Spruch:
Zur Frage der rückwirkenden Aufwertung von Unterhaltsforderungen.
Entscheidung vom 7. Juni 1961, 1 Ob 252/61.
I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Der am 13. März 1946 verstorbene Johann P. bestimmte in seinem Testament zugunsten der Klägerin ein Legat. Zur Klarstellung der Legatsansprüche der Klägerin traf diese mit der Alleinerbin Rosa P. ein Übereinkommen dahin, daß Rosa P. als erblasserische Witwe sich verpflichtete, der Klägerin einen Betrag von 5000 S zu zahlen und ihr für die Lebensdauer der Klägerin eine monatlich im vorhinein am Ersten eines jeden Monats fällige Unterhaltsrente von monatlich 50 S ab 1. August 1946 bar auszuzahlen. Der Nachlaß der Rosa P. wurde dem Karl S. eingeantwortet, und dessen Nachlaß der Beklagten.
Die Klägerin begehrt mit der am 12. März 1960 bei Gericht eingelangten Klage von der Beklagten die Zahlung eines aufgewerteten Rentenbetrages von 350 S, und zwar 12.600 S für die Zeit vom 1. März 1957 bis 31. März 1960 und die laufende Rentenzahlung ab 1. April 1960.
Das Erstgericht hat dem Klagebegehren teilweise Folge gegeben, den Betrag von 50 S für die 36 Monate vor Einbringung der Klage mit 6.1 aufgewertet und demgemäß 10.980 S für die Zeit vom 1. April 1957 bis 31. März 1960, allerdings mit 4% Zinsen für den Gesamtbetrag schon ab 1. April 1957, weiters ab 1. April 1960 eine mit 6.4 aufgewertete Rente von 320 S monatlich zugesprochen, das Mehrbegehren aber abgewiesen.
Dieses Urteil wurde nur von der Beklagten angefochten, und zwar insoweit, als sie zu mehr als 50 S monatlich ab 1. April 1960 verurteilt wurde. Das Berufungsgericht hat ihrer Berufung teilweise Folge gegeben und das Ersturteil dahin abgeändert, daß die Beklagte schuldig erkannt wurde, der Klägerin den Betrag von 1800 S samt 4% Zinsen aus je 50 S monatlich ab 1. April 1957 bis einschließlich 1. März 1960 und beginnend ab 1. April 1960 bis auf weiteres eine am am Ersten eines jeden Monats im vorhinein fällige Unterhaltsrente von 320 S zu zahlen. Das Mehrbegehren der Klägerin auf Zahlung eines Betrages von 10.800 S samt 4% Zinsen seit 1. März 1957 und einer weiteren Rentenleistung von monatlich 30 S ab 1. April 1960 wurde abgewiesen.
Das Erstgericht hat die Aufwertung der Unterhaltsrente auch für die letzten drei Jahre vor Einbringung der Klage vorgenommen und sich hiebei auf die Entscheidungen EvBl. 1953 Nr. 440 und SZ. XXV 328 berufen. Das Berufungsgericht hingegen hat die Aufwertung für die Vergangenheit als unzulässig erachtet. Im vorliegenden Fall handle es sich um eine Unterhaltsvereinbarung, allenfalls um eine Vereinbarung, die Rente gleich einer Unterhaltsrente aufzufassen. Diese Vereinbarung enthalte mangels eines Ausschlusses stillschweigend die clausula rebus sic stantibus. Diese Klausel und nicht eine Vertragsbestimmung sei die Grundlage der Aufwertung. Nach ihr könne bei geänderten Verhältnissen eine Änderung der Leistung begehrt werden. Soweit die Abänderung in Form einer ziffernmäßigen Erhöhung der Leistung erfolgen solle - wenn damit auch nur die gleichen Bedürfnisse gedeckt werden sollten wie zur Zeit der Vereinbarung mit dem vereinbarten Betrag -, werde damit doch eine zusätzliche Geldleistung gefordert, die bezüglich der Erhöhung ebenso behandelt werden müsse wie überhaupt das Begehren nach einer Alimentation. Auch hiefür gelte die Erwägung, daß verhindert werden solle, daß der Unterhaltspflichtige mit einer vielleicht erheblichen nachträglichen Forderung überrascht werden solle, demnach der Grundsatz: nemo pro praeterito alitur. Da eine Unterhaltsleistung vorliege, allenfalls eine Leistung, die vereinbarungsgemäß wie eine Unterhaltsleistung behandelt werden solle, sei nicht auf die Rechtsprechung hinsichtlich der Leibrenten einzugehen. Das Begehren für die Vergangenheit sei demnach nur insoweit berechtigt, als es sich ziffernmäßig auf die getroffene Vereinbarung stützen lasse, also nur mit 50 S monatlich. Daß die Beklagte im Jahre 1953 aus freien Stücken den Betrag von 50 S auf 100 S erhöhte, müsse außer Betracht bleiben, weil nicht behauptet wurde, daß darüber ausdrücklich oder stillschweigend eine Vereinbarung zustandegekommen sei.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei teilweise Folge und sprach der Klägerin einen Betrag von 3600 S samt Zinsen und eine monatliche Unterhaltsrente von 320 S ab 1. April 1960 zu.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Richtig ist, daß von der Rechtsprechung die Vorschrift des § 1418 ABGB. auf Leibrentenverträge nicht angewendet wird (so z. B. EvBl. 1953 Nr. 440), ebenso nicht auf vertragliche Unterhaltsleistungen (so z. B. JBl. 1956 S. 448, 3 Ob 750/54 u. a.). Dabei wird von der Erwägung ausgegangen, daß zufolge des Vertrages dem Unterhaltspflichtigen oder dem Schuldner der Leibrente der Umfang der geschuldeten Leistung an jedem Fälligkeitstermin genau bekannt ist, er also durch rückwirkende Forderungen des vertraglich vereinbarten Unterhalts oder durch rückwirkende Forderungen aus dem Leibrentenvertrag nicht überrascht wird. Die gleichen Erwägungen müssen aber auch in der Frage der rückwirkenden Aufwertung von Forderungen aus Unterhaltsverträgen gelten. Dort, wo auf Grund einer im Vertrag vorgesehenen bestimmten und gültigen Wertsicherungsklausel die Höhe jeder Fälligkeit ohne weiteres errechnet werden kann, wird daher auch eine rückwirkende Aufwertung Platz greifen können (vgl. SZ. XXV 328). Dort aber, wo eine vertragliche, bestimmte Wertsicherungsklausel nicht vorliegt und daher die Aufwertung nur vom Richter auf Grund der clausula rebus sic stantibus vorgenommen werden kann, wie im vorliegenden Fall, wird eine rückwirkende Aufwertung nicht in Frage kommen, weil in einem solchen Fall im Zeitpunkt der Fälligkeit die vom Richter erst auf Grund der clausula rebus sic stantibus neu festzusetzende Leistung dem Schuldner noch nicht bekannt sein kann, er diesbezüglich also auch nicht in Verzug geraten kann.
Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht unbekämpft festgestellt, daß die Beklagte die Unterhaltsrente im Jahre 1953 aus freien Stücken auf 100 S monatlich erhöht und diesen Betrag dann laufend bis Jänner oder Februar 1957 der Klägerin gezahlt hat. Das Gericht hat auch diesen von ihm festgestellten Sachverhalt wie jeden anderen festgestellten Sachverhalt rechtlich zu würdigen. In diesem Verhalten der Streitteile kann nur eine stillschweigende Erhöhung der Rente auf 100 S pro Monat ab 1953 erblickt werden (§ 863 ABGB.). Die Klägerin kann sich daher nur hinsichtlich einer Rente von 100 S auf einen Vertragstitel stützen, sie kann somit rückwirkend durch 36 Monate nur diesen Betrag fordern, so daß ihr für die Zeit vor der Einbringung der Klage insgesamt 3600 S s. A. wie in Spruch zuzusprechen sind. Insoweit konnte ihrer Revision teilweise Folge gegeben werden. Ihr Mehrbegehren ist aber mangels einer im Vertrag festgelegten, bestimmten und gültigen Wertsicherungsklausel unberechtigt.
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