OGH 7Ob51/74

OGH7Ob51/744.4.1974

SZ 47/44

Normen

Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung 1967 Art8 Abs1 Z1
VersVG §6 Abs3
Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung 1967 Art8 Abs1 Z1
VersVG §6 Abs3

 

Spruch:

Bloßer Unfallschreck entlastet nicht vom Vorwurf vorsätzlicher Verletzung der Obliegenheit nach Art. 8 Abs. 1 Z. 1 AKHB. Hiezu ist vielmehr eine dermaßen starke Zerrüttung der Bewußtseins und Willensbildung der betroffenen Person erforderlich, daß diese als unzurechnungsfähig anzusehen wäre

OGH 4. April 1974, 7 Ob 51/74 (OLG Graz 9 R 109/73; LG Klagenfurt 19 Cg 152/73)

Text

Nach der Aktenlage steht folgendes fest: Die Klägerin, geboren am 21. Mai 1953, fuhr mit einem von ihr gelenkten PKW, Marke Ford Escort am 10. Mai 1972, von R kommend, auf einer Gemeindestraße in Richtung B. Neben ihr im Wagen saß ihre Mutter, Maria K die dessen Eigentümer und Halter sowie in bezug auf die über dieses Kraftfahrzeug mit der Beklagten geschlossenen Haftpflichtversicherung Versicherungsnehmer ist. Als die Klägerin den auf seinem Moped fahrenden Straßenwärter U überholte, streifte sie ihn und brachte ihn dadurch zum Sturz. Dabei erlitt U schwere Verletzungen. Die Klägerin wurde deshalb und weil sie es unterlassen hatte sich sogleich davon zu überzeugen, ob der Verunglückte einer Hilfe bedurfte, und die ihr zumutbare Hilfe zu gewähren, wegen Vergehens nach §§ 335, 337 lit. c StG rechtkräftig verurteilt. Mit dem Hinweis auf Art. 8 Abs. 1 Z. 1 AKHB und unter Einhaltung der Vorschrift des § 12 Abs 3 VersVG lehnte es die Beklagte ab, im Zusammenhang mit dem erwähnten Verkehrsunfall Versicherungsschutz zu leisten.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin - als mitversicherter berechtigter Lenker des versicherten Kraftfahrzeuges (Art. 1 Abs. 1 AKHB) - sinngemäß die Feststellung, daß ihr die Beklagte für den Schadensfall vom 10. Mai 1972 Versicherungsschutz zu leisten habe.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, gegen das sie einwendete, daß die Klägerin dem Verunglückten nicht Hilfe geleistet und daß sie auch nicht sofort die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle von dem Unfall verständigt habe. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen, die auf dem die Klägerin betreffenden Akt 25 E Vr 1419/72 des LG K beruhen, wurde diese erst im Zuge der über Anzeige des Sohnes des in den Tagen nach dem Unfall bewußtlosen Verunglückten eingeleiteten Gendarmerieerhebungen als die schuldtragende Fahrzeuglenkerin ausgeforscht. Erst nach längerem Zögern ließ sie sich angesichts einer am rechten hinteren Kotflügel des fraglichen PKWs verlaufenden Kratzspur zu dem Geständnis herbei, den Mopedfahrer gestreift zu haben. Nachdem dieser gestürzt war, hielt die Klägerin das Auto an, stieg aus, ging aber nicht zu dem bewußtlos neben der Straße liegenden Verletzten. Als sich bald darauf einige zur Unfallstelle gekommene Autofahrer um ihn bemühten, setzte sie sich wieder in das Fahrzeug und fuhr weiter.

Wie die der rechtlichen Sachbeurteilung zuzuordnenden erstrichterlichen Ausführungen im wesentlichen besagen, sei wegen der Bindung des Zivilgerichtes an das verurteilende Erkenntnis des Strafgerichtes (§ 268 ZPO) davon auszugehen, daß sich die Klägerin über die Hilfebedürftigkeit des Verunglückten nicht Klarheit verschafft und daß sie ihm die ihr zumutbare Hilfe nicht gewährt habe. Dadurch aber auch weil die Klägerin die sofortige Verständigung der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle unterlassen habe, habe sie den Tatbestand der Obliegenheitsverletzung nach Art. 8 Abs. 1 Z. 1 AKHB verwirklicht. Für die Frage, ob dies vorsätzlich geschehen sei, falle ins Gewicht, daß die Klägerin als Autofahrerin ihre vorbezeichnete Hilfeleistungs- und Anzeigepflicht habe bekannt sein müssen; Gegenteiliges habe sie auch gar nicht behauptet. Die in Rede stehende Obliegenheit verpflichte grundsätzlich zum Verbleiben an Ort und Stelle, um die notwendigen Feststellungen über den Unfallshergang, die Verantwortlichkeit der Beteiligten und den Schadensumfang zu ermöglichen (ZVR 1966/93). Darauf, daß ihr ihre Mutter, Maria K, gesagt habe, es sei nichts passiert, könne sich die Klägerin der gegebenen Sachlage ebensowenig berufen, wie auf die in der Klage herausgestellten Umstände, nämlich auf ihr jugendliches Alter, ihre Unerfahrenheit und ihre körperliche Behinderung (Stottern und durch ein Hüftgelenksleiden bedingte Unfähigkeit, sich beim Gehen anders als nur langsam fortzubewegen). Der Klägerin sei der von ihr zu erbringende Beweis, daß die fragliche Obliegenheitsverletzung nicht auf Vorsatz beruhe, mißlungen. Somit sei die Beklagte nach § 6 Abs. 3 VersVG leistungsfrei.

Über Berufung der Klägerin hob das Berufungsgericht das Ersturteil mit Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Streitsache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs Folge.

Der angefochtene Beschluß des Berufungsgerichtes wurde aufgehoben und diesem eine neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Daß die Klägerin, die im Art. 8 Abs. 1 Z. 1 AKHB umschriebene Obliegenheitsverletzung objektiv verwirklichte, bedarf unter den gegebenen Umständen keiner weiteren Erörterung und wird auch vom Berufungsgericht nicht in Frage gestellt. Diesem erscheint jedoch mit Rucksicht auf das Klagsvorbringen noch nicht hinlänglich geklärt ob die Obliegenheitsverletzung von der Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig begangen wurde, wobei es zutreffend und in Ubereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung (7 Ob 193/67 = JBl. 1968, 572; 7 Ob 195/73 u. a.) bemerkt, daß das Nichtvorhandensein dieser beiden Verschuldensformen vom Versicherungsnehmer (Versicherten) zu behaupten und zu beweisen ist. Entgegenzutreten ist aber in diesem Zusammenhang den zur Verwischung begrifflich notwendiger Abgrenzungen führenden Überlegungen der Berufungsinstanz, die ganz allgemein darauf abstellen, ob das Prozeßvorbringen der Klägerin dazu angetan ist, ihr "gemäß § 268 ZPO, feststehendes grundsätzliches Verschulden an der Obliegenheitsverletzung in einem wesentlich milderen Licht erscheinen zu lassen, als dies in der Regel bei Fahrerflucht der Fall ist". Denn ob der Klägerin sozusagen mildernde Umstände zugute zu halten sind, mag gewiß für die Unterscheidung zwischen grober und einfacher Fahrlässigkeit von Bedeutung sein, kann aber keinen Aufschluß darüber geben, ob das Verschulden der Klägerin grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz darstellt, welch letzterer voraussetzt, daß das die Obliegenheitsverletzung begrundende Verhalten ein bewußtes und gewolltes war. Unter Bezugnahme auf die Klagserzählung werden nun in der Berufungsentscheidung die einzelnen Umstände angeführt, die neben einem allfälligen Ausschluß grober Fahrlässigkeit auch einen solchen des Vorsatzes mit sich bringen konnten. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts ist jedoch letzteres, und zwar gleichgültig, ob man jeden dieser Umstände einzeln oder sie in ihrer Gesamtheit nimmt, zu verneinen, soweit es sich darum handelt, daß die Klägerin an einer gewissen Gehbehinderung und einer Sprachstörung leidet, daß sie ihrer als robust bezeichneten Mutter geistig unterlegen und zu ihr, im Unfallszeitpunkt nach der damaligen Gesetzeslage noch minderjährig, in einem Abhängigkeitsverhältnis stand und eine Bekanntschaft der Unfallsbeteiligten untereinander gegeben war. Hingegen käme allerdings die vom Berufungsgericht gleichfalls erwähnte Schockwirkung als Vorsatzausschluß in Betracht, nur wurde eine solche von der Klägerin ernstlich gar nicht behauptet. In der Klage heißt es lediglich, daß bei Beurteilung des Verhaltens der Klägerin , natürlich auch eine Schockwirkung zu berücksichtigen ist". Damit wird aber erkennbar nicht mehr behauptet, als die Klägerin damals in den üblichen Unfallsschreck versetzt war. Ein solcher bedeutet aber noch keineswegs eine dermaßen starke Zerrüttung der Bewußtseins- und Willerisbildung der betroffenen Person, daß diese als unzurechnungsfähig anzusehen wäre (11 Os 78/72 = ZVR 1973/139; 11 Os 58/73 u. a). Selbst wenn daher die erwähnte Klagebehauptung erwiesen wäre, könnte daraus im Einklang mit den Denkgesetzen nicht geschlossen werden, daß die Klägerin die fragliche Obliegenheit nicht vorsätzlich verletzt hätte, es ihr also, schlicht gesagt, ferne gelegen wäre, sich so rasch und unbemerkt wie möglich davonzumachen. Daß sich mit einer derartigen Absicht nahtlos in einen Rahmen fügt, hinterher die Täterschaft abzustreiten und sich erst ihrer im Indizienweg (Kratzer am Kotflügel) überführen zu lassen, sei nur am Rande angemerkt.

Da sich sohin die Sache im Sinne des Ersturteils als spruchreif erweist war dem Rekurs, wie geschehen, Folge zu geben.

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