldbetrag bestehenden Teil S 300.000,- übersteigt. Das Berufungsgericht billigte, ausgehend von den unbekämpft gebliebenen Feststellungen über die beim Kläger eingetretenen Verletzungsfolgen, die Schmerzengeldbemessung des Erstgerichtes. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten. Sie bekämpfen sie aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß das über den Betrag von S 153.780,- s.A. hinausgehende Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.
Der Kläger hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen der in der Revisionsbeantwortung des Klägers vertretenen Meinung im Hinblick auf den im Sinne des § 500 Abs 2 Z 3 ZPO erfolgten Bewertungsausspruch des Berufungsgerichtes gemäß § 502 Abs 4 Z 2 ZPO ohne die im § 503 Abs 2 ZPO normierte Einschränkung der Revisionsgründe zulässig, sachlich aber nicht berechtigt.
Eine Nichtigkeit des Urteiles des Berufungsgerichtes im Sinne des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO liegt entgegen den Revisionsausführungen, mit denen "vorsichtshalber" ein derartiger Nichtigkeitsgrund behauptet wird, nicht vor, weil diese Entscheidung durchaus verständlich und nachvollziehbar begründet wurde und nicht mit sich selbst im Widerspruch steht.
Im übrigen versuchen die Beklagten in ihrer Rechtsrüge darzutun, daß das dem Kläger zustehende Schmerzengeld global mit S 170.000,-
zu bemessen sei, sodaß ihm im Hinblick auf die aus diesem Titel geleistete Teilzahlung von S 50.000,- nur noch ein Betrag von S 120.000,- zuzusprechen sei.
Dem kann nicht gefolgt werden.
Das Schmerzengeld ist die Genugtuung für alles Ungemach, das der Geschädigte infolge seiner Verletzungen und ihrer Folgen zu erdulden hat. Es soll den gesamten Komplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf Dauer und Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzung und auf das Maß der physischen und psychischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes abgelten, die durch die Schmerzen entstandenen Unlustgefühle ausgleichen und den Verletzten in die Lage versetzen, sich als Ersatz für die Leiden und anstelle der ihm entzogenen Lebensfreude auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen (ZVR 1982/392; ZVR 1983/200; 8 Ob 44/86 uva.). Hieraus folgt einerseits, daß bei der Bemessung des Schmerzengeldes auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, andererseits aber zur Vermeidung einer Ungleichmäßigkeit in der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen ist (vgl. Jarosch-Müller-Piegler, Das Schmerzengeld in medizinischer und juristischer Sicht 4 156 ff, insbesondere 160; ZVR 1982/392; 8 Ob 69/85; 8 Ob 44/86 ua.). Grundsätzlich stellt das Schmerzengeld eine Globalabfindung für alle eingetretenen und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen durch die Unfallsfolgen dar. Für seine Bemessung ist das Gesamtbild der Verletzungsfolgen maßgebend; eine Bemessung des Schmerzengeldes nach irgendwelchen Tagessätzen wird in ständiger Rechtsprechung abgelehnt. Bei der Bemessung des Schmerzengeldes müssen auch künftige, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartende körperliche und seelische Schmerzen einbezogen werden. Ausgenommen von der Globalbemessung bleiben nur solche künftige Verletzungsfolgen und Schmerzen, deren Eintritt noch nicht vorhersehbar ist oder deren Ausmaß auch nicht so weit abgeschätzt werden kann, daß eine Globalbemessung möglich ist. Jedoch darf auch in einem solchen Fall eine ergänzende Schmerzengeldbemessung nicht dazu führen, daß der Verletzte insgesamt mehr zugesprochen erhält als bei einer einmaligen Globalbemessung (ZVR 1970/77; 8 Ob 140/83; 8 Ob 11/85 ua.).
Im vorliegenden Fall wird sich nach den Feststellungen der Vorinstanzen das volle Ausmaß der bleibenden Verletzungsfolgen des Klägers und der damit verbundenen Schmerzen und Beschwerden erst nach Beendigung der Wachstumsperiode, also nach Vollendung seines 18. Lebensjahres, soweit mit hinreichender Sicherheit beurteilen lassen, daß dann eine endgültige und globale Bemessung seines Schmerzengeldanspruches möglich sein wird. Es sind also hier die dargestellten Voraussetzungen dafür gegeben, dem Kläger ein Teilschmerzengeld zuzusprechen, mit dem die bereits heute überschaubaren Verletzungsfolgen abgegolten werden, das aber eine Abgeltung für die Schmerzen, die der Kläger nach Vollendung seines 18. Lebensjahres verletzungsbedingt zu erdulden haben wird, nicht umfaßt, weil das Ausmaß dieser Schmerzen nicht so weit abgeschätzt werden kann, daß schon jetzt eine Globalbemessung möglich wäre. Das entspricht auch dem Begehren des Klägers.
Was nun die Höhe dieses Schmerzengeldes anlangt, schließt zunächst die gebotene Berücksichtigung der im vorliegenden Fall gegebenen besonderen Umstände einen Vergleich mit den in der Revision der Beklagten angeführten Entscheidungen, die völlig andere Verletzungsfolgen zum Gegenstand haben, von vornherein aus. Im Vordergrund steht, daß der Kläger bei seinem Unfall schwere Kopf- und Kieferverletzungen erlitten hat, deren Behandlung, mag sie auch nur einen verhältnismäßig kurz dauernden stationären Spitalsaufenthalt erfordert haben, mit größten Unannehmlichkeiten für den Kläger verbunden war und ist und die absolut nicht folgenlos ausgeheilt sind, sondern zu ständigen Beschwerden des Klägers führen, von denen, wenn ihr Ausmaß heute auch nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres des Klägers mit hinreichender Sicherheit abgeschätzt werden kann, nach den von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen immerhin jetzt schon gesagt werden kann, daß der Kläger zeitlebens mit ihnen zu rechnen haben wird. Im Hinblick darauf ist in der Schmerzengeldbemessung der Vorinstanzen auch unter Bedachtnahme darauf, daß damit die vom Kläger verletzungsbedingt nach Vollendung seines 18. Lebensjahres zu erwartenden Schmerzen nicht abgegolten sind, eine unrichtige rechtliche Beurteilung nicht zu erkennen.
Der Revision der Beklagten mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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