OGH 5Ob572/85

OGH5Ob572/857.8.1985

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch, Dr. Jensik, Dr. Schobel und Dr. Warta als Richter in der Vormundschaftssache des mj. Sakarija A, geboren am 29. Juli 1982, in Unterhaltssachen vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Liezen, infolge Revisionsrekurses des unehelichen Vaters Mag. Mohammed El Sayed Mohammed B, Student, Wien 8., Strozzigasse 3/4a, vertreten durch Dr. Herbert Schaller, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Leoben als Rekursgerichtes vom 9. Mai 1985, GZ R 174/85-38, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Liezen vom 29. Jänner 1985, GZ P 150/84-29, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, folgenden

Beschgur

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Sakarija A wurde am 29. Juli 1982 in Wien als unehelicher Sohn der Renate Margarete A geboren. Die Vaterschaft zu diesem Kind hat am 6. September 1982 vor einem Wiener Bezirksjugendamt der ägyptische Staatsangehörige Mohammed El Sayed Mohammed B anerkannt. Der mj. Sakarija A wird von seiner Mutter betreut. Am 6. April 1984 beantragte die Mutter, die über ihren Antrag zum Vormund ihres unehelichen Kindes bestellt worden war, vor dem Wiener Bezirksjugendamt, den Vater 'ab Antragstag' zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 2.000 S zu verpflichten. Dieser Antrag ist am 13. April 1984 beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien eingelangt. Mit Beschluß vom 20. November 1984 übertrug das Bezirksgericht Innere Stadt Wien seine Zuständigkeit zur Besorgung dieser Vormundschaftssache an das Erstgericht (Bezirksgericht Liezen), weil die Mutter ihren Wohnsitz in den Sprengel dieses Gerichtes verlegt hatte. Das Erstgericht bestellte mit Beschluß vom 7. Dezember 1984 die Bezirkshauptmannschaft Liezen zum besonderen Sachwalter zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche des mj. Sakarija

A.

Der Vater beantragte, den Unterhaltsfestsetzungsantrag der Mutter abzuweisen, weil er als Student nicht imstande sei, seinem Kind Unterhalt zu leisten; er habe kein Einkommen und Vermögen und lebe von Spenden.

Das Erstgericht verpflichtete den Vater, für sein uneheliches Kind ab dem 6. April 1984 einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 800 S zu zahlen; das Mehrbegehren wies es ab. Begründet wurde die Entscheidung im wesentlichen damit, daß der Vater nach Kräften zum Unterhalt des Kindes beitragen müsse.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters teilweise Folge und verpflichtete diesen unter Abweisung des Mehrbegehrens, für sein uneheliches Kind ab dem 13. April 1984 einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 800 S zu zahlen. Es führte aus:

Es müsse zwar jedem Menschen unbenommen bleiben, seinen Beruf und seinen Dienstgeber frei zu wählen. Dieses Recht erfahre jedoch bei einem Unterhaltspflichtigen eine Einschränkung. Von einem solchen müsse verlangt werden, daß er sich nach Kräften bemühe, seinen Unterhaltsbeitrag zu leisten (Anspannungstheorie). Wenn ein Unterhaltspflichtiger ohne triftigen Grund die Aufnahme einer ihm zumutbaren Erwerbstätigkeit, die ihn instandsetzen würde, seiner Unterhaltspflicht nachzukommen, unterlasse, sei bei der Unterhaltsbemessung von einem fiktiven Einkommen auszugehen, nämlich von jenem Einkommen, welches der Unterhaltspflichtige bei vollem und ihm zumutbarem Einsatz seiner Arbeitskraft erzielen könnte. Die abstrakte Möglichkeit der Erlangung eines entsprechenden Einkommens durch Betätigung der Arbeitskraft genüge jedoch nicht, um den Unterhaltspflichtigen zu einer Unterhaltsleistung unter Anwendung der sogenannten Anspannungstheorie zu verhalten; die Betätigungsmöglichkeit der Arbeitskraft müsse vielmehr konkret bestehen, es müsse wenigstens feststehen, daß der Unterhaltspflichtige, wenn er wollte, jederzeit einen entsprechenden Verdienst finden könnte (EFSlg. 23.874). Wenn für einen Akademiker in seinem Lebensraum keine Möglichkeit bestehe, einen seiner Ausbildung entsprechenden Posten zu finden, müsse von ihm verlangt werden, daß er sich einer anderen Erwerbstätigkeit, möge sie auch nicht seinem Ausbildungsstand entsprechen, zuwende (EFSlg. 28.761, 33.041).

Bei Anwendung dieser Rechtssätze auf den vorliegenden Fall sei folgendes zu sagen: Der Vater unterlasse es, einem Erwerb nachzugehen. Es müsse jedoch von ihm verlangt werden, daß er seine Arbeitskraft einsetze, um seiner Unterhaltspflicht nachzukommen. Das Rekursgericht habe vom Landesarbeitsamt Wien Auskünfte eingeholt. Laut diesen Auskünften bestehe keine Möglichkeit, dem Vater im Raum Wien eine Stelle als Akademiker oder Maturant zu vermitteln; es seien jedoch in diesem Raum freie Stellen für ungelernte und angelernte Arbeiter vorhanden; der niedrigste kollektivvertragliche Metall-Hilfsarbeiterlohn betrage monatlich 7.626,66 S. Nach den Umständen des vorliegenden Falles könne dem Vater zugemutet werden, eine Arbeitsstelle als ungelernter oder angelernter Arbeiter anzunehmen. Es sei also - mit anderen Worten - die Anwendung der Anspannungstheorie im vorliegenden Fall gerechtfertigt. Der Vater könne zu jener Unterhaltsleistung verpflichtet werden, die er bei Ausübung der Tätigkeit eines ungelernten oder angelernten Arbeiters erbringen könnte. Bei Ausübung einer derartigen Tätigkeit könnte er - wie bereits erwähnt - zumindest 7.626,66 S monatlich verdienen. Ein derartiger Verdienst rechtfertige eine monatliche Unterhaltsleistung von 800 S. Mit einem derartigen Betrag könnten ohnehin nicht alle Bedürfnisse des Kindes gedeckt werden; der Regelbedarf für ein Kind in der Altersgruppe von 0 bis 3 Jahren betrage per 1. Juli 1984 monatlich 1.410 S.

Der Vater behaupte, seine Familie habe im Jahre 1984 seinem Kind Geschenke gemacht. Dem sei zu entgegnen, daß Geschenke des Unterhaltspflichtigen an das Kind nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nicht auf den Geldunterhalt des Kindes angerechnet werden könnten (EFSlg. 10.989, 12.865, 21.559, 26.140, 30.744 u.a.). Auf die erstmals im Rekurs enthaltene Ablehnung des Erstrichters durch den Vater könne das Rekursgericht nicht Bedacht nehmen, weil es die Richtigkeit der erstgerichtlichen Entscheidung auf Grund der Sach- und Rechtslage zu überprüfen habe, wie sie zur Zeit der Beschlußfassung durch das Erstgericht bestanden habe (EFSlg. 14.631 u. a.), und weil zu dieser Zeit der Vater den Erstrichter noch nicht abgelehnt gehabt habe.

Da Unterhaltsbeträge nach ständiger Rechtsprechung erst ab jenem Tag zuerkannt werden könnten, ab welchem der Antrag auf Unterhaltsfestsetzung bei Gericht eingelangt sei, sei dem Kind in Abänderung der Entscheidung des Erstgerichtes der monatliche Unterhaltsbetrag von 800 S jedoch erst ab 13. April 1984 statt ab 6. April 1984 zuzuerkennen gewesen.

Gegen den Beschluß des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß (sowie den erstgerichtlichen Beschluß) aufzuheben und die Rechtssache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - insbesondere auch über den Ablehnungsantrag - an das Erstgericht zurückzuverweisen. Der Vater meint, sein Rechtsmittel sei als ordentlicher Revisionsrekurs (§ 14 Abs 1 AußStrG) - weil keine voll bestätigende Entscheidung der zweiten Instanz im Sinne des Judikates 56 neu vorliege und es um den Grund des gesetzlichen Unterhaltsanspruches gehe - oder doch zumindest als außerordentlicher Revisionsrekurs (§ 16 Abs 1 AußStrG) - weil die angefochtene Entscheidung mit Nichtigkeit und offenbarer Gesetzwidrigkeit behaftet sei - zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aber aus nachstehenden Erwägungen unzulässig:

Vorweg ist festzuhalten, daß das Rechtsmittel, das sich nach seinem Inhalt - abweichend von der Anfechtungserklärung - lediglich gegen den bestätigenden Teil der rekursgerichtlichen Entscheidung richtet, als außerordentlicher Revisionsrekurs zu qualifizieren ist. Wie der Oberste Gerichtshof schon mehrfach ausgesprochen hat (RZ 1984/84 = NZ 1984, 69 mit kritischer Anmerkung von Hofmeister siehe dazu auch Rechberger, NZ 1985, 121 ff, insbesondere 125 f; ebenso 1 Ob 568/84, 1 Ob 671/84 siehe dazu auch Petrasch, ÖJZ 1985, 303 unter Punkt VI D 4), war es die erklärte Absicht des Gesetzgebers der Zivilverfahrens-Novelle 1983, durch die Neufassung der §§ 502 Abs 3 und 528 Abs 1 Z 1 ZPO die Anfechtbarkeit teilweise bestätigender Entscheidungen für den Bereich der Zivilprozeßordnung abweichend von den Grundsätzen des Judikates 56 neu zu regeln (siehe dazu auch Petrasch, ÖJZ 1983, 169, 175, 203). Damit kann aber auch die bisherige Auslegung der §§ 14 und 16 AußStrG, welche ausschließlich auf die analoge Anwendung der Grundsätze des Judikates 56 neu gestützt wurde, nicht länger aufrechterhalten werden: Schon aus dem Aufbau des Gesetzes ergibt sich, daß die Grenzlinie zwischen einer bestätigenden und einer abändernden Entscheidung dort zu ziehen ist, wo dem Rekurs einer Partei in trennbarer Weise auch nur teilweise nicht Folge gegeben wurde. § 14 Abs 1 AußStrG regelt die Anfechtbarkeit eines abändernden (oder aufhebenden: Judikat 203) Beschlusses der zweiten Instanz; andere Rekursentscheidungen müssen daher als bestätigend (§ 16 AußStrG) angesehen werden (siehe 4 Ob 509/85). Gemäß § 14 Abs 2 Fall 2 AußStrG sind Rekurse

gegen - abändernde, aufhebende oder bestätigende - Entscheidungen der zweiten Instanz über die Bemessung gesetzlicher Unterhaltsansprüche ausgeschlossen. Zur Bemessung gehört die Beurteilung der Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten, der zur Deckung dieser Bedürfnisse vorhandenen Mittel, die vor der Leistung des Unterhaltspflichtigen heranzuziehen sind (wie Vermögen, Einkommen, Arbeitsfähigkeit des Unterhaltsberechtigten und Leistungen anderer Personen), und der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, wobei die Beurteilung dieser Umstände durch die zweite Instanz auch dann unanfechtbar ist, wenn es strittig ist, ob sie zur völligen Ablehnung eines Anspruches auf Unterhaltsleistung führen (Punkte II und III des Judikates 60 neu = SZ 27/177). Die Frage, welches Einkommen der Unterhaltspflichtige bei zumutbarer Anspannung seiner Kräfte erzielen könnte, betrifft seine Leistungsfähigkeit und gehört damit zur Unterhaltsbemessung (EFSlg. 34.994; SZ 53/54; EFSlg. 37.315; JBl 1982, 267; EFSlg. 44.580 u.a., zuletzt etwa 2 Ob 533/85). Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen hat der Oberste Gerichtshof überdies bereits wiederholt ausgesprochen, daß sich der Vorwurf der falsch angenommenen Unterhaltsbemessungsgrundlage gegen die Unterhaltsbemessung richtet (EFSlg. 30.509, 42.272, 42.294, 44.079 u.a., zuletzt etwa 5 Ob 579/84). Die Anfechtung einer zweitinstanzlichen Entscheidung über die Unterhaltsbemessung wird durch § 14 Abs 2 AußStrG ausgeschlossen, welcher Fehler immer dem Rekursgericht dabei unterlaufen sein möge (EFSlg. 42.261, 44.602 u. a., zuletzt etwa 3 Ob 534/84, 5 Ob 579/84); selbst Beschwerdegründe im Sinne des § 16 Abs 1 AußStrG sind in einem solchen Fall bei Bekämpfung bloßer Bemessungskriterien nicht zu prüfen (EFSlg. 30.514, 37.332, 44.602 u.a., zuletzt etwa 3 Ob 534/84, 5 Ob 579/84).

Eine Prüfung der Revisionsrekursausführungen des Vaters unter Zugrundelegung der vorstehend wiedergegebenen Rechtssätze ergibt, daß diese Ausführungen ausschließlich im Unterhaltsbemessungsbereich liegen, in dem eine Anrufung des Obersten Gerichtshofes nicht statthaft ist. Dies gilt sowohl für den unter dem Beschwerdegrund der Nichtigkeit (§ 477 Abs 1 Z 4 ZPO) erhobenen Vorwurf des Vaters, es sei ihm die Möglichkeit genommen worden, zur Frage seiner Leistungsfähigkeit vor Gericht zu verhandeln und seinen Standpunkt darzulegen, als auch für die unter dem Beschwerdegrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit erhobene Rüge des Vaters, es seien die notwendigen Feststellungen zur Schaffung einer ausreichenden Grundlage für die Anwendung der Anspannungstheorie unterlassen worden. Den Ausführungen zum erstgenannten Beschwerdegrund ist überdies entgegenzuhalten, daß der Vater ohnehin die Möglichkeit hatte, seinen Standpunkt im Rekurs zu vertreten, von welcher Möglichkeit er auch Gebrauch gemacht hat (vgl. EFSlg. 37.153 u.a., zuletzt etwa 6 Ob 616, 617/84). Soweit die Unterhaltsbemessungsentscheidungen der Vorinstanzen deswegen als nichtig (§ 477 Abs 1 Z 1 ZPO) bekämpft werden, weil über den im Rekurs des Vaters gegen den erstgerichtlichen Beschluß gestellten, den Erstrichter betreffenden Ablehnungsantrag wegen Befangenheit nicht nach § 23 JN entschieden worden sei, ist zusätzlich auszuführen, daß der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund nur dann gegeben wäre, wenn die Ablehnung des Erstrichters durch den Vater wegen Befangenheit vom Gericht als berechtigt erkannt worden wäre (Fasching, Kommentar IV 114; 5 Ob 329/65, 3 Ob 143/83); der im Unterbleiben einer Entscheidung über den Ablehnungsantrag des Vaters allenfalls zu erblickende Verfahrensmangel (vgl. Fasching, Lehr- und Handbuch Rz 161; SZ 43/104) könnte im Rahmen eines außerordentlichen Revisionsrekurses nach § 16 Abs 1 AußStrG auch dann nicht wahrgenommen werden, wenn einer solchen Wahrnehmung der Ausschluß von Revisionsrekursen gegen zweitinstanzliche Entscheidungen über die Bemessung gesetzlicher Unterhaltsansprüche nach § 14 Abs 2 AußStrG nicht entgegenstünde.

Der Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

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