OGH 8Ob217/72

OGH8Ob217/7219.12.1972

SZ 45/139

Normen

Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §153 Abs3 letzter Satz
JN §1
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §153 Abs3 letzter Satz
JN §1

 

Spruch:

Die Bestimmung des § 153 Abs 3 letzter Satz ASVG, die im Interesse der Zahnärzte und Dentisten in das Gesetz aufgenommen wurde, ist als Regelung von Rechtsbeziehungen gleichberechtigter Rechtssubjekte auszulegen

Für den auf diese Gesetzesstelle gestützten, gegen den Sozialversicherungsträger gerichteten Unterlassungsanspruch ist der Rechtsweg zulässig

Die Entscheidungsbefugnis des Zivilgerichtes wird - mangels anders lautender gesetzlicher Anordnung - nicht dadurch ausgeschlossen, daß Vorfragen geprüft werden müssen, zu deren selbständiger Entscheidung nicht die Zivilgerichte zuständig sind

OGH 19. 12. 1972, 8 Ob 217/72 (OLG Graz 4 R 77. 78/72; LG Klagenfurt 21 Cg 386/71)

Text

Die klagenden Parteien begehren, gestützt auf § 153 Abs 3 letzter Satz ASVG, von der Beklagten die Unterlassung der Leistung von Zahnbehandlung und Zahnersatz in ihren Ambulatorien, soweit es sich um skelettierte Metallprothesen handelt. Sie brachten hiezu vor, in den einen Bestandteil der zwischen den Streitteilen geschlossenen Gesamtverträge bildenden Honorarordnungen sei die Leistung von "Stahlprothesen" (skelettierte Metallprothesen) nicht vorgesehen. Die Beklagte verstoße gegen das im § 153 Abs 3 letzter Satz ASVG normierte Leistungsverbot, indem sie trotz Abmahnung der klagenden Parteien in ihren Ambulatorien skelettierte Metallprothesen für ihre Versicherten anfertige.

Die Beklagte wendete Unzulässigkeit des Rechtsweges ein, weil sich der Klagsanspruch auf eine öffentlich-rechtliche Norm des Sozialversicherungsrechtes stütze, daher eine Verwaltungssache vorliege und es sich im übrigen um eine Streitigkeit über die Auslegung des Gesamtvertrages handle, weshalb nur die Landesschiedskommission nach § 345 ASVG zur Entscheidung zuständig sei. In der Sache selbst beantragte die Beklagte die Abweisung der Klage und machte geltend, die für die Streitparteien gültige Vereinbarung (Honorarordnung) aus dem Jahre 1956 bestimme zwar, daß als Prothesenmaterial in den Zahnambulatorien der Beklagten jeder gebräuchliche Kunststoff verwendet werden könne. Sie enthalte aber kein ausdrückliches Verbot der Ausstattung von Skelettprothesen. Der Vertrag unterliege ferner der clausula rebus sic stantibus. Er sei auch hinsichtlich der Bestimmungen über die Verwendung von gebräuchlichem Kunststoff überhaupt ungültig, weil diese Bestimmung mit den Vorschriften des ASVG, des Krankenanstaltsgesetzes und des Ärztegesetzes im Widerspruch stehe. Die Beklagte erhob auch Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des § 153 Abs 3 letzter Satz ASVG, weil sie mit dem Artikel 2, 4 und 17 StGG im Widerspruch stehe.

Das Erstgericht hat die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges verworfen und der Klage stattgegeben. Es vertrat die Ansicht, die Bestimmung des § 153 Abs 3 letzter Satz ASVG sei im Interesse der Zahnärzte und Dentisten geschaffen worden. Der darauf gestützte Unterlassungsanspruch sei daher privatrechtlicher Natur, zu dessen Geltendmachung der Rechtsweg zulässig sei. In der Sache selbst schloß sich das Erstgericht der vom Obersten Gerichtshof in der Entscheidung EvBl 1959/408 vertretenen Rechtsansicht an.

Das Berufungsgericht hat das Urteil des Erstgerichtes als nichtig aufgehoben und die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückgewiesen. Es billigte zwar die Ansicht des Erstgerichtes, daß der auf § 153 Abs 3 letzter Satz ASVG gestützte Anspruch privatrechtlicher Natur sei. Die Kläger stützten sich jedoch der Dartuung ihres Anspruches nicht nur auf diese Gesetzesstelle, sondern auch auf den Gesamtvertrag einschließlich der Honorarordnung, indem sie sich zur Frage, welche Leistungen im Vertrag nicht vorgesehen seien und daher in den Zahnambulatorien nicht erbracht werden dürften, auf den Inhalt des Gesamtvertrages beriefen. Demgegenüber habe die beklagte Partei nicht zugegeben, skelettierte Metallprothesen nicht herstellen zu dürfen. Sie habe insbesondere die Meinung vertreten, daß der Gesamtvertrag kein Verbot zur Ausstattung mit Skelettprothesen enthalte, die Anführung der Arbeiten im Gesamtvertrage nicht mehr verbindlich sei und daher eine Streitigkeit aus dem Gesamtvertrage vorliege. Mit Rücksicht auf den gegenständlichen Prozeßstandpunkt der Parteien hänge die Beurteilung des geltend gemachten Unterlassungsanspruches von der Auslegung des Gesamtvertrages ab, so daß es sich um eine Streitigkeit aus dem Gesamtvertrag handle, worüber nicht das ordentliche Gericht, sondern nach § 345 Abs 1 ASVG die Landesschiedskommission zu entscheiden habe. Anders wäre der Fall zu beurteilen, wenn nur strittig wäre, ob die Beklagte solche skelettierte Metallprothesen herstelle, im übrigen aber auch der Meinung wäre, daß der Gesamtvertrag einer solchen Art der Behandlung entgegenstunde.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Kläger Folge, hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und trug diesem eine neuerliche Entscheidung über die Berufung der Beklagten auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Daß infolge der Zuweisung der Entscheidung von Streitigkeiten aus Verträgen (siehe die Formulierung des § 344 ASVG, an den die §§ 345 und 351 ASVG anschließen) zwischen den Sozialversicherungsträgern und den gesetzlichen Berufsvertretungen der Ärzte und Dentisten an die Landes- und Bundesschiedskommission (§§ 344 bis 348, 351 ASVG) der Rechtsweg insbesondere zur Feststellung des Bestandes oder des Erlöschens derartiger Verträge sowie zur Auslegung von einzelnen Vertragsbestimmungen (vgl Fasching I, 76) nicht beschritten werden kann, besagt - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes - noch nicht, daß in jedem Rechtsstreit, in dem derartige Fragen eine Rolle spielen, der Rechtsweg ausgeschlossen ist. Für die Beurteilung der Zulässigkeit des Rechtsweges sind ausschließlich die Klagsbehauptungen und die Art des vom Kläger geltend gemachten Anspruches maßgebend (vgl SZ 36/79; JBl 1971, 482; EvBl 1972/204). Die Kläger machen einen Anspruch auf Unterlassung bestimmter Zahnersatzleistungen geltend, wobei sie behaupten, der Beklagten sei nach § 153 Abs 3 letzter Satz ASVG verboten, in ihren Ambulatorien diese Leistungen zu erbringen, die in den mit den klagenden Parteien geschlossenen Gesamtverträgen nicht vorgesehen seien. Damit leiten die Beklagten ihren Sachantrag unmittelbar aus dieser Gesetzesbestimmung und nicht etwa aus einem im Gesamtvertrag vereinbarten Leistungsverbot ab, woran auch nichts zu ändern vermag, daß zur Konkretisierung dieser Bestimmung auf die Satzung und den Vertrag Bedacht zu nehmen ist. Sachgrundlage für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsweges ist daher der auf § 153 Abs 3 letzter Satz ASVG gestützte Unterlassungsanspruch. Ob im Gesamtvertrag solche Leistungen behandelt wurden und demnach Inhalt der Vereinbarung sind, ist für die Sachentscheidung über das Unterlassungsbegehren nur eine Vorfrage. Die Entscheidungsbefugnis der Zivilgerichte wird aber nicht dadurch ausgeschlossen, daß Vorfragen geprüft werden müssen, zu deren selbständiger Entscheidung nicht die Zivilgerichte zuständig sind. Nur dort, wo das Gesetz den Gerichten ausdrücklich auch die Entscheidung über eine solche Vorfrage verwehrt, muß die Entscheidung der zuständigen Behörde eingeholt werden (vgl Fasching I, 62 und 64 ff). Letzteres ist aber hier nicht der Fall. Da also, wie bereits ausgeführt, die Beurteilung der Frage, ob die Zahnersatzleistungen, deren Unterlassung begehrt wird, im Gesamtvertrag vorgesehen, also Gegenstand des Gesamtvertrages sind oder nicht, im vorliegenden Falle nur eine Voraussetzung für die Sachentscheidung, also eine Vorfrage betrifft, nicht aber selbständiger Rechtsschutzgegenstand ist, kann aus den angeführten Gesetzesstellen allein noch nicht eine den ordentlichen Rechtsweg ausschließende Zuständigkeit der Landesschiedskommission abgeleitet werden.

Was die Art des aus § 153 Abs 3 letzter Satz ASVG abgeleiteten Anspruches betrifft, ist für die Zulässigkeit des Rechtsweges entscheidend, ob er nach privatrechtlichen oder öffentlichrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen ist. In den Bereich des Privatrechtes fallen alle jene Rechtsbeziehungen, in denen die Rechtssubjekte einander gleichberechtigt gegenüberstehen, sofern solche Rechtsbeziehungen nicht kraft Gesetzes ausdrücklich in den Bereich des öffentlichen Rechtes verwiesen wurden. Zum öffentlichen Recht gehören alle Rechtsbeziehungen, bei denen das Rechtssubjekt nicht als Gleichberechtigter, sondern als Rechtsunterworfener dem öffentlichen Rechtsträger gegenübersteht (vgl Fasching I, 48; JBl 1971, 482). Dadurch, daß nach § 338 ASVG die Beziehungen der Träger der Sozialversicherung zu den freiberuflichen tätigen Ärzten und Dentisten durch privatrechtliche Verträge geregelt sind, ist zum Ausdruck gebracht, daß diese Beziehungen und ihre Regelung nicht dem Bereich des öffentlichen, sondern dem des Privatrechtes zugeordnet sind (vgl Begründung der Regierungsvorlage, Vorbem vor § 338 ASVG in Germann - Rudolph - Teschner; VwGH vom 2.4.1958 Z 174 in Anm 1 zu § 338 bei Germann - Rudolph - Teschner). Es sind daher auch die Bestimmungen des § 153 Abs 3 letzter Satz ASVG, die im Interesse der Zahnärzte und Dentisten und zu ihrem Schutze in das Gesetz aufgenommen worden sind (vgl EvBl 1959/408), iS einer Regelung von Rechtsbeziehungen gleichberechtigter und nicht einander über- und untergeordneter Rechtssubjekte auszulegen. Eine ausdrückliche Verweisung dieser Rechtsbeziehungen in den Bereich des öffentlichen Rechtes liegt nicht vor. Es sei in diesem Zusammenhang auf § 352 Z 1 ASVG hingewiesen, wonach die Bestimmungen über das Verfahren in Leistungs- und Verwaltungssachen nur zur Anwendung kommen, soweit nicht die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte oder der Arbeitsgerichte gegeben ist.

Was die von der Beklagten gegen die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des § 153 Abs 3 letzter Satz ASVG geltend gemachten Bedenken anlangt, so sieht sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlaßt, an den Verfassungsgerichtshof wegen Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser Gesetzesstelle heranzutreten. Begrundete Bedenken gegen die Vereinbarkeit dieser Bestimmung mit dem Gleichheitsgrundsatz sind in keiner Weise dargetan worden. Worin eine Verletzung des Grundrechtes der Freizügigkeit (Art 4 StGG) liegen soll, das sich auf die örtliche Bewegungsfreiheit der Person und des Vermögens bezieht, ist nicht ersichtlich. Dasselbe gilt hinsichtlich des Grundrechtes der Freiheit der Wissenschaft (Art 17 StGG), das die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung zum Gegenstand hat.

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