OGH 1Ob615/85

OGH1Ob615/8510.7.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert, Dr.Gamerith, Dr.Hofmann und Dr.Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Giuliano A, geboren am 18.Februar 1940 in Nedescina, Bezirk Pula, Jugoslawien, Angestellter, Bernoullistraße 4/6/15, 1220 Wien, vertreten durch Dr.Gerhard Horak, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Gertraude Anneliese A, geboren am 12.Juli 1939 in Wien, Hausfrau, Via Molino a Vento 10/1, I 34137 Triest, vertreten durch Dr.Franz Clemens Obendorfer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 20.November 1984, GZ.11 R 281/84-29, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 25.Mai 1984, GZ.32 Cg 270/81-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seiner Revision selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrte die Scheidung der am 3.Oktober 1964 mit der Beklagten geschlossenen Ehe aus deren Verschulden, weil sie sich entgegen einer Vereinbarung geweigert habe, mit dem Kläger nach Wien zu übersiedeln. Zudem sei die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit mehr als drei Jahren aufgehoben.

Die Beklagte beantragte Abweisung des (auf § 49 EheG) gestützten Klagebegehrens, weil der Kläger nicht für eine geeignete Wohnung in Wien gesorgt habe. Für den Fall der Scheidung der Ehe nach § 55 EheG beantragte die Beklagte, gemäß § 61 Abs.3 EheG das alleinige Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe auszusprechen, weil der Kläger gegen den Willen der Beklagten die häusliche Gemeinschaft aufgehoben habe und eine Lebensgemeinschaft mit einer anderen Frau eingegangen sei.

Das Erstgericht gab dem auf § 55 EheG gestützten Scheidungsbegehren der Klägerin Folge und sprach gemäß § 61

Abs.3 EheG aus, daß das alleinige Verschulden (an der Zerrüttung der Ehe) den Kläger treffe. Nur dieser Ausspruch ist Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens.

Dazu traf das Erstgericht folgende wesentliche Feststellungen:

Beide Ehegatten sind österreichische Staatsbürger. Ihr letzter gemeinsamer Wohnsitz war Triest, wo der am 29.Oktober 1965 geborene Sohn der Streitteile, Manfred, die Schule besucht. Der Kläger arbeitete in Triest bei der B C. Im Herbst 1979

planten die Ehegatten gemeinsam, nach Wien zu übersiedeln, weil sich der Kläger hievon bessere berufliche Aufstiegsmöglichkeiten erwartete. Als künftige Ehewohnung nahm der Kläger eine im Alleineigentum seiner Schwiegermutter stehende Wohnung in Wien 19 in Aussicht. Der Kläger hatte aber zu seiner Schwiegermutter seit jeher kein gutes Verhältnis. Sie war nicht bereit, die Wohnung auch zur Benützung durch ihn zur Verfügung zu stellen.

In der Folge kamen der Beklagten gegen die geplante übersiedlung nach Wien wegen des Schulwechsels des Sohnes Bedenken, da dieser in Triest eine italienische Schule besuchte und dort Deutsch nur als Fremdsprache lernte. Der Schulwechsel hätte zur Wiederholung einer Klasse geführt. Manfred wollte nicht nach Wien übersiedeln, sondern die Schule in Triest beenden, da er dort auch seine Freunde hat. Insbesondere weil keine Ehewohnung bereitstand und auch weil der Beklagten die Schwierigkeiten eines Schulwechsels größer als ursprünglich angenommen erschienen, blieb sie in Triest. Der Kläger wollte hingegen die mit dem neuen Dienstgeber bereits besprochene berufliche Veränderung nicht rückgängig machen und übersiedelte Anfang Februar 1980 allein und ohne Zustimmung der Beklagten nach Wien. Der Kläger forderte die Beklagte mehrmals auf, nach Wien nachzukommen. Er schlug dabei nur die (wegen der unveränderten Haltung seiner Schwiegermutter nicht zur Verfügung stehende) Wohnung in Wien 19 als Ehewohnung vor. Eine andere Wohnung bot er der Beklagten nie an. Da keine Wohnung bereitstand, weigerte sich die Beklagte, dem Kläger nach Wien zu folgen.

Im Februar 1980 lernte der Kläger in Wien Angela D kennen und nahm zu ihr freundschaftliche Beziehungen auf. Seit April 1981 lebt der Kläger mit Angela D in Lebensgemeinschaft. Seit Klagseinbringung im Oktober 1981 weigerte sich der Kläger, für die Beklagte Unterhalt zu leisten.

Das Erstgericht war der Ansicht, daß den Kläger das Alleinverschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe. Der Beklagten könne eine Verletzung der 'Folgepflicht' (Pflicht, dem Verlangen auf Verlegung der gemeinsamen Wohnung zu entsprechen) nicht vorgeworfen werden, weil sie insbesondere mangels Bereitstellung einer Ehewohnung gerechtfertigte Gründe von zumindest gleichem Gewicht gehabt habe, nicht mitzuziehen. Der Grundsatz der gleichrangigen Partnerschaft und das Gebot zur gegenseitigen Rücksichtnahme verlange, daß bei der für die Ehegemeinschaft so bedeutungsvollen Entscheidung über die Verlegung der gemeinsamen Wohnung auf den Willen beider Ehepartner Bedacht genommen werde. Da der Kläger auf die Einwände der Beklagten gegen die Wohnsitzverlegung nicht Rücksicht genommen habe, habe er gegen § 92 Abs.1 ABGB verstoßen und durch die Aufnahme einer Lebensgemeinschaft und Verweigerung weiterer Unterhaltsleistung schwere Eheverfehlungen begangen. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es hielt die erstgerichtlichen Feststellungen für unbedenklich und ausreichend und billigte im wesentlichen die rechtliche Beurteilung der ersten Instanz. Für den Verschuldensausspruch nach § 61 Abs.3 EheG genüge unter Umständen das wesentlich geringgradigere Zerrüttungsverschulden im Sinne des § 55 EheG. Die Beklagte habe Gründe von zumindest gleichem Gewicht (mangelnde Ehewohnung in Wien, Schulwechsel des Sohnes) gehabt, dem Verlangen des Klägers nach Verlegung der gemeinsamen Wohnung von Triest nach Wien zu widersprechen. Der Kläger sei ohne Einverständnis der Beklagten nach Wien gezogen. Es möge zutreffen, daß die Gründe, die der Beklagte dafür gehabt habe, so wichtig gewesen seien, daß sie seine vorübergehende gesonderte Wohnungnahme rechtfertigten und in dieser keine Eheverfehlung erblickt werden könne. Der Kläger habe sich aber dann nicht bemüht, den Hauptgrund der Weigerung der Beklagten, nach Wien zu ziehen, zu beseitigen, sondern sich damit begnügt, sie aufzufordern, nach Wien zu kommen. Selbst wenn es der Beklagten zum Verschulden anzulasten wäre, ihre ursprüngliche Zustimmung zur Verlegung der Ehewohnung zurückgenommen zu haben, wäre dieses Verschulden im Vergleich zu dem nachfolgenden Verhalten des Klägers so geringfügig, daß es zu vernachlässigen wäre. Der Ausspruch des Alleinverschuldens des Klägers an der Zerrüttung der Ehe sei daher gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision des Klägers, mit der er die Beseitigung des Verschuldensausspruches nach § 61 Abs.3 EheG anstrebt, ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nach Beurteilung des erkennenden Senates nicht vor (§ 510 Abs.3 ZPO).

Der Revisionswerber erkennt, wie die Formulierung seines Revisionsantrages zeigt, nunmehr zutreffend, daß bei der Scheidung nach § 55 EheG nur auf Verschuldensantrag des Beklagten das alleinige oder überwiegende Verschulden des Klägers ausgesprochen werden darf (SZ 42/167 u.a.; Pichler in Rummel, ABGB, Rdz 5 zu § 61 EheG mwN), nie aber ein überwiegendes oder alleiniges Verschulden des Beklagten (Schwind, Komm z EheG 2 256), sondern daß in letzterem Fall ein Ausspruch über das Verschulden überhaupt zu entfallen hat.

Die vom Revisionswerber behaupteten Voraussetzungen für den Entfall des Verschuldensausspruches liegen aber nicht vor. Der Revisionswerber stützte das Verlangen nach Verlegung der gemeinsamen Wohnung auf berufliche Gründe (AS 76), bestreitet aber im Rechtsmittelverfahren nicht mehr, daß die Gründe, die die Beklagte bewogen, von dem ursprünglich gemeinsamen Plan, nach Wien zu übersiedeln, abzurücken und dem Verlangen des Klägers nicht zu entsprechen, in der im Februar 1980 bestehenden Situation zumindest von gleichem Gewicht wie die Gründe waren, die für eine (sofortige) Verlegung der gemeinsamen Wohnung sprachen. Damit könnte sich der Revisionswerber günstigstenfalls darauf berufen, daß in diesem Zeitpunkt sowohl die gesonderte Wohnungnahme durch ihn als auch das Verbleiben der Beklagten in der bisherigen Wohnung, jedenfalls für eine angemessene übergangsphase, wie sie sich auch bei einvernehmlicher Planung der Wohnsitzverlegung durch Ehegatten häufig ergibt, wenn der Mann an seinem neuen Berufsort erst eine Wohnung für die Familie suchen muß, rechtmäßig war, sich also ein zwar nicht einvernehmliches, aber auch nicht rechtswidriges getrenntes Wohnen der Ehegatten ergab (Pichler in Rummel, ABGB, Rdz 3 zu § 92 mwN; ähnlich 6 Ob 638/84).

Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, fällt aber dem Kläger als Verschulden an der Zerrüttung der Ehe zur Last, daß er sich in Wien nicht bemühte, eine familiengerechte Wohnung zu bekommen, sondern der Beklagten lediglich die im Alleineigentum seiner Schwiegermutter stehende Wohnung in Wien 19 als künftige gemeinsame Ehewohnung vorschlug, obwohl er wußte, daß diese gar nicht zur Verfügung stand. Verfehlt ist auch der Einwand des Revisionswerbers, es sei ihm nicht zumutbar gewesen, in Wien unter finanziellen Opfern eine Wohnung anzuschaffen und der Beklagten 'anzubieten', da sie noch einen zweiten Weigerungsgrund (Schulwechsel des Sohnes) vorgebracht habe und daher ohnehin nicht nach Wien gezogen wäre. Daß die Beklagte dem Kläger auch bei Lösung der Wohnungsfrage nicht nach Wien gefolgt wäre, hat das Erstgericht nicht als erwiesen angenommen (AS 120). Vielmehr steht fest, daß das Fehlen einer geeigneten Ehewohnung Hauptgrund für die Weigerung der Beklagten war, nach Wien zu ziehen (AS 152). Dem Revisionswerber wurde vom Berufungsgericht auch nicht vorgeworfen, daß er der Beklagten keine - auf Grund verbindlicher Abmachungen mit Dritten bereits fest zur Verfügung stehende - Wohnung angeboten hat, sondern nur, daß er sich nicht bemühte, eine geeignete Wohnung zu finden.

Daß er in dieser Richtung Ernstliches unternommen habe, behauptet der Revisionswerber gar nicht. Rechter ehelicher Gesinnung hätte es entsprochen, daß sich der Kläger für mehrere den wirtschaftlichen Verhältnissen der Streitteile angepaßte Wohnmöglichkeiten in Wien interessiert und diese, ohne schon mit Dritten bindende Vereinbarungen zu treffen, mit der Beklagten erörtert hätte. Außerdem hätte er - zumindest für eine übergangszeit - auch auf die mit dem Schulwechsel seines Sohnes verbundenen Probleme Rücksicht nehmen müssen, da bei der Entscheidung über die Verlegung der gemeinsamen Wohnung auch auf das Wohl der Kinder Bedacht zu nehmen ist (§ 92 Abs.3 ABGB). Eine den Umständen der Familie entsprechende Wohnsitzverlegung hätte daher ohne eine angemessene übergangszeit nicht erfolgen können. Es ist nicht erwiesen, daß der Kläger in dieser übergangszeit geeignete Schritte zur Wiedervereinigung der Familie unternahm. Er nahm vielmehr schon im Februar 1980 die für die unheilbare Zerrüttung der Ehe entscheidende Beziehung zu Angela D auf, die schließlich zu einer Lebensgemeinschaft mit dieser Frau führte. Da für den Verschuldensausspruch nach § 61 Abs.3 EheG sogar das geringergradige Zerrüttungsverschulden im Sinne des § 55 EheG genügt (EFSlg.43.698, 41.291 u.a.; zuletzt 6 Ob 574/85; Schwind a. a.O. 255, 284; auch Schwind-Ehrenzweig, Familienrecht 3 67 f.), kann sich der Kläger jedenfalls nicht mit Erfolg darauf stützen, daß er erst über ein Jahr nach der gesonderten Wohnungnahme in Wien eine Lebensgemeinschaft mit einer anderen Frau aufnahm. Da die Weigerung der Beklagten, dem Kläger ohne Vorhandensein einer familiengerechten Wohnung sofort nach Wien zu folgen, berechtigt war, liegt das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe allein beim Kläger. Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 40, 50 ZPO.

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