OGH 7Ob34/79

OGH7Ob34/7928.6.1979

SZ 52/108

Normen

Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung Art8 Abs1 Z1
Ergänzende Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung Art.A Z3 litb
Ergänzende Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung Abschnitt B Z3 litb
Straßenverkehrsordnung 1960 §4 Abs2
Versichernngsvertragsgesetz §6
Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung Art8 Abs1 Z1
Ergänzende Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung Art.A Z3 litb
Ergänzende Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung Abschnitt B Z3 litb
Straßenverkehrsordnung 1960 §4 Abs2
Versichernngsvertragsgesetz §6

 

Spruch:

Mit dem Tod des Verletzten entfällt zwar die Hilfeleistungs-, nicht aber die Verständigungspflicht nach Art. 8 Abs. 1 Z. 1 AKHB besteht für den Haftpflichtversicherten auch eine Rechtsschutzversicherung, so setzt der Regreß des Versicherers Leistungsfreiheit in beiden Versicherungen voraus

Die Nachholung einer Obliegenheit ist für die Leistungsfreiheit des Versicherers jedenfalls dann ohne Belang, wenn die Folgen der Obliegenheitsverletzung nicht mehr beseitigt werden können

OGH 28. Juni 1979, 7 Ob 34/79 (OLG Innsbruck 5 R 86/79; LG Innsbruck 9 Cg 171/77)

Text

Der Beklagte verschuldete am 27. Mai 1974 um zirka 0.30 Uhr auf der B-Straße im Gemeindegebiet von K mit dem bei der Klägerin haftpflichtversicherten PKW seines Vaters einen Verkehrsunfall, bei dem der Fußgeher Anton R getötet wurde. Zugunsten des Beklagten bestand bei der Klägerin auch eine Kraftfahrzeuglenker-Rechtsschutzversicherung nach den Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB) und Abschnitt B der Ergänzenden Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ERB). Wegen dieses Verkehrsunfalles wurde der Beklagte wegen Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB verurteilt. Als erschwerend wertete das Strafgericht die Flucht des Beklagten vom Unfallsort, an dem er einen Toten zurückgelassen hatte, und seinen Nachtrunk.

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin vom Beklagten den Ersatz ihrer bisherigen aus Anlaß des Unfalles vom 27. Mai 1974 (an die Witwe des Getöteten, ferner zur Bezahlung von Verteidigungskosten des Beklagten und zur Entrichtung von Gerichtsgebühren im vorerwähnten Strafverfahren) erbrachten Leistungen im Betrage von 66 690 S samt Anhang und beantragt die Feststellung, daß ihr der Beklagte für alle künftigen Leistungen, die sie als sein Haftpflichtversicherer auf Grund des fraglichen Schadensfalles noch zu erbringen haben werde, ersatzpflichtig sei.

Das Erstgericht sprach den Beklagten schuldig, der Klägerin 30 000 S samt Anhang zu zahlen, und wies das Mehrbegehren ab. Nach seinen Feststellungen bemerkte der mit Abblendlicht fahrende Beklagte den etwa auf der Mitte seiner Fahrbahnhälfte gehenden Anton R zu spät und fuhr ihn daher frontal an. Nach dem Unfall begab sich der Beklagte zum Verunglückten und stellte dessen bereits eingetretenen Tod fest. Er verließ hierauf sofort die Unfallstelle und begab sich in seine Wohnung, wo er zur Verschleierung des Grades seiner Alkoholisierung im Unfallszeitpunkt einen Nachtrunk von Wein vornahm. Erst um 2.30 Uhr stellte sich der Beklagte dem Gendarmeriepostenkommando K, dessen Erhebungen in der Unfallssache bereits um 1.25 Uhr begonnen hatten. Als sich der Beklage bei der Gendarmerie stellte, war seine Täterschaft noch nicht bekannt. Ein Unfallsschock mit einer Zerrüttung der Bewußtseins- und Willensbildung lag beim Beklagten im Zeitpunkte seiner Entfernung von der Unfallsstelle und seines Nachtrunkes nicht vor. Die Unfallsflucht des Beklagten hatte auf die Feststellung des Unfallsherganges keinen Einfluß. Zweifel blieben nur hinsichtlich des Grades der Alkoholisierung des Beklagten zur Zeit des Unfalles. Der Gattin des Getöteten, Maria R, zahlte die Klägerin als Haftpflichtversicherer des Beklagten 29 865.21 S an Todfallskosten und ersetzte ihr die Kosten ihrer Privatbeteiligung im Strafverfahren gegen den Beklagten in der Höhe von 5292 S. Für die Verteidigung des Beklagten entrichtete die Klägerin an Rechtsanwalt Dr. R 8 438 S wovon ein Betrag von 3037.20 S auf die Verteidigung im Verfahren 16 Vr 2274/74 des Landesgerichtes Innsbruck entfiel, und an Dr. H 10 190.20 S. Die Kostenforderung des letzteren erachtete das Erstgericht nur mit einem Betrag von 8732.20 S für angemessen. Die Klägerin entrichtete auch die im vorgenannten Strafverfahren dem Beklagten zur Zahlung vorgeschriebenen Sachverständigengebühren und Pauschalkosten im Betrage von 7238 S. Nach Ansicht des Erstgerichtes habe der Beklagte nicht einmal den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung nach Art. 8 Abs. 1 Z. 1 AKHB begangen. Anton R sei nämlich sofort tot gewesen. Der Beklagte habe ihm daher nicht mehr Hilfe leisten oder für fremde Hilfe sorgen können. Im Hinblick auf den bereits eingetretenen Tod des Anton R sei der Beklagte auch nicht mehr zur sofortigen Verständigung der nächsten Gendarmeriedienststelle verpflichtet gewesen. Der Beklagte habe allerdings seine Aufklärungspflicht verletzt, weil er Fahrerflucht begangen und einen Nachtrunk vorgenommen habe. Diese Obliegenheitsverletzung des Beklagten habe wohl auf die Feststellung des Unfallsherganges keinen Einfluß gehabt, jedoch habe der Grad seiner Alkoholisierung im Unfallszeitpunkt nicht mehr festgestellt werden können. Im Hinblick auf die Regelung des Art. 6 Abs. 2 lit. c und Abs. 3 AKHB sei die von der Klägerin behauptete Leistungsfreiheit mit 30 000 S begrenzt. Auch unter Berücksichtigung des mit einem Drittel zu veranschlagenden Mitverschuldens des Anton R hätten die von der Klägerin erbrachten Leistungen den Betrag von 30 000 S überschritten. Den Ersatz ihrer Leistungen aus der Rechtsschutzversicherung könnte hingegen die Klägerin nur dann begehren, wenn sich der Beklagte im Zeitpunkt des Unfalles in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden oder versucht hätte, sich der Feststellung seiner Person zu entziehen, und dies in der Begründung eines im Zusammenhang mit dem Unfallsereignis erflossenen rechtskräftigen Straferkenntnisses eines Gerichtes oder einer Verwaltungsbehörde festgestellt worden wäre. Es sei jedoch nicht erwiesen, daß der Beklagte infolge Alkoholgenusses im Unfallszeitpunkt fahruntüchtig gewesen sei. Er habe auch nicht versucht, sich der Feststellung seiner Person zu entziehen, weil er sich bei der Gendarmerie zu einem Zeitpunkt gestellt habe, zu dem noch keine Hinweise auf seine Täterschaft vorgelegen seien. Dem 30 000 S übersteigenden Leistungsbegehren der Klägerin und ihrem Feststellungsbegehren komme daher keine Berechtigung zu.

Das Berufungsgericht änderte das in seinem der Klage stattgebenden Teil unbekämpft gebliebene Ersturteil dahin ab, daß es der Klägerin 46 926.61 S samt Anhang zusprach, im Sinne des Feststellungsbegehrens entschied und das Mehrbegehren von 19 763.39 S samt Anhang abwies. Das Berufungsgericht war der Ansicht, daß der Beklagte wohl nicht seine Hilfeleistungs-, jedoch seine Anzeigepflicht nach Art. 8 Abs. 1 AKHB verletzt habe. Sei nämlich schon ein Versicherter, der einen Verkehrsunfall mit leichtem Personenschaden verursacht habe, zur Verständigung der nächsten Sicherheitsdienststelle verpflichtet, so müsse dies umsomehr gelten, wenn jemand getötet worden sei. Der Beklagte wäre daher verpflichtet gewesen, den Unfall sofort bei der nächsten Gendarmeriedienststelle zu melden. Seine erst zwei Stunden nach dem Unfall erfolgte Stellung bei der Gendarmerie sei verspätet gewesen. Den Beweis, daß er im Zeitpunkt des Unfalles unter Schockeinwirkung gestanden sei, habe der Beklagte nicht erbringen können. Folglich sei davon auszugehen, daß er seine Anzeigepflicht vorsätzlich verletzt habe. Die Klägerin sei daher aus der Kraftfahrzeug- Haftpflichtversicherung leistungsfrei. In der Übernahme der Verteidigungskosten des Beklagen könne ein konkludenter Verzicht der Klägerin auf ihren Rückgriffsanspruch aus der Haftpflichtversicherung nicht erblickt werden. Mit Rücksicht auf ihre Leistungspflicht gegenüber geschädigten Dritten nach § 158c Abs. 1 VersVG habe nämlich die Klägerin ein Eigeninteresse an einer möglichst weitgehenden Abwehr der diesbezüglichen Ansprüche gehabt. Für ihre Leistungen aus der Rechtsschutzversicherung stehe hingegen der Klägerin aus den vom Erstgericht ins Treffen geführten Gründen ein Rückgriffsanspruch gegen den Beklagten nicht zu.

Die von der Klägerin an Maria R erbrachten Leistungen seien nicht um die Mitverschuldensquote des Anton R zu kürzen, weil der Beklagte eine diesbezügliche Einwendung nicht erhoben und auch nicht behauptet habe, daß von der Klägerin an die Geschädigten Leistungen erbracht worden seien, zu denen sie nicht verpflichtet gewesen wäre. Die 46 926.61 S übersteigenden Leistungen seien von der Klägerin auf Grund der Rechtsschutzversicherung erbracht worden, aus der ihr ein Regreßanspruch gegen den Beklagten nicht zustehe. Hingegen sei das sich nur auf die Haftpflichtversicherung beziehende Feststellungsbegehren berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Revisionswerber bekämpft die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes die Anzeigepflicht des Lenkers eines Unfallsfahrzeuges bestehe auch dann, wenn jemand getötet worden sei. Der Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 Z. 1 AKHB "im Falle der Verletzung von Personen" lasse nur die Auslegung zu, daß die Anzeigepflicht lediglich im Falle der Verletzung von Verkehrsteilnehmern bei einem Verkehrsunfall bestehe. Die Tötung einer Person hebe daher nicht nur die Hilfeleistungs-, sondern auch die Anzeigepflicht des Lenkers eines an dem Unfall beteiligten Kraftfahrzeuges auf.

Die Ausführungen des Revisionswerbers vermögen nicht zu überzeugen. Nach der mit dem Wortlaut des § 4 Abs. 2 StVO übereinstimmenden Norm des Art. 8 Abs. 1 Z. 1 AKHB muß der einen Verkehrsunfall verursachende Versicherungsnehmer (Kraftfahrzeuglenker), wenn ein Verkehrsteilnehmer verletzt wurde, diesem Hilfe leisten oder, wenn er hiezu nicht fähig ist, unverzüglich für fremde Hilfe sorgen; ferner die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle sofort verständigen. Zur Beurteilung der Frage, ob der Versicherte diese Obliegenheit erfüllt hat, ist daher auch die Judikatur zu § 4 Abs. 2 StVO heranzuziehen. Ein Verkehrsunfall mit Personenschaden liegt aber auch dann vor, wenn - wie hier - die von einem Verkehrsteilnehmer erlittenen Verletzungen so schwer waren, daß sie dessen Tod zur Folge hatten. In diesem Falle besteht im Hinblick auf die zu erwartenden Schadenersatzansprüche der Hinterbliebenen das gleiche Interesse an einer Sicherung vorhandener Beweise durch sofortige Erhebungen der Sicherheitsbehörden am Unfallsort, wie wenn bei einem Verkehrsunfall jemand nur verletzt wurde (ZVR 1969/2). Die Hilfeleistungspflicht besteht allerdings nur dann, wenn sie auch faktisch möglich ist. Sie entfällt daher, wenn der Tod des Verletzten eingetreten ist. Die Verpflichtung zur Verständigung der nächsten Gendarmeriedienststelle wird dagegen durch den mittlerweile eingetretenen Tod des Verletzten nicht berührt und besteht somit weiter. Seiner Anzeigepflicht hat der Revisionswerber nicht entsprochen, weil er sich erst zwei Stunden nach dem Verkehrsunfall dem Gendarmeriepostenkommando K stellte. Der im Art. 8 Abs. 1 Z. 1 AKHB gebrauchte Ausdruck "sofort" ist nämlich, wie der OGH bereits wiederholt ausgesprochen hat, wörtlich zu verstehen (VersR 1977, 535; 7 Ob 49/77, 7 Ob 57/77, zuletzt 7 Ob 19/78).

Der Revisionswerber hat demnach den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung nach Art. 8 Abs. 1 Z. 1 AKHB (Anzeigepflicht) verwirklicht. Er hätte daher seinerseits beweisen müssen, diese Obliegenheit nicht vorsätzlich verletzt zu haben (SZ 46/106; VersR 1974, 1039, 1977, 167 u. a. m.). Für die vorsätzliche Verletzung der Anzeigepflicht genügt aber das allgemeine Bewußtsein des Versicherungsnehmers (mitversicherten Kraftfahrzeuglenkers), im Falle eines von ihm verursachten Verkehrsunfalles mit Personenschaden zur sofortigen Verständigung der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle verpflichtet zu sein. Dieses Bewußtsein ist bei einem Kraftfahrzeuglenker vorauszusetzen, es sei denn, daß sich aus besonderen, von ihm zu beweisenden Umständen etwas anderes ergibt (VersR 1976, 1196, 1977, 167; 7 Ob 49/77 u. a. m). Der Revisionswerber konnte jedoch nicht beweisen, daß er nach dem Unfall unter der von ihm behaupteten Schockeinwirkung gestanden wäre. Ein den Vorsatz ausschließender Unfallsschock erfordert nämlich eine derartige Beeinträchtigung des Bewußtseins und der Willensbildung der betreffenden Person, daß diese als unzurechnungsfähig anzusehen ist (SZ 47/44; VersR 1975, 964; 1976, 1196; 1977, 755; 7 Ob 49/77). Der beim Revisionswerber zweifellos vorgelegene Unfallsschreck entlastete ihn hingegen nicht vom Vorwurf der vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung (VersR 1975, 964; 1976, 1196; 1977, 755 u. a.). Der Revisionswerber hat daher die vorsätzliche Verletzung seiner Anzeigepflicht nach Art. 8 Abs. 1 Z. 1 AKHB zu verantworten. Die vorsätzliche Verletzung dieser Obliegenheit bewirkt aber die Leistungsfreiheit des Versicherers (hier Klägerin) aus der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung selbst dann, wenn sie auf die Feststellung des Versicherungsfalles und den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistungen ohne Einfluß geblieben ist (SZ 42/40; VersR 1975, 964; 1976, 1196; 1977, 167 u. a.).

Die Ausführungen des Revisionswerbers, die Klägerin habe in Kenntnis der ihre Leistungsfreiheit begrundenden Umstände ihm vorbehaltlos Rechtsschutz im Strafverfahren gewährt, gehen von einem urteilsfremden Sachverhalt aus. Den Urteilen der Untergerichte kann nämlich eine derartige Feststellung nicht entnommen werden, die überdies mit dem Schreiben der Klägerin vom 18. Juni 1975 an den Verteidiger des Revisionswerbers, Dr. Friedrich H nicht vereinbar wäre. Die Echtheit und die Übereinstimmung der Photokopie dieses Schreibens mit der Urschrift wurde vom Revisionswerber ausdrücklich anerkannt. In diesem Schreiben hebt aber die Klägerin ausdrücklich hervor, daß ihr im Falle einer Verurteilung des Revisionswerbers wegen Alkoholisierung im Unfallszeitpunkte gegen ihn hinsichtlich der Verteidigungskosten Regreßansprüche zustehen würden und sie noch eine endgültige Stellungnahme abgeben werde. Von einem konkludenten Verzicht auf die Regreßansprüche durch vorbehaltlose Gewährung des Rechtsschutzes seitens der Klägerin kann somit keine Rede sein.

Auch der Umstand, daß die Klägerin an die Witwe des Getöteten Teilleistungen erbrachte, rechtfertigt nicht die Annahme eines schlüssigen Verzichtes der Klägerin auf ihre Regreßansprüche gegen den Revisionswerber. Ein derartiger Verzicht stellt nämlich eine einseitige Belastung des Verzichtenden dar. Bei der Prüfung der Frage, ob ein konkludenter Verzicht vorliegt, ist daher grundsätzlich ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Ein Verzicht darf nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hinweisen, daß er ernstlich und gewollt gewesen ist (VersR 1963, 963; SZ 41/123, 44/86; EvBl. 1976/20 u. a. m). Diese Voraussetzungen liegen hier schon deshalb nicht vor, weil die Klägerin in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung den geschädigten Dritten gegenüber nach dem Gesetz (§ 158c Abs. 1 VersVG) zur Leistung verpflichtet war. In ihren Zahlungen an die Witwe des Getöteten könnte daher auch dann nicht ein Verzicht auf ihre Regreßansprüche gegen den Revisionswerber erblickt werden, wenn die Klägerin ihm gegenüber vorher nicht auf seine Ersatzpflicht (§ 158 f. VersVG) hingewiesen hätte.

Im Hinblick auf die vom Revisionswerber erhobene Rechtsrüge hatte der OGH die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes nach allen Richtungen hin zu untersuchen und nicht nur jene Rechtsfragen zu überprüfen, hinsichtlich welcher das Urteil des Berufungsgerichtes angefochten wurde (Fasching IV 41, 322; JBl. 1947, 243; 1950, 140 u. a. m.). Im Zuge dieser allseitigen Überprüfung der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichtes kann dessen Rechtsansicht, daß die Verteidigungskosten des Revisionswerbers im gerichtlichen Strafverfahren ausschließlich unter das versicherte Risiko der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung fallen, nicht gefolgt werden. Nach der von der Klägerin als aufrecht bestätigten Kraftfahrzeuglenker-Rechtsschutzversicherung nach Abschnitt B der Ergänzenden Rechtsschutzversicherungsbedingungen war sie nämlich nach Art. 1 Abs. 1 lit. b ARB verpflichtet, dem Revisionswerber hinsichtlich seiner Verteidigungskosten in einem Strafverfahren wegen fahrlässiger Handlungen oder Unterlassungen Rechtsschutz zu gewähren. Dessen Verteidigungskosten im gerichtlichen Strafverfahren von 11 759.40 S (3037.20 S + 8732.20 S) fielen daher unter das versicherte Risiko der Kraftfahrzeughaftpflicht- und der Rechtsschutzversicherung. Im Falle der Leistungspflicht der Klägerin aus nur einer dieser Versicherungen wäre daher ihr Regreßanspruch hinsichtlich der von ihr getragenen vorerwähnten Verteidigungskosten nicht berechtigt.

Hiemit ist jedoch für den Revisionswerber nichts gewonnen. Zu Unrecht verneinte nämlich das Berufungsgericht den von der Klägerin geltend gemachten Regreßanspruch aus der Kraftfahrzeuglenker-Rechtsschutzversicherung, der nach dem Klagsvorbringen auf Abschnitt B Z. 3 lit. a und b ERB gestützt wird. Nach Abschnitt B Z. 3 lit. b ERB hat der Versicherungsnehmer, der nach einem von ihm verursachten oder mitverursachten Unfall versucht hat, sich der Feststellung seiner Person zu entziehen und dies in der Begründung eines im Zusammenhang mit dem Unfall erflossenen rechtskräftigen Straferkenntnisses eines Gerichtes ..... festgestellt wurde, dem Versicherer sämtliche aus diesem Ereignis erbrachten Leistungen (hier Verteidigungskosten) zurückzuzahlen. Die vorerwähnte Bestimmung der Ergänzenden Rechtsschutzversicherungsbedingungen normiert eine Obliegenheit, weil der Regreßanspruch des Versicherers ein bestimmtes Verhalten des Versicherungsnehmers zur Voraussetzung hat (VersR 1970, 47 u. a. m.). Diese Obliegenheit hat der Revisionswerber verletzt, weil er nach dem Unfall Fahrerflucht beging und damit ein Verhalten zeigte, das geeignet war, die Feststellung seiner Identität als Lenker des Unfallsfahrzeuges zu verhindern (VersR 1979, 340). Die Verpflichtung zur Erfüllung der vorgenannten Obliegenheit bestand nämlich für den Revisionswerber schon mit dem Eintritt des Versicherungsfalles (hier des das Strafverfahren auslösenden Verkehrsunfalles). Allerdings stellte sich der Revisionswerber etwa zwei Stunden nach dem Unfall, als seine Täterschaft noch nicht bekannt war, dem Gendarmeriepostenkommando K. Ob dieses Nachholen einer Obliegenheit für die Leistungsfreiheit des Versicherers noch von Bedeutung sein kann, ist umstritten. Die deutsche Lehre und Rechtsprechung steht fast ausschließlich auf dem Standpunkt, daß die Leistungsfreiheit des Versicherers von selbst eintritt, wenn der Versicherungsnehmer eine Obliegenheitsverletzung begeht, weshalb der Nachholung der Obliegenheit durch ihn keine Bedeutung zukommt (Prölss - Martin, VersVG[21] 203 f. und die dort zitierte Judikatur). Vereinzelt wird allerdings auch die Ansicht vertreten, daß im Falle der Nachholung von Obliegenheiten durch den Versicherungsnehmer der Versicherer nur dann leistungsfrei ist, wenn die Folgen der Obliegenheitsverletzung nicht mehr beseitigt werden können (Baumann, VersRdSch 1975, 94 ff.; vgl. auch BGH in VersR 1968, 137). Welcher dieser Meinungen der Vorzug zu geben ist, kann hier dahingestellt bleiben. Selbst nach der für den Versicherten günstigeren Ansicht ist nämlich der Rückforderungsanspruch der Klägerin nach Abschnitt B Z. 3 lit. b ERB zu bejahen. Durch die vom Revisionswerber begangene Unfallsflucht konnten nämlich die erhebenden Gendarmeriebeamten bei ihm noch vor seinem Nachtrunk keinen Alkotest vornehmen und auch eine Blutabnahme zur Feststellung seines Blutalkoholgehaltes nicht veranlassen. Deshalb konnte auch nicht geklärt werden, ob der Revisionswerber das Unfallsfahrzeug in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand im Sinne des Abschnittes B Z. 3 lit. a ERB gelenkt hatte. Es war daher auch nicht erweislich, daß der Revisionswerber seine Obliegenheit nach Abschnitt B Z. 3 lit. a ERB verletzt hat. Die der Klägerin durch die Obliegenheitsverletzung entstandenen Nachteile konnten also auch durch das Nachholen der Obliegenheit nicht mehr beseitigt werden. Da im eingangs erwähnten Straferkenntnis die Unfallsflucht des Revisionswerbers ausdrücklich festgestellt wird, ist der Regreßanspruch der Klägerin auch hinsichtlich der von ihr entrichteten Verteidigungskosten von 11 759.40 S berechtigt.

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