OGH 2Ob48/75

OGH2Ob48/7524.4.1975

SZ 48/50

Normen

Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §176 Abs1 Z6
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §176 Abs1 Z6

 

Spruch:

Eine betriebliche Tätigkeit im Sinne des § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG setzt kein "tatsächliches Arbeitsverhältnis" voraus. Eine betriebliche Tätigkeit kann daher auch bei bloß freiwilliger Mitarbeit vorliegen (Hier: Nachbarschaftshilfe)

OGH 24. April 1975, 2 Ob 48/75 (OLG Graz 4 R 148/74; LG Klagenfurt 22 Cg 142/72)

Text

Am 3. April 1971 ereignete sich bei der Kreuzung der Pöllinger Gemeindestraße mit der Packer Bundesstraße ein Verkehrsunfall, bei dem der Kläger als Insasse eines vom Erstbeklagten gelenkten Personenkraftwagens schwer verletzt wurde. Der Erstbeklagte war Eigentümer und Halter, die Zweitbeklagten Haftpflichtversicherer des genannten Fahrzeuges. Das Alleinverschulden des Erstbeklagten an diesem Unfall ist nicht strittig. Beim Kläger blieben Dauerfolgen dieses Unfalles zurück. Der Eintritt künftiger Unfallschäden ist nicht auszuschließen. Der Kläger erhielt von der Zweitbeklagten zur teilweisen Deckung seines Ersatzanspruches eine Zahlung von 40.000 S. Der Kläger beziffert seinen Unfallschaden mit 199.363.20 S. Er begehrt daher von den Beklagten zur ungeteilten Hand Zahlung der restlichen 159.363.20 S samt Anhang. Ferner verlangt er die Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand für künftige Unfallschäden, hinsichtlich der Zweitbeklagten jedoch mit der Beschränkung auf die sich aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag ergebende Versicherungssumme bzw. auf die vorhandene Versicherungssumme für eine verletzte oder getötete Person.

Die Beklagten bestreiten die oben angeführten Leistungsansprüche zum Großteil als überhöht und beantragen Abweisung des Klagebegehrens mit der Behauptung, der Kläger habe sich am Tag des Unfalles zum Erstbeklagten begeben, um diesem bei Aushebung eines Fundamentes für ein zu dessen landwirtschaftlichen Liegenschaft gehörendes Wirtschaftsgebäude zu helfen, nachdem der Erstbeklagte dem Kläger einige Zeit zuvor ebenfalls bei Bauarbeiten geholfen habe. Der Kläger habe dem Erstbeklagten am Tag des Unfalles auch tatsächlich vier Stunden lang bei der erwähnten Arbeit geholfen. Es entspreche der allgemeinen Übung bei Kleinlandwirten, derartige Bauführungen in ihrem Betrieb in Eigenregie durchzuführen. Der Unfall habe sich ereignet, als der Erstbeklagte den Kläger unmittelbar im Anschluß an die erwähnte Arbeit heimgefahren habe. Hiebei sei beabsichtigt gewesen, anläßlich der Heimfahrt gemeinsam weiteres Baumaterial für den Betrieb des Erstbeklagten zu kaufen. Die Tätigkeit des Klägers sei somit nach § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG zu beurteilen, denn der auf dem direkten Heimweg erlittene Unfall sei einem Arbeitsunfall gleichzuhalten. Dem Kläger geltend gemachten Ansprüchen stehe somit die Bestimmung des § 333 ASVG entgegen.

Demgegenüber behauptete der Kläger, er sei am 3. April 1971 zum Erstbeklagten nur auf Besuch gefahren. Da dieser gerade mit Grabarbeiten für ein Fundament beschäftigt gewesen sei, hätte er sich freiwillig zur Mitarbeit erbötig gemacht. Diese Mithilfe sei unentgeltlich geschehen. Zur Rückfahrt mit dem Wagen des Erstbeklagten sei es nur gekommen, weil dieser in S eine geschäftliche Besorgung zu machen gehabt habe. Von einem Arbeitsunfall im Sinne des § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG könne daher keine Rede sein.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagten zur ungeteilten Hand zu Zahlung von 146.409.12 S samt Anhang, erkannte im Sinne des Feststellungsbegehrens und wies das Mehrbegehren ab. Es war der Ansicht, daß der Unfall des Klägers auch dann nicht als Arbeitsunfall anzusehen wäre, wenn die diesbezüglichen Behauptungen der Beklagten richtig sein sollten.

Die Abweisung des Mehrbegehrens blieb unangefochten.

Die Beklagten ließen nur den Zuspruch von 80 S samt Anhang an Kosten der Kleiderreinigung unbekämpft. Ihrer gegen den übrigen stattgebenden Teil erhobenen Berufung gab das Berufungsgericht Folge, indem es das Ersturteil hinsichtlich eines Teilbetrages von 1900 S samt Anhang im Sinne einer Abweisung abänderte und es im übrigen, also hinsichtlich eines Zuspruches von 144.429.12 S samt Anhang, im Ausspruch über das Feststellungsbegehren und im Kostenpunkt mit Beschluß unter Rechtskraftvorbehalt aufhob und die Sache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwies.

Die Abweisung des Teilbetrages von 1900 S samt Anhang ergibt sich daraus, daß die Zusammenrechnung der zuerkannten Beträge nur

184.509.12 S, also um 1900 S weniger ergibt, als das Erstgericht seiner Entscheidung zugrunde legte. Gegen die Bemessung des Schmerzengeldes hatte das Berufungsgericht keine Bedenken. Es übernahm auch die Feststellungen über den Verdienstentgang des Klägers als unbedenklich, war jedoch der Ansicht, daß die Sache, soweit sie nicht reine Sachschäden betrifft, dem Gründe nach noch nicht spruchreif sei, Es führte dazu im wesentlichen aus:

Nach § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG (i. d. F. der 9. Novelle zum ASVG, BGBl. 1962/13) seien Unfälle, die bei einer betrieblichen Tätigkeit vorkommen, wie sie sonst ein nach § 4 ASVG Versicherter ausübe, Arbeitsunfällen gleichgestellt. Auch in einem solchen Fall habe der Geschädigte Anspruch auf Leistungen nach dem ASVG. Die Bestimmungen der §§ 332, 333 und 334 ASVG seien auf solche Unfälle auch ohne einer Versicherungspflicht und ohne daß Sozialversicherungsbeiträge bezahlt wurden, anzuwenden. Versichert im Sinne dieser Bestimmungen sei nicht nur der, für den Beiträge zur Sozialversicherung geleistet worden seien, sondern jeder, dem Ansprüche auf Leistungen nach dem ASVG zustehen.

Bei Zutreffen des Beklagtenvorbringens, nach dem sich der Unfall noch während der vom Kläger für den Erstbeklagten ausgeübten betrieblichen Tätigkeit ereignet haben soll, ergäbe sich, da vorsätzliche Schadenszufügung nicht behauptet werde, ein Haftungsausschluß der Beklagten nach § 333 Abs. 1 ASVG. Sollte sich ergeben, daß der Kläger während der Unfallsfahrt eine betriebliche Tätigkeit nicht mehr verrichtet, sondern sich auf dem Heimweg befunden habe, so würde dies nichts ändern, weil auch der Heimweg unter Versicherungsschutz stunde, sofern nicht eine Unterbrechung des örtlichen und zeitlichen Zusammenhanges zwischen der betrieblichen Tätigkeit und dem Heimweg eingetreten sei. Um die Berechtigung der gegenständlichen Ansprüche im Hinblick auf die Bestimmung des § 333 Abs. 1 ASVG beurteilen zu können, seien daher Feststellungen über die beiderseitigen, einander widersprechenden Behauptungen der Streitteile betreffend die näheren Umstände der vom Kläger für den Erstbeklagten entfalteten Tätigkeit und der Fahrt vom Anwesen des Erstbeklagten, auf der sich der Unfall ereignet habe, notwendig.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Rekurswerber vertritt die Auffassung, die Sache sei auch ohne die vom Berufungsgericht verlangte Verfahrensergänzung im Sinne des Klagebegehrens spruchreif, weil die von den Beklagten behauptete Tätigkeit des Klägers beim Erstbeklagten den Haftungsausschließungsgrund nach § 333 ASVG nicht darstellen könne. Im vorliegenden Fall handle es sich um eine sogenannte Nachbarschaftshilfe, auf die die Bestimmung des § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG nicht angewendet werden könne. Bei dieser bleibe das Nützlichmachen des Helfenden ohne Weisungsgebundenheit, wenn auch die Tätigkeit des Helfenden nach einem bestimmten Plan erfolge. Eine freiwillige Mitarbeit, wie sie in der Nachbarschaftshilfe üblich sei, schaffe weder eine Einordnung in den Arbeitsbereich des Arbeitgebers noch eine Abhängigkeit von diesem. Dem kann nicht beigepflichtet werden.

Wie das Berufungsgericht richtig dargelegt hat, ist für das Vorliegen einer betrieblichen Tätigkeit im Sinne der zitierten Gesetzesstelle wesentlich, daß die - wenn auch nur kurzfristige - Arbeitsleistung dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und für diesen von wirtschaftlicher Bedeutung ist. Auf die Beweggrunde des Tätigwerdens kommt es nicht an. Es muß sich weiters um eine ernstliche, dem in Frage stehenden Unternehmen dienende Tätigkeit handeln und es muß durch diese ein innerer ursächlicher Zusammenhang mit dem Unternehmen hergestellt sein. Ein Verhältnis persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit zum Unternehmen ist nicht erforderlich. Der Unfallsbetroffene muß jedoch in den fremden Betrieb wie ein Arbeitnehmer eingegliedert und bereit sein, den Weisungen des Unternehmers Folge zu leisten. Die Einordnung einer Arbeitskraft in einen Betrieb ist anzunehmen, wenn sie sich mit dem Betriebsunternehmer oder mit dessen bevollmächtigten Vertreter und den anderen zugezogenen Arbeitskräften derart zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammenschließt, daß sie unter der den Arbeitsgang bestimmenden Leitung des Betriebsunternehmers tätig wird und nach dessen Anordnungen handelt, damit gleichzeitig aber auch diesem die Verantwortung für die Durchführung der Arbeiten in größerem Umfang überläßt und sich seinem Schutz anvertraut (SZ 42/39; siehe aber auch SZ 42/41 und Geigel, Haftpflichtprozeß[15], 1138). Das alles trifft aber auch - entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht - auf die sogenannte Nachbarschaftshilfe zu, bei der Hilfe nur vorübergehend und aus Gefälligkeit geleistet wird (SZ 22/202; ZVR 1960/25 = ZVR 1960/93 u. a. m.). Von einer Weisungsgebundenheit desjenigen, der Hilfe nur vorübergehend und aus Gefälligkeit leistet, kann indes nicht Rede sein. Diesem steht es zwar frei, seine Tätigkeit einzustellen und seine weitere Mitarbeit zu verweigern. Solange er aber an der Ausführung des Planes des Unternehmers mitwirkt, zeigt er damit seine Bereitschaft, sich den dazu erforderlichen Weisungen des Unternehmers zu fügen. Daß eine betriebliche Tätigkeit im Sinne des § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG ein "tatsächliches Arbeitsverhältnis" voraussetze und daß eine betriebliche Tätigkeit bei bloß freiwilliger Mitarbeit nicht vorliege, trifft daher ebenfalls nicht zu. Richtig ist zwar, daß das Oberlandesgericht Wien in seiner vom Kläger herangezogenen Entscheidung vom 27. September 1968, 15 R 143/68, SV-Slg. 18.174, im Zusammenhang mit der Bestimmung des § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG auf eine dienstnehmerähnliche Unterordnung abzustellen scheint. Tatsächlich wird aber dort das Vorliegen der Voraussetzungen nach der genannten Gesetzesstelle mit der Begründung verneint, daß die Mithilfe bei einem Hausbau einem in der Familienzugehörigkeit begrundeten Verhältnis entsprang. Es wurde aber betont, daß ein förmliches Dienst- oder Arbeitsverhältnis nicht vorliegen müsse. Die weitere vom Kläger angezogene Entscheidung ArbSlg. 5951, Oberster Gerichtshof vom 17. März 1954, 1 Ob 95/54, kann aber zur Stützung des vom Kläger eingenommenen Standpunktes schon deshalb nicht herangezogen werden, weil sie sich auf die völlig anders geartete Frage der Zuständigkeit des Arbeitsgerichtes für Streitigkeiten aus arbeitnehmerähnlichen Verhältnissen im Sinne des § 2 Abs. 1 ArbGerG bezieht, wo ein Auftrags-(Bevollmächtigungs-)Verhältnis vorliegt, während es für den Tatbestand des § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG auf die tatsächliche Arbeitsleistung ankommt, was übrigens auch in SV-Slg. 18.174 betont wird.

Den Fällen des § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG stehen die Fälle spontaner, kurzer Hilfeleistung aus uneigennützigen Beweggrunden, wie z. B. die sogenannte Straßenkameradschaft (ZVR 1962/89; vgl. aber auch ZVR 1972/1961), gegenüber, von denen sich der vorliegende Fall schon dadurch abhebt, daß sich nach dem Beklagtenvorbringen die Arbeitsleistung des Klägers über mehrere Stunden erstreckt und dabei ein schon vorher geplantes Werk in einer Weise in Angriff genommen worden sein soll, die eine Eingliederung des Klägers in den Betrieb des Erstbeklagten zur Voraussetzung hatte.

Des weiteren vertritt der Kläger die Ansicht, bei Unfällen, die Arbeitsunfällen nach § 176 Abs. 1 ASVG gleichgestellt seien, falle der Weg zum und vom Betriebsort nicht unter Versicherungsschutz. Er argumentiert damit, daß nach dem Wortlaut der genannten Bestimmung den Arbeitsunfällen nur solche Unfälle gleichgestellt seien, die sich bei bestimmt aufgezählten Tätigkeiten ereignet haben; sogenannte Wegunfälle seien dort nicht genannt, so daß Unfälle auf dem Weg zum oder vom Ort einer betrieblichen Tätigkeit im Sinne des § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG nicht unter Versicherungsschutz stehen. Dazu komme, daß nach § 175 Abs. 3 ASVG in einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb als Arbeitsunfälle auch solche Unfälle gelten, die sich bei der Arbeit im Haushalt des Betriebsinhabers und bei der Arbeit in der Land- oder Forstwirtschaft usw. ereignen. Hätte der Gesetzgeber gewollt, daß die unter Punkt 3 versicherten Fälle auch die Wegunfälle umfassen sollen, wäre es nicht notwendig gewesen, einen Abs. 3 einzufügen, es wäre vielmehr logisch gewesen, an Abs. 2 Punkt 6 anzuschließen.

Diese Ausführungen übersehen, daß für derartige Überlegungen kein Raum ist, weil im § 176 Abs. 4 ASVG positiv bestimmt ist, daß § 175 Abs. 2 Z. 1 und Abs. 4 ASVG entsprechend anzuwenden sind. Das bedeutet, daß auch bei Wegunfällen im Zusammenhang mit einer im § 176 Abs. 1 Z. 6 ASVG genannten Tätigkeit Versicherungsschutz besteht (vgl. 2 Ob 221/70 und 2 Ob 115/71). Dem Berufungsgericht ist daher im Ergebnis beizupflichten, wenn es ausführt, es würde der vom Gesetzgeber geforderten Gleichstellung der Unfälle nach §§ 175 und 176 ASVG nicht entsprechen, wollte man etwa den Hinweg zu einem beabsichtigten Arbeitseinsatz (oder den Rückweg von einem solchen) nicht unter Versicherungsschutz stellen.

Nach den Vorbringen kommt hier auch § 333 Abs. 3 ASVG nicht zum Tragen (vgl. R Z 1963, 18).

Damit erweist sich der angefochtene Aufhebungsbeschluß als gerechtfertigt. Dem Rekurs des Klägers war daher ein Erfolg zu versagen.

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