Spruch:
Wer eine Ware unter schuldhafter Verletzung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften in den Verkehr bringt und dadurch bewirkt, daß nicht nur seine unmittelbaren Abnehmer, sondern auch deren Vertragspartner nach den Bestimmungen des Wettbewerbsrechtes auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, hat für die durch diesen Rechtsmangel verursachten Mangelfolgeschäden (hier: Prozeßkosten) einzustehen
OGH 3. November 1981, 4 Ob 540/81 (LGZ Wien 45 R 773/80; BG Hietzing 4 C 454/80)
Text
Die P-Ges. m. b. H. vertreibt in Österreich Tonträger mit Darbietungen des beliebten Humoristen Fritz E., der unter dem Schlagwort "Fritz, kennst di aus" auftritt. Die beklagte Partei vertrieb - nach den Klagebehauptungen in offenbarer Anlehnung an die Aufnahmen mit Fritz E - unter dem Titel "Kennst di aus Fritz?" Musikkassetten mit humorvollen Stücken und dem Untertitel "Die größten Witzerfolge", die sie auch an die Firma R in S (Vbg.) lieferte, von der die Klägerin wiederum solche Kassetten bezog. Die P- Ges. m. b. H. sah im Vertrieb dieser Kassetten einen Wettbewerbsverstoß und erhob nicht nur gegen die beklagte Partei, sondern in der Folge auch gegen die Klägerin Unterlassungsklagen.
Die Klägerin behauptet, daß ihr in diesem Prozeß Kosten in der Höhe von 24 001.64 S erwachsen seien, die ihr die beklagte Partei auf Grund ihres Verschuldens zu ersetzen habe. Die Firma R sei über die "urheberrechtlichen Verhältnisse" nicht informiert gewesen.
Die beklagte Partei beantragte Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, daß sie der Klägerin mangels eines zwischen den Streitteilen bestehenden Vertragsverhältnisses nicht schadenersatzpflichtig sei. Sie habe die von ihr belieferten Händler, darunter auch die Firma R, mit Rundschreiben von der Klage der P-Ges. m. b. H. in Kenntnis gesetzt und aufgefordert, die beanstandeten Kassetten nicht mehr auszuliefern und ausgelieferte Exemplare einzuziehen. Die Kassetten seien als sogenannte "Coverversion" gekennzeichnet gewesen. Die beklagte Partei habe daher annehmen können, daß keine Verwechslungsgefahr bestehe. Sie habe das Klagebegehren der P-Ges. m. b. H. nur aus prozeßökonomischen Gründen anerkannt. Dieses Anerkenntnis sei für das gegenständliche Verfahren nicht bindend.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne Aufnahme von Beweisen ab. Da zwischen den Streitteilen kein Vertragsverhältnis bestehe, käme nur eine Deliktshaftung aus einer gegenüber jedermann bestehenden Verhaltenspflicht in Frage, die aber hier auszuschließen sei. Da die Klägerin nur als Drittgeschädigte angesehen werden könne, stehe ihr gegen die beklagte Partei kein Ersatzanspruch zu. Diese sei nicht passiv legitimiert.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei Folge und hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Die zweite Instanz war der Ansicht, daß sich die Klägerin auf eine zu ihren Gunsten bestehende vertragliche Schutzpflicht aus dem zwischen der beklagten Partei und der Firma R geschlossenen Vertrage berufen könne. Ein Händler, der Ware zum Weiterverkauf an seine Detailkunden erwerbe, dürfe auf die als selbstverständlich vorausgesetzte Eigenschaft der wettbewerbsrechtlichen Unbedenklichkeit dieser Ware vertrauen. Der Veräußerer habe für einen diesbezüglichen Mangel im Rahmen der sogenannten Produzentenhaftung einzustehen. Die aus diesem Mangel entstandenen Prozeßkosten seien Mangelfolgeschäden. Die Judikatur zur Produzentenhaftpflicht umfasse zwar, soweit überblickbar, nur die Haftung für die Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter, während ein bloßer Vermögensschaden nicht zu ersetzen sei. Die dafür (von der Lehre) angeführten Argumente seien jedoch im gegenständlichen Fall nicht durchschlagend. Ein Mangelfolgeschaden der vorliegenden Art sei nicht erst beim letzten Verbraucher, sondern bereits beim Händler zu erwarten. Hier könne daher nicht gelten, daß sonst die zu ersetzenden Schäden eine unerträgliche Uferlosigkeit erreichen würden. Wenn auch nicht das Vermögen eines bestimmten Partners zu schützen sei, bliebe doch der Kreis der belieferten Händler als Ziel eines möglichen Anspruches des geschädigten Wettbewerbspartners klein. Es sei daher vertretbar, auch Vermögensschäden aus einer Verletzung von Wettbewerbsschutzbestimmungen als von der vertraglichen Schutzpflicht zugunsten Dritter umfaßt anzusehen. Zum selben Ergebnis komme man auch, wenn man von der Sittenwidrigkeit der Wettbewerbsverstöße nach dem UWG ausgehe. Möge der beklagten Partei nach dem Klagevorbringen auch nur ein fahrlässiger Wettbewerbsverstoß zur Last liegen, so habe sie bei entsprechender Aufmerksamkeit doch voraussehen können, daß der geschädigte Mitbewerber alle Vertriebsstellen der sittenwidrig hergestellten Waren in Anspruch nehmen werde und dadurch bei einem größeren Abnehmerkreis Schäden eintreten könnten. Die beklagte Partei hafte daher nach allgemeinen Schadenersatzgrundsätzen jedem Abnehmer für den ihm entstandenen Schaden, wobei es nicht erforderlich sei, daß der Schädiger die Personen, bei denen der Schaden letztlich eintrete, kenne.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Beklagten gegen diesen Aufhebungsbeschluß nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Das Berufungsgericht ging zutreffend davon aus, daß die Frage der Haftung des Produzenten für Schäden, die durch die von ihm hergestellten Produkte an den übrigen Rechtsgütern des Abnehmers entstehen ("Mangelfolgeschäden"), bei Fehlen unmittelbarer Vertragsbeziehungen zum Geschädigten - neben der Möglichkeit der Inanspruchnahme der rein deliktischen Haftung des Herstellers - vor allem auf der Grundlage der Lehre von den vertraglichen Schutzpflichten zugunsten Dritter zu lösen ist (Bydlinski in Klang[2] IV/2, 180 ff.; derselbe, Vertragliche Sorgfaltspflichten zugunsten Dritter, JBl. 1960, 359 ff.; Koziol, Haftpflichtrecht II, 70 ff.; derselbe, Grundfragen der Produktehaftung, 16; vgl. auch Posch, Produktehaftpflicht - Bilanz und Prognose einer Entwicklung, VersRdSch 1979, 124 ff.; derselbe, Produkthaftung und Schadenersatzreform, JBl. 1980, 281 ff.; Migsch, Rechtliche Perspektiven der österreichischen Produktehaftung und Produktehaftpflichtversicherung, RdA 1977, 278 ff.; Pichler, Haftungsfragen rund um die Schibindung, ÖJZ 1976, 421 ff.; Purtscheller in Kramer - Mayrhofer, Konsumentenschutz im Privat- und Wirtschaftsrecht 80 ff.; ablehnend Reischauer, Der Entlastungsbeweis des Schuldners, 252 ff.; SZ 49/14 = JBl. 1977, 146 mit Anm. von Rummel; SZ 51/169 u. a.). Beim Absatz von Waren mittels einer Vertragskette erscheint danach der erste Kauf-(Werk-)Vertrag als Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten dessen, der durch eine Kette von Kauf(Werk-)Verträgen als berechtigt ausgewiesen ist. Der Produzent darf nicht Sachen in Verkehr bringen, die technische Mängel aufweisen. Entscheidend für die Schutzpflicht des Produzenten ist, daß der Letztkäufer als Verbraucher in aller Regel dem Produzenten das Vertrauen schenkt, daß die Ware sorgfältig produziert und kontrolliert wurde und daher in ungefährlichem Zustand zum Verbraucher gelangt (Koziol, Grundfragen a.a.O., 16 f.).
Die von der Lehre entwickelten Grundsätze der sogenannten Produzentenhaftung (in wechselnder Terminologie auch als Produkt(e)haftung und Produkthaftpflicht bezeichnet, vgl. dazu Posch, VersRdSch. 1979, 124 FN 1) sind auf Mangelfolgeschäden abgestellt, die der Erwerber infolge eines Sachmangels (so ausdrücklich Koziol - Welser[5] I, 362) erleidet. Sie wurden bisher, soweit ersichtlich, auch von der Rechtsprechung nur auf derartige Mangelfolgeschäden angewendet.
Eine gleiche Interessenlage besteht aber auch, wenn der Produzent Sachen in Verkehr bringt, die mit einem für den (letzten) Käufer nicht oder nicht ohneweiters erkennbaren Rechtsmangel behaftet sind. Auch bei Vorhandensein solcher Mängel wird das Vertrauen des Käufers, daß er - hier rechtlich - einwandfreie Ware erhalte, enttäuscht. Daß ein daraus entstehender Mangelfolgeschaden, der allerdings wegen des Schutzes des Erwerbers durch Gutglaubensvorschriften seltener vorkommen mag, nach den gleichen Grundsätzen zu behandeln ist, folgt auch daraus, daß das ABGB Sachmängel und Rechtsmängel grundsätzlich gleich behandelt (Koziol - Welser a.a.O., 213 unter Bezugnahme auf Rabel, Die Haftung des Verkäufers wegen Mangels im Recht, 315 ff.; Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 530 f.; vgl. SZ 8/196), so daß § 932 Abs. 1 letzter Satz ABGB auch bei Folgeschäden aus Rechtsmängeln zur Anwendung kommt. Daraus ergibt sich für den gegenständlichen Fall, daß derjenige, der eine Ware unter schuldhafter Verletzung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften in den Verkehr bringt und dadurch bewirkt, daß nicht nur seine unmittelbaren Abnehmer, sondern auch deren Vertragspartner als Wiederverkäufer nach Maßgabe der Bestimmungen des Wettbewerbsrechtes auf Unterlassung in Anspruch genommen werden können, für die dadurch bewirkten Mangelfolgeschäden nach den für die Produzentenhaftung entwickelten Grundsätze einzustehen hat. Die hiebei bestehenden Schutz- und Sorgfaltspflichten treffen den Schuldner nicht nur bezüglich der körperlichen Unversehrtheit Dritter, sondern auch gegenüber Sachen, die dritten Personen gehören, wenn deren Kontakt mit der vertraglichen Hauptleistung beim Vertragsabschluß voraussehbar war und dem Vertragspartner Sorgfaltspflichten gegenüber diesen Sachen treffen (Bydlinski JBl. 1960, 364; Koziol, Haftpflichtrecht II, 72; JBl. 1960, 386; EvBl. 1969/216; SZ 43/236; EvBl. 1974/98; JBl. 1974, 573; SZ 46/121; SZ 47/42; JBl. 1978, 479). Im Gegensatz zu den absolut geschützten Rechten ist aber das bloße Vermögen dritter Personen in der Regel nicht in den Schutzbereich einzubeziehen, was von Koziol (Haftplichtrecht a.a.O.; vgl. auch 19) damit begrundet wird, daß die Beziehung zwischen dem Schuldner und dem Dritten schwächer sei als jene mit dem Gläubiger, da nur Schuldner und Gläubiger in rechtsgeschäftlichem Kontakt stunden, so daß auch nur zwischen diesen Personen wirklich umfassende Schutzpflichten gerechtfertigt seien. Für bloße Vermögensschäden sei in aller Regel nicht zu haften, da sonst die Ersatzpflicht unerträglich ausufern würde; davon werde nur eine Ausnahme gemacht, wenn das Vermögen eines ganz bestimmten Partners zu schützen sei (vgl. Welser, ÖJZ, 1973, 284). Dieser Ansicht schloß sich der OGH in einem Folgeschäden aus Sachmängeln betreffenden Fall (SZ 51/169) an.
Im vorliegenden, Folgeschäden aus einem Rechtsmangel betreffenden Fall gilt aber diese Einschränkung nicht. Bei dem Rechtsmangel besteht die "Gefährlichkeit" des erworbenen Gutes nicht in bezug auf die körperliche Unversehrtheit Dritter und die Sachen, die ihnen gehören; der typische Schaden besteht hier vielmehr darin, daß der Erwerber vom Berechtigten in Anspruch genommen wird und ihm daraus ein Vermögensnachteil, meist in Form von Kosten erwächst. Es handelt sich hiebei keineswegs um einen besonders weit hergeholten, nur durch eine außergewöhnliche Verkettung von Umständen eingetretenen Schaden. Der Eintritt eines derartigen Schadens war vielmehr für die beklagte Partei - wenn man von der ihr vorgeworfenen schuldhaften Anlehnung an die von der P-Ges. m. b. H. herausgebrachte Kassette ausgeht - leicht vorhersehbar. Sie mußte diesfalls damit rechnen, daß die P-Ges. m. b. H. nicht nur sie als Produzentin, sondern auch ihre Abnehmer als weitere Mitbewerber nach den einschlägigen wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen in Anspruch nehmen könnte und dadurch nicht nur ihrer unmittelbaren Vertragspartnerin, der Firma R, sondern auch deren Abnehmern Vermögensschäden entstehen könnten. Im Hinblick auf den hohen Grad der Adäquität eines solchen Verhaltens versagt hier das von der Lehre gegen den Ersatz bloßer Vermögensschäden ins Treffen geführte Argument der Gefahr der unerträglichen Ausuferung der Ersatzansprüche. Die beklagte Partei mußte sich auch vor Augen halten, daß das mit dem Vertrieb einer solchen Kassette verbundene Risiko mit der Höhe des damit erzielten Umsatzes ansteigen werde.
Da somit eine Haftung der beklagten Partei für den geltend gemachten Schaden möglich ist, bedarf es der vom Berufungsgericht aufgetragenen Verfahrensergänzung.
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