OGH 5Ob680/81

OGH5Ob680/8113.10.1981

SZ 54/142

Normen

ABGB §1311
AVG §50
StPO §150
VStG §19 Abs3
VStG §24
ZPO §326 Abs2
ZPO §333 Abs3
ABGB §1311
AVG §50
StPO §150
VStG §19 Abs3
VStG §24
ZPO §326 Abs2
ZPO §333 Abs3

 

Spruch:

Die öffentlich-rechtlichen Vorschriften über die Aussagepflicht des Zeugen vor Gericht oder einer Verwaltungsbehörde sind Schutzgesetze im Sinne des § 1311 ABGB

OGH 13. Oktober 1981, 5 Ob 680/81 (LGZ Wien 45 R 9/81; BG Hernals 6 C 708/79)

Text

Am 1. August 1977 gegen 16.30 Uhr beschwerte sich der Kläger telefonisch bei der Gattin des über seiner Wohnung wohnenden Beklagten wegen einer Lärmbelästigung, ohne dabei seinen Namen zu nennen. Eine halbe Stunde später suchte der Beklagte den Kläger in dessen Wohnung auf. Bei Ansichtigwerden des Klägers begann der Beklagte diesen zu beschimpfen und zu bedrohen. Während der Beschimpfungen des Beklagten bemerkte der Kläger einen vom oberen Stockwerk herunterkommenden Mann, der ihm namentlich nicht bekannt war, den er jedoch schon öfter in Gesellschaft des Beklagten gesehen hatte. Dieser unbekannte Mann versuchte zunächst, den schimpfenden Beklagten zu beruhigen. In der Folge änderte er jedoch sein Verhalten schlug den Kläger nieder und trat auf den am Boden liegenden Kläger mit den Füßen ein, so daß dieser verletzt wurde. Der Beklagte beobachtete diese Auseinandersetzung teilnahmslos und griff in den Raufhandel nicht ein. Der unbekannte Täter hatte den Beklagten bereits vor der Auseinandersetzung aufgesucht. Der Beklagte bat ihn nicht, zur Wohnung des Klägers mitzukommen, er stiftete ihn nicht zum Raufhandel an.

Bei seiner Zeugeneinvernahme am 31. August 1977 vor dem Polizeikommissariat Ottakring - der Kläger hatte den Vorfall vom 1. August 1977 bei dieser Behörde angezeigt - legte der Beklagte folgende Aussage ab:

"Ich werde ausdrücklich im Hinblick auf die Bestimmungen des § 289 StGB auf meine Wahrheitspflicht als Zeuge aufmerksam gemacht und zur Sache befragt:

Frage: Um wen handelt es sich bei dem Mann, welcher in die Wohnung des Herrn B (Kläger) eintrat und auf ihn einschlug?

Antwort: Ich weiß es nicht, ich kenne diesen Mann von einem Gasthaus. Ich möchte nicht sagen, welches Gasthaus dies ist. Ich möchte nur sagen, daß dieser Mann mir unter dem Vornamen Fredl bekannt ist. Ich möchte zur Ausforschung dieses Fredl nichts beitragen, da der Franz B dies nicht wert ist. Ich kenne diesen Fredl bereits zwei bis drei Jahre und fuhr er einige Male in meinem Lieferwagen in die Bundesländer mit.

Wenn mir vorgehalten wird, daß ich diesen "Fredl" decken will, daß mir sicher Näheres bekannt ist, so gebe ich dazu an, ich muß mir die Sache überlegen."

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 12. Dezember 1978, 7 c E VR 5848/78-17, wurde der Beklagte u. a. wegen des vorgeschilderten Sachverhaltes, wegen der Vergehen der falschen Beweisaussage vor einer Verwaltungsbehörde nach § 289 StGB und der Begünstigung nach § 299 Abs. 1 StGB verurteilt. Aus Anlaß der Berufung des Beklagten wurde dieser mit Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 21. März 1979, 22 Bs 64/79, von der wider ihn erhobenen Anklage bezüglich der beiden genannten Punkte freigesprochen. In den Gründen wurde ausgeführt, daß die Beantwortung der Frage nach der Person des Täters mit den Worten:

"Ich weiß es nicht" zwar eine falsche Aussage darstelle, die der Beklagte jedoch im Zuge seiner Vernehmung dahingehend richtiggestellt habe, daß er zur Ausforschung des Täters nichts beitragen wolle. Das Erstgericht habe zutreffend festgestellt, daß der Beklagte nicht bereit gewesen sei, den Namen seines Bekannten, der den Kläger geschlagen habe, zu nennen. Damit habe der Beklagte jedoch seine ursprüngliche falsche Aussage noch vor Beendigung der Vernehmung richtiggestellt. Da eine allgemeine Pflicht zur Erstattung einer Strafanzeige oder auch bloß zur Mitwirkung an der Aufklärung einer strafbaren Handlung oder an der Feststellung des Täters nicht bestehe, sei der Beklagte auch von dem wider ihn erhobenen Vorwurf der Begünstigung freizusprechen gewesen.

Mit der am 22. August 1979 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte der Kläger die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines Betrages von 6390 S samt Anhang. Er brachte vor, infolge der rechtswidrigen Weigerung des Beklagten als Zeugen, den Namen des Täters zu nennen, habe er Detektivkosten zur Ausforschung des unbekannten Täters in der Höhe von 1390 S aufwenden müssen und seinen Schmerzensgeldanspruch von 5000 S (wegen des Mißlingens der Ausforschung des unbekannten Täters gegen diesen) nicht einbringlich machen können. Hilfsweise werde die (solidarische) Haftung des Beklagten auf dessen Mittäterschaft bzw. Bestimmungstäterschaft gestützt.

Der Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Gründe und der Höhe nach, beantragte Klageabweisung und wendete ein, weder gegenüber der Polizeibehörde oder dem Gericht noch gegenüber dem Kläger verpflichtet gewesen zu sein, den Namen seines Bekannten preiszugeben. An der tätlichen Auseinandersetzung zwischen diesem und dem Kläger habe er sich nicht beteiligt.

Das Erstgericht fällte aus folgenden Erwägungen ein den Klageanspruch dem Grund nach bejahendes Zwischenurteil: § 150 StPO normiere die allgemeine Verpflichtung zur Zeugenaussage, sofern der Zeuge nicht aus einem der in den §§ 151 ff. StPO genannten Gründen von der Zeugenpflicht befreit sei. Wie im § 160 StPO ausgeführt sei, könne die Zeugenaussage auch durch Beugemittel erzwungen werden. Ob die Beugemittel angewendet würden, stehe jedoch im Ermessen des Richters. Da § 160 StPO lediglich eine prozeßleitende Maßnahme sei, stehe die Entscheidung des Strafrichters in keinerlei Zusammenhang mit eventuellen zivilrechtlichen Schadenersatzansprüchen. Durch die Verweigerung der Zeugenaussage habe der Beklagte dem Kläger einen Schaden verursacht, da dem Kläger dadurch die Verfolgung seines Rechtes auf Schadenersatz gegen den Täter genommen worden sei. Das Verhalten des Beklagten sei somit für den Schaden des Klägers kausal gewesen, der sich bei pflichtgemäßem Verhalten des Beklagten an dem Täter schadlos hätte halten können. Auch die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Beklagten sei offenbar, da der Beklagte sich grundlos der Zeugenaussage gemäß § 150 StPO entschlagen und damit zweifellos gegen ein Gebot der Rechtsordnung verstoßen habe. Wie Wolff in Klang[2] VI, 18 zu § 1294 ABGB ausführe, sei jede Unterlassung rechtswidrig, wenn das unterlassene Tun geboten sei. Die Rechtswidrigkeit der Unterlassung werde so extensiv interpretiert, daß jede Unterlassung rechtswidrig sei, an deren Vermeidung - eben durch Handeln - ein größeres rechtliches Interesse bestehe als an ihr selbst. Die Strafbarkeit der Unterlassung sei nicht Voraussetzung. Wolff führe dann weiter aus, daß eine Rechtswidrigkeit der Unterlassung auch dann gegeben sei, wenn die rechtswidrige Folge der Unterlassung nicht durch eigenes vorausgegangenes Verhalten entstanden sei. Den Beklagten treffe infolge der vorsätzlichen Verweigerung der Zeugenaussage, die erstmals bei seiner Einvernahme vor dem Polizeikommissariat Ottakring am 31. August 1977 dokumentiert worden sei und in der Folge durch die beharrliche Verweigerung der Zeugenaussage bewiesen worden sei, auch ein Verschulden. Der Schadenersatzanspruch des Klägers gegenüber dem Beklagten bestehe mithin nach §§ 1294, 1295 Abs. 1 ABGB zu Recht. Was insbesondere die Detektivkosten anlange, so könne die Entscheidung des OGH 1 Ob 145/71 (JBl. 1972, 210) auch auf den vorliegenden Fall angewendet werden. Zwar behandle sie Detektivkosten, die bei einem ehestörenden Verhalten aufgetreten seien, doch seien gewisse Parallelen zum vorliegenden Sachverhalt gegeben. Der Kläger habe sich nur unter Zuhilfenahme eines Detektivs die Identität des unbekannten Täters verschaffen können, da sich der Beklagte beharrlich geweigert habe, den Namen dieses Täters bekanntzugeben; der Kläger habe ein berechtigtes Interesse an der Ausforschung des Täters gehabt und seien ihm keine anderen Mittel zur Verfügung gestanden. Daß die Tätigkeit des Detektivs und die dadurch entstandenen Kosten nicht zielführend gewesen seien, sei bei dem vorliegenden Sachverhalt ohne Bedeutung. Eine schikanöse Rechtsausübung könne nicht unterstellt werden, da nicht als einziges Interesse eine Schädigungsabsicht des Klägers unterstellt werden könne.

Was den Schmerzensgeldanspruch betreffe, so habe der OGH in seiner Entscheidung SZ 15/83 ausgeführt, daß einen Zeugen (in dem dieser Entscheidung zugrunde gelegenen Fall einen Identitätszeugen im zivilgerichtlichen Verfahren) die Haftung für einen entstandenen Schaden schon bei einem minderen Grad des Verschuldens treffe.

Umsomehr sei die Haftungsfrage bei einer vorsätzlichen Handlung zu bejahen.

Das Berufungsgericht gelangte auf Grund der nachstehenden rechtlichen Beurteilung zur Abweisung des Klagebegehrens:

Die Rechtsansicht des Erstgerichtes, der Beklagte habe durch den Verstoß gegen die Bestimmungen der §§ 150 ff. StPO dem Kläger Schaden zugefügt, treffe nicht zu, da es im gegenständlichen Fall zu keiner gerichtlichen Zeugeneinvernahme des Beklagten gekommen sei. Wie der Beklagte zutreffend ausführe, sei es lediglich zu einer Zeugeneinvernahme vor einer Verwaltungsbehörde gekommen und habe daher der Beklagte durch seine Weigerung, dort den Sachverhalt vollständig und richtig anzugeben, lediglich gegen die Vorschriften des § 24 VStG im Zusammenhang mit den §§ 19 Abs. 3 und 50 AVG verstoßen. Die letztgenannten Vorschriften stellten jedoch Verfahrensnormen und keine Schutznormen im Sinne des § 1311 ABGB dar. Unter Schutznormen im Sinne der zitierten Gesetzesstelle seien nur abstrakte Gefährdungsverbote zu verstehen, die bestimmt seien, die Mitglieder eines bestimmten Personenkreises gegen die Verletzung von Rechtsgütern zu schützen (ZVR 1974/265 u.a.; zuletzt 7 Ob 768/78). Bei § 24 VStG und den §§ 19 Abs. 3 und 50 AVG handle es sich jedoch um Verwaltungsverfahrensnormen, die lediglich der Durchsetzbarkeit der Staatsgewalt gegenüber dem einzelnen Staatsbürger dienten. Die in diesen Vorschriften normierte Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Aussage im Sinne des § 289 StGB umfasse zwar auch die Angabe eines dem Zeugen namentlich bekannten Täters, der ungerechtfertigten Weigerung eines Zeugen, dieser Verpflichtung nachzukommen, könne jedoch nur in einem Strafverfahren gegen den unbekannten Täter mit entsprechenden Beugestrafen nach § 160 StPO entgegengetreten werden. Ob sich ein vor einer Verwaltungsbehörde einvernommener Zeuge ungerechtfertigt seiner Aussage entschlage, könne lediglich in einem folgenden Strafverfahren durch den Richter entschieden werden. Die Verwaltungsgesetze sehen jedenfalls hiefür keine Sonderregelung vor. Solange jedoch nicht feststehe, daß sich ein Zeuge ungerechtfertigt seiner Aussageverpflichtung nach § 150 StPO entzogen habe, könne noch nicht abschließend von einer Verletzung dieser Norm gesprochen werden. Die Frage, inwieweit die Bestimmung des § 150 StPO eine Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB darstelle, müsse daher im gegenständlichen Fall nicht gelöst werden.

Aber auch sonst könne dem Beklagten ein Schadenersatz begrundendes Verhalten gegenüber dem Kläger nicht vorgeworfen werden. Ein Verhalten (Handlung oder Unterlassung) sei dann rechtswidrig, wenn es gegen Gebote oder Verbote der Rechtsordnung oder gegen die guten Sitten (§ 1295 Abs. 2 ABGB) verstoße. Diese Gebote bzw. Verbote ergäben sich entweder aus dem zwischen den Beteiligten geschlossenen Rechtsgeschäft, aus dem vor- oder nachvertraglichen Kontakt oder aus den positiv-rechtlichen Normen. Nach der Lehre (vgl. Koziol - Welser[4] I, 327 f., sowie Koziol, Haftpflichtrecht II, 4 ff.) erfahre der nicht vollständige Gesetzeskatalog von konkreten Verhaltensnormen lediglich eine Erweiterung durch die Anerkennung der absoluten Rechte. Absolute Rechte genössen Schutz gegen jedermann; Handlungen, die zu ihrer Verletzung führten, seien regelmäßig rechtswidrig, auch wenn die Verletzungshandlung nicht durch eine besondere gesetzliche Verhaltensnorm pönalisiert werde. Das Verhalten des Beklagten gegenüber dem Kläger könne jedoch in keinen Zusammenhang mit der Verletzung eines absolut geschützten Rechts gebracht werden. Absolutes Recht heiße, daß dieses Recht von der Rechtsordnung grundsätzlich gegen Eingriffe anderer geschützt werde; doch könne nicht einfach aus der Beeinträchtigung eines derartigen Rechtes schon auf die Rechtswidrigkeit des Handelns einer Person geschlossen werden. Es müßten vielmehr auch noch die Interessen des Schädigers und andere Momente berücksichtigt werden, um feststellen zu können, welche Verhaltensanforderungen an einen Dritten zu stellen seien (vgl. Koziol a.a.O.). In der österreichischen Rechtsordnung sei nur in Einzelfällen eine allgemeine Verpflichtung zur Hilfeleistung bzw. zur Aufklärung eines Schadenersatz begrundenden Tatbestandes, so z.B. im § 4 StVO, vorgesehen. Grundsätzlich sei eine Unterlassung dann rechtswidrig, wenn das unterlassene Tun geboten sei (vgl. Wolff in Klang[2] VI, 18). Da - wie gesagt - eine positiv-rechtliche Norm zur Preisgabe des unbekannten Täters nicht vorliege, sei zu untersuchen, ob der Beklagte ein sich aus einem Rechtsgeschäft oder aus einem vor- oder nachträglichen Kontakt ergebendes Gebot oder Verbot verletzt habe. Mieter stunden zueinander lediglich in Beziehung über den Bestandgeber, nicht jedoch direkt zueinander in einem vertraglichen Verhältnis, sodaß sich gegen den Beklagten keine Verpflichtung aus einem Rechtsgeschäft oder einem rechtsgeschäftsähnlichen Verhältnis mit dem Kläger ableiten lasse. Aber auch auf Grund der Lehre vom Ingerenzprinzip sei für den Kläger nichts zu gewinnen. Danach bestehe eine Pflicht zum Handeln nur dann, wenn jemand eine verpflichtende Vorhandlung gesetzt habe. Es bestehe aber kein allgemeines Rechtsgebot, um die Verhinderung von Schaden bemüht zu sein, eine Unterlassung mache daher in der Regel nicht verantwortlich (JBl. 1979, 254). Die Aufnahme des späteren unbekannten Täters in die eigene Mietwohnung könne jedoch dem Beklagten nicht als verpflichtende Vorhandlung angelastet werden, da jegliche Behauptung bzw. Feststellung darüber fehle, daß dem Beklagten das später zutage tretende schädigende Verhalten des Unbekannten Täters aufgefallen gewesen sei oder habe auffallen müssen. Wiewohl das Ergebnis aus rechtspolitischen Gründen unbefriedigend erscheine, sei daher der Berufung Folge zu geben und das erstgerichtliche Zwischenurteil im Sinne einer Klagsabweisung abzuändern.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers Folge, hob die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Kläger leitet seine Schadenersatzansprüche in erster Linie daraus ab, daß sich der Beklagte bei seiner Zeugeneinvernahme vor dem Polizeikommissariat Ottakring als Sicherheitsbehörde weigerte, den Namen seines Bekannten, der den Kläger verletzte, bekanntzugeben. Beide Vorinstanzen gehen in Übereinstimmung mit der Lehre und Rechtsprechung zutreffend davon aus, daß eine Unterlassung dann rechtswidrig ist, wenn das unterlassene Tun geboten ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rechtsordnung für menschliches Verhalten konkrete Verhaltensnormen (Schutzgesetze) aufstellt (Koziol - Welser[5] I, 350; vgl. auch Koziol, Haftpflichtrecht I[2], 100 und 11, 81 ff.). Während nun das Erstgericht die Auffassung vertritt, daß der Beklagte wegen der Unterlassung der gemäß § 150 StPO gebotenen Angabe des Namens seines Bekannten schadenersatzpflichtig geworden sei, ist das Berufungsgericht der Ansicht, daß der Beklagte durch die Unterlassung dieser Angabe wohl gegen § 24 VStG in Verbindung mit §§ 19 Abs. 3, 50 AVG verstoßen habe, die genannten Vorschriften jedoch lediglich der Durchsetzbarkeit der Staatsgewalt gegenüber den einzelnen Staatsbürgern dienten und keine Schutzgesetze im Sinne des § 1311 ABGB seien.

Nach den Vorschriften für das zivil- und strafgerichtliche Verfahren sowie für die Verfahren vor den Verwaltungsbehörden ist ein Zeuge zur Aussage, d.h. zur Beantwortung der an ihn gestellten Fragen, soweit diese das Beweisthema bzw. den Gegenstand der Untersuchung betreffen, verpflichtet, es sei denn, seine Einvernahme wäre durch die Rechtsordnung verboten oder er wäre nach der Rechtsordnung zur Verweigerung der Aussage oder der Beantwortung einzelner Fragen berechtigt (vgl. dazu Fasching III, 407; Holzhammer[2], 263; Lohsing - Serini, Österreichisches Strafprozeßrecht[4], 282; Walter - Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts[2], 112). Dabei kann es auf sich beruhen, ob auf die Zeugeneinvernahme des Beklagten vor dem Polizeikommissariat Ottakring am 31. August 1977 die Vorschriften der §§ 24, 38 VStG in Verbindung mit den §§ 19, 48 ff. AVG oder jene der §§ 150 ff. StPO anzuwenden waren (vgl. § 24 StPO, Art. V EGVG; Foregger - Serini, StPO[2], Erläuterung III zu § 24 und Erläuterung II zu § 88; Roeder, LB[2], 168; EvBl. 1963/370):

Die Zeugeneinvernahme des Beklagten war weder nach den erstgenannten noch nach letzteren Vorschriften verboten; der Beklagte berief sich auf keinerlei Aussageverweigerunsgrunde, die nach den einen oder anderen Verfahrensvorschriften anzuerkennen wären. Wegen des zweitgenannten Umstandes brauchte auch nicht näher untersucht zu werden, ob die Verpflichtung des Beklagten zur Ablegung der Zeugenaussage bzw. zur Beantwortung einzelner Fragen bei Geltendmachung von Aussageverweigerungsgrunden bis zur Entscheidung über deren Anerkennung aufgeschoben worden wäre. Der Vollständigkeit halber sei weiter erwähnt, daß gegen einen ohne hinreichenden Grund nicht erscheinenden oder die Aussage verweigernden Zeugen sowohl nach der StPO (§§ 159, 160, 242) als auch nach den Verwaltungsverfahrensgesetzen (§§ 19 Abs. 3 und 49 Abs. 5 AVG; Hellbling, Kommentar zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen I, 302) mit Beugestrafen und Auferlegung des Kostenersatzes vorgegangen werden kann. Nach der Sachlage kann auch nicht gesagt werden, daß der Beklagte im Zuge der gegen seinen Bekannten wegen § 83 Abs. 1 StGB durchgeführten sicherheitsbehördlichen Erhebungen nicht als Zeuge, sondern als Beschuldigter hätte vernommen werden müssen. Den Verdacht der Bestimmungstäterschaft des Beklagten äußerte der Kläger erst nach der Zeugenaussage des Beklagten vom 31. August 1977 (nach Lohsing - Serini[4], 279 ist die Ausschließung von der Stellung als Zeuge nach dem Zeitpunkt zu beurteilen, in dem die Zeugenschaft geleistet werden soll). Ein derartiger Verdacht war nach den Feststellungen im gegenständlichen Verfahren überdies nicht berechtigt.

Die öffentlich-rechtlichen Vorschriften über die Aussagepflicht des Zeugen sind entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes Schutzgesetze im Sinne des § 1311 ABGB. Sie dienen nicht nur dem allgemeinen öffentlichen Interesse an der ordnungsgemäßen Durchführung gerichtlicher und verwaltungsbehördlicher Verfahren, sondern bezwecken in den Verfahren, in denen es um die Feststellung und Durchsetzung der Rechte einzelner geht, auch den Schutz dieser Rechte. Dies gilt auch in gerichtlichen Strafverfahren, die strafbare Handlungen zum Gegenstand haben, aus denen dem Verletzten (Geschädigten) privatrechtliche Ansprüche erwachsen sind (§§ 365 ff. StPO), und in den Verfahren vor den Sicherheitsbehörden, die in bezug auf derartige strafbare Handlungen im Dienste der Strafgerichte tätig werden. Daß die ein bestimmtes Gebot oder Verbot aussprechenden konkreten Verhaltensnormen dem öffentlichen Recht angehören und nicht ausschließlich den Schutz der Rechte einzelner oder bestimmter Personenkreise bezwecken, steht ihrer Qualifikation als Schutzgesetze nicht entgegen (Staudinger, BGB[10/11], RZ 508 zu § 823; Soergel - Siebert, BGB[10], RZ 334 zu § 823).

Daß der Kläger zum geschützten Personenkreis der die Aussagepflicht des Beklagten als Zeugen normierenden Verfahrensvorschriften gehört und daß diese Verfahrensvorschriften auch die vom Kläger erlittenen Schäden verhindern wollen, kann nicht zweifelhaft sein.

Daß die Vorschriften über die Pflicht des Zeugen, zur Aussage vor Gericht bzw. vor der Verwaltungsbehörde zu erscheinen und dort die Aussage abzulegen, Schutzgesetze im Sinne des § 1311 ABGB sind (so ausdrücklich Fasching III, 449 Anm. 9 zu § 333 ZPO; vgl. aber Sperl, LB 434), kommt besonders deutlich in den Bestimmungen der ZPO zum Ausdruck, wonach der ungehorsame Zeuge beiden Prozeßparteien - abgesehen von der Möglichkeit, gegen ihn Beugestrafen zu verhängen und ihn zum Kostenersatz zu verpflichten - für den Schaden haftet, den er ihnen durch sein ungerechtfertigtes Ausbleiben von der Vernehmung oder durch seine ungerechtfertigte Aussageverweigerung verursacht (§ 333 Abs. 3 und § 326 Abs. 2 ZPO; Fasching III, 435 und 449; vgl. auch Holzhammer[2], 265; Petschek - Stagel, 324). Daß derartige Bestimmungen in der StPO und in den Verwaltungsverfahrensgesetzen fehlen, besagt aber nicht, daß die in diesen Vorschriften enthaltenen Normen über die Erscheinungs- und Aussagepflicht der Zeugen in Verfahren, in denen es um die Feststellung und Durchsetzung der Rechte einzelner geht, keine Schutzgesetze wären. Die Rechtslage wäre - mit anderen Worten - keine andere, wenn es die Bestimmungen der §§ 333 Abs. 3 und 326 Abs. 2 ZPO nicht gäbe.

Soweit den Entscheidungen EvBl. 1976/17 und RZ 1968, 155, wonach die bloße Verweigerung der Auskunftserteilung durch eine von der Obrigkeit befragte Person über eine von dieser Person als bekannt zugegebene Tatsache, der die Eignung zukommt, zur Aufklärung einer Straftat oder zur Entdeckung des Täters beizutragen, zwar Zwangsfolgen nach § 49 AVG, § 24 VStG, §§ 159, 180, 242, 306 StPO oder § 333 ZPO nach sich ziehen kann, aber nicht den Tatbestand der Begünstigung nach § 299 StGB (früher den ersten Deliktsfall des § 214 StG bzw. § 307 StG) verwirklicht, eine abweichende Auffassung zu entnehmen ist ("Für die Verweigerung der Auskunfts- bzw. Zeugenpflicht sieht die Rechtsordnung lediglich Zwangsfolgen ... vor"), vermag ihnen der erkennende Senat aus den vorerwähnten Überlegungen nicht zu folgen, zumal sie vor allem die Bestimmungen der §§ 326 Abs. 2 und 333 Abs. 3 ZPO außer acht lassen. Daß der Verstoß gegen ein Schutzgesetz zugleich eine strafbare Handlung darstelle, ist für die zivilrechtliche Haftung für einen solchen Verstoß nicht erforderlich.

Da der OGH in der Verweigerung der Namensbekanntgabe durch den Beklagten vor dem Polizeikommissariat Ottakring eine Schutzgesetzverletzung erblickt, erübrigt es sich, einerseits auf die Überlegungen des Berufungsgerichtes, ob die Rechtswidrigkeit dieser Verweigerung auch aus anderen Gründen abgeleitet werden könnte, und andererseits auf die Revisionsausführungen des Klägers, daß der Beklagte die Namensbekanntgabe auch im gegenständlichen Verfahren verweigert und seine falsche Aussage vor der Sicherheitsbehörde in Wahrheit nicht richtiggestellt habe, einzugehen.

Nach den Feststellungen ist zugrunde zu legen, daß der Beklagte seine Aussagepflicht schuldhaft verletzt hat. Er begrundete seine Aussageverweigerung nicht damit, daß er angenommen habe, zur Angabe des Namens seines Bekannten nicht verpflichtet zu sein. In dem gegen ihn durchgeführten Strafverfahren bekannte er sich sogar der falschen Beweisaussage und der Begünstigung schuldig. Daß der Beklagte - wie er noch in der Revisionsbeantwortung ausführt - zur Ausforschung seines Bekannten nicht beitragen wollte, weil ihm dies der Kläger als unleidlicher Nachbar nicht wert war, vermag ihn nicht zu entschuldigen.

Steht die schuldhafte Verletzung der Aussagepflicht durch den Beklagten fest, dann wäre es seine Sache gewesen, zu behaupten und zu beweisen, daß zwischen seiner Unterlassung und dem Schaden des Klägers kein Kausalzusammenhang bestehe bzw. daß der Schaden des Klägers auch dann eingetreten wäre, wenn er (Beklagter) den Namen seines Bekannten genannt hätte (SZ 41/43; SZ 44/187; SZ 45/32 u. v.a.). Dies ist nicht geschehen.

Einer Wiederherstellung des den Schadenersatzanspruch des Klägers bejahenden Zwischenurteils des Erstgerichtes steht mithin bloß der Umstand entgegen, daß auf Grund der bisherigen Feststellungen noch nicht eindeutig gesagt werden kann, beide Schadenersatzansprüche des Klägers seien wenigstens zu einem geringen Teil berechtigt (vgl. SZ 41/5; SZ 43/69 u. a.).

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