OGH 7Ob563/80

OGH7Ob563/8010.4.1980

SZ 53/57

Normen

ABGB §1418
EheG §69 Abs2
ZPO §502 Abs2 Z1
ABGB §1418
EheG §69 Abs2
ZPO §502 Abs2 Z1

 

Spruch:

Der im § 69 Abs. 2 EheG normierte Ersatz der Beiträge zu einer freiwilligen Krankenversicherung ist zuzüglich zu dem geschuldeten Unterhalt zu leisten; er kann auch für die Vergangenheit begehrt werden. Ob ein solcher Anspruch besteht, ist keine Bemessungsfrage im Sinne des § 502 Abs. 2 Z. 1 ZPO

OGH 10. April 1980, 7 Ob 563/80 (KG Wiener Neustadt R 373/79; BG Baden 3 C 630/79)

Text

Die Ehe der Streitteile wurde mit Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 19. Jänner 1979, 2 Cg 2135/78, rechtskräftig gemäß § 55 Abs. 3 EheG geschieden; hiebei wurde ausgesprochen, daß der Beklagte die Zerrüttung der Ehe verschuldet hat. Bereits mit rechtskräftigem Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 29. August 1973, R 208/73-45, mit dem das Urteil des Bezirksgerichtes Baden vom 10. Mai 1973, C 816/71 -38, abgeändert wurde, ist dem Beklagten eine monatliche Unterhaltsleistung an die Klägerin von 3100 S auferlegt worden.

Nach Scheidung der Ehe hat sich die Klägerin am 26. Jänner 1979 gemäß § 16 Abs. 1 ASVG zur Selbstversicherung in der Krankenversicherung der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse gemeldet. Ihr wird hiefür ein monatlicher Beitrag von 240 S vorgeschrieben, dessen Ersatz sie nach erfolgter Zahlung, insgesamt 2688 S bis Schluß der Verhandlung in erster Instanz, im vorliegenden Verfahren begehrt. Mit Ausnahme eines Teilbetrages von 240 S wurde das Klagebegehren jeweils erst nach Beginn jenes Monats gestellt (ausgedehnt), für den der Beitrag zu zahlen war.

Während das Erstgericht dem Klagebegehren unter Hinweis auf § 69 Abs. 2 EheG vollinhaltlich stattgab, wies es das Berufungsgericht hinsichtlich eines Teilbetrages vom 2448 S ab. Bezüglich des Restes von 240 S hob es das Ersturteil auf. Die Abweisung begrundete es damit, daß der Anspruch nach § 69 Abs. 2 EheG ein Unterhaltsanspruch sei und daher gemäß § 1418 ABGB für die Vergangenheit nicht geltend gemacht werden könne.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin gegen das Teilurteil des Berufungsgerichtes die er ungeachtet der Bestimmung des § 502 Abs. 2 Z. 1 ZPO schon deswegen als zulässig ansah, weil die Frage, ob ein Unterhalt für die Vergangenheit zugesprochen werden kann, keine Bemessungsfrage ist (SZ 44/29 u. a.), Folge und änderte dieses im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils ab.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Entscheidungsgründen:

Richtig ist, daß gemäß § 1418 ABGB Unterhalt im allgemeinen für die Vergangenheit nicht begehrt werden kann (SZ 44/29; SZ 32/172 u. a.). Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht für vertragliche (SZ 34/90; JBl. 1956, 448 u. a.), demnach auch nicht für auf Grund einer Wertsicherungsklausel erhöhte Unterhaltsansprüche (SZ 36/101; SZ 25/328). Hiebei wurde von der Erwägung ausgegangen, daß in diesen Fällen der Unterhaltspflichtige durch die Einforderung von Unterhaltsrückständen nicht überrascht wird, weil ihm Umfang und Fälligkeitstermin der geschuldeten Leistung bekannt sind oder von ihm errechnet werden können. Der Grundsatz, daß Unterhalt für die Vergangenheit nicht gefordert werden kann, soll nur dort gelten, wo eine Festsetzung oder eine Aufwertung vom Richter erst nach billigem Ermessen vorzunehmen ist. In diesen Fällen kann nämlich der Schuldner die Höhe der festzusetzenden Leistungen nicht vorher kennen.

§ 69 Abs. 2 EheG setzt fest, daß im Falle einer Scheidung der Ehe nach § 55 EheG und seines Ausspruches nach § 61 Abs. 3 EheG für den Unterhaltsanspruch des beklagten Ehegatten auch nach der Scheidung § 94 ABGB gilt und der Unterhaltsanspruch jedenfalls auch den Ersatz der Beiträge zur freiwilligen Versicherung des beklagten Ehegatten in der gesetzlichen Krankenversicherung umfaßt. Schon der Ausdruck "Ersatz" läßt erkennen, daß hier bereits geleistete Zahlungen gemeint sind. Außerdem ergibt sich daraus, daß die freiwillige Versicherung nicht zu einer richterlichen Unterhaltsfestsetzung nach billigem Ermessen führen kann, sondern der Unterhaltsberechtigte, unbeschadet allfälliger sonstiger Ansprüche, auch einen solchen auf genau jenen Betrag hat, den er als Beitrag für die freiwillige Krankenversicherung zahlen muß. Für diesen Anspruch können daher ähnliche Erwägungen gelten wie für auf Grund eines Vertrages der Höhe nach bestimmte oder bestimmbare Ansprüche. Es ist daher gerechtfertigt, diesen Anspruch bezüglich der Geltendmachung für die Vergangenheit den vertraglichen Unterhaltsansprüchen gleichzustellen. Auf andere Weise kann der Absicht des Gesetzgebers, den nach § 55 geschiedenen Ehegatten im Falle eines Ausspruchs nach § 61 Abs. 3 EheG Unterhalt wie bei aufrechter Ehe zu gewähren (916 BlgNR, XIV. GP, zu § 69 Abs. 2 EheG und 289 BlgNR, XIV. GP, 8 und 11 ff.) kaum entsprochen werden. Der geschiedene mitversicherte Ehegatte kann Krankenschutz im bisherigen Ausmaß nur durch die freiwillige Versicherung erlangen. Dies setzt die Leistung eines ziffernmäßig genau festgesetzten Beitrages voraus. Die Höhe dieses Beitrages ergibt sich aus für den Laien nur sehr schwer verständlichen gesetzlichen Bestimmungen, wobei noch dazu § 51 ASVG die Festsetzung des Hundertsatzes, der als Beitrag zu leisten ist, der Satzung des Krankenversicherungsträgers überläßt. Demnach wird der Beitragspflichtige, zumindest bei Änderung dieses Hundertsatzes, vor Vorschreibungen des Beitrages nur schwer die Möglichkeit haben, dessen Höhe zu berechnen. Keinesfalls bliebe ihm bis zur nächsten Fälligkeit ausreichende Zeit zu versuchen, vom Unterhaltspflichtigen außergerichtlich Zahlung zu erlangen. Würde man diesen Teil des Unterhaltsanspruches der Regelung des § 1418 ABGB unterwerfen, so müßte daher der Unterhaltsberechtigte eine Reihe sonst entbehrlicher Klagen auf Zahlung zum Teil rein hypothetischer Beträge einbringen. Daß aber Beiträge in genau bestimmter oder bestimmbarer Höhe zu leisten sein werden, ist auch dem Unterhaltspflichtigen bekannt, weshalb er nicht überrascht werden kann. Die Feststellung dieser Höhe ist für ihn nicht mit größerer Schwierigkeit verbunden als für den Unterhaltsberechtigten, zumal sein eigenes Einkommen ursprüngliche Basis für die Beitragsgrundlage ist.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich sohin, daß auf Grund der Sonderbestimmung des § 69 Abs. 2 EheG für den dort genannten Unterhaltsanspruch auf Ersatz der Beiträge zu einer freiwilligen Krankenversicherung die Regelung des § 1418 ABGB nicht gilt.

Fraglich könnte nun sein, ob die Entscheidung darüber, ob und in welcher Höhe die begehrten Beiträge zu ersetzen sind, ein reine Unterhaltsbemessung darstellt; wäre doch eine solche der Überprüfung durch den OGH gemäß § 502 Abs. 2 Z. 1 ZPO entzogen.

Was dem Begriff der "Bemessung" des Unterhaltes zuzuordnen ist, hat die Judikatur auf der Grundlage des Jud. 60 neu entwickelt. Hiebei hat sie der Bemessung drei Fragenkomplexe zugeordnet: Die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten (RZ 1971, 86; JBl. 1968, 623 u. a.), die zur Deckung dieser Bedürfnisse vorhandenen Mittel, die vor der Leistung des Unterhaltspflichtigen heranzuziehen sind (EvBl. 1966/22 u. a.) und die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen (EvBl. 1958/153 u. a.). Allen diesen Fragen ist gemeinsam, daß sie Grundlage für eine Ermessensentscheidung des Gerichtes sind. In keinem dieser Fälle schreibt das Gesetz die Auferlegung eines bestimmten Betrages vor oder gibt Bewertungsgrundsätze. Dagegen liegt eine Bemessung nicht vor, wenn ein Tatbestandselement der gesetzlichen Unterhaltsnorm zu prüfen ist, von dessen Bestand die Unterhaltspflicht an sich abhängt (Fasching IV, 271). Demnach wird man von einer reinen Bemessung auch dann nicht sprechen können, wenn die Frage zu entscheiden ist, ob auf Grund einer Sonderbestimmung ein Unterhaltsteil auch neben dem nach freiem Ermessen festgesetzten Unterhalt gebührt, diese Bestimmung also den Ermessensspielraum des Richters im Vergleich zu anderen Unterhaltsentscheidungen einschränkt. Die Beurteilung der Frage, ob ein Ermessensspielraum überschritten worden ist, bzw. wo die Grenzen für diesen liegen, ist keine Unterhaltsbemessung.

Wie bereits aufgezeigt wurde, soll durch § 69 Abs. 2 EheG sichergestellt werden, daß in den dort genannten Fällen der bisherige Unterhalt des gegen seinen Willen geschiedenen Ehegatten keine Schmälerung erfährt. Die gesetzliche Mitversicherung des Ehegatten in der Krankenversicherung erlischt mit der Ehescheidung. Der geschiedene Ehegatte verliert daher einen Teil seines Unterhaltes, der ihm neben dem vom anderen Ehegatten, unter Umständen in Form einer Geldrente, erbrachten Unterhaltsteil zugekommen ist. Durch die Ehescheidung verliert sohin der Unterhaltsberechtigte einen Teil des Unterhalts, für den der Unterhaltspflichtige bisher nichts aufwenden mußte. Der vom Gesetzgeber aufgestellten Forderung kann demnach nur dadurch entsprochen werden, daß der Unterhaltspflichtige einen um die Krankenversicherungsbeiträge erhöhten Unterhalt leistet. Daß dies dem Willen des Gesetzgebers entspricht, ergibt sich nicht nur aus dem im § 69 Abs. 2 EheG verwendeten Ausdruck "jedenfalls auch", sondern auch aus § 76 Abs. 2 ASVG, der dem Unterhaltspflichtigen das Recht einräumt, beim Krankenversicherungsträger mit Rücksicht auch auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse eine Herabsetzung der vom Unterhaltsberechtigten für die freiwillige Versicherung zu leistenden Beiträge zu beantragen. Wäre die vom Beklagten vertretene Auffassung richtig, der Ersatz dieser Beiträge sei in die allgemeine Bemessung des Unterhaltes einzubeziehen, dann wäre die genannte Bestimmung überflüssig. Diesfalls könnte nämlich der Unterhaltspflichtige der Auferlegung der Krankenversicherungsbeiträge mit dem Hinweis auf seine geringe Leistungsfähigkeit begegnen. Er hätte dann kein Interesse an einer Verringerung der nicht von ihm, sondern vom Unterhaltsberechtigten zu leistenden Beiträge.

Dem Zweck des § 69 Abs. 2 EheG entspricht also eine Auslegung dahin, daß der Unterhaltspflichtige die vom Unterhaltsberechtigten geleisteten Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung zuzüglich zu dem bis zur Scheidung der Ehe von ihm zu leistenden Unterhalt zu ersetzen hat. Die Höhe des schon vor der Ehescheidung im Geld festgesetzten Unterhalts kann demnach dem Anspruch auf Ersatz der Krankenversicherungsbeiträge nicht entgegengehalten werden. Der Unterhaltspflichtige könnte lediglich eine Herabsetzung des bisher festgesetzten Unterhaltes verlangen, wenn sich die nach § 94 ABGB maßgeblichen Umständen seit der Festsetzung wesentlich geändert haben oder zur Gänze weggefallen sind. Die Scheidung der Ehe an sich, die damit verbundene Verpflichtung zum Ersatz der Beiträge zu einer freiwilligen Krankenversicherung oder eine neue Eheschließung können nach der positiv-rechtlichen Bestimmung des § 69 Abs. 2 EheG nicht bzw. nur unter den dort aufgezeigten Ausnahmen eine Herabsetzung rechtfertigen. Beim Begehren auf Ersatz der genannten Beiträge wäre die Frage einer Verminderung der Unterhaltspflicht nur zu prüfen, wenn die Grenze der Belastungsfähigkeit nach § 94 EheG überschritten wurde. Derartige Umstände hat jedoch der Beklagte gar nicht eingewendet. Er hat lediglich auf die an sich unbeachtliche zweite Eheschließung verwiesen, ohne Umstände zu behaupten, die ausnahmsweise nach § 69 Abs. 2 EheG zu einer Berücksichtigung dieser Eheschließung führen könnten. Außerdem hat er die Höhe seiner bisherigen Unterhaltspflicht eingewendet, also ebenfalls einen Umstand, der nach den aufgezeigten Grundsätzen für sich allein zu einer Abwehr eines Anspruches der vorliegenden Art nicht führen kann. Ein Grundsatz aber, daß die Unterhaltsleistung des geschiedenen Ehemannes für seine Ehefrau ein Drittel seines Einkommens keinesfalls übersteigen dürfe, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.

Wie sich sohin ergibt, handelt es sich bei der Frage, ob der Beklagte den Klagsbetrag zu ersetzen hat, nicht um eine reine Bemessungsfrage, sodaß mangels erheblicher Einwendungen ein Zuspruch im Rahmen der Anfechtung erfolgen muß.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte