Spruch:
Der Bestandnehmer haftet nur für die verschuldete Beschädigung der Bestandsache; als nicht ersatzfähiger zufälliger Schaden im Vermögen des Bestandgebers ist auch ein solcher anzusehen, der eine Folge eines in der Person des Bestandnehmers eingetretenen Zufalles ist
OGH 6. März 1980, 8 Ob 523/79 (LG Klagenfurt 1 R 280/79; BG Klagenfurt 7 C 175/79)
Text
Der Beklagte mietete im Juli 1977 im Hause des Klägers eine Ferienwohnung. In der Nacht des 20. Juli 1977 erbrach der fünfjährige Sohn des Klägers, wodurch mehrere Einrichtungsgegenstände beschädigt wurden.
Der Kläger begehrt Ersatz eines Schadens von 17 000 S. Er stützt die Klage, ohne sich auf einen bestimmten Rechtsgrund festzulegen, insbesondere auf die Bestimmungen der §§ 1109 und 1111 ABGB. Die Beschädigung sei erst im Laufe des Vormittags vom Beklagten gemeldet worden. Möglicherweise wäre bei einer früheren Auswaschung ein geringerer Schaden entstanden.
Der Beklagte macht geltend, der Kläger sei zur Klage nicht legitimiert, da er mit ihm keinen Bestandvertrag abgeschlossen habe. Sein Sohn habe ohne erkennbare Ursache erbrochen. Es treffe ihn an der Beschädigung kein Verschulden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte im wesentlichen fest: Die Gattin des Klägers vermietete im Auftrag und im Namen des Klägers dem Beklagten die Ferienwohnung in dem Hause, dessen Alleineigentümer der Kläger ist. Der Sohn des Beklagten erbrach in der Nacht heftig und beschädigte dabei die Lehne einer Couch und einen Berberteppich. Es ist unerklärlich, warum er erbrochen hat. Er hat weder vorher noch später erbrochen. Die Gattin des Beklagten wusch noch in der Nacht die vom Erbrochenen erfaßten Gegenstände aus. Durch die Magensäure sind aber an den betreffenden Gegenständen Schäden entstanden, die durch Reinigung nicht mehr beseitigt werden können. Der Beklagte meldete den Vorfall am Morgen dem Zimmermädchen.
Das Erstgericht verneinte die Haftung des Beklagten. Der Bestandnehmer hafte nach § 1111 ABGB nur für das Verschulden seiner Hausgenossen. Eine Erfolgshaftung sei ausdrücklich ausgeschlossen. Es könne weder dem Beklagten noch dessen Gattin die Unterlassung einer Aufsichtspflicht angelastet werden. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, daß der Sohn des Beklagten erbrechensanfällig oder sonst krank gewesen sei. Für die Eltern habe daher kein Anlaß bestanden, bei einem fünfjährigen Kind vorbeugende Maßnahmen zu treffen. Da die Gattin des Beklagten die vom Erbrochenen betroffenen Gegenstände noch in der Nacht ausgewaschen und der Beklagte den Vorfall am Morgen dem Zimmermädchen gemeldet habe, könne dem Beklagten auch kein Verschulden wegen Verletzung der Schadensminderungspflicht angelastet werden.
Der Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es führte hiezu aus, nach der Rechtsprechung hafte der Bestandnehmer bei Beschädigung des Mietgegenstandes im Sinne des § 1111 ABGB auch für das Verschulden seiner Familienangehörigen. Diese Gesetzesstelle normiere nur die Haftung für Verschulden und schließe die Haftung für Zufall aus. Soweit überblickbar sei, habe sich die Rechtsprechung noch nicht mit der Frage befaßt, was unter "Zufall" im Sinne der genannten Gesetzesstelle zu verstehen sei. Dem in MietSlg. 4396 veröffentlichten Rechtssatz, wonach dem Bestandnehmer eine Erfolgshaftung nicht aufgebürdet werden könne, sei nicht zu entnehmen, was unter dem Begriff "Zufall" zu verstehen sei. Im Sinne der Lehre und der Entscheidung GlU 11260 sei als Zufall nur eine auf die Sache selbst einwirkende zufällige Schädigung anzusehen. Ein die Person des Bestandnehmers oder die Person dessen Angehöriger treffender Zufall schließe die Haftung des Bestandnehmers für eine Beschädigung des Mietgegenstandes nicht aus. Der gegenständliche Vorfall sei dem Beklagten zwar nicht als Verschulden, wohl aber als ein Zufall, der sich in der Person eines Familienangehörigen ereignet habe, anzurechnen, für den er zu haften habe. Da die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen nicht ausreichten, um die Höhe des vom Kläger erlittenen Schaden beurteilen zu können, sei das Urteil des Erstgerichtes aufzuheben.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten Folge, hob dem Beschluß des Berufungsgerichtes auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung über die Berufung des Klägers auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Nach § 1111 ABGB haftet der Mieter bei Beschädigung des Mietgegenstandes für Verschulden, aber nicht für Zufall. Im Sinne der Lehre und Rechtsprechung besteht diese Haftung des Bestandnehmers nicht nur für sein eigenes Verschulden, sondern auch für das Verschulden seiner Angehörigen, Dienstnehmer und Erfüllungsgehilfen (vgl. MietSlg. 6299/11; SZ 44/74). Der dem Beklagten gemäß § 1298 ABGB obliegende Entlastungsbeweis, daß weder ihm noch seinen Angehörigen ein Verschulden an der Beschädigung der Einrichtungsgegenstände des Klägers angelastet werden könne, ist auf Grund des festgestellten Sachverhaltes als erbracht anzusehen. Umstände, die dem Beklagten oder seiner Gattin Anlaß zur Befürchtung hätten geben müssen, daß der fünfjährige Sohn in der Nacht erbrechen werde, sind nicht hervorgekommen. Es bestand daher weder für den Beklagten noch für seine Gattin Anlaß, irgendwelche Vorkehrungen in dieser Richtung zu treffen.
§ 1111 ABGB schließt ausdrücklich die Haftung für Zufall aus. Es ist richtig, daß von einem Teil der Lehre die Ansicht vertreten wird, ein Zufall, der sich in der Person des Mieters ereigne, sei zwar nicht dem Verschulden gleichzusetzen, verpflichte aber dennoch zur Wiederherstellung der beschädigten Bestandsache. Soweit sich Ehrenzweig (System[2] II/1, 459 m FN 59) und Klang (Kommentar[2] V 93 mit FN 6) dabei auf die Entscheidung GlU 11260 berufen, kann daraus wenig für ihre Ansicht gewonnen werden, weil sich diese Entscheidung mit der Frage der Haftung nach § 1111 ABGB überhaupt nicht auseinandersetzt, sondern die Verpflichtung zur Zurückstellung des in Bestand genommenen Gegenstandes in dem Zustande, in welchem er vom Bestandnehmer übernommen worden ist, allein aus § 1109 ABGB ableitet. Mayr (Lehrbuch des bürgerlichen Rechtes, III. Buch, II. Abschnitt 224), auf den sich sowohl Klang als auch der Kläger in seiner Berufung berufen, verweist seinerseits wiederum nur auf Ehrenzweig und die Entscheidung GlU 11260. Wie Koziol (Haftpflichtrecht II 157) ausführt, geht diese Ansicht auf die Ausführungen in den Materialien der Gesetzesverfasser zu § 1311 ABGB zurück, daß der Zufall denjenigen treffe, in dessen persönlicher Sphäre sich diese Ursache ereignet habe. So unterscheidet Zeiler (Commentar, 736 ff.) zwischen dem Schaden, der durch einen äußeren, in einem Sachmangel gegrundeten Zufall (hauptsächlich Naturereignisse) herbeigeführt wird, für den nicht zu haften sei, und dem Schaden, der eine Folge eines zufälligen Personenmangels (z. B. Ohnmacht) ist, für den gehaftet werde. Die neuere Lehre folgt nicht dieser Ansicht (vgl. Wolff in Klang[2] VI, 80 mit FN 9). Heute wird § 1311 Satz 1 ABGB so verstanden, daß jener, in dessen Person oder Vermögen der Schaden durch einen Zufall entstanden ist, diesen selbst zu tragen hat (vgl. Koziol a. a. O., 157). Zufall ist, was nicht mehr Verschulden ist, was trotz gehöriger Sorgfalt nicht abgewendet werden kann (vgl. Gschnitzer, Schuldrecht, Besonderer Teil und Schadenersatz, 150). In diesem Sinne hat die Rechtsprechung bei einem durch plötzliche Bewußtlosigkeit eines Kraftfahrzeuglenkers, somit durch einen in der Person des Lenkers elegenen Zufall, herbeigeführten Unfall die Verschuldenshaftung des Lenkers gegenüber einem anderen Verkehrsteilnehmer verneint und nur die Gefährdungshaftung des Halters nach dem EKHG angenommen (vgl. ZVR 1959/266; ZVR 1966/87; ZVR 1969/247; ZVR 1970/8). § 1111 ABGB bietet keine Handhabe, auf Grund desselben zufälligen Ereignisse die Frage der Haftung des Lenkers für den Zufall in seiner Eigenschaft als Mieter des Kraftfahrzeuges gegenüber dem Vermieter anders zu beurteilen. Nach dem der Entscheidung MietSlg. 4396 zugrunde liegenden Sachverhalt lehnte der OGH die Haftung des Mieters einer Garage, die dadurch beschädigt wurde, daß ein in der Garage befindlicher LKW des Mieters in Brand geriet, gegenüber dem Vermieter der Garage ab, weil die Behauptung, der Brand sei durch einen unter dem LKW aufgestellten elektrischen Heizkörper entstanden, widerlegt worden sei und die Möglichkeit, daß der Brand durch einen Kurzschluß der Autobatterie und Überspringen eines Funkens in den Fahrersitz entstanden sei, nicht ausgeschlossen werden könne. Der OGH führte hiezu aus, eine Erfolgshaftung könne dem Bestandnehmer schon im Hinblick auf den Wortlaut des § 1111 ABGB nicht aufgebürdet werden, der die Zufallshaftung ausdrücklich ausschließe. Auch aus der Rückstellungspflicht des Bestandnehmers nach § 1109 ABGB könne nichts für eine gegenteilige Auffassung gewonnen werden, weil diese Verpflichtung durch die Bestimmung des § 1111 ABGB entsprechend eingeschränkt werde (MietSlg. 4396).
Der erkennende Senat sieht sich nicht veranlaßt, von dieser in der Entscheidung MietSlg. 4396 vertretenen Rechtsansicht, die in der Folge in den Entscheidungen SZ 37/165 und SZ 43/142 aufrecht erhalten wurde, abzugehen. Werden diese Rechtsgrundsätze auf den vorliegenden Fall angewendet, so ist die Haftung des Beklagten zu verneinen, weil ein haftungsbegrundender Tatbestand im Sinne des § 1111 ABGB nicht vorliegt.
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