OGH 8Ob217/69

OGH8Ob217/6911.11.1969

SZ 42/167

Normen

EheG §61 (2)
EheG §61 (2)

 

Spruch:

Ein Verschuldensausspruch gemäß § 61 (2) EheG. darf im Hinblick auf das Verschulden des Beklagten nicht unbillig sein.

Entscheidung vom 11. November 1969, 8 Ob 217/69.

I. Instanz: Kreisgericht Leoben; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Die Parteien haben am 11. Februar 1961 die Ehe geschlossen, die kinderlos geblieben ist. Die Ehe ist auf beiden Seiten die zweite. Der Kläger ist 61 Jahre, die Beklagte 58 Jahre alt.

Das Erstgericht hat dem Klagebegehren auf Scheidung der Ehe nach § 55 EheG. stattgegeben. Es ging im wesentlichen von nachfolgenden Feststellungen aus:

Die Streitteile haben seit der Eheschließung keinen gemeinsamen Wohnsitz begrundet. Sie hatten vereinbart, daß der Kläger seinen Betrieb in K. und die Beklagte ihren Betrieb in Bad F. weiterführen soll und daß jeder Teil aus den Erträgen seines Geschäftes seinen Unterhalt selbst bestreite; der Kläger sollte, sobald er seine Schulden, die damals 350.000 S betrugen, abbezahlt habe, nach Bad F. zur Beklagten ziehen, während bis dahin der Kläger nur zu den Wochenenden nach Bad F. auf Besuch kommen sollte. Zu diesem Zwecke hat die Beklagte dem Kläger ihren PKW. zur Verfügung gestellt. Der Kläger ist dann auch bis zum Sommer 1963 regelmäßig jedes Wochenende mit dem PKW. der Beklagten nach Bad F. gefahren. Diese Besuchsfahrten wurden ihm aber dadurch, daß die Beklagte den PKW. von ihren Kindern abholen ließ und dem Kläger von da an nicht mehr zur Verfügung stellte, unmöglich gemacht. In der Folgezeit hat weder der Kläger an die Beklagte das Ansinnen gestellt, ihm den PKW. zurückzustellen, noch die Beklagte von sich aus dem Kläger das Fahrzeug zur Verfügung gestellt. Seit dieser Zeit ist jeder Kontakt zwischen den Streitteilen abgebrochen. Dies führte zur völligen Zerrüttung der Ehe, die beide Parteien herbeigeführt haben. Bis zum Sommer 1963 war die Beklagte auf Grund ihrer Einkünfte aus ihrem Betrieb in der Lage, für ihren Unterhalt selbst aufzukommen. Erst viel später machte sie dem Kläger gegenüber Unterhaltsansprüche geltend. Sie begrundete diese damit, daß sie ihren Betrieb in Bad F. mit 1. April 1967 stillgelegt habe und seither nur mehr ein Einkommen von 700 S habe, die ihr Haus in W. monatlich abwerfe. Tatsächlich erhält sie als Pachtschilling für eine Drogerie in ihrem Hause in W. monatlich 700 S und für ihre Tätigkeit, die sie im Geschäft des Schwiegersohnes in W. ausübt, regelmäßig das Mittagessen und fallweise ein Abendessen. Sie kann aber damit nicht das Auslangen finden. Die teilweise Vernachlässigung der Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber der Beklagten ist aber für die Zerrüttung der Ehe nicht kausal. Denn zu dieser Zeit war die Ehe bereits völlig zerrüttet.

Das Erstgericht gelangte zur Ansicht, die teilweise Vernachlässigung der Unterhaltspflicht des Ehemannes stelle keine schwere Eheverfehlung dar, weil sie mit der Zerrüttung der Ehe in keinem ursächlichen Zusammenhang stehe. Infolge schuldhafter Herbeiführung der Ehezerrüttung durch beide Teile, indem diese jeden Kontakt zueinander abgebrochen hätten, sei der von der Beklagten erhobene Widerspruch unzulässig. Die Ehe bestehe ohne jeglichen Inhalt nur mehr auch nach außen hin.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten insofern Folge, als es unter Aufrechterhaltung des Scheidungsausspruches noch entschied, den Kläger treffe an der Scheidung ein Verschulden. Es übernahm die oben angeführten Feststellungen der ersten Instanz. Bei der Berufungsverhandlung wurde noch außer Streit gestellt, daß die ehelichen Beziehungen der Streitteile bereits Ende 1962 geendet haben, ohne daß dies ein Teil dem anderen zum Vorwurf gemacht hätte, und daß der Kläger an die Beklagte nie eine Aufforderung gerichtet hat, zu ihm nach K. zu ziehen.

Das Berufungsgericht führte aus, es sei dem Erstgericht beizupflichten, daß an der durch das Unterbleiben weiterer Besuche des Klägers und den beiderseitigen Abbruch jeden Kontaktes herbeigeführten völligen Zerrüttung der Ehe beide Teile zu gleichen Anteilen schuldig seien. Dadurch, daß die Beklagte ihren Betrieb stillgelegt, die Räumlichkeiten ihrer Tochter unentgeltlich zur Verfügung gestellt habe, ohne darüber mit ihrem Ehemann vorher das Einvernehmen gepflogen zu haben, sie sohin ihre wirtschaftlichen Entschlüsse ohne Bedachtnahme auf die seinerzeit mit dem Kläger getroffenen Vereinbarungen (spätere Übersiedlung des Klägers nach Bad F.) gefaßt habe, sei der Schluß berechtigt, daß die Beklagte auf Fortsetzung der Ehe keinen Wert mehr gelegt habe. Beide Ehegatten hätten für die gegenseitigen, der Ehe entspringenden Verpflichtungen jeden Sinn verloren und so der Ehe ihren wesentlichen Inhalt genommen. Das auf Seite der Beklagten nunmehr bestehende wirtschaftliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Ehe könne für sich allein kein zureichender Grund zur Aufrechterhaltung einer bereits zerstörten Ehe sein. Es könne auch nicht von ausschlaggebender Bedeutung sein, wenn der Kläger lange nach Eintritt der Zerrüttung der Ehe seiner Unterhaltspflicht gegenüber der Beklagten nicht nachgekommen sei. Daraus könne ein wesentlicher Verschuldensanteil des Klägers nicht abgeleitet werden. Der von der Beklagten erhobene Widerspruch sei nicht zulässig, weil der Kläger die Zerrüttung nicht allein oder doch überwiegend verschuldet habe. Eine Prüfung der Beachtlichkeit des Widerspruches habe nicht mehr stattzufinden. Dem erst im Berufungsverfahren gestellten Antrag der Beklagten auf Ausspruch eines Verschuldens des Klägers im Sinne des § 61 (2) EheG. sei im Hinblick auf das festgestellte Mitverschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe Folge zu geben gewesen.

Der Oberste Gerichtshof hat erkannt: Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben und das Urteil des Berufungsgerichtes dahin abgeändert, daß der Satz: "... den Kläger trifft ein Verschulden," entfällt, somit das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird.

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Rechtsrüge des Klägers bringt zum Ausdruck, der Ausspruch des Verschuldens des Klägers sei deshalb verfehlt, weil nach den Feststellungen der Untergerichte auch die Beklagte ein Verschulden an der Ehezerrüttung treffe und die Beklagte aus diesem Grund im Sinne des § 49 Satz 2 EheG., insbesondere wegen des Zusammenhanges der beiderseitigen Eheverfehlungen zur Erhebung der Scheidungsklage nicht berechtigt wäre. Damit sei dem Ausspruch des Verschuldens des Klägers im Sinne des § 61 (2) EheG. die Grundlage entzogen.

Dieser Auffassung ist beizupflichten. Die Möglichkeit eines Schuldantrages der beklagten Partei nach § 61 (2) EheG. fällt nämlich weg, wenn letztere das Recht, auf Scheidung wegen Verschuldens des Klägers zu klagen, zur Zeit der Erhebung der Klage nach § 55 EheG. oder später nicht gehabt hat. Da im gegebenen Fall der Kläger im Verhältnis zur Beklagten an der Zerrüttung der Ehe nicht überwiegend mitgewirkt hat und die Verfehlungen beider Teile in einem engen Zusammenhang stehen, würde der Beklagten das Recht auf Scheidung der Ehe aus Verschulden des Klägers gemäß § 49 Satz 2 EheG. nicht zustehen. Demnach ist der Beklagten ein Schuldantrag nach § 61 (2) EheG. verwehrt. Der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zu 5 Ob 450/58, die vereinzelt geblieben ist und der beklagten Partei auch in diesem Falle ein Recht auf Schuldantrag zuspricht, kann nicht gefolgt werden. Es würde sich der Schuldantrag auch als Rechtsmißbrauch darstellen, wenn, wie im vorliegenden Fall, das Verschulden der Beklagten an der Zerrüttung der Ehe ebenso schwer wiegt wie das des Klägers. So bezeichnet auch der deutsche Bundesgerichtshof den Schuldantrag als Rechtsmißbrauch, wenn eine Gesamtwürdigung des Verlaufes der Ehe und des Verhaltens beider Ehegatten vor und nach der Zerrüttung der Ehe ergibt, daß eine einseitige Schuldfeststellung gegen den Kläger sittlich nicht gerechtfertigt ist und der Billigkeit grob widerspricht (vgl. Komm. zum Ehegesetz von Hoffmann - Stephan[2], S. 622 Anm. 29). Die Anwendung der Bestimmung des § 49 Satz 2 EheG. bedarf keines darauf gerichteten Antrages, es genügt, wenn der festgestellte Sachverhalt diese Anwendung rechtfertigt. Der Hinweis auf die Anwendbarkeit dieser Bestimmung verstößt demnach nicht gegen das Neuerungsverbot.

Die Revision des Klägers war sohin berechtigt und das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die Feststellung des Verschuldens des Klägers entfällt und demnach das Urteil erster Instanz wiederhergestellt wird.

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