Spruch:
Dem Pfandgläubiger geht der Schutz des Vertrauens auf die öffentlichen Bücher nicht dadurch verloren, daß er es unterläßt, die verpfändete Liegenschaft vor dem Pfandrechtserwerb zur Erforschung allfälliger außerbücherlicher Rechte Dritter zu besichtigen
OGH 15. Dezember 1982, 1 Ob 822/82 (LG Klagenfurt 3 R 49/82; BG St. Veit an der Glan 4 C 799/81)
Text
Der Vater und Rechtsvorgänger der Klägerin erwarb mit Vergleich vom 23. 11. 1911 vom damaligen Eigentümer der Liegenschaft EZ 47 KG R Karl F, als Entschädigung für die Versäuerung einer Wiesenparzelle einen 300 Klafter großen Teil des Grundstückes 11 (nunmehr 11/5) KG R. Er nahm dieses Teilgrundstück, das dem nunmehr mit Teilungsplan des Dipl.-Ing. K vom 5. 8. 1981, GZ 7248/81, neu zu bildenden Grundstück 11/7 entspricht, sogleich in Besitz, errichtete darauf einen Gemüsegarten und einen Holz- und Geräteschuppen. Seit Jahrzehnten bestehen zwischen dem Grundstück 11/5 und dem veräußerten Teilgrundstück (künftig 11/7) deutliche Grenzen. Eine grundbücherliche Durchführung des Vergleiches vom 23. 11. 1911 unterblieb, so daß das veräußerte Teilgrundstück noch zum Gutsbestand der Liegenschaft EZ 47 KG R gehört. Die Klägerin hat diesen Grundstücksteil inzwischen außerbücherlich ersessen. Am 25. 2. 1981 bestellte der nunmehrige Hälfteeigentümer der Liegenschaft EZ 47 KG R Dipl.-Ing. Adolf F vier in seinem Alleineigentum und vierzig in seinem Hälfteeigentum stehende Liegenschaften, darunter auch die aus 75 Grundstücken bestehende Liegenschaft EZ 47 KG R mit dem Grundstück 11/5 zur Sicherung aller Forderungen der beklagten Partei aus dem von ihr gewährten Kredit bis zum Höchstbetrag von 40 Millionen Schilling zum Pfand. Noch am selben Tag wurde das Pfandrecht bücherlich einverleibt.
Die Klägerin begehrt, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, "ungeachtet der zu ihren Gunsten bei der Liegenschaft EZ 47 eingetragenen bücherlichen Rechte" in die lastenfreie Abschreibung des nach dem zitierten Teilungsplan neu gebildeten Grundstückes 11/7 Garten KG R einzuwilligen. Die beklagte Partei könne sich auf einen gutgläubigen Erwerb ihres Pfandrechtes an dem strittigen Grundstück nicht stützen. Die Klägerin habe nur einen Teil dieses Grundstückes ersessen. Dieser Teil sei in der Natur klar abgegrenzt. Die beklagte Partei hätte durch eine Besichtigung den vom Grundbuchstand abweichenden Naturstand jederzeit erkennen können. Der öffentliche Glaube beziehe sich nicht auf das Grundstücksausmaß, weil dieses dem öffentlichen Buch nicht entnommen werden könne.
Die beklagte Partei beantragte Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß ihr beim Erwerb der Höchstbetragshypothek von außerbücherlichen Eigentumsansprüchen dritter Personen nichts bekannt gewesen sei. Sie habe das ihr vertraglich eingeräumte Pfandrecht gutgläubig erworben.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte fest, daß die Eigentümer des Restgrundstückes 11/5 das veräußerte Teilgrundstück schon seit 70 Jahren nicht mehr benützt hätten. Die grundbücherliche Einverleibung des Eigentumsrechtes an dem veräußerten Teilgrundstück sei aus Nachlässigkeit der Erwerber unterblieben. In der Natur sei die Abgrenzung des außerbücherlich veräußerten Teilgrundstückes vom übrigen Teil des Grundstückes 11/5, die unterschiedliche Nutzung des veräußerten Teils und dessen offenbare Zugehörigkeit zur Liegenschaft der Klägerin zweifelsfrei erkennbar.
Das Erstgericht war der Ansicht, daß die Grundbuchsmappe nur der Veranschaulichung der Lage der Liegenschaften diene und keinen Beweis für die tatsächliche Ausdehnung und die natürlichen Grenzen eines Grundstückes bilde. Öffentlichen Glauben besitze nur das Grundbuch selbst, das aus dem Hauptbuch und der Urkundensammlung bestehe. Jeder Pfandnehmer erwerbe das Pfand nicht nach der Mappe, sondern nach den tatsächlich vorhandenen natürlichen Grenzen. Die beklagte Partei habe daher an dem in der Natur klar abgegrenzten, der Liegenschaft der Klägerin zugeordneten Grundstücksteil 11/7 KG R ein Pfandrecht nicht erwerben können.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Es sprach aus, daß der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstandes 2000 S übersteigt.
Das Berufungsgericht war der Ansicht, daß der Vergleich vom 23. 11. 1911 nur einen Titel für den Eigentumserwerb darstelle und der Klägerin nur einen schuldrechtlichen Anspruch auf Übertragung des Eigentums gewähre. Zum Eigentumserwerb sei die "Übergabe" der Sache notwendig, die bei unbeweglichen Sachen, dem Eintragungsgrundsatz entsprechend, nur durch grundbücherliche Einverleibung eintrete, nicht aber durch tatsächliche Inbesitznahme des Grundstückes erfolgen könne. Allerdings gewähre die Lehre und die (jüngere) Rechtsprechung demjenigen, dessen Forderungsrecht auf Übertragung eines dinglichen Rechtes durch den Besitz verstärkt sei, im Falle der Doppelveräußerung gegenüber demjenigen, der die schuldrechtliche Position des Benachteiligten kannte oder bei gehöriger Aufmerksamkeit kennen konnte, einen schadenersatzrechtlichen Naturalrestitutionsanspruch. Die Klägerin habe aber nicht behauptet, daß die beklagte Partei ihr Forderungsrecht gekannt, habe, sondern nur, daß sie die Abtrennung des verkauften Grundstückes bei Besichtigung hätte feststellen können. Der Fall des Zusammentreffens von Traditionserwerber und Hypothekargläubiger unterscheide sich vom Fall der Doppelveräußerung dadurch, daß der Hypothekargläubiger in den Besitzstand des außerbücherlichen Erwerbers nicht eingreife, sondern nur dessen Liegenschaft belaste. Dieser Schaden könne auch durch einen Ersatzanspruch gegen den Veräußerer behoben werden. Von einem Hypothekargläubiger könne man nicht wie von einem Liegenschaftskäufer verlangen, daß er das Objekt tatsächlich besichtige. Der Hypothekargläubiger habe nur ein Liquidationsinteresse an der Liegenschaft. Ihn interessiere nur, ob er den investierten Wert aus der Liegenschaft wieder herausbekomme, worüber Grundbuch und Kataster in aller Regel Auskunft gäben. Der beklagten Partei sei daher nicht zuzumuten gewesen, Nachforschungen über den Besitzstand der Pfandliegenschaft anzustellen. Nach schadenersatzrechtlichen Gesichtspunkten sei daher der Klagsanspruch nicht berechtigt. Unbestritten sei allerdings, daß die Klägerin das Grundstück 11/7 ersessen habe. Beim Erwerb durch Ersitzung gelte der Eintragungsgrundsatz nicht. Der Ersitzende erwerbe schon mit Ablauf der Ersitzungszeit. Das aus der Ersitzung erworbene Recht könne aber demjenigen, der im Vertrauen auf die öffentlichen Bücher noch vor der Einverleibung desselben eine Sache oder ein Recht an sich gebracht habe, zu keinem Nachteil gereichen. Zu prüfen sei daher, ob die beklagte Partei in dem - hier zusammenfallenden - Zeitpunkt der Errichtung der Pfandbestellungsurkunde und der Grundbuchseinverleibung gutgläubig gewesen sei. Für die Beurteilung dieser Frage hätten dieselben Grundsätze wie für die Prüfung des allfälligen schadenersatzrechtlichen Naturalrestitutionsanspruches der Klägerin zu gelten. Die beklagte Partei habe darauf vertrauen dürfen, daß eine Änderung des Gutsbestandes nicht vorliege, da aus dem A 2-Blatt eine Abschreibung nicht zu ersehen gewesen sei.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revisionswerberin bringt vor, die beklagte Partei habe gar nicht behauptet, daß es Absicht der Parteien des Pfandbestellungsvertrages gewesen sei, die Hypothek auch auf den bereits veräußerten Teil des Grundstückes 11/5 der Liegenschaft EZ 47 KG R zu erstrecken. Mit diesem Vorbringen verkennt die Klägerin die Beweislastverteilung. Ein auf einer Liegenschaft (hier: einem ideellen Anteil) einverleibtes Pfandrecht erstreckt sich auf alle im Eigentum des Verpfänders stehenden Teile der Liegenschaft und umfaßt daher im Zweifel den gesamten Gutsbestand (vgl. § 457 ABGB). Es könnte auch ein einzelnes Grundstück ohne vorzeitige Abschreibung vom Gutsbestand der zu verpfändenden Liegenschaft gar nicht ausgenommen werden, weil Pfandrechte nicht auf einzelne Bestandteile eines Grundbuchskörpers eingetragen werden können (§ 13 GBG). Daher läßt die Judikatur bei einer Pfandrechtseinverleibung - anders als bei der Eigentumseinverleibung - auch die Anführung der Einlagezahl in der zugrunde liegenden Urkunde genügen, während die Nummern der zum Gutsbestand gehörenden Grundstücke nicht angeführt werden müssen (SZ 45/124). Sache der Klägerin wäre es daher gewesen, zu behaupten und zu beweisen, daß die Absicht der Vertragsteile, zumindest aber die der Pfandnehmerin erkennbare Absicht des Verpfänders, darauf gerichtet gewesen sei, die Verpfändung nicht auf den bereits veräußerten Teil des Grundstückes 11/5 zu erstrecken. Mangels solcher Behauptungen ist daher von einem Zusammentreffen von Eigentumserwerbsansprüchen und Pfandrechten an ein und demselben Objekt, dem neu zu bildenden Grundstück 11/7, auszugehen.
Auf die Priorität ihres Titels kann die Klägerin ihr Begehren nicht stützen. Wie schon im Judikat 186 ausgesprochen wurde, gewährt der auf den Erwerb eines dinglichen Rechtes gerichtete Vertrag bloß einen Titel, solange das Erwerbungsgeschäft nicht in die öffentlichen Bücher eingetragen wurde (§§ 431, 451 und 481 ABGB). Eine vor bücherlicher Eintragung des vertragsmäßig erworbenen Rechtes gegen den bisherigen bücherlichen Berechtigten auf das Buchobjekt geführte Exekution wird daher durch die spätere Bucheintragung des Erwerbers nicht berührt, mag dieser auch schon vor der Einleitung der Exekution einen Titel zum Erwerb erlangt haben (ebenso in der neueren Rechtsprechung EvBl. 1969/206; RZ 1980/26 ua.). Dieser Grundsatz gilt auch, wenn der Pfandrechtserwerb auf einem Vertrag beruht (SZ 10/82). Aus ihrer Stellung als Traditionserwerberin könnte daher die Klägerin gegen die beklagte Partei nur durchdringen, wenn ihr gegen diese Naturalschadenersatzansprüche wegen schuldhafter Beeinträchtigung ihres Forderungsrechts zustunden. Ein solcher Anspruch hätte zur Voraussetzung, daß die beklagte Partei die obligatorische Position der Klägerin kannte, was diese gar nicht behauptete, oder bei gehöriger Aufmerksamkeit kennen hätte müssen (JBl. 1981, 535; EvBl. 1981/156). Auch das hat das Berufungsgericht, wie noch darzulegen sein wird, zutreffend verneint.
Die Klägerin hat, wie außer Streit gestellt wurde, Eigentum an dem in Anspruch genommenen Grundstücksteil ersessen. Da der Eintragungssgrundsatz für die Erwerbsart der Ersitzung nicht gilt (Koziol - Welser[6] II 85 f.), erwarb sie schon mit Ablauf der Ersitzungszeit, also jedenfalls vor der Einverleibung des Pfandrechtes der beklagten Partei, originär Eigentum. Das aus der Ersitzung erworbene Recht kann aber demjenigen, der im Vertrauen auf die öffentlichen Bücher noch vor der Einverleibung desselben ein Recht an sich gebracht hat, nicht zum Nachteil gereichen (§ 1500 ABGB). Der gutgläubige Dritte kann also vom bisherigen (noch einverleibten) Eigentümer wirksam dingliche Rechte erwerben (Koziol - Welser aaO 86; vgl. SZ 51/155). Der Ansicht der Revisionswerberin, die beklagte Partei sei nicht im Vertrauen auf die öffentlichen Bücher zu schützen, weil - was an sich richtig ist - weder das Ausmaß noch die Lage und die Beschaffenheit der in einer Grundbuchseinlage vereinigten Grundstücke aus dem Grundbuch hervorgehen, kann nicht gefolgt werden. Das Vertrauen auf die öffentlichen Bücher besteht im Falle des § 1500 ABGB in der unverschuldeten Unkenntnis des Bestandes des ersessenen Rechtes (Klang in seinem Komm.[2] VI 667). Dieses Vertrauen ist unabhängig davon zu schützen, ob das ersessene Recht den ganzen Grundbuchskörper, einzelne Grundstücke oder nur einen Teil eines Grundstückes erfaßt.
Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin ist dem Berufungsgericht auch darin zu folgen, daß der Pfandgläubiger den Schutz des Vertrauens auf die öffentlichen Bücher nicht dadurch verliert, daß er es unterläßt, das Pfandobjekt vor dem Pfanderwerb zu besichtigen und hiebei Nachforschungen über den Besitzstand anzustellen. Die Interessenlage ist beim Pfanderwerb eine andere als beim Eigentumserwerb. Der Hypothekargläubiger verdrängt den außerbücherlichen Erwerber aus seinen Rechten nicht, sondern belastet nur dessen Liegenschaft. Der außerbücherliche Erwerber kann den dadurch entstehenden Schaden durch den Rückgriff auf den Veräußerer beheben (Schilcher - Holzer, Der schadenersatzrechtliche Schutz des Traditionserwerbers bei Doppelveräußerung von Liegenschaften, JBl. 1974, 517). Grundlegende Unterschiede zwischen dem Erwerb des Eigentums und dem Erwerb des Pfandrechtes bestehen aber auch insofern, als es (praktisch) niemals vorkommt, daß Liegenschaften bloß nach dem Buchstande veräußert werden, ohne daß der Erwerber sich um die tatsächlichen Verhältnisse kümmert (Klang in seinem Komm.[2] II 382). Von einem ordentlichen Käufer ist es daher zu verlangen, daß er sich sein Objekt auch anschaut. Die Beziehungen des Pfanderwerbers zur Pfandsache sind hingegen wesentlich weniger eng (vgl. Klang aaO). Der Hypothekar hat nur ein Liquidationsinteresse an der Liegenschaft. Regelmäßig wird ihn nur interessieren, ob er den investierten Wert aus der Liegenschaft wieder herausbekommt (Schilcher - Holzer aaO). Die dazu nötigen Daten wird ihm häufig schon der Grundbuchsauszug und der Grundbesitzbogen liefern. Freilich werden Kredite, insbesondere durch Kreditinstitute, häufig erst nach Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Wert der zu belastenden Liegenschaft gewährt. Eine Besichtigung durch den Hypothekargläubiger zu dem Zweck, aus dem Grundbuch nicht hervorgehende Rechte Dritter zu erforschen, ist aber nicht üblich. Sie zur Pflicht zu machen, würde unzumutbare Erschwerungen des Hypothekarkreditgeschäftes nach sich ziehen.
Von der beklagten Partei waren daher besondere Nachforschungen an Ort und Stelle - im vorliegenden Fall insbesondere auch wegen des außerordentlichen Umfanges der Pfandliegenschaften - nicht zu verlangen, so daß es ihr nicht schadet, daß bei einer Besichtigung des Grundstückes 11/5 die Abtrennung des neu zu bildenden Grundstückes 11/7 aufgefallen wäre. Die beklagte Partei ist daher in ihrem Vertrauen auf das öffentliche Buch zu schützen; es wäre Sache der Klägerin (bzw. ihrer Rechtsvorgänger) gewesen, für die Herstellung der Grundbuchsordnung zu sorgen.
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