Spruch:
Der Bund haftet für schuldhaftes Verhalten von Postorganen bei der Beförderung von Postgut auch dann, wenn es sich um die Durchführung eines gerichtlichen Zustellungsauftrages handelt, nur dem Absender gegenüber, nach den Bestimmungen des Postgesetzes, nicht aber nach den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes
OGH 4. Oktober 1977, 1 Ob 20/77 (OLG Innsbruck 2 R 147/77; LG Innsbruck 6 Cg 546/76)
Text
Die klagende Partei hatte in einem Verfahren des Erstgerichtes Ernst H auf Bezahlung eines Betrages von 161 500 S samt Anhang geklagt. Die erste Tagsatzung war für den 14. Oktober 1975 angesetzt. Am 30. September 1975 versuchte der Zusteller des Postamtes S, die für H bestimmte Gleichschrift der Klage samt Ladung zur ersten Tagsatzung zuzustellen. Da er H nicht antraf, ließ er eine an diesen gerichtete Aufforderung zurück, zur Empfangnahme eines Schriftstückes des Landesgerichtes Innsbruck anwesend zu sein, ohne jedoch in der Aufforderung Tag und Stunde des anstehenden neuerlichen Zustellversuches anzuführen. Da die Aufforderung somit keinen konkreten Befehl enthielt, wurde sie von den Mitarbeitern des damaligen Beklagten beiseite gelegt. Beim zweiten, am 1. Oktober 1975 durchgeführten Zustellversuch konnte der Zusteller Ernst H abermals nicht antreffen. Er schrieb daraufhin eine Anzeige über die Hinterlegung des Zustellstückes beim Postamt S und ließ diese auf dessen Schreibtisch liegen. Das am 2. Oktober 1975 beim Postamt S hinterlegte Zustellstück wurde von Ernst H erst am 20. Oktober 1975 behoben. Zur ersten Tagsatzung erschien daher für den damaligen Beklagten niemand, worauf über Antrag der klagenden Partei Versäumungsurteil erging. Dieses wurde von Ernst H mit einer auf den Nichtigkeitstatbestand des § 477 Abs. 1 Z. 4 ZPO gestützten Berufung bekämpft, weil er in der Zeit vom 30. September 1975 bis einschließlich 2. Oktober 1975 verreist gewesen sei. Die klagende Partei erstattete gegen diese Berufung eine Berufungsmitteilung, in welcher sie ausführte, daß H bereits am 3. Oktober 1975 zurück gewesen sei und seine Angestellten an diesem Tage von der Hinterlegung des Poststückes hätten verständigen müssen. H hätte als Kaufmann während seiner Abwesenheit für eine entsprechende Vertretung sorgen müssen und habe für die Nachlässigkeit seiner Angestellten einzutreten. In Stattgebung der Berufung wurde das angefochtene Versäumungsurteil aufgehoben und die Rechtssache gemäß § 478 Abs. 2 ZPO zur weiteren Verhandlung an das Erstgericht zurückverwiesen. Da der aufgezeigte Nichtigkeitstatbestand weder einer der Parteien noch dem Gericht zum Verschulden zugerechnet wurde, wurden die von der Nichtigkeit betroffenen Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens sowie die Kosten des Berufungsverfahrens gemäß § 51 Abs. 3 ZPO gegenseitig aufgehoben. Der klagenden Partei waren für die erste Tagsatzung am 14. Oktober 1975, für die Berufungsmitteilung vom 25. Oktober 1975 und für die Beweistagsatzung am 16. Feber 1976 zusammen 9401.36 S an Kosten entstanden.
Mit Schreiben vom 26. April 1976 forderte die klagende Partei die beklagte Republik Österreich zur Anerkennung ihres Schadens in Höhe von 8041.68 S auf. Der Anspruch wurde von der beklagten Partei jedoch abgelehnt.
Das Erstgericht wies das auf das Amtshaftungsgesetz gestützte Begehren der klagenden Partei ab. Durch das Postgesetz (BGBl. 58/1957) sei für die Haftung der Postbediensteten eine abweichende Sonderregelung gegenüber dem Amtshaftungsgesetz geschaffen worden, die ihre Grundlage im Art. 23 Abs. 5 B-VG habe. Die §§ 31 bis 40 des Postgesetzes regelten die Haftung der Post im Rahmen der Beförderung von Postsendungen und des Geldverkehrs unter Ausschluß jeder anderen Vorschrift und unter Berücksichtigung der Eigenart des Postbetriebes. Diese Vorschriften seien auch dann anzuwenden, wenn Organe der Post die Zustellvorschriften der Zivilprozeßordnung verletzten. Aus den §§ 31 bis 40 des Postgesetzes ergebe sich, daß die Post nur für Verlust oder Beschädigung, für die Verzögerung in der Beförderung und für übernommene Geldbeträge hafte. Daraus folge, daß die Beklagte aus dem Titel des Amtshaftungsgesetzes für den von der klagenden Partei behaupteten Schaden nicht in Anspruch genommen werden könne.
Das Gericht zweiter Instanz hob über Berufung der klagenden Partei dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache unter Rechtskraftvorbehalt zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es vertrat den Standpunkt, daß die Bestimmungen der §§ 31 bis 40 des Postgesetzes und § 124 der Postordnung im Gegensatz zur Ansicht des Erstgerichtes eine Haftung nach § 1 AHG nicht ausschlössen. Die genannten Bestimmungen des Postgesetzes bzw. der Postordnung seien auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden, weil es sich bei der Zustellung einer Klage nach § 106 ZPO, bei der nach den Behauptungen der klagenden Partei das als Zusteller tätige Organ der Post die Aufforderung nach § 101 ZPO nicht ordnungsgemäß ausgefüllt habe, um keinen der in den §§ 31 bis 40 des Postgesetzes geregelten Haftungsfälle handle. Nach § 88 Abs. 1 ZPO seien Zustellungen im Inland durch die Post zu vollziehen. In diesen Fällen seien von den Postorganen die Vorschriften der §§ 87 ff. ZPO anzuwenden, die gegenüber den allgemeinen Zustellvorschriften der Postordnung Vorrang hätten. Wenn daher das Organ der Post, das die gegenständliche Zustellung vorgenommen hat, durch ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten bei der Zustellung (§ 106 Abs. 2 ZPO) der klagenden Partei einen Schaden zugefügt habe, dann seien die Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes anzuwenden, weil kein Zweifel darüber bestehen könne, daß das betreffende Zustellorgan der Post im Rahmen der Hoheitsverwaltung tätig geworden sei. Der Lehre und neueren Rechtsprechung folgend vertrat das Gericht zweiter Instanz ferner die Auffassung, daß Prozeßkosten, die einer Partei durch Verschulden eines Dritten verursacht worden seien, Gegenstand eines Schadenersatzanspruches nach dem Amtshaftungsgesetz bilden könnten. Das Erstgericht sei auf Grund einer unrichtigen Rechtsansicht zur Klagsabweisung gelangt. Die Rechtssache sei jedoch noch nicht spruchreif, denn Voraussetzung für jeden Schadenersatzanspruch sei ein adäquater Kausalzusammenhang, der vorliegend verneint werden müßte, wenn Ernst H bei der Zustellung der Klage "ortsabwesend" gewesen wäre. Da das erstgerichtliche Urteil keine Feststellungen zur Behauptung der Beklagten enthalte, der behauptete Fehler des Zustellers sei für den entstandenen Schaden nicht kausal gewesen, da die ortsabwesende Partei von der Zustellung auch im Falle einer ordnungsgemäßen Aufforderung nicht Kenntnis erlangt hätte, bzw. Kenntnis erlangen hätte können, sei das Urteil des Erstgerichtes im Sinne des § 496 Abs. 1 Z. 3 ZPO aufzuheben.
Über Rekurs der beklagten Partei hob der Oberste Gerichtshof den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und trug diesem auf, über die Berufung der klagenden Partei unter Abstandnahme vom gebrauchten Aufhebungsgrund neuerlich zu entscheiden.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Es ist davon auszugehen, daß die Zustellung der gegenständlichen Klage über Veranlassung des Gerichtes entsprechend der Bestimmung des § 88 Abs. 1 ZPO durch die Post erfolgen sollte. Da die Tätigkeit der Gerichte eine hoheitliche ist, hat dies auch für die gerichtlichen Zustellungen durch die Post zu gelten Fasching II, 564; SZ 41/12). Dies würde an sich bedeuten, daß der Bund für Schäden aus fehlerhafter Zustellung nach den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes zu haften hätte (Loebenstein - Kaniak, Kommentar zum Amtshaftungsgesetz, 18). Der Gesetzgeber hat aber bei der Regelung dieses Problems, das weitgehend auch mit jenem der Höhe der Postgebühren verquickt ist, in besonderem Maße auf die Eigenart des Postbetriebes als einer "Einrichtung der öffentlichen Verwaltung" (§ 26 PostG) Rücksicht genommen. Die Eigenart des Postbetriebes ist dadurch gekennzeichnet, daß die mit der Beförderung, vor allem aber auch die mit dar Zustellung (Abgabe) postpflichtiger Sendungen betrauten Organe eine Vielzahl gesetzlicher Vorschriften zu beobachten haben, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben im Regelfall unter einem gewissen Zeitdruck stehen und nicht immer in der Lage sind, in Zweifelsfällen die maßgeblichen Vorschriften einzusehen und sich von der Gesetzmäßigkeit ihrer Tätigkeit zu überzeugen (Schaginger - Trpin, Postgesetz und Postordnung, 143). Diese betriebswirtschaftlichen, in der Mehrzahl der übrigen Verwaltungszweige des Bundes nicht anzutreffenden Besonderheiten der Posteinrichtungen rechtfertigen nun die in Art. 23 Abs. 5 B-VG ,normierten, das Gebiet des Post-, Telegraphen- und Fernsprechwesens betreffenden Sonderbestimmungen ebenso wie die Regelung des § 1317 ABGB, die besagt, daß besondere Vorschriften bestimmen, inwieweit bei öffentlichen Versendungsanstalten - und dazu gehört auch die Post - für den Schaden eine Haftung übernommen werde.
Es sei in diesem Zusammenhang auf § 39 PostG verwiesen, der eine Verdoppelung der Haftungshöchstbeträge bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit vorsieht. Hiezu erwähnten die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (95 BlgNr., VIII. GP. 22) ausdrücklich den Art. 23 Abs. 5 B-VG und dessen Ermächtigung, durch ein Bundesgesetz zu bestimmen, inwieweit auf dem Gebiete des Postwesens von dem Grundsatz der Amtshaftung abweichende Sonderbestimmungen gelten. Es heißt dort dann wörtlich: "Die im Art. 23 des Bundesverfassungsgesetzes in der Fassung von 1929 seit nahezu drei Jahrzehnten vorgesehene bundesgesetzliche Regelung der Haftung des Bundes (also nicht allein der Post, wie nach der Überschrift des § 31 PostG entnommen werden könnte) auf dem Gebiete des Postwesens ist nunmehr in den §§ 31 bis 40 des Entwurfes enthalten, wobei die Besonderheiten des Postbetriebes weitestgehend berücksichtigt wurden. Durch § 39 soll nun diese Haftung gleichzeitig den in der Verfassung verankerten Grundsätzen der Amtshaftung in einem durchaus vertretbaren Ausmaß angenähert werden" (vgl. Schaginger - Trpin a. a. O., 182). Damit erscheint klargestellt, daß nach dem Willen des Gesetzgebers die Haftungsbestimmungen im Postgesetz abschließend geregelt werden und eine andere Haftung für schuldhaftes Verhalten von Postorganen bei der Beförderung von Postgut nicht vorgesehen ist, insbesondere nicht nach dem Amtshaftungsgesetz.
Zutreffend verweist das Erstgericht darauf, daß die §§ 31 bis 40 PostG - denen auch Zustellungen nach den §§ 87 ff. ZPO unterstellt sind Schaginger - Trpin a. a. O., 143), womit zusätzlich klargestellt erscheint, daß die (eingeschränkte) Sonderhaftung der Post auch dann gilt, wenn die Post zur Erfüllung gerichtlicher Zustellaufträge herangezogen wird, auch wenn es sich indirekt um Aufgaben der Gerichte handelt - jene Sonderbestimmungen darstellen, in denen die Haftung der Post im Rahmen der Beförderung von Postsendungen und des Geldverkehrs unter Ausschluß jeder anderen Vorschrift, also auch des Amtshaftungsgesetzes, geregelt werden (Schaginger - Trpin a. a. O., 140 und 143).
Die Haftungsbestimmungen des Postgesetzes (§§ 31 bis 36), die eine Erfolgshaftung statuieren, bringen klar und unmißverständlich zum Ausdruck, daß die Post nur für den Verlust oder Beschädigung bescheinigter (§ 31 Satz 1 PostG), sowie in bestimmten Fällen für Verzögerungen in der Beförderung von Postsendungen haftet und daß Ersatzansprüche nur vom Absender im Rahmen des zwischen diesem und der Post bestehenden Rechtsverhältnisses geltend gemacht werden können (§ 41 Abs. 1 PostG). Die Haftungsbestimmungen des Postgesetzes - und nur diese - sind aber auch dann anzuwenden, wenn postseitig Beförderungsbedingungen nicht eingehalten wurden, die - wie gegenständlich - außerhalb des Postrechtes geregelt sind (ZPO, StPO, AVG usw.). Im übrigen erwähnen Schaginger - Trpin (a. a. O., 182) zutreffend, daß § 39 PostG nur die Haftungshöchstbeträge, nicht aber die Haftungsfälle erweitere.
Werden nun diese Grundsätze beachtet, dann ist dem Erstgericht darin beizupflichten, daß die Post bzw. der Bund für den behaupteten Schaden der klagenden Partei - die auch nicht Absenderin der gegenständlichen Sendung war - aus dem allein geltend gemachten Titel des Amtshaftungsgesetzes nicht in Anspruch genommen werden kann (vgl. QuHGZ 1970/66, 241). Hiebei soll nicht unerwähnt bleiben, daß gegenständlich zwar nicht eine Haftung für "Verlust" oder "Beschädigung", aber eine solche für "Verzögerung" (§ 32 PostG) in Betracht käme, weil eine Verzögerung auch durch eine zunächst nicht dem Gesetz gemäß vorgenommene Zustellung eingetreten sein kann (vgl. Schaginger - Trpin a. a. O., 161). Aber auch damit wäre für die klagende Partei nichts gewonnen, da Ersatzansprüche - wie dargetan - nur dem Absender zustehen und solche nur auf die im § 41 PostG erwähnte Weise, nicht aber im Wege der Amtshaftungsklage geltend zu machen sind.
Diese grundsätzlichen Ausführungen stehen auch nicht im Widerspruch zu den Entscheidungen des OGH, EvBl. 1969/391 und SZ 36/115, mit denen einerseits ausgesprochen wurde, daß die Paketbeförderung durch die Post zur Hoheitsverwaltung gehört und andererseits, daß die Beschädigung einer dritten Person im Zuge eines Verkehrsunfalles durch ein Fahrzeug der Post, welches sich im Einsatz zur Postbeförderung befand, einen Amtshaftungsfall darstellt. Die Haftungsbeschränkungen der Post nach den §§ 31 ff. PostG gelten - wie oben dargetan - nur für Unzukömmlichkeiten oder Fehler bei Erfüllung der der Post nach dem Postgesetz und der Postordnung bei der Postbeförderung gegenüber dem Absender obliegenden Pflichten, daher auch im gegenständlichen Fall, in dem das Gericht Absender und die dem Gesetz gemäße Zustellung nicht nur eine öffentlichrechtliche, sondern auch eine Pflicht dem Absender gegenüber war. Es ist in diesem Zusammenhang der beklagten Partei beizupflichten, daß unter "Beförderung" jene Tätigkeit zu verstehen ist, die mit der Annahme, Weiterleitung oder Abgabe (= gesetzmäßige Zustellung) von Sendungen verbunden ist (§ 9 Satz 2 PostG). In diesen Fällen sind nicht nur Ansprüche des Absenders beschränkt, sondern bestehen Ansprüche Dritter überhaupt nicht.
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