OGH 7Ob227/75

OGH7Ob227/7527.11.1975

SZ 48/127

Normen

StPO §393 Abs4
VersVG §150
StPO §393 Abs4
VersVG §150

 

Spruch:

Unter dem Begriff der "Verteidigung" in § 150 Abs. 1 VersVG ist auch die Abwehr einer Gegenforderung zu verstehen, die der Dritte in einem über Klage des Versicherungsnehmers gegen ihn anhängigen Zivilprozeß compensando einwendet. Die Verpflichtung des Versicherers zur Abwehr einer derart eingewendeten Gegenforderung beginnt mit deren Geltendmachung. Ihr Ausmaß richtet sich nach dem des Prozeßaufwandes zur Durchsetzung der Klagsforderung einerseits und zur Abwehr der Gegenforderung andererseits, nicht nach dem Erfolgsprinzip.

Wird der Versicherer in diesem Falle kostenpflichtig im Sinne des § 150 VersVG, dann ist er auch zum Ersatz der Privatbeteiligtenkosten verpflichtet. Für deren Ausmaß ist im Rahmen des § 150 VersVG jedoch nicht das Prozeßergebnis maßgeblich, sondern der Umstand, wie weit die Kosten im Ergebnis zur Führung des Aktivprozesses und zur Abwehr der Gegenforderung dienlich waren

OGH 27. November 1975, 7 Ob 227/75 (LG Innsbruck 2 R 631/75; BG Innsbruck 6 C 2099/75)

Text

Die Klägerin war am 27. April 1972 Halter eines bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten PKWs der Type Puch 500. An diesem Tag kam es zwischen diesem von der Klägerin gelenkten PKW und einem von Johanna S gelenkten PKW zu einem Zusammenstoß, wodurch beide Fahrzeuge beschädigt wurden. Die Klägerin machte ihre aus diesem Unfall abgeleiteten Schadenersatzansprüche gegen Johanna S und deren Haftpflichtversicherer in der Höhe von 15.444.80 S gerichtlich geltend und schränkte dieses Begehren schließlich auf den Betrag von 14.696.80 S ein. In diesem Verfahren wendeten die dort beklagten Parteien den der Johanna S entstandenen Unfallschaden in der Höhe von 25.691.90 S bis zur Höhe des Klagsbetrages compensando ein und erhoben einen Mitverschuldenseinwand. Das Prozeßgericht nahm eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 2 : 1 zugunsten der Klägerin an und erkannte die Klagsforderung mit dem Betrag von 8617.58 S sowie die Gegenforderung mit 8563.97 S als zu Recht bestehend. Es sprach hierauf der Klägerin einen Teilbetrag von 53.61 S samt Anhang zu, wies das Mehrbegehren ab und erkannte die Klägerin schuldig, den beklagten Parteien die gesamten, 6862.76 S betragenden Prozeßkosten zu ersetzen. Dieser Entscheidung lag die Feststellung eines unfallskausalen Schadens der Klägerin in der Höhe von 12.926.38 S zugrunde. Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und verpflichtete die Klägerin zum Ersatz der Kosten des Berufungsverfahrens im Betrage von 1183.68 S.

Die Klägerin begehrt mit der vorliegenden Klage von der beklagten Partei, ihrem Haftpflichtversicherer, aus dem Gründe des § 150 VersVG die Zahlung jenes Differenzbetrages an Kosten in der Höhe von insgesamt 13.696.54 S samt Anhang, der sich ergibt aus dem Unterschied zwischen den der Klägerin im Vorprozeß auferlegten und ihr selbst erwachsenen Kosten einerseits sowie jenen Kosten andererseits, welche die Klägerin zu tragen gehabt hätte, wenn die Gegenforderung nicht erhoben und der Klägerin daher ein Betrag von 8617.58 S zugesprochen worden wäre. Die Klägerin zieht von diesem näher aufgeschlüsselten Kostenbetrag von 15.931.52 S, in dem auch Kosten der Privatbeteiligung der Klägerin in dem gegen Johanna S geführten Strafverfahren, das mit deren Verurteilung geendet hat, enthalten sind, die von der beklagten Partei geleisteten Zahlungen von 2429.96 S und 1062.28 S ab und gelangte somit zu dem Klagsbetrag von 13.696.54 S (rechnerisch richtig 13.696.40 S). Die beklagte Partei sei sofort nach Erhebung der Aufrechnungseinrede davon verständigt worden, habe jedoch darauf und auf die folgenden Verständigungen nicht reagiert.

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung und brachte vor, sie sei von der Aufrechnungseinrede erst mit Schreiben vom 28. August 1973 benachrichtigt worden, obwohl die Gegenforderung schon mit Schriftsatz vom 15. Dezember 1972 erhoben worden sei. Sie sei gemäß dem § 150 VersVG erst vom Zeitpunkt der Verständigung von der Einwendung der Gegenforderung an verpflichtet, für die Abwehr dieses Anspruches zu sorgen. Dieser Auffassung habe sie durch Zahlung der von diesem Zeitpunkt an entstandenen Kosten der Klägerin im Betrage von 3878.68 S und durch Zahlung von Kosten der damaligen beklagten Parteien in der Höhe von 2429.96 S Rechnung getragen. Zur Zahlung der Kosten der Privatbeteiligung sowie der geltend gemachten außergerichtlichen Kosten sei die beklagte Partei nicht verpflichtet. Im übrigen seien die Kostenforderungen überhöht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und traf folgende wesentliche Feststellungen:

Johanna S wurde wegen des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt. Die Klägerin wurde als Privatbeteiligte mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen. In dem oben erwähnten Zivilprozeß brachte die Zweitbeklagte Johanna S (richtig: die beklagten Parteien) am 15. Dezember 1972 einen Schriftsatz ein, in dem Gegenforderungen in der Höhe von 25.691.90 S eingewendet wurden. Am 9. Mai 1973 vereinbarten die Parteien Ruhen des Verfahrens, das über Antrag der Klägerin vom 28. August 1973 fortgesetzt wurde. Am selben Tag verständigte der Klagevertreter die (heutige) beklagte Partei von dem Fortsetzungsantrag und teilte ihr mit, daß die Gegenseite (die damaligen beklagten Parteien) erhebliche Gegenforderungen geltend machen werden. Er forderte die beklagte Partei gleichzeitig auf, sich an dem Verfahren zur Abwendung der Gegenforderungen zu beteiligen. Die beklagte Partei wurde in der Folge in dem Prozeß nicht tätig, ersetzte aber, dem rechtskräftigen Verfahrensausgang entsprechend, die Kosten beider Streitteile, der Klägerin überdies die Kosten des Berufungsverfahrens, obwohl die beklagte Partei von der Einbringung der Berufung nicht verständigt worden war.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Auffassung, die Klägerin habe sowohl im Adhäsionsverfahren als im Vorprozeß aktiv ihre Ansprüche durchzusetzen versucht, sodaß auf den Klagsanspruch die Voraussetzungen des § 150 VersVG nicht zuträfen. Die beklagte Partei habe der ihr nach dieser Gesetzesstelle obliegenden Kostenersatzpflicht unter Bedachtnahme auf den Zeitpunkt der Erhebung der Gegenforderung voll entsprochen.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Eine Verteidigung gegen einen von einem Dritten geltend gemachten Anspruch, so führte das Berufungsgericht in rechtlicher Hinsicht aus, liege auch dann vor, wenn der Versicherungsnehmer seine Ansprüche gegen den Dritten einklage und dieser mit seinen Ansprüchen gegen die Klagsforderung aufrechne. Die durch eine solche Verteidigung entstandenen gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten habe der Haftpflichtversicherer dem Versicherungsnehmer zu ersetzen. Bei der Beurteilung der Frage, welche Kosten durch die Verteidigung gegen einen von einem Dritten geltend gemachten Anspruch entstanden seien, müsse von dem für die Kostenersatzpflicht geltenden Erfolgsprinzip ausgegangen werden. Für die Kostenersatzpflicht sei der Erfolg der Prozeßhandlung entscheidend. Für die Klägerin sei im Vorprozeß ein Erfolg dadurch vereitelt worden, daß infolge Aufrechnung mit der Gegenforderung ihr Klagebegehren bis auf einen geringfügigen Betrag abgewiesen worden sei, wogegen ihr sonst ungefähr zwei Drittel des eingeklagten Betrages zugesprochen worden wären. In diesem Falle hätte die Klägerin gegenüber den beklagten Parteien einen Kostenersatzanspruch im Ausmaß von einem Drittel besessen. Die Aufrechnung habe hingegen bewirkt, daß die Klägerin ihre eigenen Kosten selbst tragen und den beklagten Parteien deren Kosten zur Gänze ersetzen müsse. Die durch die Verteidigung gegen den von der Unfallsgegnerin aufrechnungsweise geltend gemachten Anspruch entstandenen Kosten bestunden somit in der Differenz zwischen den tatsächlichen Kostenfolgen und jenem Kostenausspruch, der sich ergeben hätte, wenn eine Gegenforderung nicht eingewendet worden wäre. Ausgehend von seiner vom Berufungsgericht nicht gebilligten Rechtsauffassung habe das Erstgericht über die Höhe der Kosten, soweit sie nicht gerichtlich bestimmt worden waren, sowie über die Art der außergerichtlichen Kosten keine Feststellungen getroffen. Der Zeitpunkt der Verständigung der beklagten Parteien von der Erhebung der Aufrechnungseinrede sei im Gegenstand bedeutungslos, weil die beklagte Partei auch nach dieser Verständigung weder in den Prozeß aktiv eingegriffen noch die Gegenforderung getilgt habe, sondern lediglich den Ausgang des Prozesses abgewartet habe. Der Prozeßaufwand der Klägerin wäre selbst bei früherer Verständigung nicht geringer gewesen. Die Kosten der Privatbeteiligung der Klägerin gehörten gleichfalls zu den Kosten im Sinne des § 150 VersVG, weil sie durch die Verteidigung gegen den von der Unfallsgegnerin geltend gemachten Anspruch entstanden seien und gemäß dem § 393 Abs. 4 StPO einen Teil der Kosten des zivilgerichtlichen Verfahrens bilden, in dem über den Anspruch erkannt werde. Da die Entscheidung über diese Kosten vom Ergebnis des Zivilprozesses abhänge, besitze die Klägerin unter Bedachtnahme auf die erwähnte Verschuldensteilung nur einen Anspruch auf ein Drittel der Kosten ihrer Privatbeteiligung. Im Hinblick auf die fehlenden Feststellungen zur Höhe erweise sich die Aufhebung des erstgerichtlichen Urteiles und die Zurückweisung der Rechtssache an das Erstgericht als notwendig.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Rekurswerberin hält an ihrer vor den Untergerichten bereits vertretenen Auffassung fest, sie sei höchstens ab dem Zeitpunkt ihrer Verständigung von der Geltendmachung der Gegenforderung (28. August 1973) an verpflichtet, für die Abwehr dieses Anspruches zu sorgen und müsse daher nur die von diesem Zeitpunkt an der Klägerin entstandenen Kosten dieser ersetzen. Dem Prozeßerfolg komme die ihm vom Berufungsgericht beigelegte Bedeutung nicht zu. Aus welchem Grund die beklagte Partei Kosten der Privatbeteiligung der Klägerin ersetzen solle, sei nicht einzusehen.

Zu beantworten sind somit die beiden Fragen, in welchem Ausmaß den Versicherer die Kostenersatzpflicht im Sinne des § 150 VersVG trifft, wenn der Dritte gegen die vom geschädigten Versicherungsnehmer erhobene Schadenersatzklage eine Gegenforderung erhebt, zu deren Abwehr der Versicherer im Rahmen seiner Rechtsschutzpflicht verhalten ist; ferner ob und in welchem Umfang zu diesen Kosten auch die durch eine Privatbeteiligung des geschädigten Versicherungsnehmers gegen den Dritten entstandenen Kosten gehören.

Gemäß dem § 150 Abs. 1 VersVG umfaßt die Versicherung die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten, die durch die Verteidigung gegen den durch einen Dritten geltend gemachten Anspruch entstehen, soweit die Aufwendung der Kosten den Umständen nach geboten ist. Dies gilt auch dann, wenn sich der Anspruch als unbegrundet erweist. Unter dem Begriff der "Verteidigung" ist nicht nur die Abwehr eines vom Dritten gegen den Versicherungsnehmer klageweise geltend gemachten Anspruches zu verstehen, sondern auch, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, die Abwehr einer Gegenforderung, die der Dritte in einem über Klage des Versicherungsnehmers gegen ihn anhängigen Zivilprozeß compensando einwendet. Die Abwehr eines derartigen Anspruches dient in erster Linie den Interessen des Versicherers (Prölß - Martin, VVG[20], 683; Bruck - Möller - Johannsen[8], Komm. z. VVG[IV], 291; VersR 1966, 49). Dies sieht die Rekurswerberin zwar grundsätzlich ein, doch meint sie, ihre Kostenersatzpflicht umfasse nur jene Kosten, die nach der Verständigung von der Einwendung der Gegenforderung entstehen.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes ist für die Beantwortung dieser Frage das der Kostenersatzpflicht zugrunde liegende Erfolgsprinzip der Zivilprozeßordnung jedoch ohne Bedeutung. Die Verpflichtung des Versicherers zur Abwehr der gegen den Versicherungsnehmer in dessen Aktivprozeß erhobenen Gegenforderung hängt von deren Geltendmachung ab. Vor diesem Zeitpunkt kann mangels Entstehung der Rechtsschutzpflicht des Versicherers eine Kostenersatzpflicht nicht existent werden. Von diesem Zeitpunkt an betrifft der für die Kostenersatzpflicht bedeutsame Verfahrensaufwand sowohl die Beurteilung des Klagsanspruches als auch jene der Gegenforderung. Da die Gegenforderung nur bis zur Höhe der Klagsforderung wirksam erhoben werden kann, stimmen die Höhe der Klagsforderung und die Höhe der Gegenforderung im vorliegenden Fall überein. Der Verfahrensaufwand diente daher vom Zeitpunkt der Erhebung der Kompensationseinrede an je zur Hälfte der Durchsetzung des Klagsanspruches und der Abwehr der Gegenforderung. Daraus folgt, daß der Klägerin aus dem Rechtsgrunde des § 150 VersVG die Hälfte der ihr erwachsenen Prozeßkosten vom Zeitpunkt der Erhebung der Kompensationseinrede an zusteht (7 Ob 187/74). Der Umstand, daß die Klägerin die beklagte Partei von der erwähnten Einrede erst zu einem späteren Zeitpunkt verständigt hat, ist im Gegenstand ohne Bedeutung, weil nach der Tagsatzung vom 10. Jänner 1973, in der die Gegenforderung eingewendet wurde, bis zu dem am 9. Mai 1973 eingetretenen Ruhen des Verfahrens keine kostenpflichtige Prozeßhandlung vorgenommen worden ist, so daß die spätere Verständigung auf den Prozeßaufwand ohne Einfluß war. Im übrigen hat sich die Rekurswerberin nach der Verständigung an dem Prozeß aktiv nicht beteiligt, sodaß die Klägerin berechtigt war, auch ohne Auftrag der beklagten Partei das Urteil I. Instanz zu bekämpfen (vgl. Bruck - Möller - Johannsen, 101, 289; Stiefel - Wussow - Hofmann, Kraftfahrversicherung[9], 326, 359; 7 Ob 50/75).

Bei der Beantwortung der Frage nach den Kosten der Privatbeteiligung ist davon auszugehen, daß diese im Strafverfahren entstandenen Vertretungskosten gemäß dem § 393 Abs. 4 StPO als solche des Zivilprozesses gelten, wenn der Privatbeteiligte mit seinen Ansprüchen, wie dies im Gegenstand der Fall war, auf den Zivilrechtsweg verwiesen wird. Wenn daher der Versicherer aus den oben dargelegten Erwägungen im Rahmen der Abwehr einer gegen den Versicherungsnehmer aufrechnungsweise erhobenen Gegenforderung kostenpflichtig im Sinne des § 150 VersVG wird, dann ist er auch zum Ersatz der einen Teil dieser Kosten des Zivilprozesses bildenden Kosten der Privatbeteiligung verpflichtet. Zwischen der Abwehr der Gegenforderungen des Unfallgegners und der Privatbeteiligung besteht insofern ein sehr wesentlicher Zusammenhang, als die strafgerichtliche Verurteilung des Unfallsgegners mit Rücksicht auf die Bindungswirkung des § 268 ZPO auf den Ausgang des folgenden Schadenersatzprozesses von Bedeutung ist. Der Privatbeteiligte schafft durch seine auf ein Verschulden des angeklagten Unfallsgegners abzielende Tätigkeit im Strafprozeß die Grundlagen für die Feststellung seines privatrechtlichen Anspruches und bereitet auf diese Weise die Entscheidung des Zivilprozesses vor (SZ 39/5; VersR 1966, 49, mit zustimmender Anmerkung von Wahle; 2 Ob 185/73 u. a.). Für das Ausmaß dieses Kostenersatzes ist im Rahmen des § 150 VersVG jedoch nicht das Prozeßergebnis (Verschuldensteilung), sondern gleichfalls der oben entwickelte Grundsatz maßgebend, weil auch die Kosten der Privatbeteiligung im Ergebnis je zur Hälfte der Führung des Aktivprozesses und der Abwehr der Gegenforderung dienlich waren. Die beklagte Partei ist daher verpflichtet, der Klägerin auch die Hälfte dieser Kosten zu ersetzen.

Da das Erstgericht, ausgehend von seiner Rechtsauffassung, Beweise über die Höhe der einzelnen Kostenbeträge und über die Art der außergerichtlichen Kosten nicht aufgenommen hat, erweist sich die Aufhebung seiner Entscheidung im Ergebnis als notwendig.

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