Normen
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §176 (1) Z6
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §334
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §176 (1) Z6
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §334
Spruch:
Der Sozialversicherungsträger kann gegen den Empfänger von Leistungen aus der Nachbarschaftshilfe Ansprüche nach § 334 ASVG. stellen.
Entscheidung vom 13. März 1969, 2 Ob 4/69.
I. Instanz: Kreisgericht St. Pölten; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Am 29. 4. 1964 verunglückte Michael K. tödlich, als er im Rahmen der bäuerlichen Nachbarschaftshilfe dem Beklagten auf dessen Anwesen bei der Errichtung einer Düngerstätte half und dabei von einer umstürzenden Mauer getroffen wurde. Der Beklagte wurde strafgerichtlich des Vergehens nach § 335 StG. schuldig erkannt, weil er als Bauherr das Wegbaggern von Erdreich unter der Mauer anordnete bzw. zuließ, obgleich ihm die dafür unzureichende Tiefe des Fundamentes der Mauer bekannt war. Die klagende Partei hat den Unfall vom 29. 4 1964 als Arbeitsunfall anerkannt; demgemäß hat sie Sozialversicherungsleistungen an die Witwe des Verunglückten bereits erbracht und noch zu erbringen. Sie begehrt unter Berufung auf § 334 ASVG. vom Beklagten den Ersatz der bereits erbrachten Leistungen und die Feststellung der Ersatzpflicht für die künftig noch zu erbringenden Leistungen, weil der Beklagte den Unfall durch grobe Fahrlässigkeit verschuldet habe.
Das Erstgericht hat das Klagebegehren ohne Beweisaufnahme abgewiesen. Es vertrat die Auffassung, daß seit dem Inkrafttreten der 9. Novelle zum ASVG. (1. Jänner 1962), Personen, die bloß Aushilfsdienste leisten, nicht mehr "Versicherte" im Sinne der §§ 333, 334 ASVG., sondern nur solche Personen seien, denen im Sinne des § 332 (1) ASVG. "Leistungen zustehen". Daher könne ein Ersatzanspruch von Sozialversicherungsträgern gegen die Schädiger in einem solchen Fall nur mehr nach § 332 ASVG., nicht auch nach § 334 ASVG. geltend gemacht werden. Zwischen dem Beklagten und K. habe kein Verhältnis wie zwischen einem Dienstgeber und einem Dienstnehmer bestanden. Eine Klagsänderung, durch die das Klagebegehren auch auf § 332 ASVG. gestützt werden sollte, wurde nicht zugelassen.
Die Berufung der klagenden Partei blieb erfolglos. Das Berufungsgericht sprach zugleich aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 15.000 S übersteige. Es wies darauf hin, daß nicht der arbeitsrechtliche Begriff des Dienstnehmers, sondern der des Versicherten im Sinne des ASVG. maßgeblich sei. Personen, die Nachbarschaftshilfe leisteten, seien bis zum Zustand nach der 8. Novelle des ASVG. "Versicherte" gewesen, weil sie, wenn auch nur vorübergehend "wie Versicherte" tätig waren (§ 8 (1) Z. 3 lit. e ASVG.). Diese Bestimmung sei durch die 9. Novelle zum ASVG. weggefallen (Art. I, Z. 6 lit. d BGBl. Nr. 13/1962). Unfälle, die solchen Personen zustoßen, seien vielmehr gemäß § 176 (1) Z. 6 ASVG. in der durch die 9. Novelle geschaffenen Fassung den Arbeitsunfällen gleichgestellt worden. Der Leistungsamspruch gegen den Sozialversicherungsträger bestehe nun unabhängig von einer Unfallversicherung. Der Versicherungsschutz für Personen, die wie ein nach § 8 (1) Z. 3 lit. a bis d ASVG. Versicherter tätig werden, sei nicht mehr aufrecht erhalten worden. K. sei als Nachbarschaftshelfer daher nicht Versicherter und der Beklagte als Empfänger der Nachbarschaftshilfe nicht Dienstgeber des K. gewesen. Der Beklagte könne daher nicht nach § 334 ASVG. in Anspruch genommen werden.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge; er hob die Urteile der Untergerichte auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die 9. Novelle zum ASVG., BGBl. Nr. 13/1962. sollte den Versicherungsschutz für Personen, die von der bis dahin geltenden Bestimmung des § 8 (1) Z. 3, lit. e ASVG. (früher § 537 Nr. 10 RVO.) erfaßt wurden, also auch Nachbarschaftshelfer, nicht aufheben oder grundsätzlich ändern. Es wurde nur eine Änderung der Art und des Weges, diesen Versicherungsschutz herbeizuführen, deswegen als notwendig angesehen, weil sich die bis dahin festgelegte Versicherungspflicht praktisch nicht bewährt hatte. Der Versicherungsschutz wurde daher vom Bestehen einer Beitragspflicht losgelöst; er sollte unabhängig von dieser dadurch erreicht werden, daß Unfälle bei einer solchen Tätigkeit den Arbeitsunfällen gleichgestellt wurden. Dazu wurde die Bestimmung des § 176 (1) Z. 6 ASVG. geschaffen und im § 176 (2) ASVG. ausdrücklich hervorgehoben, daß auch in diesem Fall der Versicherungsschutz dann eintritt, wenn der vom Unfall Betroffene sonst nicht unfallversichert ist (517 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates IX. GP., S. 54 und 77). Eine weitergehende Änderung der sozialversicherungsrechtlichen Behandlung solcher Unfälle war durch dieses Gesetz weder nach seinem Wortlaut noch nach seiner Begründung beabsichtigt.
Der Wortlaut der Bestimmungen der §§ 332 bis 334 ASVG. besagt nicht, daß dann, wenn die sozialversicherungsrechtlichen Leistungen nicht auf Grund einer bestandenen Versicherungspflicht, sondern deswegen zu erbringen sind, weil der Unfall einem Arbeitsunfall gleichgestellt wurde, vom leistungspflichtigen Sozialversicherungsträger Ersatzansprüche nur auf Grund der Legalzession des § 332 ASVG., nicht aber auch nach § 334 ASVG. gegen den Schädiger geltend gemacht werden können. Diese Auffassung würde dem Zweck der Bestimmungen der §§ 332 bis 334 ASVG. nicht gerecht und hätte auch nicht eine Gleichstellung der Unfälle bei einer Tätigkeit ohne Vorliegen einer Versicherungspflicht mit Unfällen bei einer versicherungspflichtigen Tätigkeit, sondern sogar eine Besserstellung diesen gegenüber zur Folge.
Die Bestimmung des § 334 ASVG. steht mit der Bestimmung des § 333 ASVG. in enger Wechselbeziehung. Sie schränkt das Haftungsprivileg des Dienstgebers gegenüber dem Dienstnehmer dadurch ein, daß der Dienstgeber unter bestimmten Voraussetzungen dem leistungspflichtigen Sozialversicherungsträger gegenüber direkt Ersatz leisten muß (2 Ob 184/67 = JBl. 1969 S. 153). Die Haftungsbeschränkung des § 333 ASVG. wiederum hat ihren Grund darin, daß die gesetzliche Unfallversicherung gleichzeitig als Ablöse der Unternehmerhaftpflicht gedacht ist (613 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates VII. GP. S. 29 und 599 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates VII. GP. S. 100; ZVR. 1964 Nr. 62 u. a., auch Selb hat in ZAS. 1967, S. 54 und ZAS. 1969, S. 14 f. auf den Zusammenhang zwischen dem Anspruch auf Leistungen gegen den Sozialversicherer und dem Haftungsausschluß nach ASVG. hingewiesen). Der Dienstnehmer hat also gegen den Sozialversicherer - unabhängig vom Bestand und der Höhe seiner Ersatzansprüche gegen den Schädiger nach sonstigen gesetzlichen Vorschriften - auf die im ASVG. vorgesehenen Leistungen Anspruch und ist dadurch im allgemeinen besser gestellt, weil er z. B. kein Eigenverschulden gelten zu lassen braucht und die Gewähr hat, daß seine Ansprüche stets realisiert werden können. Dafür werden aber bei Arbeitsunfällen seine Ersatzansprüche gegen den Dienstnehmer oder den diesem Gleichgestellten wesentlich beschränkt. Im Einzelfall kann dadurch für den Geschädigten eine Schlechterstellung eintreten, wenn nämlich die unbeschränkten Ansprüche gegen den Dienstgeber als Schädiger höher wären als die Leistungen des Sozialversicherungsträgers und die trotz der Haftungsbeschränkung etwa noch verbleibenden Ersatzansprüche gegen den Dienstgeber. Das Risiko einer solchen Schlechterstellung wäre aber dann nicht gegeben, wenn man nur die Bestimmungen des § 332 ASVG., nicht auch jene des § 333 und damit auch die des § 334 ASVG. für anwendbar ansähe. Insoweit wäre derjenige, dessen Unfall ohne Vorliegen einer Versicherungspflicht einem Arbeitsunfall gleichgestellt wurde, gegenüber jenem, der die Ansprüche gegen den Sozialversicherungsträger auf den Bestand eines versicherungspflichtigen Verhältnisses stützen kann, besser- und nicht bloß gleichgestellt. Der Ausdruck "Versicherter", der in den §§ 332 bis 334 ASVG. mehrfach verwendet wird, muß wegen des Zusammenhanges dieser Bestimmungen innerhalb dieses Rahmens auch immer gleiche Bedeutung haben. Nun bestimmt § 332 (2) ASVG. im Anschluß an die im Abs. 1 geregelte Legalzession für Personen, "denen nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes Leistungen zustehen" - also ohne Rücksicht darauf, ob diese Leistungen wegen eines versicherungspflichtigen Verhältnisses begrundet sind -, daß der Sozialversicherungsträger dem "Versicherten" vom Ersatzpflichtigen bereits zugekommene Beträge ganz oder teilweise auf die ihm nach dem ASVG. zustehenden Ansprüche anrechnen kann. Wollte man den Ausdruck "Versicherter" hier nicht auf den Leistungsanspruch sondern auf die Beitragspflicht abstellen, wäre diese Anrechnungsmöglichkeit gegenüber jemandem, dessen Unfall ohne Vorliegen einer versicherungspflichtigen Tätigkeit einem Arbeitsunfall gleichgestellt wurde, nicht gegeben. Dieser wäre daher besser gestellt als bei Vorliegen einer Versicherungspflicht. "Versicherter" ist demnach nicht (nur) jemand, für den Beiträge zur Sozialversicherung geleistet werden oder werden sollen, sondern jemand, dem Ansprüche auf Leistungen nach dem ASVG. zustehen; ob diese Ansprüche wegen des Bestandes eines versicherungspflichtigen Verhältnisses oder wegen des Bestandes eines versicherungspflichtigen Verhältnisses oder wegen einer davon losgelösten Gleichstellung mit einem Arbeitsunfall begrundet sind, ist dafür nicht entscheidend (vgl. Kunst, ZVR. 1962 S. 62 f.). Ist aber der Ausdruck "Versicherter" auf den Leistungsanspruch abzustellen, dann ist auch der in den §§ 333 bis 334 ASVG. diesem gegenübergestellte Begriff des "Dienstgebers" nicht auf dessen Beitragspflicht allein abzustellen. Diese wird zwar im Regelfall gegeben sein und die Bestimmung des § 334 dient auch zum Schutz der "Risikogemeinschaft" der beitragspflichtigen Dienstgeber (613 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen VII. GP., S. 29). Gerade dieser Schutzgedanke verlangt es aber, jemanden, dem ohne Beitragsleistung zur Sozialversicherung des Haftungsprivileg des § 333 ASVG. zugute kommt, nicht von der Haftung des § 334 ASVG. auszunehmen, weil er dann besser gestellt wäre als ein beitragspflichtiger Dienstgeber. Ob jemand als Dienstgeber im Sinne dieser Gesetzesbestimmung anzusehen ist, muß darnach beurteilt werden, ob ihm Leistungen aus der unfallsgeschützten Tätigkeit zugute kommen und ob der Verunglückte "wie ein Arbeitnehmer" für ihn tätig wurde. Dafür ist nur erforderlich, daß eine den Zwecken des Betriebes dienende Tätigkeit ausgeübt wurde. Ein persönliches oder wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis des tätig Gewordenen zum Betrieb ist nicht erforderlich. Auch der Beweggrund für die Betätigung und ob der Tätiggewordene sonst ein selbständiger Unternehmer ist oder nicht, ist für die Entscheidung dieser Frage unerheblich. Es kommt vielmehr nur auf die Art der Tätigkeit an, die so sein muß, wie sie üblicherweise ein Dienstnehmer ausübt. Daß diese Voraussetzungen bei der sogenannten Nachbarschaftshilfe zu bejahen sind, wurde bis zur Erlassung der 9. Novelle zum ASVG. bejaht (Geigel, Haftpflichtprozeß[13] S. 855, SZ. XXXII 86, SZ. XXII 202, ArbSlg. 7839). Da die 9. Novelle zum ASVG. nur den Weg änderte, um den Versicherungsschutz der Nachbarschaftshelfer herbeizuführen, sonst aber keine Änderung brachte, insbesondere nichts über die in den §§ 332 bis 334 ASVG. verwendeten Begriffe eines "Versicherten" und eines "Dienstgebers" aussagt, ist eine Änderung der Rechtslage in dieser Hinsicht durch diese Novelle nicht anzunehmen. Art. III Z. 2 lit. c der 9. Novelle zum ASVG. verfügt nämlich als § 176 (1) Z. 6 ASVG. die Gleichstellung solcher Unfälle mit Arbeitsunfällen, die bei einer "betrieblichen Tätigkeit", wie sie "sonst" ein nach § 4 Versicherter ausübt, vorkommen. Diese Voraussetzungen treffen bei einer Nachbarschaftshilfe, wie sie im vorliegenden Fall geleistet wurde, zu. Es kann daher entgegen der Ansicht der Untergerichte der Sozialversicherungsträger unter den sonstigen Voraussetzungen gegen den Empfänger der Leistungen aus der Nachbarschaftshilfe Ansprüche nach § 334 ASVG. stellen.
Da die Untergerichte auf Grund ihrer nicht zu billigenden Rechtsansicht eine Prüfung des Sachverhaltes unterlassen hatten waren ihre Urteile aufzuheben. Die Rechtssache war an das Erstgericht zurückzuverweisen,
eil es einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen.
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