Spruch:
Dem Rekurs des Dr.Harald und der Erika W*** wird nicht Folge gegeben.
Der Revisionsrekurs der Hermine K*** wird zurückgewiesen.
Text
Begründung
Livia R***, geboren am 2.Mai 1980, ist das eheliche Kind der Eveline R*** und des Ing. Hugo R***. Die Ehe der Eltern wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Spittal an der Drau vom 15. April 1982, Sch 16/82, gemäß § 55 a EheG geschieden. Im Zuge dieses Scheidungsverfahrens wurde zwischen den Eltern die Vereinbarung getroffen, daß alle aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und mj. Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten im Sinne des § 144 ABGB in Ansehung der mj. Livia künftig allein der ehelichen Mutter Eveline R*** zustehen sollen. Diese Vereinbarung wurde vom Bezirksgericht Spittal an der Drau mit Beschluß vom 26.April 1982, P 161/82-2, pflegschaftsbehördlich genehmigt. Eveline R*** verstarb am 15. Juni 1985 an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Die mj. Livia R*** befindet sich seither in (faktischer) Pflege und Erziehung der Antragsteller Dr.Harald und Erika W***. Erika W*** ist die Schwester der Eveline R***.
Der Vater Ing. Hugo R*** stellte den Antrag, ihm die mj. Livia unverzüglich herauszugeben (ON 13).
Mit Schriftsatz vom 15.Juli 1985 (ON 15) stellten Dr.Harald und Erika W*** die Anträge:
1.) die dem Vater Ing. Hugo R*** in Ansehung der mj. Livia zustehenden elterlichen Rechte und Pflichten zu entziehen,
2.) Dr. Harald und Erika W*** mit der Vormundschaft einschließlich der Pflege und Erziehung sowie der Vermögensverwaltung zu betrauen;
3.) auf Erlassung der einstweiligen Verfügung, daß die mj. Livia R*** bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die zu 1.) und
2.) gestellten Anträge in Pflege und Erziehung der Ehegatten Dr. Harald und Erika W*** zu verbleiben habe und
4.) auf Abweisung des vom Vater gestellten Antrages auf Herausgabe des Kindes.
Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, daß sich der Vater schon während der Ehe nicht um sein Kind gekümmert habe; er habe es seit der Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft mit Eveline R*** im November 1981 nicht mehr gesehen; ein Besuchsrecht habe er nach Scheidung der Ehe nicht beantragt. Zwischen den Antragstellern und dem Kind bestehe seit dem Tode der Mutter ein elternähnliches Verhältnis. Eine Änderung dieser Gegebenheiten würde für das Kind eine Katastrophe bedeuten und nicht wiedergutzumachende psychische Schäden nach sich ziehen. Bei den Antragstellern sei hingegen eine ordnungsgemäße und liebevolle Betreuung des Kindes gewährleistet; auch die mütterliche Großmutter Hermine K*** sei mit einer Regelung, daß das Kind bei den Antragstellern verbleibe, einverstanden.
Mit Schriftsatz vom 10. September 1985 (ON 21) stellte Hermine K*** "aus formalrechtlichen Erwägungen" die Anträge, dem Vater Ing. Hugo R*** alle elterlichen Rechte und Pflichten in Ansehung der mj. Livia R*** zu entziehen und sie, Antragstellerin, mit der Vormundschaft einschließlich der Pflege und Erziehung sowie Vermögensverwaltung für das Kind zu betrauen. Sie beantragte weiters die einstweilige Verfügung zu erlassen, daß die mj. Livia R*** bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die gestellten Anträge in ihrer Pflege und Erziehung zu verbleiben habe sowie den vom Vater gestellten Antrag, ihm die mj. Livia R*** unverzüglich in Pflege und Erziehung zu übergeben, abzuweisen. Der Vater Ing. Hugo R*** beantragte die einstweilige Verfügung, daß ihm die mj. Livia bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die von Dr. Harald und Erika W*** gestellten Anträge in Pflege und Erziehung übergeben werde (ON 16). Das Erstgericht wies die Begehren der Antragsteller Dr. Harald und Erika W*** sowie der Hermine K*** auf Erlassung einstweiliger Verfügungen ab (Punkt 1 und 2), stellte gemäß § 177 Abs. 3 ABGB fest, daß dem Vater Ing. Hugo R*** sämtliche Rechte und Pflichten im Sinne des § 144 ABGB allein zustehen, verpflichtete die Antragsteller zur Herausgabe der mj. Livia an den Vater bis 15. November 1985 und wies das Mehrbegehren des Vaters auf sofortige Herausgabe des Kindes ab (Punkt 3). Für die Zeit bis zum 15.November 1985 und für die Zeit ab diesem Zeitpunkt traf es einstweilige Besuchsrechtsregelungen (Punkt 4).
Das Erstgericht stellte fest: Nach der Scheidung der Ehe im Jahre 1982 sei die Mutter Eveline R*** mit der mj. Livia nach Villach verzogen und habe im Haus, in dem Dr. Harald und Erika W*** wohnen, eine Wohnung bezogen. Sie habe mehrere Fortbildungskurse besucht und seit März 1985 als Sekretärin bei einem Rechtsanwalt gearbeitet. Durch die berufsbedingte Abwesenheit der Mutter habe sich die mj. Livia häufig, manchmal auch über Nacht, bei den Ehegatten W*** aufgehalten, so daß zwischen dem Kind und den Ehegatten W*** ein liebevolles, elternähnliches Verhältnis entstanden sei. Nach dem Tod der Mutter hätten die Ehegatten W*** die mj. Livia R*** gänzlich in ihre Pflege und Erziehung genommen. Der Vater Ing. Hugo R*** sei als technischer Angestellter bei den Ö*** D*** in Klagenfurt beschäftigt; er lebe im selben Haus wie seine Eltern in Arnoldstein. Während seiner berufsbedingten Abwesenheit (an Wochentagen bis etwa 16 Uhr) könnten die Eltern des Vaters die mj. Livia R*** beaufsichtigen. Dieeheliche Gemeinschaft zwischen dem Vater und der Mutter Eveline R*** sei bereits vor der Scheidung der Ehe aufgehoben worden. Den letzten persönlichen Kontakt mit dem Kind habe der Vater im April 1982 kurz vor der Scheidung gehabt. In der Zeit nach der Scheidung habe er das Kind nicht mehr gesehen. Er habe zwar versucht, das Kind zu besuchen, doch sei ihm dies von der geschiedenen Gattin verweigert worden. Von einer gerichtlichen Regelung seines Besuchsrechtes habe er Abstand genommen, um zu verhindern, daß das Kind unter den Verhältnissen leide.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, die Antragsteller Dr. Harald und Erika W*** sowie Hermine K*** gründeten ihre Anträge auf Erlassung einstweiliger Verfügungen darauf, daß ein Abgehen von den derzeitigen faktischen Pflege- und Erziehungsverhältnissen dem Prinzip der Kontinuität der Erziehung widerspeche und daher eine Gefährdung des Kindeswohls bedeuten würde. Die Antragsteller hätten nicht geltend gemacht, daß der Vater Ing. Hugo R*** durch sein Verhalten das Wohl des Kindes gefährde. Ein solcher Sachverhalt sei auch nicht bescheinigt worden. Es treffe zwar zu, daß dem Grundsatz der Kontinuität der Erziehung große Bedeutung beizumessen sei, doch seien Eingriffe in Elternrechte nur im äußersten Notfall und bei akuter Gefährdung des Kindeswohles zulässig. Die Elternrechte stünden gemäß § 177 Abs. 3 ABGB allein dem Vater Ing. Hugo R*** zu. Daß er oder seine Eltern durch ihr Verhalten das Kindeswohl gefährdeten, sei nicht bescheinigt. Die sofortige Übergabe der mj. Livia in Pflege und Erziehung des Vaters könnte für das Kind allerdings eine schwere Belastung bedeuten, weil das Kind den Vater zuletzt im April 1982 gesehen habe und daher keinen persönlichen Kontakt mit seinem Vater unterhalten habe. Es sei deshalb dem Vater bis zum 15.November 1985 im Rahmen eines Besuchsrechts die Möglichkeit einzuräumen, einen Kontakt zu seinem Kind aufzubauen. Den Antragstellern sei ein Besuchsrecht in der Form einzuräumen, daß sie nach Übergabe des Kindes in Pflege und Erziehung des Vaters ein Wochende im Monat das Kind zu sich nehmen dürfen.
Das Rekursgericht wies die Rekurse des Vaters Ing. Hugo R*** sowie des Dr. Harald und der Erika W*** gegen den Beschluß des Erstrichters zurück. Den Rekurs der Hermine K*** wies es insoweit zurück, als er sich gegen die Punkte 1, den zweiten und dritten Satz des Punktes 3 und gegen Punkt 4 des angefochtenen Beschlusses richtete; im übrigen gab es dem Rekurs der Hermine K*** nicht Folge.
Das Rekursgericht führte aus, durch den Tod der Mutter seien die Elternrechte auf den Vater Ing. Hugo R*** übergegangen, was das Erstgericht im ersten Satz des Punktes 3 des angefochtenen Beschlusses deklarativ festgehalten habe. Eine Einschränkung der Elternrechte sei unter den Voraussetzungen des § 176 Abs. 1 ABGB möglich. Anlaß für eine entsprechende Verfügung könne die amtswegige Wahrnehmung durch das Gericht sein. Wenn § 176 Abs. 1 ABGB "wem immer" das Recht einräume, das Gericht anzurufen, so solle damit nur die Amtswegigkeit des Verfahrens betont werden, es werde damit aber für den Anrufenden weder eine Parteistellung noch eine Rechtsmittellegitimation begründet. Da Erika W*** als Tante und dem nur verschwägerten Dr. Harald W*** Rechte auf Grund der §§ 144, 145 und 170 ABGB nicht zukommen, fehle es ihnen an der Antrags- und Rekurslegitimation. Aus der faktisch beibehaltenen Pflege erwachse ihnen keine Rechtsmittelbefugnis. Die Großmutter Hermine K*** sei zwar nach der Bestimmung des § 145 ABGB antrags- und rekurslegitimiert, aber nur insoweit, als sie Rechte im eigenen Namen verfolge. Hermine K*** habe lediglich auf den Inhalt des Antrages des Dr. Harald und der Erika W*** verwiesen, die von ihr begehrte vorläufige Zuteilung des Rechtes zur Pflege und Erziehung wäre aber nur dann möglich, wenn besondere Umstände oder ein unmittelbar drohender erheblicher Nachteil eine sofortige Entscheidung erforderten. Hermine K*** behaupte aber nur, daß eine Änderung der faktischen Pflege- und Erziehungsverhältnisse nicht im Interesse des Kindes gelegen sei. Schon dem Vorbringen nach werde ein Sachverhalt, der eine Maßnahme im Sinne des § 176 ABGB rechtfertigen würde, nicht behauptet. Gegen den Beschluß des Rekursgerichtes richten sich die Rekurse des Dr. Harald und der Erika W*** sowie der Revisionsrekurs der Hermine K***.
Rechtliche Beurteilung
Den Rekursen des Dr. Harald und der Erika W*** kommt Berechtigung nicht zu.
§ 9 Abs. 1 AußStrG gewährt demjenigen, der sich durch die Verfügung der ersten Instanz über einen Gegenstand der Gerichtsbarkeit in Außerstreitsachen beschwert, ein Rekursrecht. Lehre und Rechtsprechung stimmen darin überein, daß im Sinne dieser Bestimmung nicht jedermann, der mit einer Entscheidung unzufrieden ist, sich also aus irgendeinem Grund durch diese beschwert erachtet, auch schon befugt ist, ein Rechtsmittel einzubringen, sondern daß dieses Recht nur demjenigen zusteht, in dessen Rechtssphäre - und nicht bloß Interessenssphäre - eingegriffen wird (EFSlg. 37.184; SZ 45/50; SZ 42/48 und 176 u.v.a.). Erika W*** stehen als Tante der mj. Livia R*** Rechte in Ansehung des Kindes ebensowenig zu wie ihrem Gatten Dr. Harald W*** (EFSlg. 43.346). Es wurde auch schon wiederholt ausgesprochen, daß Pflegeeltern, die das Kind nur faktisch in Pflege und Erziehung haben, im Vormundschafts-(Pflegschafts-)Verfahren Parteistellung nicht zukommt (EFSlg. 37.189, 23.543, JBl. 1955, 94; SZ 22/112). Nur gegen den Auftrag zur Herausgabe des Kindes wurde den Pflegeeltern in äußerst beschränktem Umfang etwa dann, wenn es ihnen unmöglich ist, dem Herausgabeauftrag zu entsprechen, weil das Kind nicht mehr bei ihnen oder durch Krankheit behindert ist, ein Rekursrecht gewährt (EFSlg. 37.189, 23.543, 21.250). Von diesen Ausnahmen abgesehen hat es bei der Regel zu bleiben, daß Anregungen dritter Personen, die nicht zu den Beteiligten des Verfahrens gehören, nur gegebenenfalls zu einer amtswegigen Prüfung führen können (EFSlg. 37.189; SZ 48/57). Demzufolge wurde der Rekurs des Dr. Harald und der Erika W*** durch das Rekursgericht zu Recht zurückgewiesen. Die Rechtsmittelbefugnis der mütterlichen Großmutter wurde vom Rekursgericht mit Recht bejaht (vgl. EFSlg. 37.187; SZ 48/57; EvBl. 1974/57; SZ 42/48; JBl. 1967, 433). Hermine K*** bekämpfte aber die Entscheidung des Erstgerichtes nur insoweit, als die von ihr beantragte einstweilige Verfügung, die mj. Livia R*** bis zur Entscheidung über die von ihr und den Ehegatten W*** gestellten Anträge in ihrer Pflege und Erziehung zu belassen (ON 21, 28 d.A), nicht erlassen wurde. Die Entscheidung des Erstgerichtes blieb, soweit die Einschränkung der elterlichen Rechte und Pflichten des Vaters i.S. des § 176 ABGB abgelehnt wurde, unbekämpft; auch der Auftrag des Erstgerichtes zur Herausgabe des Kindes an den Vater wurde im Rekurs nicht bekämpft. Da sich die mj. Livia nach der Aktenlage bisher faktisch ohnehin bei Dr. Harald und Erika W*** befand, womit auch die Rechtsmittelwerberin einverstanden ist, und nunmehr die abschließende Entscheidung getroffen wurde, ist ein Rechtsschutzinteresse an der begehrten einstweiligen Verfügung nicht mehr gegeben. Um eine psychische Erschütterung des Kindes, wie sie bei sofortiger Übergabe an den Vater auftreten könnte, zu vermeiden, wird das Erstgericht Vorkehrungen zu überlegen haben, wie sie für die Zeit bis zum 15. November 1985 vorgesehen waren, jedoch durch Zeitablauf gegenstandslos wurden.
Demzufolge ist spruchgemäß zu entscheiden.
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