Spruch:
Durch das bloße Abfüllen chemischer Produkte in Plastikfläschchen und deren Beschriftung durch einen Drogisten wird nicht der Eindruck der Identifikation wie bei der Selbstproduktion dieser Produkte erweckt. Der Händler (hier: Drogist) haftet dem Käufer gegenüber nur für die Erfüllung der ihn selbst treffenden Pflichten, aber nicht für jedes Verschulden des Produzenten
OGH 8. Mai 1979, 2 Ob 514/79 (OLG Graz 3 R 137/78; LG Graz 19 Cg 52/76)
Text
Der Kläger kaufte bei der Beklagten im April oder Mai 1975 SO2- Reagenz, um mit ihm den Schwefelgehalt seines Weines zu bestimmen. Da das gekaufte SO2-Reagenz zu stark eingestellt war, zeigte es einen nicht der Wirklichkeit entsprechenden, zu niedrigen Schwefelgehalt an. Um den üblichen und gesetzlich zulässigen Schwefelgehalt zu erreichen, nahm der Kläger im Vertrauen auf die richtige Zusammensetzung des SO2-Reagenz und die zutreffende Anzeige des Schwefelgehaltes eine Nachschwefelung vor. Dadurch hatte schließlich sein Wein einen unzulässig hohen Schwefelgehalt.
Er behauptete, dadurch einen Schaden von 166 000 S erlitten zu haben und begehrte diesen Betrag samt 5% Zinsen seit dem "Klagstag". Er machte geltend, daß das im Handel erhältliche und in Drogerien verkaufte SO2-Reagenz wegen des Verwendungszweckes (Untersuchung von Weinen) eine ganz bestimmte Zusammensetzung aufweisen müsse. Die Beklagte treffe als Drogistin eine erhöhte Sorgfaltspflicht und daher ein Verschulden an der falschen Zusammensetzung des gekauften SO2-Reagenz. Wer das Reagenz hergestellt habe, sei dem Kläger nicht bekannt, die Beklagte müsse aber auf jeden Fall für die richtige Zusammensetzung einstehen.
Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage und wendet u. a. ein, sie habe das Reagenz von einer anderen Drogerie gekauft und habe nicht erkennen können, daß es nicht in Ordnung sei. Sie sei nicht verpflichtet und auch technisch gar nicht in der Lage gewesen, die Zusammensetzung des Reagenz zu prüfen.
Die Beklagte hat dem Drogisten Kurt P, von dem sie das Reagenz bezogen hatte, den Streit verkundet, worauf ihr dieser als Nebenintervenient beitrat.
Das Erstgericht wies die Klage ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Erstgericht war der Auffassung, daß die Beklagte für den Mangel der verkauften Ware nicht hafte, weil ihr gemäß § 1298 ABGB der Beweis gelungen sei, daß sie kein Verschulden daran treffe. Eine gesetzliche Vorschrift zur Prüfung des Reagenz bestehe nicht, insbesondere falle es auch nicht unter die Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes. Die Beklagte besitze als Drogistin nicht die erforderlichen maßanalytischen Kenntnisse und auch nicht die technischen Einrichtungen für eine solche Untersuchung. Äußerlich sei der Mangel nicht erkennbar gewesen. Die Beklagte habe dem Kläger bei der ersten sich bietenden Gelegenheit, nämlich in der Klagebeantwortung, die Person ihres Lieferanten namhaft gemacht. Da dieser den Erzeuger verheimliche, habe er im Rahmen der sogenannten Produzentenhaftung für den Schaden des Klägers einzustehen, die Beklagte könne aber nicht haftbar gemacht werden.
Das Berufungsgericht übernahm nach teilweiser Beweiswiederholung die Feststellungen des Erstgerichts und teilte in rechtlicher Hinsicht dessen Ansicht.
Der Kläger führt in seiner Revision aus, daß die Beklagte entgegen der Auffassung der ersten und zweiten Instanz zur Prüfung des an den Kläger weiterverkauften Reagenz verpflichtet gewesen wäre. Es habe sich ja nicht um einen Markenartikel gehandelt, sondern um ein Produkt, das für den speziellen Fall der Überprüfung von Wein auf Schwefelgehalt hergestellt werde. Die Beklagte sei diejenige, die das Produkt auf den Markt und in den Handel bringe, und sie habe daher dafür einzustehen, daß es die üblichen Eigenschaften aufweise. Es sei auch zumindest in Analogie gerechtfertigt, Grundsätze des Lebensmittelrechtes anzuwenden. So wie jeder, der Lebensmittel verbreite, für die einwandfreie Beschaffenheit derselben hafte, müsse dies auch für die Beklagte gelten.
Die Beklagte und der Nebenintervenient verweisen darauf, daß nach der Rechtsprechung zur Produzentenhaftung immer nur der Produzent für die Fehler seiner Produkte hafte. Der Händler müsse für Mängel nur einstehen, wenn er selbst eine Prüfungspflicht verletzt habe.
Der Revision kommt keine Berechtigung zu.
Es entspricht einem Regelfall des heutigen Wirtschaftslebens, daß der Verbraucher eine Ware nicht direkt vom Hersteller bezieht, sondern sie von einem dazwischengeschalteten Händler kauft. Wenn dann der Verbraucher bei der Benutzung infolge eines Fehlers der gekauften Sache einen Schaden erleidet, taucht im Rahmen der sogenannten Produktehaftung das Problem auf, ob und wann dem Verbraucher gegenüber der Produzent haftet oder ob und wann ihm auch oder nur der Händler schadenersatzpflichtig ist.
Die Beklagte war jedenfalls nicht die Herstellerin des von ihr verkauften Reagenz. Es liegt auch nicht der im Schrifttum behandelte Fall vor (vgl. Bydlinski in Klang[2] IV/2, 186; Schmidt - Salzer, Produkthaftung, 116 bis 119; Diederichsen, Die Haftung des Warenherstellers, 379; vgl. auch den Porit-Kombiplattenfall, SZ 49/14), daß die Beklagte als Herstellerin auftrat und der Kläger daher ihr wie der Erzeugerin des Produktes vertraute. Die Klagserzählung enthält keine Hinweise dafür, daß der Kläger der Ansicht war, das Reagenz werde von der Beklagten selbst in der erforderlichen Weise zusammengemischt. Vielmehr verweist der Kläger darauf, daß es sich bei dem fraglichen Reagenz um eine im Handel erhältliche und feilgehaltene und in Drogerien verkaufte Ware handle (S. 2 und 3 der Klage). Dadurch, daß die Beklagte das Plastikfläschchen, in das sie die gekaufte Menge des Reagenz abfüllte, mit einer Beschriftung versah, die auf ihren Betrieb hinwies, wurde noch nicht der Eindruck erweckt, daß sich die Beklagte mit dem Fremdprodukt so identifiziere, wie wenn sie es selbst hergestellt hätte (Schmidt - Salzer a. a. O., 118). Diese Beschriftung sollte vielmehr nur die in Drogerien und Apotheken allgemein übliche Kennzeichnung der gekauften Ware beinhalten, neben der Bezeichnung der Firma der Beklagten enthält das am Fläschchen aufgeklebte Etikett nämlich auch den Hinweis, daß ein bestimmtes SO2-Reagenz darin enthalten sei (vgl. dazu auch § 29 Abs. 1 GiftVO über die vorgeschriebene Bezeichnung des Inhaltes und der Erzeugerfirma oder des abgebenden Händlers.) Zum anderen ist darauf hinzuweisen, daß auf der Plastikflasche, aus der das Reagenz abgefüllt wurde, auch der Lieferant der Beklagten angeführt war.
Die Beklagte haftet daher nur als Händlerin. Als solche hat sie dem Käufer gegenüber nur für die Erfüllung der sie selbst treffenden Pflichten (Auswahl eines geeigneten Erzeugers, einwandfreie Lagerung der Ware, Hinweis auf Gefahren, ordnungsgemäße Verpackung) einzustehen. Weil sie nach dem Inhalt des Kaufvertrages nicht zur Herstellung der Kaufsache verpflichtet ist, haftet sie hingegen nicht für jedes Verschulden des Produzenten. Der Erzeuger ist nicht, wie dies verschiedentlich im Schrifttum geäußert wurde (Gschnitzer, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, 145; Esser, Schuldrecht[2], 215, und neuerdings Reischauer, Entlastungsbeweis, 249, 251) der Erfüllungsgehilfe des Händlers. Den Händler trifft hinsichtlich der Qualität der Ware wohl eine gewisse Prüfungspflicht, wobei an einen Fachhändler entsprechend strengere Anforderungen gestellt werden müssen. Der Käufer kann aber auch von einem Drogisten regelmäßig nicht erwarten, daß dieser eine eigene kostspielige technische Kontrolle der Kaufsache vornimmt (Bydlinski a. a. O., 175; Schmidt - Salzer a. a. O., 118; Diederichsen a. a. O., 34; Esser in Schuldrecht[4] I, 255; wo die in der früheren Auflage vertretene Auffassung geändert wurde; Migsch in RdA 1977, 280; Purtscheller in Kramer - Mayrhofer, Konsumentenschutz, 78; Koziol, Haftpflichtrecht I, 232; SZ 49/14 oder die Judikaturbeispiele I/23 und I/41 bei Schmidt - Salzer, Entscheidungssammlung zur Produkthaftung).
Nach den getroffenen Feststellungen ist es bei einem Drogisten weder üblich noch besitzt er das nötige Fachwissen und die nötigen technischen Einrichtungen, um die vom Hersteller gekauften Chemikalien auf ihre richtige chemische Zusammensetzung zu überprüfen. Es würde aber auch eine Überspannung der Sorgfaltspflichten eines Drogisten bedeuten, wenn man von ihm fordern würde, daß er bei einem Reagenz dieser Art nach jeder Lieferung einen Wein mit einem feststehenden Schwefelgehalt beschafft, um das Reagenz an diesem auf seine ungefähr zutreffende Zusammensetzung (eine genaue Prüfung wäre ja nur durch eine chemische Maßanalyse möglich) zu erproben.
Der von der Revision angezogene Jauchenfaßfall (8 Ob 174, 175/1972) ist ganz anders gelagert. Dort brachte ein Importeur im Inland erstmals eine gefahrenträchtige Ware auf den Markt, weshalb hier eine besonders strenge Prüfungspflicht zumutbar war. Auch in allen sonst irgendwie vergleichbaren Judikaturbeispielen hatte der Händler für die Verletzung einer ihn selbst treffenden Pflicht einzustehen. Im Leiterfall (SZ 46/79, in SZ 49/14 unrichtig zitiert als SZ 46/59) ging es etwa darum, daß der Händler Metalleitern verkaufte, die für ihn als Fachmann erkennbar nicht die in bestimmten Ö-Normen vorgesehenen Sicherheitsvorkehrungen aufweisen. Im Hydraulikölfall (SZ 41/156) gab ein Händler ein für eine bestimmte Autotype nicht geeignetes Hydrauliköl ab. Im Schaufelladerfall (EvBl. 1971/176) hatte der Händler eine ihn treffende Anleitungs- und Belehrungspflicht verletzt.
Der Hinweis des Klägers auf die Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes versagt schon deshalb, weil keiner der im § 1 Abs. 1 LMG aufgezählten Anwendungsfälle dieses Gesetzes gegeben ist. Im übrigen würden auch nach Lebensmittelrecht den Letztverkäufer keine unzumutbaren Kontrollpflichten treffen. Nur beim erstmaligen Bezug von einem Lieferanten oder nach einer einmal erfolgten Beanstandung oder wenn andere besondere Umstände gegeben wären, würde eine eingehendere Überprüfung der Ware nötig sein, sonst hingegen müßte die angelieferte Ware nur durch Sinnenprüfung auf erkennbare Mängel geprüft werden (Brustbauer - Jesionek - Petuely - Wrabetz, Komm. zum LMG, 261 oder ÖLMB, III. Aufl., Kapitel A 1, Abs. 48 bis 52).
Wenn die Revision schließlich mit der Überlagerung zu argumentieren sucht, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt, wonach eine solche Überschreitung der Lagerzeit noch nicht gegeben war, abgesehen davon, daß nach den getroffenen Feststellungen in diesem konkreten Fall eine Überlagerung die Beschaffenheit des schon bei der Herstellung zu stark eingestellten Reagenz durch entsprechend natürliche Abschwächung sogar verbessert hätte.
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