Spruch:
Auch dann, wenn die Vormundschaft über ein in der Bundesrepublik Deutschland befindliches uneheliches österreichisches minderjähriges Kind gemäß Art. I des Vormundschaftsabkommens BGBl. 269/1927 von Behörden in der Bundesrepublik Deutschland geführt wird, bestehen die inländische Gerichtsbarkeit und eine Rechtszuständigkeit jenes inländischen Gerichtes weiter, bei welchem die Vormundschaft zuletzt im Inland geführt wurde. In Ermangelung eines solchen bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit des die Restzuständigkeit wahrnehmenden Vormundschaftsgerichtes nach § 109 (1) JN; sonst hat eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 28 JN zu erfolgen
OGH 15. Dezember 1977, 6 Nd 550/77 (P 7/77 BG Spittal/Drau)
Text
Die am 8. Juni 1969 unehelich geborene minderjährige M F (nunmehr durch Namensgebung M K) ist österreichische Staatsbürgerin und hat - ebenso wie ihre Mutter - den Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland. Vor ihrer Übersiedlung wohnten die Mutter und das Kind zuletzt in Wien, Pötzleinsdorferhöhe, also im Sprengel des Bezirksgerichtes Döbling. Mit der Führung der vormundschaftlichen Geschäfte war jedoch kein Wiener Gericht befaßt. Daß eine Vormundschaft bei irgendeinem anderen österreichischen Gericht geführt worden wäre, ist dem Akt nicht zu entnehmen. Das Bezirksjugendamt für den 17. und 18. Wiener Gemeindebezirk hat mit Schreiben vom 12. Oktober 1970 die Amtsvormundschaft an das Jugendamt der Stadt Düsseldorf abgegeben, von welcher sie das Jugendamt Ratingen im März 1975 übernahm. Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Greifenburg vom 14. Jänner 1971 wurde D W als Vater der Minderjährigen festgestellt und zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 500 S verurteilt.
Am 21. Dezember 1976 stellte das Jugendamt Ratingen beim Bezirksgericht Spittal/Drau, in dessen Sprengel der Vater des Kindes wohnt, den Antrag auf Festsetzung des Regelunterhaltes in der Höhe von zunächst 200 DM zuzüglich 500 S monatlich ab 1. November 1976. Das Begehren wurde in der Folge auf 175 DM monatlich eingeschränkt.
Mit Beschluß vom 17. Juni 1977 erkannte das Erstgericht den außerehelichen Vater schuldig, ab 21. Dezember 1976 einen monatlichen Unterhalt von 175 DM zu bezahlen und wies das Mehrbegehren auf Erhöhung des Unterhaltes bereits ab 1. November 1976 ab.
Mit rechtskräftigem Beschluß vom 13. September 1977, ON 18, hob das Rekursgericht diesen Beschluß aus Anlaß eines Rekurses des außerehelichen Vaters insoweit auf, als der Unterhalt ab 21. Dezember 1976 auf einen 800 S monatlich übersteigenden Betrag erhöht worden war und trug dem Erstgericht auf, diesbezüglich das Verfahren nach § 28 JN einzuleiten. Es vertrat die Rechtsansicht, daß zwar die inländische Gerichtsbarkeit gegeben sei, weil das Kind die österreichische Staatsbürgerschaft besitze, es jedoch an einem örtlich zuständigen Gericht fehle. Das Bezirksgericht Spittal/Drau sei gemäß § 109 JN zur Entscheidung über den Unterhaltserhöhungsantrag nicht zuständig, weil die Minderjährige ihren allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen nicht im Sprengel dieses Gerichtes habe. Die Vorschrift des § 109a JN komme nicht zur Anwendung, weil keiner der im § 1 Z. 1 bis 3 der Justizministerialverordnung vom 11. August 1914, RGBl. 209, genannten Umstände vorliege. Da bei einem anderen österreichischen Gericht, insbesondere bei einem Gericht in Wien, auch zur Zeit, als die Minderjährige mit ihrer Mutter noch in Wien wohnte, ein Vormundschaftsverfahren nicht anhängig gewesen sei, könne auch die Bestimmung des § 29 JN nicht zum Tragen kommen. Es müsse daher vom OGH gemäß § 28 JN ein örtlich zuständiges Gericht bestimmt werden. So lange eine Entscheidung nach § 28 JN nicht vorliege, stehe aber die örtliche Unzuständigkeit des Bezirksgerichtes Spittal/Drau noch nicht fest, so daß lediglich der noch nicht in Rechtskraft erwachsene Teil des erstgerichtlichen Beschlusses aufzuheben gewesen sei.
Nunmehr legte das Bezirksgericht Spittal/Drau den Akt zur Bestimmung eines örtlich zuständigen Gerichtes gemäß § 28 JN an den OGH vor.
Der Oberste Gerichtshof lehnte die Bestimmung eines örtlich zuständigen Vormundschaftsgerichtes ab.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Zunächst muß geprüft werden, ob bei diesem Sachverhalt die inländische Gerichtsbarkeit gegeben ist und der Anspruch im außerstreitigen Verfahren geltend gemacht werden kann.
Beides ist zu bejahen.
Nach Lehre und Rechtsprechung (Walker - Verdroß - Satter in Klang[2] I/1, 257; Köhler, Internat. Privatrecht[3], 78; Fasching I, 526;
Schwind, Handbuch des österr. Internat. Privatrechts, 238; Mänhardt,
Das Internat. Personen- und Familienrecht Österreichs, 45; SZ 45/31;
EvBl. 1973/115, S. 265 u. a.) ist über einen Österreicher die Vormundschaft oder Pflegschaft grundsätzlich in Österreich anzuordnen und zu führen. Im vorliegenden Fall wurde allerdings bisher bei keinem österreichischen Gericht eine Vormundschaft geführt. Auch zu einer Übertragung der Vormundschaft gemäß § 111 Abs. 3 JN an ein ausländisches Gericht ist es nach der Aktenlage nicht gekommen. Die Minderjährige befindet sich jedoch in der Bundesrepublik Deutschland, so daß diesbezüglich das Vormundschaftsabkommen vom 5. Feber 1927, BGBl. 269, gilt, welches ab 1. Oktober 1959 zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland wieder anwendbar ist (JABl. 1959, 143). Nach Art. I Abs. 1 dieses Abkommens wird ein Minderjähriger, der dem einen Staat angehört (Heimatstaat), sich aber gewöhnlich in dem anderen Staat aufhält (Aufenthaltsstaat), von den Behörden des Aufenthaltsstaates bevormundet; gemäß Art. I Abs. 2 können die Behörden des Heimatstaates aber jederzeit die Aufhebung der Vormundschaft verlangen; von der Aufhebung ist der ersuchenden Behörde Mitteilung zu machen. Art. II Abs. 1 des Abkommens ordnet an, daß dann, wenn ein Minderjähriger, der in seinem Heimatstaat bevormundet wird, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in den anderen Staat verlegt, dort zu bevormunden ist, wenn es die Vormundschaftsbehörde des Heimatstaates verlangt. Vom Eintritt der neuen Vormundschaft ist der bisherigen Vormundschaftsbehörde Mitteilung zu machen (Art. II Abs. 2).
Aus der Tatsache, daß der Heimatstaat jederzeit die Führung der Vormundschaft an sich ziehen bzw. wieder an sich ziehen kann, ergibt sich nun, daß auch dann, wenn die Vormundschaft nach diesem Übereinkommen in der Bundesrepublik Deutschland geführt wird, die inländische Gerichtsbarkeit jedenfalls besteht und eine Restzuständigkeit jenes inländischen Gerichtes aufrechtgeblieben ist, bei welchem die Vormundschaft zuletzt im Inland geführt wurde. Mangels tatsächlicher Führung einer Vormundschaft im Inland bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit eines Vormundschaftsgerichtes, welches diese Kompetenz wahrzunehmen hat, nach § 109 Abs. 1 JN; erst wenn keiner der dort angeführten Fälle vorliegt, hat eine Gerichtsstandbestimmung nach § 28 JN zu erfolgen. Es kann daher auch bei Führung der Vormundschaft durch eine Behörde der Bundesrepublik Deutschland letzten Endes nicht an einem zuständigen inländischen Vormundschaftsgericht fehlen. Ist aber eine solche Zuständigkeit gegeben, dann ist dieses Gericht gemäß § 114 Abs. 2 JN auch berufen, im Verfahren außer Streitsachen über Unterhaltsansprüche des im Ausland befindlichen österreichischen minderjährigen Kindes zu entscheiden. Nach ständiger Rechtsprechung (SZ 44/161; SZ 47/51 u. a.) entspricht nämlich die neugefaßte Bestimmung des § 114 Abs. 2 JN dem seinerzeitigen § 16 Abs. 2 der ersten Teilnovelle zum ABGB. Die Unterhaltsansprüche außerehelicher österreichischer minderjähriger Kinder sind daher auch nach neuem Recht weiterhin im Verfahren außer Streitsachen geltend zu machen. Dies muß auch dann gelten, wenn die Vormundschaft über das österreichische Kind derzeit von einer ausländischen Behörde geführt wird. Der in der Entscheidung 8 Ob 149/75 (EFSlg. 24 605) im Falle einer Übertragung nach § 111 Abs. 3 JN vertretenen Rechtsansicht, der Unterhaltsanspruch müsse in einem solchen Fall im streitigen Verfahren geltend gemacht werden, weil es für eine Vormundschaftsgerichtsbarkeit an der weiteren inländischen Gerichtsbarkeit fehle, kann nicht beigetreten werden. Die dort zitierte Entscheidung EvBl. 1970/113, S. 184 betraf überdies einen anders gelagerten Fall. Damals wurde nämlich die außerstreitige Gerichtsbarkeit deshalb verneint, weil das im Ausland befindliche Kind inzwischen die ausländische Staatsbürgerschaft erworben und die österreichische verloren hatte und es daher an einer inländischen Vormundschaftsgerichtsbarkeit fehlte. Auch bei der gleichfalls in 8 Ob 149/75 (EFSlg. 24 605) zitierten Entscheidung RZ 1974/87, S. 171 handelte es sich um ein im Ausland wohnhaftes ausländisches Kind und somit um einen anderen Sachverhalt. Im vorliegenden Fall besteht dagegen, wie dargelegt, weiterhin eine inländische Vormundschaftsgerichtsbarkeit und damit auch die Möglichkeit, den Unterhaltsanspruch des im Ausland befindlichen österreichischen Kindes gemäß § 114 Abs. 2 JN im Verfahren außer Streitsachen geltend zu machen.
Es muß daher nur noch geprüft werden, ob - da bisher eine Vormundschaft für die Minderjährige im Inland nicht geführt wurde - ein örtlich zuständiges Vormundschaftsgericht aus § 109 Abs. 1 JN abgeleitet werden kann oder ob eine Gerichtsstandbestimmung nach § 28 JN erfolgen muß. Diese Prüfung ergibt:
Wohl besitzt die Minderjährige derzeit im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand in Streitsachen, so daß die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines inländischen Gerichts nach § 109 Abs. 1 Satz 1 JN nicht gegeben sind. Gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 JN ist jedoch zur Bestellung des Vormundes für einen Inländer, für den im Inland ein allgemeiner Gerichtsstand in Streitsachen nicht besteht, jenes Bezirksgericht zuständig, in dessen Sprengel der Vater oder die uneheliche Mutter ihren letzten inländischen Gerichtsstand oder Aufenthalt gehabt haben. Ein solcher bestand bezüglich der unehelichen Mutter des Kindes im Sprengel des Bezirksgerichtes Döbling. Dieses Gericht ist daher zur Durchführung der im konkreten Fall erforderlichen vormundschaftsgerichtlichen Maßnahmen zuständig, weshalb für eine Gerichtsstandbestimmung nach § 28 JN weder Anlaß noch Raum besteht.
An der Zuständigkeit des Bezirksgerichtes Döbling ändert auch der Umstand nichts, daß das Bezirksgericht Spittal/Drau bereits rechtskräftig eine teilweise Unterhaltserhöhung vorgenommen und damit seine Zuständigkeit in Anspruch genommen hat. Gemäß § 29 JN, welche Bestimmung auch im Verfahren außer Streitsachen gilt, ist nämlich Voraussetzung für den Eintritt der perpetuatio fori, daß die Rechtssache bei diesem Gericht rechtmäßigerweise anhängig gemacht wurde. Wenn auch die Rechtsprechung diesbezüglich keinen allzu strengen Maßstab angelegt hat (vgl. SZ 45/31), so konnte das Bezirksgericht Spittal/Drau doch auch nach den ihm seinerzeit zur Verfügung stehenden Unterlagen keineswegs davon ausgehen, daß es als Vormundschaftsgericht zuständig sei. Es wird daher, nachdem seine Unzuständigkeit vom Rekursgericht aufgegriffen wurde, die Rechtssache gemäß § 44 Abs. 1 JN an das zuständige Bezirksgericht Döbling zur weiteren Erledigung abzutreten haben.
Zweckmäßigkeitserwagungen im Sinne des § 111 (1) JN können vom OGH aber im Rahmen einer Entscheidung nach § 28 JN nicht angestellt werden.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)