OGH 1Ob605/84

OGH1Ob605/8419.9.1984

SZ 57/140

Normen

ABGB §1167
ABGB §1295
ABGB §1299
ABGB §1323
ABGB §1167
ABGB §1295
ABGB §1299
ABGB §1323

 

Spruch:

Vom Sachverständigen, der schuldhaft ein unrichtiges Gutachten erstattete, kann der Besteller, der bei Kenntnis des Mangels das Honorar nicht bezahlt hätte, neben den Mangelfolgeschäden auch das Honorar aus dem Titel des Schadenersatzes jedenfalls dann zurückverlangen, wenn der vom Gutachten zu vermitteln gewesene Wissensstand im Zeitpunkt seiner Erlangung wertlos geworden ist

OGH 19. 9. 1984, 1 Ob 605/84 (OLG Linz 3b R 30/84; LG Linz 7 Cg 335/80) = JBl. 1985, 625 (Iro)

Text

Dem Kläger, seinen Verwandten und Bekannten wurden bis 1977 anonyme Schreiben zugemittelt, in denen eine Unzahl ehrenrühriger Äußerungen, Beleidigungen und üble Nachreden enthalten waren. Zwecks Klärung der Identität des anonymen Schriftenverfassers hatte der Kläger die Leistungen des Beklagten als Schriftsachverständigen in Anspruch genommen, ihm alle zur Verfügung stehenden Unterlagen übermittelt und ihm 1975 den Auftrag erteilt, gegen Belohnung ein graphologisches Gutachten zu erstatten. Der Beklagte hatte den Auftrag des Klägers angenommen und mit Schreiben vom 5. 9. 1977 das in Auftrag gegebene Gutachten übermittelt. Der Beklagte hatte gewußt, daß der Kläger das Gutachten für gerichtliche Zwecke benötigte. Als Ergebnis seines Gutachtens faßte der Beklagte zusammen, es könne mit Sicherheit angenommen werden, daß Helga G "Urheberin der Tatschriften" sei. Auf Grund dieses Gutachtens nahm der Kläger an, daß er ein gegen Helga G eingeleitetes Privatanklageverfahren gewinnen werde. Er brachte daher zu U 650/77 des Bezirksgerichtes Rottenmann gegen Helga G eine Privatanklage ein. Hätte das Ergebnis des Gutachtens des Beklagten dahin gelautet, Helga G sei (nur) mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit die Verfasserin der Schreiben, hätte der Kläger eine Privatanklage nicht eingebracht. Im Strafverfahren holte das Gericht ein Gutachten von Univ.-Prof. Dr. Roland G ein, das zum Ergebnis kam, daß Helga G mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht die Verfasserin der Schreiben sei. Auf Grund dieses Gutachtens wurde die die Taten leugnende Helga G mit Urteil des Bezirksgerichtes Rottenmann vom 22. 11. 1979 von der wider sie erhobenen Privatanklage gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. In einem an den damaligen Vertreter des Klägers gerichteten Schreiben vom 7. 2. 1980 führt der Beklagte zur Frage des Privatanklagevertreters, ob er wünsche, daß der Kläger eine Berufung erhebe, aus, daß er dies sicherlich wünsche, wenn es darum gehe, die Frage zu beantworten, was er von dem Urteil halte; seine Auffassung sei, daß Gegenbeweise erarbeitet werden könnten; er stehe dem Privatanklagevertreter beratend zur Verfügung, er könne im Detail aufzeigen, wo geirrt worden sei. Der Berufung des Klägers wurde aber mit Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 22. 5. 1980, 17 a Bl 34/80, nicht Folge gegeben.

Der Kläger begehrt mit der am 20. 11. 1980 eingebrachten Klage den Zuspruch des Betrages von 90 374.20 S an Kosten des Privatanklageverfahrens und als Rückersatz des Honorars für das wertlose Gutachten. Das Gutachten des Beklagten habe nicht den Erfordernissen einer wissenschaftlichen Schriftvergleichung entsprochen. Der Beklagte besäße nicht die von einem Schriftsachverständigen zu erwartenden Kenntnisse.

Der Beklagte wendete ein, sein Gutachten sei nicht falsch. Das von ihm erstellte Gutachten weise die erforderlichen nicht gewöhnlichen Kenntnisse auf. Der Beklagte verfüge zumindest über die gleichen Kenntnisse und denselben Fleiß, wie ihn seine Fachgenossen gewöhnlich hätten. Er habe kein Verschulden zu vertreten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte fest: Der Beklagte habe mit viel Fleiß und Akribie das gesamte Material, das ihm für die Gutachtenerstattung zur Verfügung gestanden sei, ordnungsgemäß bei der Befundaufnahme verarbeitet, auf die wesentlichen Fakten verwiesen, eine Menge identer Merkmale herausgearbeitet und sich auch mit den Divergenzen (Abweichungen) auseinandergesetzt. Es gebe in den inkriminierten Schriften und in den Originalschriften keine Merkmale, die vom Beklagten in seinem Gutachten nicht berücksichtigt worden wären. Er habe insgesamt genügend Sorgfalt auf die ihm aufgetragene Arbeit aufgewendet. Die vom Beklagten bei der Gutachtenserstellung angewandte Methode stehe auch nicht im Widerspruch zu den Regeln der Wissenschaft. Allerdings sei bei einer streng wissenschaftlichen Methodik und Betrachtungsweise der volle Beweis der Urheberschaft einer Schrift ("mit Sicherheit") auf Grund der einzelnen wesentlichen Schreibmerkmale erst dann gelungen, wenn sämtliche Abweichungen aus den Originalschriften ableitbar seien. Trotz der wesentlichen Übereinstimmung der Merkmale, die der Beklagte in seinem Gutachten herausgearbeitet habe, sei eine vom Beklagten aufgezeigte Abweichung (Häkchen e und c) nicht aus den Originalhandschriften ableitbar gewesen. Nur eine weitere gezielte Schriftprobe hätte ein eindeutiges Ergebnis bringen können. Sei die Einholung einer solchen nicht möglich gewesen, um auf diese Art die Beweiskette zu schließen, hätte der Beklagte zum Beschluß kommen müssen, daß die untersuchten Schriften "mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ident" seien. Dieses Kalkül hätte einer streng wissenschaftlichen Vorgangsweise entsprochen.

Rechtlich nahm das Erstgericht an, daß der Beklagte mangels Kausalität nicht für die Kosten des Strafverfahrens hafte, weil nicht sein Gutachten, sondern das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. Roland G und das fehlende Geständnis der Beschuldigten Helga G für den dem Privatankläger nachteiligen Prozeßausgang entscheidend gewesen seien. Was die Rückforderung des Honorars betreffe, sei das Gutachten zwar insofern objektiv unrichtig gewesen, als auf Grund der nicht zu hundert Prozent gelungenen Ableitbarkeit aller Divergenzen aus den Originalhandschriften die Einschränkung des Ergebnisses auf "mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ident" streng wissenschaftlicher Vorgangsweise entsprochen hätte. An ein zur Vorbereitung eines Privatanklageverfahrens erstelltes Privatgutachten seien jedoch nicht so strenge Maßstäbe anzulegen wie an ein von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen in einem Prozeß erstattetes Gutachten. Da der Beklagte im übrigen bei der Gutachtenserstellung die Regeln der Wissenschaft beachtet und auch genügend Sorgfalt auf seine Arbeit verwendet habe, sei ein Verschulden des Beklagten zu verneinen.

Das Berufungsgericht änderte über Berufung des Klägers das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß es dem Klagebegehren stattgab. Die Revision erklärte es gemäß § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO für zulässig. Es übernahm die auf Grund eines mängelfreien Verfahrens getroffenen Feststellungen des Erstgerichtes. Wer sich zu einem Gewerbe öffentlich bekenne, gebe dadurch zu erkennen, daß er sich den notwendigen Fleiß und die erforderlichen Kenntnisse zutraue. Ihren Mangel habe er nach § 1299 ABGB zu vertreten. Sei infolge eines solchen Mangels eine Schädigung eingetreten, so habe der Geschädigte den Schaden, das Vorliegen eines Kunstfehlers und die Ursächlichkeit zu beweisen. Ein Kunstfehler liege vor, wenn die vom Sachverständigen angewandte Methode mit den Regeln der Wissenschaft in Widerspruch stehe. Der Sachverständige hafte für jedes Verschulden; es genüge, daß die Möglichkeit eines schädigenden Erfolges vorhersehbar gewesen sei. Nur für den Mangel außergewöhnlicher Kenntnisse und außergewöhnlichen Fleißes bestehe keine Haftung. Auch vom Sachverständigen könnten nur die Kenntnisse und der Fleiß verlangt werden, den seine Fachgenossen gewöhnlich haben. Die Bedeutung des § 1299 ABGB liege darin, daß er den Maßstab, mit dem die Fahrlässigkeit zu messen sei, gegenüber der allgemeinen Regel des § 1297 ABGB ändere, indem er für den für die übernommene Tätigkeit notwendigen Grad des Fleißes einen objektiven Maßstab der Fahrlässigkeit und der Kenntnisse des Sachverständigen aufstelle, sodaß eine Haftung auch dann begrundet sei, wenn dem Sachverständigen wegen seiner mangelnden Fähigkeit kein subjektiver Vorwurf gemacht werden könne. Es solle jedermann darauf vertrauen können, daß Personen, die Berufe ausübten, die besondere Fähigkeiten erfordern, diese auch tatsächlich besäßen. Eine Verletzung der Sorgfaltspflicht könne auch darin liegen, daß der Sachverständige das Ergebnis seines Gutachtens als sicher hinstelle, obwohl er hätte wissen müssen, daß die tatsächlichen Voraussetzungen, auf denen das Gutachten beruhe, sich leicht ändern könnten. Sei eine solche Änderung vorhersehbar, habe der Gutachter auf diesen Umstand aufmerksam zu machen. Voraussetzung für die Haftung des Sachverständigen sei, daß der Empfänger des Gutachtens dieses tatsächlich zur Grundlage einer Disposition machte, die zum Schaden führte. Es fehle die Ursächlichkeit dann, wenn der Geschädigte ohne das falsche Gutachten genau so disponiert hätte. Nach den getroffenen Feststellungen sei das vom Beklagten erstellte Gutachten in seinen Schlußfolgerungen nicht mit den Regeln der Wissenschaft in Einklang zu bringen. Auch wenn der Beklagte viel Mühe und Fleiß aufgewendet habe, so hätte die nichtwissenschaftliche Argumentation über die Divergenz beim Häkchen e und c dazu führen müssen, daß der Beklagte sein Ergebnis nicht als sicher hingestellt, sondern höchstens mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit beurteilt hätte. Der Beklagte hätte seinen Auftraggeber auch ausdrücklich darauf aufmerksam machen müssen, daß eine Beurteilung "mit Sicherheit" nur dann möglich wäre, wenn ihm noch weitere gezielte Schriftproben, die vor ihm abzugeben wären, zur Verfügung gestanden wären. Dem Beklagten sei bei seiner Arbeit ein Kunstfehler unterlaufen, weil die von ihm angewandte Methode in einem wesentlichen Punkt mit den Regeln der Wissenschaft in Widerspruch gestanden sei. Daß die Begutachtung des Beklagten außergewöhnliche Kenntnisse erfordert hätte, die seine Fachgenossen nicht hätten, habe sich aus den Verfahrensergebnissen nicht ergeben. Die Ansicht des Erstgerichtes, daß an einen Privatgutachter nicht so strenge Maßstäbe gestellt werden dürften wie an einen vom Gericht bestellten Sachverständigen, könne nicht geteilt werden. Die Bestimmung des § 1299 ABGB unterscheide nicht zwischen gerichtlich bestellten und anderen Sachverständigen. Im konkreten Fall sei der Beklagte beauftragt worden, ein Gutachten zu erstellen, damit der Kläger seine Erfolgsaussichten in einem allfällig einzuleitenden Privatanklageverfahren gegen Helga G beurteilen könne. Dieser Zweck sei dem Beklagten bekannt gewesen. Es komme nicht darauf an, ob dieses Privatgutachten im Strafverfahren prozessuale Bedeutung gehabt habe; wesentlich sei, daß der Kläger auf Grund des vom Beklagten erstellten Gutachtens veranlaßt worden sei, das Strafverfahren einzuleiten, und annehmen habe können, auch ein im Strafverfahren bestellter Sachverständiger werde zum gleichen Ergebnis kommen. Es stehe unbekämpft fest, daß der Kläger das Strafverfahren nicht eingeleitet hätte, wenn das Gutachten des Beklagten richtigerweise nur zum Ergebnis "mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit" gekommen wäre. Gerade deswegen, weil das Gutachten des Beklagten die Grundlage für die Disposition des Klägers in einem gerichtlichen Strafverfahren hätte sein sollen und dieser Zweck auch dem Beklagten bekanntgewesen sei, müßten für den Maßstab der Sorgfaltspflicht die gleichen Anforderungen gelten wie in einem gerichtlichen Verfahren. Der Beklagte hätte damit rechnen müssen, daß sein Privatgutachten im gerichtlichen Verfahren durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen überprüft würde. In der nichtwissenschaftlich begrundeten Erstellung des Gutachtens sei ein Verschulden zu erblicken, das die Haftung des Beklagten nach § 1299 ABGB nach sich ziehe. Die falsche Beurteilung des Beklagten sei auch für die Kosten des Privatanklageverfahrens, die den Kläger getroffen hätten, kausal gewesen. Der Höhe nach stehe die Klagsforderung außer Streit.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Im vorliegenden Fall bestand zwischen den Parteien ein Werkvertrag, der die Erstellung eines Gutachtens als Hauptleistung vorsah (Welser, Die Haftung für Rat, Auskunft und Gutachten 40). Inhalt des Werkvertrages war die Erstellung eines Gutachtens darüber, ob Helga G mit Sicherheit als Verfasserin beleidigender Schriften anzusehen war, sodaß gegen sie gerichtliche Schritte unternommen werden konnten. Es war für den Kläger daher wesentlich, ob Helga G die Schrift mit Sicherheit oder nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit verfaßt hatte, da davon seine Entscheidung abhing, ob er die Gerichte anrufen solle. Die Beurteilung, ob die geforderte Sicherheit gegeben war, war nach dem auch für den Beklagten erkennbaren Vertragsinhalt entscheidend. Eine Fehlbeurteilung gerade dieser Frage war ein wesentlicher Mangel, der das Werk (das Gutachten) unbrauchbar machte. An sich hätte der Kläger Verbesserung verlangen oder vom Vertrag abgehen können (§ 1167 ABGB), doch kamen nach der Art der vom Beklagten zu erbringenden Leistung Gewährleistungsansprüche nicht in Betracht, da es im Wesen des Gutachtens lag, daß der Kläger die Unbrauchbarkeit bzw. Unrichtigkeit des Werkes nicht rechtzeitig erkennen konnte, sondern es eines weiteren Gutachtens bedurfte, um den Mangel festzustellen. Ein solches Gutachten wurde aber erst in dem Verfahren erstattet, das der Kläger gerade für den Fall, daß die Urheberschaft der Helga G nicht mit Sicherheit feststand, gar nicht eingeleitet hätte. Nach der Besonderheit der Gestaltung des Werkvertrages kamen bei Unrichtigkeit des Gutachtens nur Schadenersatzansprüche, wie sie der Kläger auch allein stellt, in Betracht. Es kommt damit die Bestimmung des § 932 Abs. 1 letzter Satz ABGB zum Tragen, wonach neben der Gewährleistung der Vertragspartner für den verschuldeten Schaden haftet. Diese Bestimmung gewährt keinen eigenen Schadenersatzanspruch, sondern verweist nur auf die allgemeinen Schadenersatzregeln (SZ 46/39 ua.; Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 575).

Für die Haftung des Sachverständigen ist der Sorgfaltsmaßstab gegenüber der allgemeinen Regel des § 1297 ABGB verschärft: Während sonst auf den gewöhnlichen Grad der Aufmerksamkeit und des Fleißes abzustellen ist, ist nach § 1299 ABGB der für die übernommene Tätigkeit notwendige Grad des Fleißes entscheidend. Maßgeblich ist dann die übliche Sorgfalt jener Personen, die derartige Tätigkeiten ausüben. Während bei Prüfung der Frage, ob sonst jemandem ein Schuldvorwurf gemacht werden könne, es auf die subjektiven Fähigkeiten und Kenntnisse ankommt, führt § 1299 ABGB für die von einem Sachverständigen geforderten Fähigkeiten und Kenntnisse einen objektiven Maßstab ein; einem Sachverständigen ist daher auch dann ein Schuldvorwurf zu machen, wenn es ihm an den erforderlichen Fähigkeiten mangelte; der Sorgfaltsmaßstab wird durch die typischen und demnach objektiv bestimmten Fähigkeiten eines Angehörigen des betreffenden Verkehrskreises bestimmt. Entscheidend ist der Leistungsstandard der betreffenden Berufsgruppe (SZ 54/13 mwN; Koziol, Österr. Haftpflichtrecht[2] II 182 f.). Für den Sachverständigen ist daher der Kunstfehler ein gewöhnliches Versehen (MietSlg. 32 228).

Gutachten sollen möglichst erkennen lassen, wieweit sie auf Information oder gesicherten Erkenntnissen aufbauen und wieweit es sich um subjektive Urteile des Gutachters handelt (Welser aaO 46). Gegen diesen Grundsatz verstieß der Beklagte. Er hat zwar bei Ausarbeitung von Befund und Gutachten Fleiß und Akribie aufgewendet; auf Grund der von ihm selbst aufgezeigten, aber unrichtig beurteilten Divergenzen wäre es aber erforderlich gewesen, eine weitere gezielte Schriftprobe einzuholen oder, wenn es nicht möglich war, auf diese Art die Beweiskette zu schließen, nur ein nicht auf sicher lautendes Kalkül abzugeben.

Gerade so wie ein Rechtsanwalt seiner Partei nicht haftet, wenn ein von ihm eingenommener, an sich vertretbarer Rechtsstandpunkt in der Folge von der Rechtsprechung nicht geteilt wird (SZ 54/98; SZ 53/83; SZ 52/56 uva.), haftet auch ein Sachverständiger nicht, wenn ein nach den Regeln der Wissenschaft erarbeitetes Gutachten in der Folge nicht standhält. Er muß aber - wie auch ein Rechtsanwalt in ähnlichen Fällen - den Auftraggeber auf allfällige Risiken hinweisen. Er hat dies insbesondere dann zu tun, wenn er weiß, daß der Auftraggeber sein weiteres Verhalten vom Inhalt seines Gutachtens abhängig machen werde. Dem Beklagten mußte es klar sein, daß der Kläger bei bestehenden Ungewißheiten wahrscheinlich nichts weiter unternehmen werde. Es war alleinige Aufgabe des Gutachtens zu klären, ob dem Kläger Gewißheit zu verschaffen sei; gerade seine Schlußfolgerungen mußte der Beklagte daher besonders genau abwägen und vorsichtig formulieren. Allenfalls verbliebene Zweifel an der Urheberschaft Helga Gs an den inkriminierten Schreiben, wie sie nach dem Ergebnis des nunmehrigen Verfahrens bestehen bleiben mußten, hatte er dem Kläger mitzuteilen (vgl. Welser aaO 40). Hat er dies nicht getan, war das Gutachten für den Kläger im allein wesentlichen Punkt irreführend und enthielt damit einen haftungsbegrundenden Kunstfehler. Da der Kläger als Empfänger des Gutachtens dieses zur Grundlage seiner Disposition machte, die schließlich zum Schadenseintritt führte (Welser aaO 7), standen die durch die Führung des Privatanklageverfahrens verursachten Kosten - nach dem Verhalten des Beklagten auch des Rechtsmittelverfahrens - in kausalem Zusammenhang zu dem dem Beklagten vorzuwerfenden Kunstfehler und sind daher vom Beklagten zu ersetzen.

Nicht so selbstverständlich, wie es das Berufungsgericht meint, ist es hingegen, daß dem Kläger auch der Rückersatz des für das Gutachten dem Beklagten bezahlten Honorars gebührt. Der Ablauf der Gewährleistungsfrist hat in der Regel zur Folge, daß ein Rücktritt vom Vertrag bzw. eine Wandlung nicht mehr möglich ist, sodaß grundsätzlich auch der vereinbarte Werklohn zu bezahlen bzw. der bezahlte dem Unternehmer zu belassen ist. Der letzte Satz des § 932 Abs. 1 ABGB wird auch dahin verstanden, daß dem Geschädigten nur die sogenannten Mängelfolgeschäden (Begleitschäden) zu ersetzen sind, also die Schäden, die dadurch, daß die Leistung mangelhaft erbracht wurde, an anderen Gütern des Vertragspartners entstanden sind (Koziol aaO II 81). Welser, JBl. 1976, 127 ff. und ihm folgend Koziol aaO 82 (vgl. auch Koziol-Welser[6] I 213, 307; in diesem Sinne auch Reischauer in Rummel, ABGB, Rdz. 20 zu § 932) haben den Nachweis zu erbringen getrachtet, daß entgegen der herrschenden Rechtsprechung der Gläubiger so zu stellen sei, wie dieser bei ordnungsgemäßer Erfüllung stunde, und ihm das Erfüllungsinteresse zu ersetzen sei. Mit dieser Lehre muß sich der OGH im vorliegenden Fall nicht auseinandersetzen, da der Kläger nicht das Erfüllungsinteresse beansprucht, sondern die Rückbezahlung des Werklohnes, den er nicht entrichten hätte müssen und nicht entrichtet hätte, wenn ihm die Unrichtigkeit des Gutachtens bekannt gewesen wäre. Es geht darum, ob ein Geschädigter auch dann, wenn er nicht mehr vom Vertrag zurücktreten kann, weil die Gewährleistungsfrist abgelaufen ist, dennoch, wenn sich das bestellte Gutachten wegen seiner Unrichtigkeit aus dem Verschulden des Gutachtenserstellers als wertlos erweist, nicht nur den dadurch verursachten Folgeschaden ersetzt begehren, sondern auch das für die wertlose Leistung bezahlte Entgelt aus dem Titel des Schadenersatzes zurückverlangen kann. Welser, der es ablehnt, Gewährleistungs- und Schadenersatzansprüche als einander ausschließend anzusehen (JBl. 1976, 132), lehrt, daß dem Geschädigten auch der Ersatz des Nachteiles gebührt, der in der Mangelhaftigkeit der Sache selbst liegt, nur ist darauf zu achten, daß der Geschädigte durch den Ersatzanspruch nicht bereichert wird (JBl. 1976, 134). Es ist gewiß unzulässig, einem Geschädigten von demjenigen, der ein Werk unverbesserlich mangelhaft herstellte, sowohl die Kosten der Neuherstellung des Werks durch einen Dritten als Mangelfolgeschaden zuzusprechen als auch den Rückersatz des Werklohns aufzuerlegen, weil dann der Geschädigte insoweit bereichert wäre, als er letztlich durch die Neuherstellung des Werks durch die Dritten das gewünschte Werk in Händen und nichts dafür zu leisten hätte; insoweit ist es richtig, daß nur die Folgeschäden, die durch die Untauglichkeit des ersten Werkes entstandenen Mehrkosten, zu ersetzen sind. Auch der Kläger hat den Wissensstand, den er durch das dem Beklagten aufgetragene Gutachten erlangen wollte, durch das im Strafverfahren erstattete Gutachten erlangt; er war an sich bereit, für die Erlangung dieses Wissensstandes die Kosten auch dann zu bezahlen, wenn das Gutachten zu dem richtigen Ergebnis führte, daß die Urheberschaft der Schreiben nicht genau zu klären war. Es ließe sich dann der Standpunkt vertreten, daß auch die auf jeden Fall entstandenen Kosten des Gutachtens des Sachverständigen nicht schadenersatzfähig wären. Damit würde man aber der tatsächlich gegebenen Situation nicht gerecht. Die Erlangung des Wissensstandes über die Beweisbarkeit der Urheberschaft der Schreiben war nicht Selbstzweck, sondern sollte einen für den Kläger peinlichen Prozeßverlust verhüten helfen. Die Erlangung des Wissensstandes des Klägers war also nur im Zeitpunkt von Interesse, in dem er darüber Entschluß zu fassen hatte, ob er gegen Helga G gerichtlich vorgeht. Der Wissensstand des Klägers wurde aber erst im Strafverfahren auf eine Weise herbeigeführt, die gerade durch das Gutachten vermieden werden sollte. Auch durch das Strafverfahren wurde damit die Lage des Klägers, die herbeizuführen ihm die Kosten des Gutachtens wert waren, nicht hergestellt. Sein später erlangter Wissensstand war für ihn nach den gegebenen Umständen wertlos. Ein sinnlos bezahlter (frustrierter) Werklohn ist aus dem Titel des Schadenersatzes zu vergüten (Reischauer aaO Rdz. 20 aE; vgl. JBl. 1974, 476). Der Beklagte hat dem Kläger daher auch das Honorar für das für diesen wertlose Gutachten zurückzuerstatten.

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