OGH 10Os21/85

OGH10Os21/8521.5.1985

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.Mai 1985 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Köhl als Schriftführer in der Strafsache gegen Aleksander A wegen des Verbrechens der versuchten erpresserischen Entführung nach § 15, 102 Abs 2 Z 2 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten Aleksander A gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 20.Dezember 1984, GZ 20 m Vr 6227/84-41, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kodek und des Verteidigers Dr.Wilhelm Philipp, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 29.Februar 1964 geborene Hilfsarbeiter Aleksander A auf Grund des Wahrspruches der Geschwornen der Verbrechen des versuchten schweren Raubes nach § 15, 142 Abs 1, 143 (zu ergänzen: zweiter Fall) StGB, der versuchten erpresserischen Entführung nach § 15, 102 Abs 2 Z 2 StGB und der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Die Geschwornen hatten die diesen Schuldsprüchen entsprechenden Hauptfragen 1, 3 und 5 bejaht und die jeweils zu den Hauptfragen gestellten Zusatzfragen 2, 4 und 6 nach Vorliegen eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes des Angeklagten verneint.

Folgerichtig ließen sie die (für den Fall der Verneinung der Hauptfragen 1

und 3) gestellte Eventualfrage (7) nach dem Verbrechen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 und 2 StGB sowie die entsprechende Zusatzfrage (8) nach Zurechnungsunfähigkeit unbeantwortet.

Darnach hat der Angeklagte in der Nacht zum 24.Mai 1984 in Wien 1. Erika B und Ernst C mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben unter Verwendung einer Waffe eine fremde bewegliche Sache mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er einen geladenen Gasrevolver Marke 'Sprint' zog, die Waffe auf sie richtete und Geld sowie Schmuck forderte, worauf er Ernst C mit einer Wäscheleine fesselte, ihn mit einer elastischen Binde knebelte und die Wohhung nach brauchbaren Gegenständen durchwühlte, wobei er beide Personen mit der Waffe stets in Schach hielt;

2. unter Ausnützung der unter Punkt 1 festgestellten Bemächtigung des Ernst C a) dessen Lebensgefährtin Erika B zu einer Handlung, nämlich zur Abhebung eines Betrages von 15.000 S von der Bank und Ausfolgung an ihn sowie b) die Polizei zur Beistellung eines Fluchtautos zu nötigen versucht;

3. Erika B, sohin eine Person weiblichen Geschlechtes, durch die mit dem permanenten Anhalten des unter Punkt 1 erwähnten Gasrevolvers begleitete öußerung, er werde sie erschießen, zum zweimaligen außerehelichen Beischlaf genötigt.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf Z 5, 6 und 8

(der Sache nach auch Z 12) des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die jedoch zur Gänze unbegründet ist. Die Verfahrensrüge (Z 5) richtet sich gegen die Nichterledigung seines in der (nicht zum Urteil führenden, sondern schließlich vertagten) Hauptverhandlung vom 6.November 1984 (angeblich) gestellten Antrages auf Vernehmung der Zeugin Erika B und überdies gegen die Nichtdurchführung des vom Schwurgerichtshof anläßlich der Vertagung dieser Hauptverhandlung beschlossenen Vornahme eines Ortsaugenscheines.

Der Rüge steht von vornherein entgegen, daß der Beschwerdeführer in der gemäß § 276 a StPO (wegen Zeitablaufes) neu durchgeführten, mit Urteil beendeten Hauptverhandlung vom 20.Dezember 1984 diesbezügliche Beweisanträge nicht gestellt hat. übrigens war von ihm nicht einmal in der ersten (vertagten) Hauptverhandlung die Vornahme eines Ortsaugenscheines beantragt und bezüglich der Vernehmung der Zeugin Erika B lediglich die - als Legitimationsvoraussetzung für die Geltendmachung des gerügten Verfahrensmangels an sich unzureichende (11 Os 7/78) - Erklärung abgegeben worden, daß er hierauf (trotz der eingetretenen Vernehmungsunfähigkeit der Zeugin) nicht verzichte. Im Hinblick auf die (gemäß § 252 Abs 1 Z 1 bzw Abs 2 StPO) erfolgte Verlesung der im Vorverfahren abgelegten Aussagen dieser Zeugin in der folgenden Hauptverhandlung (S 281) wäre es Sache des Beschwerdeführers gewesen, einen Antrag auf persönliche Einvernahme zu stellen und zu begründen, warum er diese für geboten hält und inwiefern er eine solche Vernehmung trotz des eindeutigen psychiatrischen Gutachtens, wonach mit einer Wiederherstellung der Vernehmungsfähigkeit der Zeugin auch in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist (S 269 in Verbindung mit S 274), dennoch für durchführbar hält. Der Verfahrensrüge war daher mangels Beschwerdelegitimation nicht näherzutreten.

Die Vorschriften über die Fragestellung (§ 312 bis 317 StPO) seien nach der in seiner dahingehenden Rüge (Z 6) zum Ausdruck gebrachten Ansicht des Beschwerdeführers deshalb verletzt worden, weil weder eine Zusatzfrage in Richtung Notwehr, noch (gemeint wohl: eine Eventualfrage) nach Notwehrüberschreitung noch auch Eventualfragen wegen Nötigung zur Unzucht und versuchten Diebstahls gestellt worden sind.

Diesen Beschwerdeeinwänden zuwider war jedoch keine dieser Fragen durch die Ergebnisse der Hauptverhandlung indiziert. Von einer Notwehrsituation kann selbst nach dem Vorbringen des Angeklagten deshalb keine Rede sein, weil dieser die angebliche Bedrohung durch den Zeugen Ernst C mit einer Pistole darnach gar nicht ernstgenommen, sondern von vornherein erkannt hat, daß es sich dabei nur um eine Luftdruckwaffe handelte.

Außerdem war nach der Darstellung des Angeklagten sogar die durch C versuchte Bedrohung jedenfalls damit beendet, daß dieser die Waffe fallen ließ (S 197 iVm S 282 unten). Von einer Rechtfertigung des Tatverhaltens des Beschwerdeführers gegenüber C als Ausübung gerechter Notwehr könnte somit selbst unter Zugrundelegung der Verantwortung des Angeklagten nicht gesprochen werden. Damit kam aber auch eine Frage nach Notwehrexzeß nicht in Betracht, setzt dieser doch eine Notwehrsituation voraus.

Ebensowenig war nach dem Inhalt der Hauptfrage 5 und der in der Beschwerde relevierten Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung eine Eventualfrage nach Nötigung zur Unzucht (§ 204 StGB) indiziert, weil er dieser Darstellung zufolge den in einem Haustor an der Zeugin Erika B vorgenommenen Analverkehr (S 194, 203, 204, 205) zusätzlich zu dem auch dort an ihr durchgeführten Geschlechtsverkehr unternahm, der neben einem zweiten Geschlechtsverkehr in der Wohnung alleiniger Gegenstand der Hauptfrage 5 war.

Der Umstand aber, daß der Schwurgerichtshof (entgegen § 312 Abs 1 StPO) in diese Hauptfrage nicht auch den darüber hinausgehenden Anklagevorwurf zweier weiterer Geschlechtsverkehre aufnahm, zu dem dann allerdings in Ansehung eines von ihnen eine Eventualfrage in Richtung § 204 StGB geboten gewesen wäre, konnte keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluß auf die Entscheidung üben (§ 345 Abs 3 StPO).

Schließlich kam eine Eventualfrage wegen (versuchten) Diebstahls (zur gestellten Raubfrage) nicht in Betracht, weil der Beschwerdeführer nicht etwa nur Gewaltanwendung gegen die Zeugen B und C, sondern auch das Durchsuchen der Wohnung nach Geld und Schmuck bestritten hat, sodaß nach seinem Vorbringen kein Anhaltspunkt für versuchten Diebstahl gegeben war.

Gegen die Rechtsbelehrung wendet der Beschwerdeführer ein (Z 8), sie sei in einem Unrichtigkeit bewirkenden Maß unvollständig, weil sie nicht erkläre, was nach § 28 StGB im Falle des Zusammentreffens strafbarer Handlungen rechtens wäre, und insbesondere nicht auf die Unterscheidung zwischen echter und scheinbarer Konkurrenz eingehe; demnach hätten die Geschwornen nicht beurteilen können, ob der versuchte schwere Raub nicht durch die versuchte erpresserische Entführung konsumiert wurde.

Diese Rüge geht mehrfach fehl:

Die Bestimmung des § 28 StGB regelt nämlich bloß die Strafbemessung bei eintätigem oder mehrtätigem Zusammentreffen strafbarer Handlungen (und wird in diesem Zusammenhang übrigens sogar - überflüssigerweise: vgl 10 Os 197/82, 12 Os 59/83, 11 Os 29/84, 10 Os 187/84 uam; Mayerhofer-Rieder 2 E Nr 71 zu § 345 Abs 1 Z 8 StPO - in der Rechtsbelehrung erwähnt).

Läge (im Sinne des Beschwerdevorbringens) tatsächlich eine Scheinkonkurrenz zwischen den Schuldspruchfakten 1 und 2 vor, so wäre vielmehr (arg e contr § 312 Abs 2 StPO) - ungeachtet der eine echte Konkurrenz bejahenden Anklage - eine Hauptfrage bezüglich des verdrängten Deliktes nicht zu stellen gewesen (aaO E Nr 38 zu § 312 StPO). Die Rüge wendet sich daher in Wahrheit gegen die Fragestellung (Z 6) sowie aus materiellrechtlichen Gründen gegen den Schuldspruch, der bei Zutreffen der Rechtsansicht des Beschwerdeführers gemäß § 345 Abs 1 Z 12 StPO nichtig wäre (aaO E Nr 7

und 9 zu § 345 Abs 1 Z 12 StPO und E Nr 3 zu § 351 StPO). Im Rahmen der Rechtsbelehrung hingegen bestand keinerlei Anlaß, den Geschwornen die Voraussetzungen einer Scheinkonkurrenz zu erklären, weil die (mit Rechtsrüge überprüfbare) Entscheidung über diese Rechtsfrage jedenfalls dem Schwurgerichtshof oblag und bejahendenfalls eben eine Schuldfrage nach einem verdrängten Delikt gar nicht zu stellen gewesen wäre (aaO E Nr 22a zu § 345 Abs 1 Z 8 StPO).

Insoweit aber (Z 12) ist die Rüge verfehlt, da eine Konsumtion des zeitlich vorangegangenen, an Erika B und Ernst C versuchten Raubes (von in der Wohnung vermutetem Bargeld und Schmuck) durch die nachfolgende, gegen Erika B und Polizeiorgane gerichtete (nach § 102 Abs 2 Z 2 StGB tatbildliche) versuchte Nötigung (zur Abhebung eines Betrages von 15.000 S von der Bank und Ausfolgung des Geldes sowie zur Beistellung eines Fluchtautos) schon mangels Abgeltung des Gesamtunwertes der gegen verschiedene Rechtsgüter gerichteten beiden Tatbestände durch Bestrafung nur wegen des einen Deliktes nicht eintreten konnte (Leukauf-Steininger, Kommentar 2 RN 45 zu § 28 StGB;

vgl SSt 50/24 und aaO RN 20 zu § 102 StGB). Der Umstand, daß diese Nötigung unter Ausnützung der im Rahmen des Raubgeschehens erfolgten Fesselung, also der Bemächtigung des Ernst C geschah, bewirkt keine Verdrängung des vorangegangenen Raubversuches, denn das Wesen der erpresserischen Entführung nach § 102 Abs 2 Z 2 StGB liegt ja gerade im nachträglichen Ausnützen einer vom Täter aus einem anderen Grund geschaffenen (Entführungs-)Situation (Leukauf-Steininger, Kommentar 2 RN 19, 20 zu § 102 StGB).

Verfehlt ist schließlich auch die weitere Rüge (Z 8) des Unterbleibens einer Rechtsbelehrung zu den Tatbildern des Zwanges und der Nötigung zur Unzucht, weil nach diesen strafbaren Handlungen nicht gefragt wurde, die Rechtsbelehrung aber nur die in den gestellten Fragen aufscheinenden Rechtsbegriffe, nicht aber andere, wenn auch mit ihnen verwandte Rechtsbegriffe - oder ihr Verhältnis zu Deliktsmerkmalen anderer Tatbestände, bezüglich derer eine Frage unterblieben ist - zu erläutern hat (Mayerhofer-Rieder 2 E Nr 22 zu § 345 Abs 1 Z 8 StPO).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verurteilte den Angeklagten nach § 28, 102

Abs 1 StGB zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe.

Als erschwerend wertete es das Zusammentreffen von drei Verbrechen, das besonders brutale Vorgehen des Angeklagten, welches auch einen qualvollen Zustand beider Opfer durch einen längeren Zeitraum zur Folge hatte, die psychische Beeinträchtigung bei Erika B als Tatfolge und die Tatwiederholung bei der Nötigung zum Beischlaf. Als mildernd wurde der bisher untadelige Lebenswandel berücksichtigt, und daß der Raub und die erpresserische Entführung beim Versuch geblieben sind.

Gegen diesen Strafausspruch richtet sich die Berufung des Angeklagten, mit der er eine Herabsetzung des Strafausmaßes anstrebt.

Diese ist jedoch unbegründet.

Zutreffend weist zwar der Berufungswerber darauf hin, daß er die Taten vor Vollendung seines 21. Lebensjahres begangen hat (§ 34 Z 1 StGB). Im übrigen ist aber sein Berufungsvorbringen nicht berechtigt; denn mit Rücksicht auf den ihm bekannten (S 41 in ON 3, S 11) Zustand der Zeugin B nach einer schweren Operation, die Verwendung einer Waffe auch bei den unzüchtigen Angriffen (bei welchen dies nicht strafsatzerhöhend ist, den dadurch bewirkten Zustand der Zeugin aber - im Zusammenhalt mit den sonstigen, fortgesetzten Gewalttätigkeiten - als einer Widerstandsunfähigkeit nahekommend einschätzen läßt), die tätliche Unterbindung wiederholter Fluchtversuche (S 11, 214, 215 und 217) und die erzwungene Ausübung des Geschlechtsverkehrs in Anwesenheit des Lebensgefährten, hat das Geschwornengericht die Handlungsweise des Angeklagten mit Recht als brutal, dh grausam im Sinne der Z 6 des § 33 StGB bewertet. Auch sind - den Beschwerdeausführungen zuwider - die beiden Verbrechensopfer, insbesondere Erika B durch die Tat in einen längere Zeit (nämlich mehrere Stunden) andauernden qualvollen Zustand (vgl § 106 Abs 1 Z 2 StGB) versetzt worden, was im Hinblick auf die fortgesetzten Drohungen mit einer Schußwaffe, die Fesselung und Knebelung des Zeugen C sowie die Wesensart der schwer leidenden Zeugin B (Gutachten Dris D S 263, 267 und 281) füglich nicht bezweifelt werden kann und tatbildmäßig jedenfalls nicht zur Gänze erfaßt ist.

Demgegenüber kann der Milderungsgrund des bisher ordentlichen Lebenswandels nicht aufrecht bleiben, denn aus der in Kopie dem Akt beiliegenden Anzeige der Bundespolizeidirektion Wien vom 28.Jänner 1984

(ON 24) - die im übrigen zu einer Verurteilung des Angeklagten wegen

§ 83 Abs 1, 125 StGB geführt hat (Strafbezirksgericht Wien, AZ 16 U 1470/84 vom 17.Mai 1984 - vgl ON 49) - ergibt sich (S 115, 120), daß die vorliegenden Taten keinesfalls im auffallenden Widerspruch mit dem sonstigen Verhalten des Angeklagten stehen. Trotz des Hinzutretens eines weiteren Milderungsgrundes erachtete daher der Oberste Gerichtshof unter Abwägung aller sonstigen, im wesentlichen auch schon vom Erstgericht berücksichtigten Strafbemessungsgründe die verhängte Freiheitsstrafe von fünfzehn Jahren im Ergebnis als der Schuld des Angeklagten und dem Unrechtsgehalt seiner Verbrechen angemessen und keinesfalls überhöht, weshalb zu einer Mäßigung der Strafsanktion kein Grund gefunden werden konnte.

Somit war auch der Berufung ein Erfolg zu versagen.

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