Spruch:
Der Bestandnehmer haftet bei Beschädigungen auch für das Verschulden seiner Familienangehörigen
OGH 13. 5. 1971, 1 Ob 130/71 (KG Leoben R 33/71; BG Bruck an der Mur 2 C 546/69)
Text
Die Klägerin begehrte vom Beklagten unter Hinweis auf die Beendigung eines zwischen den Parteien am 17. 11. 1966 begrundeten Pachtverhältnisses die Rückzahlung der seinerzeit geleisteten Pachtkaution von S 15.000 - sowie einen Aufwandersatz von S 2551.90, insgesamt also Zahlung eines Betrages von S 17.551.90 sA.
Der Beklagte wendet unter anderem ein, daß während der Laufzeit des Pachtverhältnisses, uzw am 19. 2. 1969, auf dem Pachtobjekt (Alpengasthaus auf dem S-berg) eine Gasexplosion erfolgt sei, für deren Folgen - Sachschaden von S 260.000.- die Klägerin ersatzpflichtig sei. Die Explosion sei durch ein unsachgemäßes und unvorsichtiges Verhalten des über 80jährigen, auf der gepachteten Liegenschaft wohnenden Vaters der Klägerin verursacht worden.
Das Erstgericht nahm die Klagsforderung von S 2551.90, desgleichen auch Gegenforderungen des Beklagten in einer Höhe von mindestens S 2551.90 als zu Recht bestehend an, und wies das auf Zahlung von S
17.551.90 sA gerichtete Klagebegehren ab, wobei es von folgenden Feststellungen ausging: Am 17. 11. 1966 sei zwischen den Parteien ein Pachtvertrag (Beil./B) geschlossen worden, mit welchem der Beklagte der Klägerin das Alpengasthaus auf dem S-berg samt Konzession verpachtet habe. Punkt 10. dieses Vertrages trage die Überschrift "Kaution" und besage: "Für die Einhaltung der Bestimmungen aus diesem Vertrag sowie für die vollzählige Rückgabe des Inventars in dem Zustand, in welchem es übernommen wurde, abgesehen von einer natürlichen Abnützung, sowie für die Bezahlung aller Abgaben und Steuern, insbesondere jener, für deren Haftung der Verpächter herangezogen werden kann, erlegt der Pächter eine Kaution von S 15.000.- in bar. Die Kaution ist nach Beendigung des Pachtverhältnisses und ordnungsgemäßer Rückgabe des Pachtobjektes zurückzuzahlen." Punkt 9. erster Absatz dieses Vertrages laute: "Die Prämie für die Feuerversicherung wird vom Verpächter getragen". Die Klägerin sei am 1. 12. 1966 - nach dem Erlag der vereinbarten Pachtkaution von S 15.000.- - auf die gepachtete Liegenschaft gezogen. Das Pachtobjekt enthalte im Erdgeschoß des Hauses ein Gastzimmer mit Schank und Spüle, eine Küche, einen Vorraum sowie ein WC. Vom Vorraum führe eine 20stufige Betonstiege in das ausgebaute Dachgeschoß, in welchem drei Mansardenzimmer für das Dienstpersonal (nordseitig) sowie drei Fremdenzimmer (südseitig) vorhanden seien. Für die Beheizung im Hause sorge eine in der Küche angebrachte Zentralheizungsanlage. Wegen Fehlens elektrischer Energie sei zur Beleuchtung sämtlicher Räume des Hauses sowie zum Betrieb einer Espressomaschine und eines zweiflammigen Gasherdes eine Propangasanlage installiert worden. Diese habe aus zwei Batterien zu je drei Flaschen Flüssiggas bestanden; diese seien an der ostseitigen Außenwand des Hauses auf einem gemauerten Sockel mit Blechdach und versperrten Blechtüren aufgestellt gewesen. Im Vorraum, in der Küche, in der WC-Anlage und in den Dachgeschoßzimmern habe sich je ein Beleuchtungskörper befunden. Jede dieser kugelgelenklos ausgeführten Deckenlampen habe eine als Absperrvorrichtung dienende Schaltwippe aufgewiesen. Die gesamte Propangasanlage habe den technischen Richtlinien für Flüssiggasanlagen entsprochen und sei von der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Mur im Einvernehmen mit dem Amt der Stmk Landesregierung kommissioniert worden (Bescheid vom 30. 10. 1957). Die Deckenleuchten seien nicht zundgesichert gewesen, eine Zundsicherung war seit zirka 7 oder 8 Jahren üblich, jedoch behördlich nicht vorgeschrieben. Die Stellung der zwei auf der Schaltwippe angebrachten Ketten habe die Ein- und Ausschaltung der Beleuchtungskörper erkennen lassen. Ausströmendes Gas habe man durch den damit verbundenen eigentümlichen, knoblauchartigen Geruch feststellen können. Die Klägerin habe im Umgang mit Gas Erfahrung besessen. Bis zum 19. 2. 1969 sei kein wesentlicher Mangel an der - regelmäßig überprüften - Gasanlage entstanden. Vom Beginn des Pachtverhältnisses an habe der am 19. 7. 1885 geborene, körperlich und geistig noch rege Vater der Klägerin, August W, in einem der nordseitig gelegenen Mansardenzimmer des Bestandobjektes gewohnt und fallweise für die Klägerin kleinere Arbeiten erbracht. August W sei von der Klägerin die Art der Bedienung des Beleuchtungskörpers erläutert worden. Am 19. 2. 1969 sei der Genannte um zirka 7.30 Uhr aufgestanden und habe sich anschließend - ohne die Schaltwippe seiner Deckenleuchte auszuschalten - in das Erdgeschoß des Hauses begeben. Im Laufe des Vormittags habe er noch zweimal sein Mansardenzimmer aufgesucht und sich auch nach dem Mittagessen eine Stunde lang dort aufgehalten. Während des Nachmittags sei er dann nicht mehr in sein Zimmer gekommen, wohl aber habe dieses die Klägerin einmal aufgesucht. Erst nach dem Abendessen, etwa um 19.00 Uhr, habe er das Mansardenzimmer wieder betreten und ein Streichholz angezundet, um die Deckenleuchte zu entflammen. Schon beim Anreiben des Streichholzes sei es plötzlich zu einem lautstarken Knall und zu einer Stichflamme gekommen. August W sei aus seinem Zimmer in den Vorraum des Dachgeschosses geschleudert und ebenso wie ein Sohn der Klägerin schwer verletzt worden. Durch den Explosionsdruck seien sämtliche Räume des Alpengasthofes in Mitleidenschaft gezogen worden. Die nördliche Giebelwand sei nach außen gedrückt, die Zwischenwände zweier Mansardenzimmer seien umgeworfen worden. Durch den Explosionsdruck sei es zu einer Anhebung der Dachkonstruktion, deren Dachhaut teilweise aufgerissen worden sei, gekommen. Einige Türen seien aus den Angeln gehoben und sämtliche Fensterscheiben zertrümmert worden. Der verursachte Gebäudeschaden habe sich auf S 171.620.- belaufen, wovon der Beklagte aus der Feuerversicherung (Versicherungssumme S 400.000.-) zufolge einer Unterversicherung des Objektes lediglich S 130.270.- erhalten habe. Die Kosten der Abbrucharbeiten habe die Versicherung nicht ersetzt, weil hiefür keine Versicherung bestanden habe. Die Bauunternehmung Alois L habe wenige Tage nach dem Schadensereignis eine Noteindeckung des Hauses vorgenommen, den Dachstuhl zur Gänze abgetragen und eine Aufmauerung bis zur Erdgeschoßdecke durchgeführt. Sie habe hiefür eine vom Beklagten berichtigte Forderung von S 19.420.- erhoben. Es habe sich hierbei um provisorische Arbeiten gehandelt, die dazu bestimmt gewesen seien, das Gebäude vor Witterungsschäden zu schützen. Das Gas sei durch die unverschlossene Schaltrippe der Deckenleuchte im Zimmer des August W ausgeströmt. Durch eine Zundsicherung hätte die Explosion vermieden werden können. Die Klägerin habe für den Beklagten über dessen Auftrag und Rechnung Investitionen mit einem Rechnungsbetrag von S 2551.90 getätigt. Der Pachtvertrag der Parteien sei am 10. 5. 1969 einvernehmlich aufgelöst worden.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht ua aus, daß die Klägerin als Bestandnehmerin sowohl für ihr eigenes Verschulden als auch für jenes ihres Mitbewohners August W hafte. Fordere der Verpächter Schadenersatz wegen Verletzung der dem Pächter gemäß den §§ 1109, 1111 ABGB obliegenden Verpflichtungen, dann müsse der Pächter nach § 1298 ABGB beweisen, daß ihn an den Beschädigungen kein Verschulden treffe. Diesen Beweis habe die Klägerin nicht zu erbringen vermocht. August W habe fahrlässig gehandelt, weil er verpflichtet gewesen sei, sich zumindest vor dem Anzunden des Streichholzes davon zu überzeugen, ob die Schaltrippe der Deckenleuchte ein- oder ausgeschaltet gewesen sei. Ein Verschulden der Klägerin an dem Schadenseintritt sei auch in der mangelden Kontrolle des Verhaltens des 84jährigen Vaters bei dessen Umgang mit der nicht zundgesicherten Anlage sowie darin zu erblicken, daß sie auf den durch das ausströmende Gas bewirkten eigentümlichen Geruch nicht geachtet habe. Das Schadensereignis habe Abbrucharbeiten bedingt, deren Kosten allein schon S 19.420.- ausgemacht haben, so daß es sich erübrige, auf die weiteren, vom Beklagten erhobenen Gegenforderungen einzugehen. Die Klägerin habe das Bestandobjekt nicht im ordnungsgemäßen Zustand zurückgegeben, das Begehren auf Rückzahlung der Kaution sei daher an sich nicht berechtigt, so daß es sich erübrige, diesem Begehren die eingewendete Gegenforderung gegenüberzustellen.
Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos. Das Berufungsgericht übernahm die Beweiswürdigung und die darauf gegrundeten Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich, es billigte auch die von diesem vorgenommene rechtliche Beurteilung des erhobenen Sachverhaltsbildes und bestätigte das Ersturteil, allerdings mit der Maßgabe, daß es aussprach, daß die Klagsforderung mit S 17.551.90, die Gegenforderung des Beklagten mit mindestens S 17.551.90 zu Recht bestunden und demzufolge das auf S 17.551.90 sA gerichtete Klagebegehren abgewiesen werde. Im Rahmen der Erledigung des Berufungsgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und zugleich der Erklärung der vorgenommenen Klarstellung im Urteilsspruch, wies das Gericht zweiter Instanz darauf hin, daß der zwischen den Parteien am 17. 11. 1966 angeschlossene Pachtvertrag nach der Gasexplosion, uzw am 10. 5. 1969, einvernehmlich aufgelöst worden sei und die Klägerin das Pachtobjekt dem Beklagten zurückgestellt habe. Die Kaution von S 15.000.- sei unter diesen Umständen zur Rückzahlung fällig geworden, doch habe der Beklagte das Recht, seine Ersatzansprüche, nämlich die Kosten der Abbrucharbeiten, mit dem Rückforderungsanspruch der Klägerin zu kompensieren (RZ 1955, 298). Die Kautionssumme sei daher in die zu Recht bestehende Klagsforderung aufzunehmen. Zusammen mit den von der Klägerin für den Beklagten getätigten Aufwendungen in der unbestrittenen Höhe von S 2551.90 ergebe sich damit eine zu Recht bestehende Gesamtforderung der Klägerin von S 17.551.90. Dieser Forderung der Klägerin stehe aber eine gleichfalls zu Recht bestehende Gegenforderung des Beklagten aus dem Titel der Abbrucharbeiten in der Höhe von S 19.420.- gegenüber, so daß die Klagsforderung im Wege der Kompensation getilgt erscheine. Das Erstgericht habe damit im Ergebnis - abgesehen von der fehlerhaften Fassung des Spruches - das auf Zahlung von S 17.551.90 lautende Klagebegehren ohne Rechtsirrtum abgewiesen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Frage, ob durch die vom Berufungsgericht vorgenommene Neufassung des Urteilsspruches die Sachentscheidung des Erstgerichtes eine Änderung erfahren hat, das Urteil der zweiten Instanz also abändernden Charakter trägt, mag - abgesehen davon, daß eine diesbezügliche Rüge nicht erhoben wurde - auf sich beruhen, weil die Lösung dieser Frage jedenfalls keinen Einfluß auf die Anfechtungsmöglichkeiten gewinnen kann.
Nach der Bestimmung des § 1109 ABGB, die den Zeitpunkt und den Inhalt der dem Bestandnehmer obliegenden Rückgabepflicht behandelt, ist der Bestandnehmer gehalten, die Sache in dem Zustand zurückzustellen, in der er sie übernommen hat. Hieraus folgt seine Verpflichtung zur sorgfältigen Beaufsichtigung und schonenden Behandlung des Bestandgegenstandes. Wenn der Miet- oder Pachtgegenstand beschädigt oder durch Mißbrauch abgenützt wird, so haftet der Mieter oder Pächter sowohl für sein eigenes, als auch des Afterbestandnehmers Verschulden, nicht aber Zufall (§ 1111 ABGB).
Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung haftet der Bestandnehmer bei Beschädigungen nicht nur für sein eigenes Verschulden, sondern auch für das Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen (Ehrenzweig, Recht der Schuldverhältnisse, 1928, 459 f). Gschnitzer schließt in diesen Personenkreis namentlich Familienangehörige, Personal, Gäste und Handwerker ein (Schuldrecht, Besonderer Teil, 55). Klang, der gleichfalls eine Haftung des Bestandnahmers für Verschulden der Hausgenossen, Dienstpersonen und Gäste annimmt, verweist darauf, daß der bestimmungsgemäße Gebrauch der Bestandsache auch deren Benutzung durch andere Personen als den Bestandnehmer in sich schließt. Eine solche Benutzung müsse als mittelbarer Gebrauch des Bestandnahmers angesehen werden, für dessen Ordnungsmäßigkeit er ebenso wie für den unmittelbaren Gebrauch zu haften habe (Klang[2] V, 94). Die Abgrenzung des Personenkreises, für den diese Haftung zum Tragen komme, ergibt sich aus dem Vertragszweck (Klang aaO, 2 Ob 647/57 = MietSlg 6299/11).
Wird das erhobene Sachverhaltsbild unter diesen rechtlichen Gesichtspunkten gewürdigt, und insbesondere auch der Vertragszweck bedacht, der diesmal in der pachtweisen Überlassung eines Gaststättenbetriebes mit den dazu benötigten Unterkunftsräumen für Familienangehörige, Dienstpersonen und Gäste gelegen war, dann ist in der Schlußfolgerung des Berufungsgerichtes, daß die Klägerin für die Folgen des hervorgekommenen Fehlverhaltens ihres Vaters August W einzustehen hat, ein Rechtsirrtum nicht zu erkennen. August W war als naher Familienangehöriger der Klägerin in dem von ihr gepachteten Gasthaus untergebracht. Seine als Fahrlässigkeit zu wertende Unachtsamkeit - Unterlassung der Ausschaltung der Gaszufuhr in die Deckenleuchte und Anzunden eines Streichholzes in dem gaserfüllten Mansardenzimmer - bewirkte die Gasexplosion und führte neben schweren Personenschäden auch zu einer erheblichen Beschädigung des Bestandobjektes. Für die durch die bestehende Schadensversicherung (Feuerversicherung) nicht gedeckten Kosten der notwendigen Abbrucharbeiten, deren ziffernmäßige Höhe (S 19.420.-) jene der Klagsforderung (S 17.551.90) übersteigt und die vom Beklagten beglichen worden sind, ist daher die Klägerin ersatzpflichtig.
Was aber die Behauptung der Klägerin, daß ungeklärt geblieben sei, wer es versäumte, die Schaltwippe im Zimmer ihres Vater zu schließen, und das weitere Vorbringen anlangt, daß die angenommene Höhe der Kosten der durchgeführten Abbrucharbeiten einer ausreichenden Beweisgrundlage entbehre, so handelt es sich hierbei um den zufolge der Regelung des § 503 ZPO unzulässigen Versuch, noch im Revisionsverfahren die Beweiswürdigung der Vorinstanzen zu bekämpfen.
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