OGH 7Ob36/84

OGH7Ob36/8418.10.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Petrasch, Dr. Wurz, Dr. Warta und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Dr. Günter Kolar, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Josef S*****, vertreten durch Dr. Alois Fuchs, Rechtsanwalt in Landeck, wegen 30.568 S samt Nebengebühren, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 25. Jänner 1984, GZ 3 R 1021/83‑18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Landeck vom 26. September 1983, GZ C 755/83 ‑12, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1984:0070OB00036.840.1018.000

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.940,15 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 480 S Barauslagen und 223,65 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Der klagende Haftpflichtversicherer begehrt vom Versicherungsnehmer im Regressweg den Ersatz seiner Aufwendungen an geschädigte Dritte wegen Verletzung der Aufklärungspflicht nach Art 8 Abs 2 Z 2 AKHB infolge Fahrerflucht nach Sachschaden trotz Verdachts der Alkoholisierung. Der Höhe nach ist der Klagesanspruch nicht mehr strittig.

Der Erstrichter wies das Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen nahm der Beklagte vor dem Unfall von 16:30 Uhr des Vortages bis 0:30 Uhr des Unfalltages an einer Betriebsfeier teil und trank zwei Flaschen Bier. Nicht festgestellt werden konnte, ob er darüber hinaus noch weitere alkoholischen Getränke konsumierte. Obwohl er am Beginn der Betriebsfeier seinen Autoschlüssel abgegeben hatte, fuhr er nun mit seinem PKW nach Hause, „wobei er weder alkoholisiert noch fahruntüchtig war“. Bei dieser Fahrt streifte er im Stadtgebiet von Landeck einen am linken Fahrbahnrand der zur Unfallszeit nassen Straße abgestellten PKW, weil er beim Einlegen einer Kassette für einen kurzen Augenblick sein Augenmerk von der Fahrbahn abgewandt hatte. Obwohl er den Unfall bemerkte, fuhr der Beklagte ohne anzuhalten nach Hause. Dabei hatte er keine Schwierigkeiten (mehr), obwohl die Fahrbahn im weiteren Fahrverlauf bereits schneebedeckt war. Von der Verwaltungbehörde wurde der Beklagte in der Folge wegen Übertretung nach § 4 Abs 5 StVO rechtskräftig verurteilt; ein Strafverfahren wegen § 5 Abs 1 StVO wurde eingestellt.

Nach der Rechtsansicht des Erstrichters habe die klagende Partei einen konkreten Verdacht auf Alkoholisierung des Beklagten nicht bewiesen.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne des Klagebegehrens ab. Es vertrat auf der Grundlage der erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen die Ansicht, die klagende Partei habe bewiesen, dass durch die Unterlassung der sofortigen Unfallsmeldung die Aufklärung eines nach der Sachlage begründeten Verdachts der Alkoholisierung des Beklagten verhindert worden sei. Der Beklagte habe weder bewiesen, dass ihm Vorsatz nicht zur Last falle, noch auch eine fehlende Alkoholisierung, weil nach den Tatsachenfeststellungen des Erstrichters offen geblieben sei, ob der Beklagte mehr als die zugegebene Menge Alkohol getrunken habe.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Beklagten ist zwar zulässig, weil sich die Beurteilung des Berufungsgerichts nicht in allen wesentlichen Punkten mit einer vorhandenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs deckt und eine allfällige Widersprüchlichkeit der erstinstanzlichen Feststellungen zu prüfen ist. Sie ist aber nicht berechtigt.

Da der Versicherungsfall im Jahre 1982 eingetreten ist, ist die Rechtssache nach Art 8 AKHB in der Fassung der Verordnungen BGBl 1980/605 und 1981/576 zu beurteilen. In den hier maßgeblichen Punkten haben diese Novellen aber keine Rechtsänderung gebracht. Die Begrenzung der Leistungsfreiheit mit 100.000 S nach Art 8 Abs 4 AKHB kommt wegen der geringeren Höhe des Klagsbetrags nicht zum Tragen. Der hier geltend gemachte Tatbestand der Leistungsfreiheit nach Art 8 Abs 2 Z 2 AKHB, „nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen“, blieb unverändert. Die Tatsache, dass nun die weitere Verpflichtung, bei Personenschäden die nächste Polizei‑ oder Gendarmeriedienststelle sofort zu verständigen, aus dem strengeren Abs 1 in den milderen Abs 2 des Art 8 AKHB gerückt wurde, hat nur für die Fälle Bedeutung, die unter diesen Tatbestand fallen. Seiner gesonderten Anführung kommt dennoch weiterhin Bedeutung zu, weil diese Obliegenheit schon durch die Unterlassung der entsprechenden Meldung objektiv verletzt wird und deshalb die weitere Beweislast sowohl für bloß leichte Fahrlässigkeit (mit voller Leistungspflicht des Versicherers gemäß § 6 Abs 3 VersVG) als auch für fehlende Kausalität einer grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Verletzung der Obliegenheit (mit der Rechtsfolge der Leistungsfreiheit nach Maßgabe der fehlenden Kausalität nach dem Eingangssatz des Art 8 Abs 2 AKHB) den Versicherten trifft, während bei der Verletzung der allgemeinen Aufklärungspflicht der Versicherer beweisen muss, dass eine ihm dienliche Aufklärung unterlassen wurde (7 Ob 3/84, Petrasch , SV 1984, Heft 3, S 2, 13). Entgegen der Meinung des Revisionswerbers folgt aus der Gegenüberstellung dieser beiden Obliegenheiten aber nicht, dass eine Meldepflicht nach den AKHB überhaupt nur noch bei Personenschäden bestehe. Diese Meldepflicht ist bloß als besondere Obliegenheit statuiert. Daneben bleibt der Versicherte nach Art 8 Abs 2 Z 2 AKHB weiterhin verpflichtet, nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen. In diesem Sinn fällt dem Versicherten auch eine Verletzung der Verpflichtung zur Anzeige eines Unfalls mit bloßem Sachschaden nach § 4 Abs 5 StVO zur Last, wenn im konkreten Fall etwas verabsäumt wurde, was zur Aufklärung des Sachverhalts dienlich gewesen wäre, wenn also ein konkreter Verdacht in bestimmter Richtung durch objektives Unbenützbarwerden oder objektive Beseitigung eines Beweismittels infolge der unterlassenen Meldung im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann (SZ 51/180 ua). Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers gelten diese Rechtssätze nicht nur nach den AKIB, sondern wegen der Gleichheit der Obliegenheiten auch für die Kraftfahrzeug‑Haftpflichtversicherung (vgl SZ 49/129, ZVR 1982/364 ua). Die Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers umfasst die Klarstellung aller jener Umstände, die für die allfällige Ablehnung der Deckung oder für künftige Regressansprüche von Bedeutung sein können. Besonders fällt darunter die objektive Prüfung der körperlichen Beschaffenheit des an einem Unfall beteiligten Versicherungsnehmers und seiner allfälligen Alkoholisierung oder Übermüdung ( Petrasch aaO mwN).

In diesem Zusammenhang hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt, dass ein konkreter Verdacht der Alkoholisierung des Beklagten von der hiefür beweispflichtigen klagenden Partei bewiesen wurde. Neben der Tatsache, dass der Revisionswerber stundenlang bei einer Betriebsfeier war, bei der Alkohol konsumiert wurde (sodass er sogar die Autoschlüssel deponiert hatte), sprechen der Unfallshergang und die Fahrerflucht gegen die volle Fahrtüchtigkeit des Beklagten. Ist aber dem Versicherer der Beweis eines Verdachts der Alkoholisierung gelungen, so muss schon nach dem Grundsatz des § 6 Abs 3 VersVG der Versicherte den Gegenbeweis der mit Sicherheit fehlenden Kausalität der Obliegenheitsverletzung führen. Wenn der Verdacht nicht vollständig ausgeräumt werden kann, tritt die Leistungsfreiheit ein (SZ 49/129 ua). Das ist hier auch der Fall. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass allein der Umstand, dass der Alkoholkonsum des Revisionswerbers nicht völlig aufgeklärt werden konnte, zu Lasten des Beklagten ausschlägt. In diesem Zusammenhang ist aber auch die „Feststellung“ des Erstrichters unbeachtlich, dass „der Beklagte weder alkoholisiert noch fahruntüchtig“ war. Wohl stünde eine solche Feststellung nicht in jedem Fall mit der vorangegangenen Feststellung in Widerspruch, dass der genaue Alkoholkonsum nicht aufklärbar sei. Im vorliegenden Fall fehlen aber alle Anhaltspunkte dafür, dass die volle Fahrtüchtigkeit des Beklagten mit Sicherheit erhalten geblieben sei. Im besonderen fällt ins Gewicht, dass keiner der Zeugen den tatsächlichen Alkoholkonsum des Beklagten auch nur annähernd umgrenzen konnte. Die bloße Parteiaussage des Revisionswerbers war aber nach der nunmehrigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Erbringen des Kausalitätsgegenbeweises untauglich, weil die Obliegenheit gerade dazu dient, die eigenen Angaben des Versicherten überprüfbar zu machen (7 Ob 74/82, demnächst in SZ 56, Petrasch aaO). Der Erstrichter hat demnach bei seiner fraglichen Feststellung die Rechtsfrage der Beweislast unrichtig gelöst. Unrichtig ist allerdings auch die Meinung des Berufungsgerichts, eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung (wie sie hier mangels Gegenbeweises anzunehmen ist) befreie den Versicherer von seiner Leistungspflicht auch dann, wenn sie keinen Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalles und die dem Versicherer obliegende Leistung hatte. Diese Ansicht gilt für die besonderen Fälle des Art 8 Abs 2 AKHB infolge der dort ausdrücklich enthaltenden kausalen Beschränkung nicht ( Petrasch aaO 5). Diesem Umstand kommt jedoch hier wiederum keine Bedeutung zu, weil der Beklagte nicht beweisen konnte, dass die Erfüllung der Obliegenheit der sofortigen Unfallsmeldung nicht zur Aufdeckung einer Alkoholisierung im Sinn des Art 6 Abs 2 lit b AKHB geführt hätte. Gerade für solche Fälle ist die Aufklärungspflicht ein Korrektiv, weil der Lenker, der einen Alkoholverdacht durch Verletzung der Vorschriften der Straßenverkehrsordnung nicht entkräften konnte, keine bessere Behandlung verdient als derjenige, der sich pflichtgemäß verhalten und damit seine Alkoholisierung aufgedeckt hat.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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